Braunzone Oberberg
Drang zum Souveränismus und Völkischen
Die Beschäftigung mit dem Milieu der Corona-Leugner*innen und Impfgegner*innen im nordrhein-westfälischen Landkreis Oberbergischer Kreis (OBK) ergibt das Bild einer verschwörungsideologisch geprägten, „sektenähnlichen Struktur, die Bezüge zur „Anastasia"- und „Reichsbürger*innen"-Bewegung aufweist und die in die rechte, völkische und souveränistische Szene hinein vernetzt ist. Ihre vordergründige Harmlosigkeit bei gleichzeitigem Nonkonformismus und Rebellenhabitus macht sie anziehend für Menschen, die sich von Veränderungen in der Gesellschaft überfordert fühlen und auf der Suche nach einfachen Erklärungen sind. Der Artikel ist eine Annäherung an die regionale Szene im Oberbergischen Kreis, die bundesweit vernetzt ist - mit Verbindungen auch nach Österreich.
Anfang Mai 2022 fand in der „Schnipperinger Mühle“ in Wipperfürth ein Konzert des Liedermachers „Eloas Min Barden“ statt, der sowohl im Umfeld der „Anastasia-Bewegung“ auftritt, als auch bei großen Corona-Protesten Pandemieleugner*innen und Impfgegner*innen mit Auftritten beglückt. Sein Publikum besteht aus Späthippies und Menschen aus der Öko-Szene. Der Sänger weist von sich, der „Anastasia-Bewegung“ und dem „Reichsbürger*innen“-Spektrum anzugehören, schließlich habe er „nur“ auf deren Veranstaltungen gespielt. Die umgedrehte Deutschlandfahne, die er auf einer Veranstaltung trug, sei kein „Reichsbürger“-Symbol, sondern der Versuch, die soziale Dreigliederung nach Rudolf Steiner darzustellen. Sein Publikum, das optisch aus dem links-alternativen Spektrum stammen könnte, scheint das Spiel mit rechter Symbolik gewohnt zu sein.
Konservatives Oberberg
Demonstrationen von Pandemieleugner*innen hat es in fast allen Gemeinden im OBK gegeben. Dass es in der Kreisstadt Gummersbach (51.000 Einwohner*innen) über Monate möglich war, montags weit über 2.000 Menschen auf die Straße zu bringen, ist erklärungsbedürftig und unter anderem in der Struktur des OBK begründet. Das teils sehr ländliche Gebiet ist im NRW-Vergleich dünn besiedelt. Politisch ist die Region traditionell konservativ geprägt, die CDU ist die dominierende Partei. Es gibt Ortsteile, in denen seit Jahren die NRW-weit höchsten Ergebnisse für die AfD erzielt werden (Stimmbezirk Waldbröl-Maibuche, Landtagswahl 2022: 59,7 %). Die Region wird von der AfD gerne als Rückzugsgebiet genutzt: Hier gelingt auch mal ein Sommerfest mit 100 Leuten, ohne mit Gegenprotest rechnen zu müssen. Seit der Auflösung der neonazistischen Freien Kräfte Oberberg (FKO) konnten sich auch keine extrem rechten Kräfte außerhalb der AfD etablieren.
Bei den Teilnehmenden an den Corona-Protesten in Gummersbach handelt es sich unter anderem um „Reichsbürger*innen“ (laut Polizeiangaben soll es mindestens 150 im OBK geben), Menschen aus Zusammenhängen der SoLaWi (Solidarische Landwirtschaft), der ökologischen Landwirtschafts-, Bioladen- und Eso-Szene und aus dem Bereich der alternativen Schulen. Im OBK gibt es mindestens sieben Privatschulen, darunter Bekenntnisschulen, Freie Schulen und Schulen der Waldorfpädagogik. Schülerinnen und Lehrerinnen berichten immer wieder von Unterrichtsinhalten, die eher ideologisch geprägt als wissenschaftlich fundiert sind. Die Zahl christlicher Gruppen und Freikirchen, oftmals evangelikal und teils fundamentalistisch ausgerichtet, ist groß. Auch aus diesem Milieu werden die Corona-Proteste gespeist.
