Motor der Radikalisierung
Von Rainer Roeser Motor der Radikalisierung Entwicklung und aktueller Zustand der „Jungen Alternative“
Personell, programmatisch und strukturell arbeitet die „Junge Alternative“ (JA) seit Mitte des vorigen Jahrzehnts an einer Radikalisierung der AfD. Früher als in der Partei setzte sich hier Personal vom Rechtsaußen- Flügel durch. Programmatisch ging die JA deutlich über parteioffizielle Erklärungen hinaus. Strukturell erwies sich der AfD-Nachwuchs als offen gegenüber extrem rechten Einflüssen von außerhalb und versucht mit dem Modell einer „Mosaik-Rechten“, den Einfluss der primär auf Parlamentsarbeit orientierten Teile der AfD zurückzudrängen.Längst vergessen sind die Namen der JA-Vorsitzenden aus den Anfangsjahren. Torsten Heinrich, Philipp Ritz und Philipp Meyer, die in der Ära von Parteigründer Bernd Lucke das Sagen hatten, haben die AfD rasch wieder verlassen. Luckes Garde im Jugendverband wurde ein paar Wochen, ehe ihr Vormann selbst die Macht in der AfD verlor, aufs Abstellgleis geschoben. Die Wahl einer aus Sven Tritschler und Markus Frohnmaier bestehenden Doppelspitze markierte den ersten Schritt auf dem Weg der JA nach rechtsaußen. Ihnen folgte von 2018 bis 2021 der rheinland-pfälzische Landtagsabgeordnete Damian Lohr. Glaubt man der Darstellung der beiden früheren JA-Funktionäre Nicolai Boudaghi und Alexander Leschik, die ihre Mitgliedsausweise ebenfalls wieder abgegeben haben, sollte Lohr so etwas wie ein „Konsenskandidat“ sein. Auf ihn einigten sich angeblich „gemäßigtere“ Kräfte mit vor allem ostdeutschen Teilen des „Flügels“. Dieser „Konsens“ ging zulasten eines noch radikaleren Teils der Organisation, der vor allem in den Landesverbänden Niedersachsen und Baden-Württemberg verortet wurde. Das Zweckbündnis der „Moderateren“ und der Ost-Radikaleren setzte sich durch — allerdings bei Lohrs Wahl nur mit 57 zu 43 Prozent der Stimmen.
Boudaghi und Leschik beschreiben im Rückblick ein Klima des gegenseitigen und abgrundtiefen Misstrauens in der JA. Im Extremfall herrschte offener Hass: Verbandsinterne Gegner mutierten zu „Bastarden“, „Ratten“ oder „Merkelhuren“. Eine interne Sprachnachricht des damaligen niedersächsischen JA-Landeschefs Lars Steinke ist typisch für den Jargon, der in der Organisation gepflegt wurde: „Endgültig und ein für alle Mal“ wolle er dem „widerwärtigen, opportunistischen, böswilligen und ekelhaften Verhalten“ seiner Gegner „ein Ende setzen“. Über seine Gegenspieler sagte er: „Unsere Gegner stinken nach Angst, und wir werden genau das sein: ihr schlimmster Albtraum.“
Überraschen konnte es nicht, dass Lohr an der ihm zugedachten Aufgabe scheiterte: die zerstrittene JA wieder zu einen. Nach zwei Jahren im Amt kündigte er seinen Rückzug an. Sein Versuch, „Brückenbauer“ zwischen den Strömungen zu sein, sei nicht honoriert worden — im Gegenteil, klagte Lohr. Er habe viel Ablehnung erlebt. „Für die einen war ich die Marionette des Verfassungsschutzes und der Liberale, für die anderen habe ich zu wenige Leute herausgeworfen und war der böse Flügler.“
Das neue Personal
