Die Achse Westfalen-Allgäu

„Voice of Anger“ expandiert nach NRW

Die neonazistische Skinhead-Kameradschaft „Voice of Anger“ (VoA) aus Bayern erweitert seit geraumer Zeit ihren Aktionsradius nach NRW. Die Verbindungen bestehen seit einigen Jahren und laufen insbesondere über RechtsRock-Geflechte rund um die Neonazi-Clique „Skinheads Südwestfalen“ (SSW).

Die neonazistische Skinhead-Kameradschaft „Voice of Anger“ (VoA) aus Bayern erweitert seit geraumer Zeit ihren Aktionsradius nach NRW. Die Verbindungen bestehen seit einigen Jahren und laufen insbesondere über RechtsRock-Geflechte rund um die Neonazi-Clique „Skinheads Südwestfalen“ (SSW).

„Razzia bei Mitgliedern von rechter Skinhead-Gruppe“ lautete eine der Pressemeldungen, nachdem es am 22. März 2022 zu Hausdurchsuchungen in Bayern, Baden-Württemberg und NRW gekommen war. Getroffen hat es Mitglieder der Gruppe Voice of Anger. Schwerpunkt der Razzia lag in den Regionen um Memmingen im südbayerischen Allgäu, wo auch das Clubhaus von VoA durchsucht wurde. Im nordrhein-westfälischen Hamm war eine Person betroffen. Hintergrund der Ermittlungen sind Inhalte eines Chatverlaufes und Verbreitung volksverhetzender Inhalte. Dass sich in einem internen Chat der süddeutschen Neonazi-Struktur auch eine Person aus Hamm befand, überrascht nicht. Schließlich zählen auch einige Neonazis aus NRW zum Anwärter- und Mitglieder-Stamm, der sich auch als „One Family — One Brotherhood“ verstehenden Truppe aus dem Allgäu.

Gründung in Süddeutschland

Seit rund 20 Jahren besteht die Struktur Voice of Anger, die insbesondere in den süddeutschen Regionen Allgäu und Schwaben beheimatet ist. Aktivitäten und personelle Kontinuitäten reichen allerdings noch weiter zu der 1996 verbotenen Gruppe Skinheads Allgäu 88 und anderen mittlerweile aufgelösten Organisationen zurück. VoA hat sich seit ihrer Gründung im Jahr 2002 zur größten neonazistischen Skinhead-Kameradschaft in Süddeutschland entwickelt. Seit Anbeginn stellt die Erlebniswelt RechtsRock einen wichtigen Bereich innerhalb der Aktivitäten dar. Dies betrifft zum einen die Organisation von Konzerten.

Zum anderen fielen über die Jahren immer wieder auch einige RechtsRock-Bands mit direkten personellen Bezügen in das VOA-Netzwerk auf. Bekanntestes Beispiel dürfte die 2018 aufgelöste Allgäuer Band Faustrecht sein. Eng verbunden mit VoA ist zudem das von Benjamin Einsiedler betriebene RechtsRock-Label Oldschool Records. Der 39-Jährige zählt zu einer den führenden Personen bei VoA. Und nicht zufällig veröffentlicht auch die Band Smart Violence um ihren Sänger und Gitarristen Michael Brosch (Marl, Kreis Recklinghausen) einen Großteil ihrer Alben auf Oldschool Records. Die Band und ihr Umfeld pflegen schon länger gute Verbindungen in das Allgäu.

RechtsRock-Geflechte

Unter dem Titel „15 Jahre Bruderschaft“ erschien 2017 auf Oldschool Records eine Gratis-CD mit drei exklusiven Liedern zum 15-jährigen Bestehen von Voice of Anger. Smart Violence steuerten gleich zwei Songs bei. Fester Bestandteil der Band um Brosch, der zeitweise neben vielen anderen Projekten auch bei der Allgäuer Band Prolligans mitwirkte, ist Schlagzeuger Werner Butscher. Auch wenn bei Live-Auftritten öfter der aus Hamm stammende Patrick Gerstenberger einspringt, zählt der 37-jährige Butscher aus dem Allgäu zum Kern der 2012 gegründeten Band Smart Violence. Er gehörte daneben zur letzten Besetzung von Faustrecht. Ein letztes Konzert vor ihrer Auflösung spielte Faustrecht 2017 auf einem Konzert anlässlich des 15. Geburtstages von VoA. Nachdem ein Brand 2017 das Clubhaus von VoA in Memmingen zerstört hatte, stellten „der Trommler W.“ und „der Strippenzieher B.“ einen Sampler mit dem Titel „Stimmen der Solidarität“ auf die Beine. Für diesen spielten die beiden — bei denen es sich um Werner Butscher und Michael „Broschi“ Brosch handeln dürfte — mehrere RechtsRock-Klassiker mit unterschiedlichen Gastsängern ein. Auf Bildern im Booklet der 2019 erschienenen CD posieren bekannte Gesichter der Skinheads Südwestfalen aus NRW mit Symboliken von VoA. Zu sehen sind unter anderem Jörn Kaiser (Neuenrade/Märkischer Kreis), Oliver Bothe (Lennestadt/Kreis Olpe), Björn Stipek (Schwerte/Kreis Unna) und RechtsRock-Multiaktivist Robert „Gessi“ Gesswein (ehemals Hopsten/Kreis Steinfurt).