„Telegram“-Gruppen radikalisieren sich
Seit 2020 entstanden im OBK mindestens 20 Telegram-Gruppen mit Bezug zu Corona-Protesten. Zwischen deren Betreiber*innen und Mitgliedern gibt es zum Teil enge Kontakte, es finden Vernetzungstreffen statt, und es werden gemeinsame Fahrten zu Demos in Düsseldorf, Brüssel oder Berlin organisiert. Alle Gruppen teilen Infos anderer Kanäle mit rechten verschwörungsideologischen Inhalten. In den meisten finden sich Bezüge zur „Anastasia-Bewegung“, verbunden mit Aufrufen zur Gründung von Familienlandsitzen und Siedlungsgemeinschaften. Außerdem werden extrem rechte und antisemitische Inhalte verbreitet, und von Mitgliedern aus der „Reichsbürger*innen“-Szene wird die Existenz der BRD geleugnet. In einigen der Gruppen - beispielsweise Oberberg bewegt! mit deutlich über 1.000 Mitgliedern - wird sogar zu Gewalt aufgerufen und der Holocaust geleugnet. Eine Anzeige gegen die Betreiberin der Gruppe verlief allerdings im Sande.
Eine interessante Entwicklung nahm die Orga-Gruppe der Gummersbacher Montagsdemos: Die Aktivistinnen, die Wert darauf legten, als Betroffene gezielt gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht zu demonstrieren, radikalisierten sich zusehends und teilten ohne jedes Geschichts- und Politikbewusstsein Memes und Infos aus einschlägig extrem rechten Kanälen. Kritik von außen an den teils offen neonazistischen Inhalten wurde bagatellisiert.
Aufbau von gesellschaftlichen Parallelstrukturen
Neben Aufrufen zu Gewalt und Umsturz, wie sie auch in den Oberberger Telegram-Gruppen zu finden sind, gibt es eine leisere Bewegung, die bestrebt ist, sich von staatlichen Systemen (Wirtschaft/Finanzen, Landwirtschaft und Bildung) abzukoppeln. Ziel ist es, sich staatlicher Kontrolle zu entziehen. Geplant werden dafür Gründungen von möglichst autarken Siedlungen. Die Szene setzt sich aus meist bürgerlichen (teils finanzstarken) Esoteriker*innen aus dem Alternativmilieu zusammen, oft mit Bezügen zu Souveränist*innen oder „Reichsbürger*innen“. Beinahe durchgängig wird für die reaktionäre, völkische und antisemitische „Anastasia-Bewegung“ geschwärmt.
Ein besonderer Schwerpunkt ist die Gründung „Freier Schulen“. Zurzeit gibt es eine Gründung in Windeck (Rhein-Sieg-Kreis), die im engen Zusammenhang mit der anthro-nahen „Freien Schule“ in Nümbrecht-Berkenroth (OBK) steht. Die Schulleiterin ist aktiv in QAnon- und „Anastasia“-nahen Telegram-Gruppen.
Im OBK ist es besonders Christoph Schäl, der für Parallelstrukturen lokale Aufbauarbeit leistet und für überregionale Vernetzungen sorgt. Empfänglich für seine Agitation sind die Anhänger*innen der Corona-Protestbewegung, die sich im Widerstand wähnen und die zur Umgehung der Maßnahmen zunächst Listen mit Geschäften und Restaurants erstellten, die ohne Maske und ungeimpft besucht werden könnten. Nächster Schritt war der Aufbau eines Verteilsystems für Lebensmittel, bei dem vom OBK aus über Hennef und Köln bis Wuppertal Lebensmittel zu privaten Verteilstationen geliefert wurden.
Nach dem Vorbild von Peter Kittl aus Österreich gründete Schäl Vereine mit Sitz in Wien. Kittl, mit dem Schäl eng in Verbindung steht, bezeichnet Vereine und Genossenschaften in Österreich als quasi „rechtsfreie Räume“ mit juristischen, fiskalischen und haftungsrechtlichen Möglichkeiten, sich von staatlicher Kontrolle abzukoppeln. Kittl bekennt sich eindeutig zur „Anastasia-Bewegung“ und tourt mit seinem Wohnmobil durch die Lande, um seine Agenda zu verbreiten. Schäl baut seinerseits unentwegt und bemüht unauffällig an neuen Gemeinschaften und versucht dabei unter dem Radar der Behörden bleiben. So unterstützte er mit einem Verein überregionale Treffen von QAnon-Anhänger*innen auf dem Heilerhof nahe Nümbrecht während des Lockdowns, beendete die Zusammenarbeit aber, nachdem die Behörden auf die Treffen aufmerksam geworden waren.