Ein Duo, das bereits in seiner Zusammensetzung die Spannbreite von AfD und JA widerspiegeln sollte, trat 2021 Lohrs Erbe an: Marvin T. Neumann sah sich als „Vertreter der Neuen Rechten in der JA“, Carlo Clemens stand für die, die sich um ein „bürgerlicher“ wirkendes Erscheinungsbild bemühten. Als ehemaliger Autor der Blauen Narzisse wies Clemens auch „neurechte“ Bezüge auf, im Verband zählte er jedoch eher zu den Marktradikalen. Ihre Wahlergebnisse lieferten einen Hinweis auf die Mehrheitsverhältnisse in der JA: Auf Neumann entfielen 209 Stimmen, 40 Mitglieder stimmten mit Nein. Clemens‘ Mehrheit war deutlich knapper: 115 zu 94 Stimmen. Neumanns Zeit im Amt währte allerdings nicht lange. Zum Verhängnis wurden ihm diverse Twitter-Beiträge. „Es gibt keine ,Schwarze Deutsche und Europäer‘“, hatte er zum Beispiel geschrieben und hinzugefügt: „Sie sind bestenfalls Teil der Gesellschaft und besitzen bestimmte Staatsbürgerschaften, aber sie sind nicht Teil einer tradierten, authentischen ,europäischen Identität‘.“ Von der „Blutsbande“ schwadronierte Neumann, von der „Mehrheitsgesellschaft“, die „ethnisch autochthon“ zu sein habe. Der „europäischen Zivilisation“ riet er: Wenn sie sich nicht selbst zerstören wolle, „nur um die Komplexe einer degenerierten Oberschicht in den Medienhäusern, Universitäten und Konzernen zu befrieden, muss früher oder später auch mal in aller Schärfe gesagt werden: ,Weiße Vorherrschaft‘ ist okay“. Das war dann doch zu viel rassistischer Klartext. Unter dem Druck der AfD-Oberen trat Neumann nur zwei Wochen nach seiner Wahl aus der AfD aus — womit er auch satzungsgemäß sein JA-Amt wieder abgab. Doch die parteiinternen Probleme waren nicht zu übersehen, da sich die JA mit ihm solidarisierte: „Neumann und damit stellvertretend tausende junge Menschen hierzulande für Äußerungen, wie die von ihm getätigten, mundtot machen zu wollen, schafft eine Atmosphäre der Angst und besorgt das Geschäft des politischen Gegners. Es kann nicht sein, daß selbst innerhalb der AfD die linke Cancel Culture Einzug hält.“ Die „jungen Patrioten“ in der JA hätten Anerkennung, Respekt und Rückendeckung verdient — aber: „Nichts davon haben sie vom Bundesvorstand der AfD erhalten.“
Nach Neumanns Abgang stand Clemens fortan allein an der Spitze des Verbands. Sein Nachfolger wurde im vorigen Jahr der Bundestagsabgeordnete Hannes Gnauck (31). Mit ihm führt ein AfD-Politiker die JA, den der Militärische Abschirmdienst in der Rubrik „erkannter Extremist“ listet. Gnauck war mehrere Jahre Zeitsoldat und nach eigenen Angaben im Afghanistan-Einsatz. Er wurde 2021 in den Bundestag gewählt und arbeitet dort im Verteidigungsausschuss mit. Seit 2020 hat die Bundeswehr gegen ihn ein Uniformtrage- und Dienstverbot verhängt. Ihr neuer Vorsitzender sieht die JA in der Offensive. „Zum Glück“ gehörten viele von denen, für die die JA „immer ein Dorn im Auge gewesen“ sei, nicht mehr der Partei an, sagte er, unter anderem mit Blick auf Jörg Meuthen. Die Impulse für die Zukunft der AfD kämen aus den Reihen der JA, zeigte sich Gnauck überzeugt.
Die Programme
Aktuell will die JA mit ihren „Programmatischen Leitlinien ,Jugend, die vorangeht!‘“, ihrem bereits dritten Grundsatzprogramm seit 2018, solche Impulse setzen. Sie lösten einen „Deutschlandplan“ ab, der in zwei Fassungen existiert hatte. Die Ursprungsversion hatte Anfang Juni 2018 ein Bundeskongress in Seebach (Thüringen) beschlossen. Sie bot den Vorteil, dass sie ziemlich exakt widerspiegelte, was die JA-Mehrheit antrieb — hatte zugleich aber den gravierenden Nachteil, dass sich der Text in seiner kaum geschminkten Radikalität als wahre Fundgrube für den Verfassungsschutz erwies. Der suchte nach Belegen für seinen „Rechtsextremismus-Verdacht“ und entdeckte sie in einem JA-offiziellen Dokument überreichlich.
