„Jungs“, „Brothers“ und „Brüder“

Kontinuitäten von „Blood & Honour“ in NRW

Im September 2000 wurde die „Division Deutschland“ von „Blood & Honour“ (B&H) durch das Bundesinnenministerium verboten. In NRW war die „Sektion Westfalen“ betroffen, deren Akteure bis heute in der Neonazi-Szene in Ostwestfalen-Lippe (OWL) aktiv sind. In der öffentlichen Wahrnehmung steht jedoch zumeist der Raum Dortmund für B&H/C18-Bezüge in NRW. Seit einiger Zeit finden sich aber auch in Düsseldorf Akteure aus diesem Spektrum.

Im September 2000 wurde die „Division Deutschland“ von „Blood & Honour“ (B&H) durch das Bundesinnenministerium verboten. In NRW war die „Sektion Westfalen“ betroffen, deren Akteure bis heute in der Neonazi-Szene in Ostwestfalen-Lippe (OWL) aktiv sind. In der öffentlichen Wahrnehmung steht jedoch zumeist der Raum Dortmund für B&H/C18-Bezüge in NRW. Seit einiger Zeit finden sich aber auch in Düsseldorf Akteure aus diesem Spektrum.

„Konzert militanter Rechtsrock-Band“ lautete im Nachgang eines Konzertes am 7. Mai 2022 in Porta Westfalica (Kreis Minden-Lübbecke/NRW) eine der Schlagzeilen in der Lokalpresse. Auf dem Gelände einer alten Gärtnerei finden immer mal wieder konspirativ organisierte RechtsRock-Konzerte statt. Knapp 100 Neonazis waren es dieses Mal; auf der Bühne stand die Dortmunder Band Oidoxie um Marko Gottschalk, die seit vielen Jahren als musikalisches Sprachrohr von Combat 18 (C18), dem militanten Arm von B&H, gilt. Organisiert wurde das Konzert von alten Bekannten bei den Mindener Jungs, deren exponiertestes Mitglied Dirk Fasold, ehemaliger Chef der B&H-Sektion Westfalen, ist. Der Abend des 7. Mai 2022 steht hier exemplarisch für Aktivitäten aus dem B&H-Netzwerk in NRW, deren Player entweder nicht von staatlichen Verboten der letzten Jahre betroffen waren oder aber ihre Aktivitäten unter anderen Namen weiterführten.

Trotz Verbot…

Die internationale B&H-Struktur, die 1987 in England gegründet wurde, besteht bis heute mit verschiedenen Ablegern. Die deutsche „Division“, die von 1994 bis zu ihrem Verbot im September 2000 legal existierte, trat in diesem Zeitraum als feste Struktur nach außen auf: mit regionalen „Sektionen“, einem Clubhaus, einem Magazin, zum Teil offener Teilnahme mit Bannern an Aufmärschen und als zentraler Player im RechtsRock-Business. Auf der offiziellen Webseite von B&H wird die deutsche „Division“ bis heute mit dem Vermerk „Banned in name“ und einer Kontaktmöglichkeit über die englische „Division“ aufgeführt. Europaweit wird aktuell aus diesem Spektrum heraus auch das Label 28 Europe verwendet, in das deutsche Neonazis eingebunden sind. Aber B&H war auch immer schon ein Netzwerk mit zum Teil konkurrierenden und zeitweise sogar verfeindeten Fraktionen. Dazu zählt auch jener Flügel, der unter dem Namen Combat 18 den bewaffneten Kampf für die „weiße Rasse“ propagiert und führt. C18-Strukturen haben sich seit 2012 unter dem Namen Blood & Honour/Combat 18 transnational reorganisiert.

„Sektion Westfalen“

Ab etwa 1998 bildete sich eine Sektion Westfalen als offizielle Struktur der Division Deutschland von Blood & Honour. Hervorgegangen ist diese aus einem Kreis von Neonazis aus der Region um Minden in OWL, der zeitweise auch unter dem Namen Odins Söhne Weserbergland agierte. „Sektionsführer“ war der heute 48-jährige Dirk Fasold, der aus Minden stammt und seit einigen Jahren in Leese im an den Landkreis Minden-Lübbecke grenzenden niedersächsischen Landkreis Nienburg/Weser lebt. Die lokalen B&H-Strukturen waren fester Bestandteil der Neonazi-Szene in OWL, und so zählten neben Fasold weitere bekannte Gesichter wie Marco Franke aus Petershagen oder Sebastian Harre aus Minden nicht nur zur Sektion Westfalen, sondern auch zum regionalen Netzwerk der damals aktiven Strukturen der „Freien Kameradschaften“. Insgesamt hatte die Sektion Westfalen bis zum Verbot im September 2000 nicht viel mehr als eine Handvoll Mitglieder. Neben internen Treffen, der Durchführung von Schulungsveranstaltungen und Aufmarschteilnahmen zählte insbesondere der Besuch und die Organisation von Konzerten zu ihren Kernaktivitäten.