Er gründete zahlreiche regionale Telegram-Gruppen, in Zusammenarbeit mit „Frank dem Reisenden“ (Frank Schreibmüller) wurden diese zu Honeypots für Verschwörungsgläubige, die sich immer tiefer in eine Welt mit „alternativen“ Fakten, Angst und Wut ziehen lassen. Er organisiert obskure Veranstaltungen wie das eingangs genannte Konzert mit „Eloas Min Barden“ oder sogenannte „Wir Kreisen“ mit Peter Kittl; baut einen „Guru“ (Riccardo A.) auf mit zugehörigem Kanal und regelmäßigen „Morgengrüßen“, die aus banalem Eso-Sprech, durchsetzt mit verklausulierten Aufrufen zum Widerstand bestehen. Die so akquirieren Interessentinnen radikalisieren sich und steigen in die inneren Strukturen auf - ganz nach dem Vorbild der Organisation von Sekten. Die Bezahlung der Workshops erfolgt per „Energieausgleich“ - jede*r gibt nach eigenem Ermessen, zumeist weit über dem üblichen Kurs. Zudem wird an eigenen Währungssystemen gebastelt. Und natürlich wird nichts davon versteuert.
Pläne zur Gründung einer Siedlungsgemeinschaft
Der Immenhof gehört zur Gemeinde Bispingen in der Lüneburger Heide. Auf 41 Hektar gibt es neben diversen Gebäuden ein Brunnenhaus und ein Schulgebäude. Hier plante Schäl mit weiteren Personen eine souveränistische Gemeinschaft.
Ihre kruden, allein sich selber verpflichteten Ideen von Bildung, Recht, Wirtschaft und Politik sollten hier umgesetzt werden. Ende Juni 2022 fand ein erstes Treffen von über 60 Interessent*innen aus ganz Deutschland und Österreich statt. Neben Schäl und seinem Umfeld war auch Peter Kittl anwesend. Es gab Vorträge, unter anderem von Jacky Herder, die ihr von der „Anastasia“-Buchreihe inspiriertes Schulkonzept „School of Bliss“ vorstellte, und von Boris Matern über seine „alternative“ Wirtschaftsplattform „Humanimity“. Und wie stets Beiträge zum österreichischen Vereinswesen.
Besitzer des Grundstücks ist Helmut Bierwirth, ein hochverschuldeter Geschäftsmann aus Hamburg, dem Kontakte zur organisierten Kriminalität nachgesagt werden. Da das Grundstück zwangsversteigert werden sollte, diente das Treffen dazu, auszuloten, ob genügend Menschen bereit sind, Energie und Geld in das Projekt zu stecken. Weil diese Pläne durch antifaschistische Recherche im Vorfeld bekannt wurden und anschließend in der Presse darüber berichtet wurde, engagierte sich vor Ort die Bevölkerung gegen die Gründung einer „völkischen Siedlung“. Schäl und sein Umfeld haben sich deswegen offenbar von der Umsetzung ihrer Pläne auf dem Immenhof zurückgezogen, ihre Telegram-Gruppen geschlossen und wirken vorerst im Verborgenen weiter. Andere Teilnehmerinnen des Treffens blieben unbeeindruckt, beispielsweise Tanja L. und Jörn K. aus Hennef im Rhein-Sieg-Kreis, die den Telegram-Kanal „Paradiesum“ betreiben und schon länger Kontakt zu Martin Laker („Engelsburger Nachrichten“) haben, der inzwischen ebenfalls in Hennef lebt.
Fazit
Im Oberbergischen gibt es zwar kaum organisierte extrem rechte Strukturen, dafür ist der Boden für reaktionäre Verschwörungsideolog*innen besonders gut bestellt. Bei den Protestierenden gegen die Pandemiemaßnahmen handelt es sich um ein zumindest vordergründig gut integriertes „bürgerliches“ Spektrum. Dieses begreift sich selbst nicht als rechtsoffen, extrem rechts oder gar faschistisch und agiert freundlich und offen, zumindest solange es nicht auf Widerspruch stößt. Das Milieu gefällt sich in seinem rebellischen Gestus, seine diffuse Wut führt zur Bereitschaft, Positionen der extremen Rechten einzunehmen. Die fehlende Distanz nach Rechts schafft einen Pool für radikalisierbare Gewalttäterinnen. Aus dem Widerstand gegen die Coronamaßnahmen entsteht gerade eine neue soziale Bewegung souveränistischer und völkischer Aussteigerinnen. Die hohe Anzahl der Beteiligten und ihr Gefühl, sich in einem Existenzkampf zu befinden, macht diese Bewegung brandgefährlich. Ängste in der Bevölkerung, die mit dem Krieg in der Ukraine und den damit vielleicht auch in Deutschland drohenden Krisen verbunden sind, werden von dieser Bewegung dankbar aufgegriffen und genutzt, um den Ausbau rechter Parallelgesellschaften voranzutreiben.