Offene Wunden Osteuropas
In zehn gut lesbaren Essays setzen sich die Autor_innen mit den Aufständen im Warschauer Ghetto (1943) und in Warschau (1944) und dem „Holocaust by Bullets“ auf dem Gebiet der heutigen Ukraine, in Belarus und dem Baltikum auseinander, beispielsweise mit den Massenerschießungen von Jüdinnen_Juden in der Schlucht von Babyn Jar in Kiew. Mit der NS-„Aktion Reinhardt“ beschäftigen sie sich anhand des Mordlagers in Bełżec und des KZ und Mordlagers Majdanek in Lublin. Der Erinnerung an die im deutschen Kontext kaum thematisierte Belagerung der Städte Leningrad und Stalingrad durch die deutsche Wehrmacht widmet sich jeweils ein weiteres Kapitel. Ebenfalls wenig bekannt dürften vielen Leser_innen die Pogrome, Massaker und Vertreibungen durch polnische und ukrainischen Nationalisten, die am Beispiel der Stadt Lwiw (ehemals „Lemberg“) thematisiert werden, sein. Es gelingt den Autor_innen, ohne Relativierung oder Gleichsetzung auch die sowjetische Besatzungspraxis im Baltikum und in Ostpolen, vor deren Hintergrund die Wehrmacht zum Teil bis heute als „Befreier“ wahrgenommen wird, und die vielschichtigen nationalen und ethnischen Erinnerungskulturen zu thematisieren. Das Buch ist ein guter Einstieg in die Auseinandersetzung mit der Erinnerung an die Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs in Osteuropa. Die Autor_innen plädieren für eine kritische und empathische Erinnerungskultur, die die vielschichtigen Perspektiven der Opfer des deutschen Vernichtungskrieges in Osteuropa ins Zentrum rückt.
Davies, Franziska / Makhotina, Katja: Offene Wunden Osteuropas. Reise zu Erinnerungsorten des zweiten Weltkriegs wbg Theiss, Darmstadt 2022 288 Seiten, 28 Euro