„Division 28 NRW“

Nach dem Verbot der deutschen B&H-„Division“ folgte in den 2000er Jahren ein erbitterter Kampf um die Nachfolge. Eine jener Strukturen, die mit dem Anspruch antraten, die „wahren“ Vertreter von Blood & Honour zu sein, war die Division 28. Die Frage der Nachfolge, bei der es um Einfluss, Macht und Geld, insbesondere im neonazistischen Musikgeschehen, ging, wurde Mitte der 2000er zum Teil mit szeneinterner Gewalt ausgetragen. Die rockerähnlich und aggressiv auftretende Division 28, die ihren Schwerpunkt in Südwestdeutschland hatte, aber ihren Führungsanspruch auch in NRW geltend machte, tat sich hierbei besonders hervor. In NRW waren Mitte der 2000er Jahre die Strukturen um Oidoxie schon bestens in das internationale Netzwerk von B&H/C18 eingebunden. So war es nicht überraschend, dass führende Köpfe der Division 28 versuchten, diese an ihre Strukturen zu binden und eine durch die Division 28 legitimierte Sektion von Blood & Honour in Dortmund aufzubauen. Wenige Zeit später gerieten die Strukturen der Division 28 allerdings in den Fokus der Ermittlungsbehörden. Ihre Mitglieder waren von Verfahren wegen des Verdachts der Fortführung von B&H betroffen. Dabei geriet auch Marko Gottschalk in den Fokus des LKA Baden-Württemberg, das die Ermittlungen leitete. Laut dem Schlussbericht des „Parlamentarischen Untersuchungsausschusses III (NSU)“ in NRW lehnten aber die NRW-Behörden eine Hausdurchsuchung und ein Ermittlungsverfahren gegen Gottschalk im Februar 2006 ab, „da die Erkenntnisse zu alt seien“. Auch innerhalb der Neonazi-Szene war das Auftreten der Division 28 mehr als umstritten. Dies führte 2006 dazu, dass sich ehemalige Führungspersonen der deutschen B&H-„Division“ mit einem Statement „H steht für Ehre!“ zu Wort meldeten. Kritisiert wurden „mafiöse Unterdrückungsmethoden“ und „kriminelle Mittel“ innerhalb der Blood & Honour-Bewegung, die nicht weiter geduldet werden dürften. Einer der Unterzeichner war Dirk Fasold.

„Mindener Jungs“ (MJ)

Während in manchen Regionen der Kampf um die Nachfolge von B&H ausgetragen wurde, führten die Mitglieder der Sektion Westfalen ihre Aktivitäten in den ostwestfälischen Strukturen der „Freie Kameradschaften“-Szene weiter. Sie unterstützten Anfang der 2000er auch maßgeblich den Aufbau neonazistischer Strukturen im benachbarten niedersächsischen Landkreis Schaumburg. Diese entstanden unter der Führung von Marcus Winter, der seit dieser Zeit intensive Kontakte zu Fasold pflegt. Der umtriebige Winter, der bereits wegen mehrerer, zum Teil schwerer Gewalttaten auffiel und verurteilt wurde, tritt in den letzten 20 Jahren immer wieder als Organisator von RechtsRock-Konzerten in Erscheinung. In den letzten Jahren fungierte er neben Fasold als einer der führenden Köpfe der Mindener Jungs (MJ), die in Porta Westfalica Konzerte durchführen. Laut ihrem Gruppenemblem wollen sich die MJ schon 1998 gegründet haben, doch der Gruppenname wird erst seit einigen Jahren öffentlich verwendet. 1998 ist aber das Gründungsjahr einer anderen Gruppe: der B&H-Sektion Westfalen. Neben Fasold sind mit Marco Franke und Sebastian Harre noch mindestens zwei weitere ehemalige Mitglieder der Sektion Westfalen bei den MJ aktiv.

Wer sich über 22 Jahre nach dem Verbot von B&H die Frage stellt, ob es sich bei den MJ um eine Fortführung der alten B&H-Sektion Westfalen handelt, sollte eventuell die kontinuierliche soziale Praxis in den Vordergrund stellen und weniger die Organisationsstruktur B&H: eine neonazistische Skinhead-Clique, die seit vielen Jahren in der Szene aktiv ist — früher noch an Strukturen wie B&H, „Freie Kameradschaften“ oder auch NPD orientiert, heute mehr als sozialer Zusammenhang. Dabei ist RechtsRock mehr denn je der gemeinsame Aktionsrahmen.

