Antisemitismus gegen Israel
Die Autoren wenden sich einem Thema zu, das nicht nur in linken Kreisen für erhebliche Auseinandersetzungen sorgt: dem israelbezogenen Antisemitismus. Sowohl Klaus Holz wie auch Thomas Haury haben sich bereits profund mit Antisemitismus auseinandergesetzt. Anlass für die gemeinsame Publikation waren laut Auskunft der Autoren die in vielfältigen Kontoversen zum Ausdruck gekommenen Uneindeutigkeiten in der Unterscheidbarkeit von legitimer Israelkritik und israelbezogenem Antisemitismus. Die breit geführten Debatten und Konflikte über die Positionen der Kampagnenorganisation Boykott, Desinvestition und Sanktionen (BDS) sowie des postkolonialen Theoretikers Joseph-Achille Mbembe sind für die Autoren beispielhaft für ein Potenzial der Uneinigkeit, das oftmals in oberflächlichen identitätspolitischen Selbst- und Weltsichten zum Ausdruck kommt. Zur Analyse des israelbezogenen Antisemitismus beziehen sich die Autoren auf die schon früher von Klaus Holz vorgelegte Analyse des „nationalen Antisemitismus“: Hierbei erscheint das jüdische Feindbild als „Anti-Volk“. Im Unterschied zu den rassistischen Feindbildern gegenüber „niedrigeren Völkern“ stellt dort das Jüdische eine „Figur des Dritten“ dar, die alle Völker und Nationen bedrohe. Laut den Autoren können erst die Untersuchungen der Sinnzusammenhänge zwischen den antisemitischen Fremdzuschreibungen und den Eigenbildern zu einer komplexen Erfassung von israelbezogenem Antisemitismus führen. Daher seien Kriterienkataloge, wie zum Beispiel die IHRA-Definition, der „3-D-Test“ oder die „Jerusalemer Erklärung“, allesamt unterkomplex zur Erfassung des Phänomens.
In dem Buch werden dagegen die unterschiedlichen Facetten unter den Gesichtspunkten eines postnazistischen und eines islamistischen Antisemitismus ebenso dargestellt und analysiert wie bei einem Antisemitismus von links und von rechts sowie einem christlich-fundamentalistischen und einem identitätspolitischen Antisemitismus. Diskussionswürdige und auch neue Aspekte und Blickwinkel weist besonders Letzterer für eine linke Debatte auf: „Das unglückliche Bewusstsein der Rassismuskritik“ nennen dort die Autoren eine Position, die sie in der Haltung der US-amerikanischen Philosophin Judith Butler zu deren Deutung des Zusammenhangs von Antisemitismus und Rassismus identifizieren und welche sie als Ausdruck eines „entfremdeten Anti-Rassismus“ deuten, der sich „Antisemitismus zuwendet, um Eindeutigkeit herstellen zu können“. Dagegen setzen die Autoren die Orientierung auf einen „bedingten Universalismus“. Das Buch liefert eine materialreiche, sinnvoll gegliederte und theoriegesättigte Hilfestellung und Anregung zum Verständnis eines konfliktreichen Themas — ein Grundlagenwerk für die Debatte!
Klaus Holz/Thomas Haury: Antisemitismus gegen Israel Hamburger Edition, Hamburg 2021 424 Seiten, 35 Euro