„Die Skandalisierung bleibt zunehmend aus“

Interview mit der Recherche- und Monitoringplattform „IB-Doku“

Mit Vertreter\*innen der Plattform „IB-Doku“ haben wir über ihre Arbeit und Erfahrungen im Umgang mit der „Neuen Rechten“ sowie über Herausforderungen antifaschistischer Perspektiven auf die „Junge Alternative“ (JA) gesprochen.

Mit Vertreter*innen der Plattform „IB-Doku“ haben wir über ihre Arbeit und Erfahrungen im Umgang mit der „Neuen Rechten“ sowie über Herausforderungen antifaschistischer Perspektiven auf die „Junge Alternative“ (JA) gesprochen.

Bitte stellt euch und eure Arbeitsschwerpunkte kurz vor.

Nachdem die Identitäre Bewegung (IB) in Deutschland erstmals im Herbst 2012 in Erscheinung trat, entfaltete sie ab 2015 auch in NRW ihre ersten Aktivitäten. Über die Verteilung von Propagandamaterial, Aktionen im öffentlichen Raum und die Nutzung sozialer Medien betrieben die jungen „Neurechten“ in den Folgejahren eine intensive Raumnahme. Die IB kam mit neuen Akteur*innen, modernem Design, potenziell anschlussfähigen Theorien und Schlagworten sowie einer professionellen Außendarstellung daher. Viele bewährte Maßnahmen gegen die extreme Rechte verfehlten ihre Wirkung, weshalb neue Gegenmaßnahmen benötigt, diskutiert und umgesetzt wurden. Aus diesem Grund wurde Ende 2017 eine Kampagne initiiert, die zunächst Aufklärung über das damals neue extrem rechte Phänomen betrieb. Dazu wurde ein Blog erstellt, auf dem zunächst Grundlagenartikel über Entstehung, Theorien, Aktionen, Akteur*innen und Netzwerke veröffentlicht wurden. Es folgte eine Broschüre, die bundesweit kostenlos verteilt wurde. Ein Twitter-Account ergänzte 2018 die Kampagne, der uns seitdem als Veröffentlichungs- und Monitoring-Tool dient. Ergänzend wurde die Kampagne von einer Vortragsreihe begleitet. Was zunächst regional begann, ist mittlerweile zu einer Recherche- und Monitoringplattform für die IB und die „Neue Rechte“ im deutschsprachigen Raum avanciert. Wir arbeiten seit Beginn unabhängig und unentgeltlich. Die Recherchen über Personen, Netzwerke, Rückzugsorte und mediale wie diskursive Strategien der IB dienen bundesweit Journalist*innen als Referenz und Ausgangspunkt für Artikel oder umfangreichere Recherchen. Recherche sollte aber niemals Selbstzweck sein. Uns ist es wichtig, dass unsere Erkenntnisse, Einschätzungen und Recherchen für die Gesellschaft einen direkten und konkreten Nutzen haben und der Öffentlichkeit kostenfrei zur Verfügung stehen.

Den derzeitigen Niedergang und die aktuell stattfindenden Transformationsprozesse der IB nach 2018, insbesondere ihren Rückzug in die sozialen Medien, die Involvierung in „neurechte“ Strukturen und die AfD, verfolgten wir dabei aufmerksam, da sich die Protagonist*innen neue Formate und Bündnis­part­ner­*innen suchen und weiterhin „metapolitisch“ aktiv sind. Mittlerweile erstreckt sich unsere Arbeit auch auf die „Neue Rechte“insgesamt, Teile der AfD und die Nachfolgestrukturen der IB.

Stichwort AfD: Als ihr angefangen hattet, zu dem Thema „Identitäre Bewegung“ und „Neue Rechte“ zu arbeiten, welche Rolle hat das Spektrum der „Jungen Alternative“ für eure Arbeit gespielt?