Die Folge: Bei einem weiteren Bundeskongress Mitte Februar 2019 eliminierte die JA zumindest einige besonders auffällige Radikalismen aus dem Dokument, doch der VS wurde auch in der zweiten Version des „Deutschlandplans“ noch fündig. Die im vorigen Jahr beschlossenen „Programmatischen Leitlinien‘“ sollen das Dilemma lösen. Dem Verfassungsschutz will die JA keine weitere Argumente frei Haus liefern — und zugleich ihr Standing in der AfD verbessern. Dafür lehnt sich die Jugendorganisation enger an parteioffizielle Sicht- und Argumentationsweisen an. Radikalität will das Bündnis aus völkisch-nationalistischen Kräften und Rechts-Libertären, das heute in der JA das Sagen hat, anders zeigen als früher, zum Beispiel mit dem Bekenntnis zur atomaren Bewaffnung Deutschlands.
Die große Krise
Es waren der „Deutschlandplan“, aber auch rechtsradikale Äußerungen von JA-Führungskräften und deren Verbindungen zur Identitären Bewegung (IB), die die JA ab Spätsommer 2018 in ihre tiefste Krise stürzten. Aus zwei Richtungen geriet sie unter Druck. Auf der einen Seite hatte der Verfassungsschutz die Organisation ins Visier genommen. Niedersachsens damaliger Innenminister Boris Pistorius etwa attestierte der JA „ideologische und personelle Überschneidungen“ zur IB und eine „repressive, autoritäre und antipluralistische Zielsetzung, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ richte. Bremens Innensenator Ulrich Mäurer erklärte, Botschaften aus der JA seien „teilweise Rassismus pur“.
Auf der anderen Seite wurden die JA-kritischen Stimmen in jenem Teil der Partei, der sich „gemäßigt“ gab, immer vernehmbarer. Die JA-Kritiker:innen in der Partei fragten nach Sinn und Zweck einer Jugendorganisation, die mehr und mehr zur Belastung geworden war. Im Gespräch war gar, der JA den Status als offizieller Jugendorganisation der Partei abzuerkennen. Auch Boudaghi, damals JA-Bundesvize, meldete sich zu Wort: „Die rechtsradikalen Umtriebe in der JA haben ein Maß erreicht, das der AfD schadet. Und wenn die JA der AfD schadet, dann muss sie weg.“ Tomasz Froelich, momentan JA-Bundesvize, erinnert sich im Rückblick, die Organisation habe „auf der Kippe“ gestanden. „Teile der damaligen AfD-Parteiführung“ hätten sich „von Mainstreammedien und Verfassungsschutz in Stellung gegen die eigene Parteijugend bringen“ lassen. Es bröselte an allen Ecken und Enden. Von ihren einst knapp 2.000 Mitgliedern soll die JA in den Monaten der Krise fast ein Fünftel verloren haben, hieß es in der Organisation.
Matthias Helferich, heute Bundestagsabgeordneter mit Wahlkreis in Dortmund, konstatierte, die Verdachtsfall-Erklärung des Verfassungsschutzes habe ganze Bezirke des Verbandes „hinweggefegt“. Glaubt man ihm, war die gesamte JA im Regierungsbezirk Münster lahmgelegt worden. Im Nachbarbezirk Düsseldorf sah er die JA „zur Hälfte“ zerlegt. Leschik gründete 2019 in Münster mit der Jungen Generation sogar eine Konkurrenz-Organisation zur JA, die nach kurzer Zeit aber wieder aufgelöst wurde. Mitte November 2018, als auch die Verdachtsfall-Einstufung der baden-württembergischen JA bekannt geworden war, erklärten dort 44 Mitglieder ihren Austritt, darunter der damalige Vorsitzende. „Bis zuletzt haben wir in Baden-Württemberg alles daran gesetzt, die Mehrheit der vernünftigen Kräfte, irrelevant aus welchem der sogenannten Flügel, zu bündeln und uns gegen die immer stärker wachsende politische Verantwortungslosigkeit zahlreicher Mitglieder zur Wehr zu setzen. Leider sind diese Versuche einem Radikalisierungsprozess zum Opfer gefallen“, erklärten die Ausgetretenen. Sie schätzten, „dass es etwa 50 Prozent der aktiven Mitgliedschaft schon lange nicht mehr um freiheitlichpatriotische Jugendpolitik geht, sondern um die Verfestigung einer in keiner Weise konstruktiven totalen Ablehnung dessen, was sie nebulös als ,System‘ bezeichnen“.
