„Mut zur Provokation und Diskursraumerweiterung“
Matthias Helferich im Portrait
Der Dortmunder Bundestagsabgeordnete und ehemalige Partei-Vize der nordrhein-westfälischen AfD wirbt für sich unter dem Motto: „jung, freiheitlich und heimatverliebt“. Er steht dem völkisch-nationalen Flügel der AfD nahe. Durch geleakte Chatprotokolle, in denen er sich selbst „als freundliches Gesicht des NS“ und „demokratischen Freisler“ bezeichnete, wurde er einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.
Matthias Helferich wuchs in Dortmund auf, zu Schulzeiten war er in der CDU-nahen Schüler Union Nordrhein Westfalens aktiv und von 2005-2006 deren Landesvorsitzender. Ehemalige Mitschüler:innen berichten, dass er schon immer ein „Arschloch“ gewesen sei, das durch rassistische Äußerungen auffiel. Mittlerweile hat er für die Christdemokraten nur noch Verachtung übrig. In einer Rede, die er im Februar im Bundestag hielt, bezeichnete er CDUler als „pseudokonservative Waschlappen“. Helferich studierte nach seinem Wehrdienst Jura in Bochum und Bonn und trat der Bonner Burschenschaft Frankonia bei. Seit 2020 ist er als Rechtsanwalt zugelassen.
Als stellvertretender Landesvorsitzender der AfD in Nordrhein-Westfalen zog Helferich im September 2021 in den 20. Deutschen Bundestag ein. Im JA-Magazin Distel stellte er sich als „Kandidat der idealistischen Jugend zwischen Rhein und Ruhr“ vor. Er selbst charakterisiert sich dort als Politiker, der angetreten sei, um „professionelle parlamentarische Arbeit, Bürgernähe in der Heimat“ und „Angriffslust“ mit „Mut zur Provokation und Diskursraumerweiterung“ zu verknüpfen. Er spekuliert offen darüber, wie man mit den Einkünften aus der parlamentarischen Tätigkeit das politische Vorfeld der AfD unterstützen und eine rechte „Kampfgemeinschaft“ formen könne. Bemerkenswert ist, dass Helferich in diesem Zusammenhang nicht nur von einer Kampf- sondern auch von einer „Gesinnungsgemeinschaft“ spricht. Der Jungen Alternative (JA) rät er außerdem, provokanter aufzutreten.
„Das freundliche Gesicht des NS“
Sein eigener Mut zur Provokation und Diskursraumerweiterung wurde Helferich schließlich zum Verhängnis. Infolge des Skandals um die „NS“-Chatnachrichten aus den Jahren 2016 und 2017, verzichtete Helferich unter dem Druck der Partei auf die Fraktionszugehörigkeit. Der ehemalige AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen forderte sogar den Parteiausschluss Helferichs, verfehlte jedoch die hierfür notwendige Zweidrittel-Mehrheit im Bundesvorstand der AfD. Vorerst durfte Helferich bleiben. Die JA solidarisierte sich mit ihm und bekannte: „Die AfD lebt von Köpfen wie dir!“ Einer der ersten, die sich hinter Helferich stellten, war der ehemalige Aktivist der Identitären Bewegung Nils Hartwig (vgl. LOTTA #78), der als sein enger Vertrauter gilt.
Lokalpolitik
Neben seinem Bundestagsmandat ist Helferich auch lokalpolitisch aktiv. Er ist Mitglied des Rates der Stadt Dortmund sowie der Bezirksvertretung Scharnhorst. Auch hier fällt er durch Populismus und Provokation auf. Bei der Wahlparty der AfD zum Einzug in den Rat der Stadt Dortmund trug Helferich eine Kornblume am Revers, Symbol der 22. SS-Kavallerie-Division und in Österreich Symbol der NS-Bewegung zur Zeit ihres Verbotes. In der Bezirksvertretung setzt er sich gemeinsam mit Mike Dennis Barthold für mehr Law-and-Order-Politik ein. Helferich berichtet unter Verweis auf das „Netzwerk“ Russlanddeutsche für die AfD NRW, dass er viele Gespräche mit Russlanddeutschen in Scharnhorst führe, die der AfD wohlgesonnen seien. Auf lokaler Ebene ist Helferich in den vergangenen Monaten vor allem durch die Beteiligung an Demonstrationen gegen die Coronapolitik aufgefallen. Sowohl in Düsseldorf als auch in Dortmund beteiligte Helferich sich an Aufmärschen der Pandemieleugner:innen, mit Verweis auf die AfD-Kampagne „Gesund ohne Zwang“.