Als wir 2016 die Arbeit aufnahmen, lag unser Fokus auf der extrem rechten Modernisierungserscheinung Identitäre Bewegung. Damit waren wir zunächst auch ausgelastet, da wir uns — von einer Beschäftigung mit der neonazistischen Rechten kommend — erst einmal in Strukturen, Ideologie und Strategie der „Neuen Rechten“ einarbeiten mussten. Zu den Hochzeiten der IB zwischen 2016 und 2018 beschäftigten wir uns hauptsächlich mit diesen Gruppierungen. Die Junge Alternative spielte zu dieser Zeit gesellschaftlich, aber auch innerparteilich eine randständige Rolle und wurde nur gelegentlich interessant, wenn beispielsweise „Identitäre“ bei der JA auftauchten oder vice versa. Die JA war zu diesem Zeitpunkt ziemlich unstrukturiert, agierte noch nicht geschlossen und machte in regelmäßigen Abständen mit Negativschlagzeilen auf sich aufmerksam. Dennoch war die Jugendorganisation sprachlich deutlich radikaler als die AfD positioniert. Schon damals waren Anknüpfungspunkte, so ihr autoritäres und nationalistisches Gesellschaftsbild, deutlich zu erkennen. Die strategischen Debatten in der „Neuen Rechten“ und der IB verdeutlichten jedoch bereits trotz ihrer außerparlamentarischen Ausrichtung und ihrer Kritik am „Parlamentspatriotismus“, dass nur die AfD und ihre Jugendorganisation der parlamentarische Bezugspunkt als „letzte evolutionäre Chance“ (Höcke, 2016) sein konnten. Damals kam es bereits zu gemeinsamen Aufmärschen und Aktionen von JAler*innen und „Identitären“ (zum Beispiel 2018 in Kandel). Aus internen Strategiepapieren der IB ging hervor, dass die JA neben Burschenschaften als natürlicher Bündnispartner galt.

Wie hat sich die Bedeutung der JA im Laufe der Zeit in eurer Arbeit verändert?

Insbesondere ab 2019, als die JA eine Runderneuerung vornahm und mittels neuem Logo und Corporate Design eine Social Media-Offensive startete, teilt sie nicht nur virtuelle Räume mit der IB. Das Know-How der „Identitären“, die ihre Medienstrategie über die Jahre professionalisiert hatten, gaben diese an die JA weiter. Während sich die IB im Niedergang befand, suchten die öffentlich verbrannten IB-Kader neue und vor allem lukrativere Betätigungsfelder. Während einige von ihnen neue oberflächlich unverfängliche Ich-AGs gründeten, wurden andere AfD-Mitarbeiter*innen, traten der JA bei oder tauchten in anderen „neurechten“ Strukturen wie Ein Prozent oder dem Compact Magazin auf. Der Einfluss der „Neuen Rechten“ auf die AfD-Jugendorganisation wurde ab diesem Zeitpunkt stärker. Zeitgleich begann der damals noch bestehende AfD-„Flügel“, sich intensiv um die JA zu kümmern. Die JA wurde zunehmend in die Netzwerke der „Neuen Rechten“ eingebaut. Dies wurde aber nicht nur in den sozialen Medien deutlich. JAler*innen und AfD-Politiker*innen besuch(t)en immer wieder auch die „neurechten“ Winter- und Sommer-„Akademien“ in Schnellroda. 2020 sahen wir uns daher veranlasst, bereits eine erste Recherche auf unserem Blog zu veröffentlichen, die dieses in der Entstehung befindliche Netzwerk analysierte. Dazu kam ab 2020, dass vermehrt JA-Politiker*innen politische Mandate sowohl im Bundestag wie auch Landtagen bekamen. Trotz der geringen personellen Bedeutung für die Partei hat die JA an Einfluss innerhalb der AfD gewonnen.

Wie sind eure Erfahrungen mit Veröffentlichungen und Outputs? Greift der Hebel der Skandalisierung und Markierung von „Identitären“ und anderen Neofaschist*innen in der JA noch?