Verbot Nr. 2

Bei dem von den Mindener Jungs organisierten Konzert mit Oidoxie war es nicht überraschend, dass Besucher*innen des Konzertes mit Insignien der Brothers of Honour (BoH) aufliefen. Marko Gottschalk tritt als „President“ der BoH auf, einer Struktur, die tief eingebunden ist in das Netzwerk von B&H/C18. Fast 20 Jahre nach dem Verbot von B&H wurde im Januar 2020 Combat 18 Deutschland verboten. Die antifaschistische Rechercheplattform exif wies daraufhin in einer Analyse zum einen darauf hin, „dass in der Verbotsverfügung […] nicht ein einziges Mal auf das Selbstverständnis von ‚Combat 18‘ Deutschland“ eingegangen [wurde], Teil des internationalen Netzwerks von ‚Blood & Honour‘ zu sein bzw. das authentische und ‚anerkannte‘ deutsche ‚Blood & Honour‘ darzustellen“, und zum anderen darauf, dass eine zentrale Struktur aus dem B&H/C18 Netzwerk — die Brothers of Honour (BoH) — unangetastet geblieben sei. In NRW war lediglich Robin Schmiemann (Castrop Rauxel) von dem C18-Verbot betroffen, obwohl der Dortmunder Raum mit mehreren Mitgliedern seit langer Zeit von zentraler Bedeutung ist. Schon vor dem Verbot legte exif das deutsche C18-Netzwerk sowie die BoH-Strukturen um Marko Gottschalk offen. Dieser versucht seit geraumer Zeit und in verschiedenen Regionen, sich als „Bruderschaften“ gerierende Cliquen an die BoH zu binden. Waren es zunächst Gruppen wie die Brigade 8, treten nun auch einige Member der nicht mehr öffentlich in Erscheinung tretenden Bruderschaft Deutschland (BSD) mit Schwerpunkt Düsseldorf als Mitgliedsanwärter und Mitglieder der BoH auf.

Vom „Bruder“ zum „Brother“

Die 2016 in Düsseldorf gegründete BSD, die sich in den Folgejahren eines großen Zulaufs erfreute und auch in anderen NRW-Städten und Bundesländern Strukturen aufzubauen begann, setzte sich großteils aus rechten Hooligans und Rockern, aber auch einigen schon länger aktiven Neonazis zusammen. Sie versuchte sich insbesondere in Düsseldorf als eine Art „Bürgerwehr“ und unpolitische Nachbarschaftshilfe zu inszenieren. Gleichzeitig aber nahm sie an zahlreichen extrem rechten, sogar neonazistischen Demonstrationen, beispielsweise der Parteien Die Rechte und Der III. Weg, teil und fiel des Öfteren durch gewalttätige Angriffe auf. Ab 2020 zerfiel die Gruppe allmählich, nicht zuletzt aufgrund von antifaschistischer Gegenwehr und Aufklärungsarbeit, aber auch staatlicher Repression und aus beidem resultierender personeller Rückzüge wichtiger Kader, insbesondere ihres als charismatisch geltenden Vizepräsidenten Ralf Nieland, der engen Kontakt zum Kreis um Werner Somogyi, also zur rechtsterroristischen Gruppe S hatte. Schon zu dieser Zeit pflegten einige Personen aus dem Kreis der BSD, unter anderem Marc Andreas Schiffko, Sascha Wefel und Oliver Rösch, intensive Kontakte zu anderen als „Bruderschaften“ auftretenden Strukturen im Raum Magdeburg und Frankfurt/Oder. Aus diesem Kreis haben sich mittlerweile einige Personen der BoH-Struktur angeschlossen, darunter auch mehrere (Ex-)BSD-Member um den Mittfünfziger Schiffko aus Düsseldorf, der den Anschluss an die BoH vorangetrieben hatte. Schiffko ist seit Jahrzehnten in der Neonazi-Szene aktiv, pflegt beste Kontakte in den baden-württembergischen Raum und ist Mitglied des extrem rechten Fortuna Düsseldorf-Fanclubs Fortuna Terror. Erstmals im Kreise von Gottschalk und weiteren BoH-Mitgliedern sichtbar in Erscheinung traten er und andere BSD-Member bei der Beerdigung von Siegfried Borchardt am 21. Januar 2022 in Dortmund.

Es zeigt sich einmal mehr, dass sich BoH beim Ausbau ihrer Strukturen unbeeindruckt von den Verboten von B&H und C18 zeigt. Selbstbewusst werden bei Veranstaltungen und in den Sozialen Medien Kutten mit der C18-Losung „whatever it takes“ und die „28“ zur Schau getragen. Jedem in der Neonazi-Szene ist klar, dass „28“ nicht für Brothers of Honour steht, sondern das Bekenntnis und den Anspruch formuliert, Repräsentant des Blood and Honour-Netzwerkes zu sein.

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