Themenschwerpunkte Inflation, Migration, Corona
Unter dem Motto: „Gegen Impfzwang, Inflation und Massenmigration“ mobilisierte Helferich am 30. November letzten Jahres nach Dortmund-Hörde. Als vermeintlicher Anwalt „der kleinen Leute“, inszenierte er sich vor der Hörder Burg. In seiner Rede bediente er rassistische, faschistische und antisemitische Ideen und Bilder. Ziel war es offenbar, gezielt das verschwörungsideologische Spektrum der Corona-Leugner:innen anzusprechen. Sprachlich und ideologisch unterscheidet sich Helferich teilweise kaum noch von der neonazistischen Rechten. So ist es kaum verwunderlich, dass die Partei Die Rechte den Aufruf der AfD teilte und etwa 20 Neonazis dem Aufruf folgten, um bei vermeintlich „bürgerlicheren“ rechten Kräften Anschluss zu finden. Im Anschluss an die Veranstaltung wurden drei Neonazis aus dem Umfeld der Partei Die Rechte festgenommen, weil sie zuvor Antifas angegriffen hatten.
Fest verankert in der „Neuen Rechten“
Wer sich einen Eindruck von Helferichs inhaltlichen Positionierungen verschaffen möchte, kann sich exemplarisch seine Reden im Bundestag anhören. Diese sind von purem Rassismus und populistischen Äußerungen durchzogen. Seine jüngste Rede zum Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission, nutzte er, um Migration als „Angriff auf die Europäische Lebensweise“, welche sich „gegen den Willen der Europäischen Völker“ richte, heranzuziehen. „Die Europäer“ wollten Helferich zufolge „nicht Opfer einer großen europäischen Transformation zu werden“ und „nicht in abendländischen Parallelgesellschaften leben“. Hier bedient er die „neurechte“ Verschwörungsideologie des „großen Austausches“.
Helferich proklamiert auf seiner Webseite, dass er Stipendien für Mitglieder der Jungen Alternative und „parteiunabhängige Projekte aus dem politischen Vorfeld“ anbiete. Diesen Stipendiaten bietet er regelmäßig Vorträge mit Akteur:innen der „Neuen Rechten“ aus dem Umfeld der JA NRW an. In diesem Frühjahr fanden beispielsweise ein Seminar mit Tim Csehan zum „Konzept der wehrhaften Demokratie“ und ein Vortrag mit Zacharias Schalley zur Ökologie von rechts mit kostenloser Leseprobe der extrem rechten Ökologiezeitschrift „Die Kehre“ statt. Auf seinen Social-Media-Kanälen bewirbt er das Projekt „Gegenuni“ für „Akademische Kontrakultur“ und regelmäßig Bücher des Antaios-Verlags, zuletzt „Ansage“ und „Konservativenbeschimpfung“ von Manfred Kleine-Hartlage sowie Günther Scholdts „Brechts »Die Maßnahme« und die AfD“.
Karriere vor dem Ende?
Dem AfD-Landesvorstand, der im Februar in Siegen neu gewählt wurde, wird Helferich künftig nicht mehr angehören. Ebenso wie sein einstiger Förderer Rüdiger Lucassen. So ganz will die AfD Helferich dann aber doch nicht fallen lassen: Auf dem Siegener Parteitag wurde er ausgerechnet in das Landesschiedsgericht gewählt, also jenes Gremium, das über seine Zukunft entscheiden wird. 52,23 Prozent der Delegierten votierten für Helferich. Aufgrund von Befangenheit wird er zwar nicht in eigener Sache mitentscheiden können — aber die Wahl hat zumindest symbolische Wirkung. Die JA lädt unterdessen demonstrativ am 23. April 2022 unter dem Motto: „Die Jugend wählt Blau“ zum Wahlkampfevent nach Dortmund ein. Mit dabei: Matthias Helferich.