Eine berechtigte Frage, die wir uns zuletzt auch gestellt haben. Wir holen ein wenig aus: Die „Neue Rechte“ in Schnellroda bezeichnen nicht nur wir als Neofaschist*innen. Die Ideolog*innen dort verfolgen ein autoritäres, völkisches und ständisches Gesellschaftsbild, das sich gegen die Menschenrechte und das Individuum richtet. Dies äußert sich auch in positiven Bezügen auf die historischen Faschismen, Preußen oder das Deutsche Reich. Diese Leute können mit ihren Texten und „Akademien“ zunächst nur einen überschaubaren Kreis an ohnehin rechtsoffenen Menschen erreichen. Wenn wir jedoch die mittlerweile gewachsene Partei AfD mit ihren Strukturen, Netzwerken, Machtmitteln, Geldern und Zugängen sehen und den seit Jahren zunehmenden Einfluss der „Neuen Rechten“ auf ebenjene beobachten, so kommt der „Neuen Rechten“ potenziell eine größere Bedeutung zu, als sie aktuell faktisch hat. Beträchtliche Teile der AfD und nahezu die gesamte JA stehen im Austausch mit und bisweilen unter dem Einfluss von Strukturen, die neofaschistischen und reaktionären Gesellschaftsentwürfen anhängen. Für den AfD-Nachwuchs liefert Schnellroda mittels ihrer Publikationen das ideologische Grundgerüst. Diese Leute werden die künftigen AfD-Politiker*innen sein, und sie treten zunehmend selbstbewusst auf. Aus diesem Grund finden wir es wichtig, der Gesellschaft deutlich zu machen, was hinter der selbstverharmlosenden „Bürgerlichkeit“ der AfD steckt. Es war wichtig zu zeigen, dass etwaige Unvereinbarkeitsbeschlüsse mit neofaschistischen Strukturen und Organisationen seitens der AfD keinen Wert haben. Mussten wir am Anfang tatsächlich noch recherchieren, wer da vermummt bei den „Akademien“ in Schnellroda seitens der JA anwesend war, so bekleiden mittlerweile „Identitäre“ hohe Ämter innerhalb der JA. Die Skandalisierung bleibt zunehmend aus. Dafür ist gesellschaftlich ziemlich klar, wie die JA und Teile der AfD ideologisch einzuordnen sind. Gerade in Anbetracht des Neoliberalismus‘ und seiner krisenhaften Zustände müssen wir den menschenfeindlichen Gesellschaftsentwurf der Rechten trotz aller Maskerade offenlegen. Aber klar, die „Neue Rechte“ hat sich innerhalb der AfD normalisiert. Damit ist auch klar, dass sich mittlerweile erhebliche Teile dieser Partei zu den oben genannten historischen autoritären und gewaltvollen Staatsformen bekennen.

Wo seht ihr Herausforderungen für „klassische“ Antifa-Recherche und Gruppen im Umgang mit der „Jungen Alternative“ — auch im Vergleich zu früheren Strukturen und Erscheinungsformen der extremen und neonazistischen Rechten?

Wenn man zu Personen recherchiert und veröffentlicht, die sich positiv auf den Nationalsozialismus beziehen und dies beispielsweise durch eine NPD-Mitgliedschaft, entsprechende Aktivitäten oder Teilnahme an Aufmärschen untermauern, braucht man sich und die Fälle nicht weiter erklären. Es genügt zumeist, Namen und Strukturen zu nennen. In der Mehrheitsgesellschaft ist dies nach wie vor ein Tabu und bedingt in vielen Fällen einen gesellschaftlichen Ausschluss. Ähnlich verhält es sich bei Rechten, die offen Gewalt propagieren. Die „Neue Rechte“ bekennt sich aber weder zum historischen Nationalsozialismus, noch fordert sie einen gewaltvollen Umsturz. Sie greift in den seltensten Fällen ihre Feinde körperlich an. Im Rahmen ihrer Langzeitstrategie „Metapolitik“ schafft sie Stimmungen, verbreitet Narrative und verschiebt Diskurse. Es geht ihnen um „ne richtige Wende, ne richtige Revolte“. Die Bezüge zum Faschismus findet man jedoch nicht an der Oberfläche, und der Wunsch nach Preußen und Bismarck ist gesellschaftlich weit weniger problematisiert. Hinzu kommt das angepasste und meist professionelle Auftreten dieser Strukturen, die sich damit im Gegensatz zur Neonazi-Szene ganz bewusst innerhalb des gesellschaftlichen Mainstreams platzieren wollen und müssen, um gemäß ihrer Strategie wirkmächtig zu sein. Genau diese Selbstverharmlosung und Normalisierung müssen als Strategien offengelegt werden. Die „alte“, neonazistische Rechte erlebte in den letzten Jahren trotz PEgIdA- und „Querdenken“-Mobilisierungen einen Niedergang. Die „Neue Rechte“ konnte insgesamt an Relevanz gewinnen, vor allem durch die Einflussnahme auf gesellschaftliche Diskurse und auf die AfD. Dort haben sie sich nun ein Netzwerk eigener Strukturen geschaffen, in dem sie autark handeln können. Veröffentlichungen zu diesen Strukturen und Personen wirken an dieser Stelle nur, wenn diese entlang interner Machtkämpfe platziert sind oder zur Aufklärung an die Öffentlichkeit gerichtet sind. Die Recherche zur „Neuen Rechten“ bedarf daher ein Mehr an Aufklärung, Kontextualisierung und Erläuterung. Gleichzeitig agiert sie in Teilen jedoch aufgrund ihrer Strategie vordergründig offener als die „alte“ Rechte.

Vielen Dank für das Interview!