„Skinheads Südwestfalen“

T-Shirts und Banner der SSW tauchten erstmalig um das Jahr 2015 im Umfeld von Smart Violence auf. Unter Skinheads Südwestfalen ist weniger eine feste Organisationsstruktur zu verstehen, sondern es handelt sich vielmehr um ein Label für eine neonazistische Skinhead-Crew. Auffällig war, dass sich einige zentrale Personen aus diesem Kreis — wie Kaiser und Bothe — Mitte der 2010er Jahre zunächst im Netzwerk einer anderen neonazistischen Skinhead-„Bruderschaft“ — den „Hammerskins“ — bewegten, dort aber nicht den elitären Mitgliederstatus erlangten und sich dann VoA zuwandten. Die Kontakte in das Allgäu bestehen bei dem Sauerländer Jörn Kaiser schon länger, denn als „Labelzeichner“ von Oldschool Records ist er für Illustrationen zahlreicher Veröffentlichungen verantwortlich.

Neben Kaiser dürfte auch Björn Stipek einer der Hauptmotoren für den organisatorischen Ausbau von VoA nach Westfalen sein. Stipek bewegt sich seit rund 20 Jahren in der westfälischen Neonazi-Szene, gehörte zeitweise wie auch Kaiser in das Umfeld der Oidoxie Streetfighting Crew. Von zentraler Bedeutung für die räumliche Erweiterung von VoA waren insbesondere gemeinsam mit den SSW ausgerichtete Konzerte im 2019 geschlossenen Neonazi-Zentrum Zuchthaus in Hamm. Präsentierten sich auf einem der letzten Konzerte im Zuchthaus am 17. August 2019 noch Kaiser und Co. als Security am Einlass sichtbar mit VoA-Kleidung, wurde es nach der Schließung der für die örtliche Neonazi-Szene zentralen Immobilie nach außen hin ruhiger um die Truppe.

Familienerweiterung

Im letzten Jahr zeigte sich dann eine weitere personelle Erweiterung der westfälischen VoA-Strukturen. Als am 9. Oktober 2021 über 600 Neonazis in Dortmund anlässlich des Todes von Siegfried Borchardt aufmarschierten, zeigte sich eine siebenköpfige Gruppe mit erkennbarer VoA-Symbolik. Darunter befanden sich auch neue Anwärter mit Abzeichen („Prospect of the Family“), wie der aus der Hammer Neonazi-Szene stammende Yannick Trussat. Der 28-Jährige gehörte neben Jörn Kaiser auch zu einer VoA-Delegation, die bei der Beerdigung von Borchardt am 21. Januar 2022 in Dortmund vertreten war. Dass gute Beziehungen nach Dortmund bestehen, zeigte sich sowohl am 8. Mai 2021 in der Dortmunder Nordstadt, als auch am 22. August 2021 im Stadtteil Dorstfeld. An beiden Tagen waren Mitglieder von VoA Teil einer Gruppe lokaler Neonazis, die mit Drohgebärden durch die Straßen zogen, während zeitgleich antifaschistische Demonstrationen stattfanden.

Ob sich die Struktur von VoA in Westfalen weiter festigen wird, wird sich nach dem Ende der staatlichen Corona-Maßnahmen zeigen. Denn die Durchführung von RechtsRock-Konzerten war in den letzten zwei Jahren mehr oder weniger unmöglich für die Szene. Hinzu kommt der Wegfall des Zuchthaus‘ als zentrale Räumlichkeit, was kompensiert werden muss. Gerade dieser Bereich neonazistischer Erlebniswelten stellt für eine Struktur wie VoA und deren Umfeld eine wichtige Funktion dar.

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