Der doppelten Gefahr durch Verfassungsschutz und AfD- bzw. JA-interne Kritik versuchte die JA zu begegnen. Anfang November 2018 beschloss ein Bundeskongress, den besonders radikalen Landesverband Niedersachsen aufzulösen. Mitte Februar 2019 wurde das Programm etwas entschärft und die Satzung geändert. Ausschlüsse sollten nun rascher und reibungsloser möglich sein. Es gehe darum, „Angriffsflächen möglichst zu minimieren“, sagte Clemens, damals noch JA-Chef in NRW. Vom Tisch waren mit diesen Korrekturen die Auflösungsdrohungen. Bestätigt fühlen konnte sich der Rechtsaußen-Flügel der AfD. Die Parteijugend verdiene einen „respektvollen Umgang“, hatte etwa Björn Höcke erklärt und geschimpft, es sei „unverhältnismäßig, wie einige Funktionäre der AfD über unsere Parteijugend in Gänze den Stab brechen“.
Parlament oder Bewegung?
Im Verhältnis zur Mutterpartei hat die JA vier Jahre später ihre Krise längst überstanden. Gute Beziehungen liegen im beiderseitigen Interesse. Den Mitgliedern der JA erleichtern sie den Zugang zu Mandaten und zu Arbeitsmöglichkeiten in Abgeordneten- oder Wahlkreisbüros. Solche Jobs bieten willkommene
(Zu-)Verdienstmöglichkeiten. Vor allem aber begünstigen sie weitere Karriereschritte in der Partei und in Parlamenten. Auf der anderen Seite erleichtert es auch die Parteiarbeit enorm, wenn aus der Riege jüngerer Mitglieder Personal für die Wahlkämpfe oder für organisatorische Aufgaben rekrutiert werden kann. Zudem wirkt es für die Partei imagefördernd, wenn sie darauf verweisen kann, dass sie keinesfalls — wie dies die Bilder früherer Parteitage nahelegen — eine strukturell überalterte Organisation ist. „Die JA ist zu einem wichtigen Korrektiv für die ,Verboomerung‘ der AfD geworden“, glaubt Gnauck. Und nicht zuletzt: JA-Mitglieder werden auch als Mehrheitsbeschaffer in internen Machtkämpfen gebraucht, was in NRW Ex-AfD-Landeschef Rüdiger Lucassen immer wieder nutzte.
Dass sich große Teile der JA-Spitzenriege aus zwei (anderen) Quellen der extremen Rechten speisen — aus Studentenverbindungen, insbesondere der Deutsche Burschenschaft und aus der IB — stört in der nach rechts gewendeten AfD kaum noch jemanden. Im Gegenteil. „Die können alle zu uns kommen“, sagte Alexander Gauland, damals einer der stellvertretenden Parteisprecher, bereits im Herbst 2016 über die IB-Mitglieder. Eine Zusammenarbeit mit der IB lehnte er zwar ab — jedoch nicht wegen inhaltlicher Differenzen, sondern: „Wir sind die AfD, wir sind das Original. Wer ähnliche Ziele verfolgt, kann zu uns kommen. Wir müssen uns an niemand anderen anlehnen, sondern ich erwarte, dass Menschen, die wie die AfD denken, bei uns mitmachen und nicht die Frage stellen, ob wir, das Original sozusagen, bei anderen mitmachen.“
Parlamentspartei oder Bewegungspartei, die Auseinandersetzung hat die Lager in der AfD in den letzten Jahren geschieden. Die Position der JA in dieser Frage ist eindeutig. Martin Sellner, einer der Stichwortgeber der „Neuen Rechten“, sprach nach dem JA-Bundeskongress im vorigen Jahr von „einer klaren Abwendung von der Strategie des ,Parlamentspatriotismus‘ und einer Hinwendung zur Straße und zur Metapolitik“. Auch Höcke sah die JA auf dem — aus seiner Perspektive — richtigen Weg: „Geht vor allen Dingen raus! Wir müssen draußen sein. Wir müssen sichtbar sein. […] Der Kampf, den wir hier kämpfen um die Existenz unserer Nation und Europas, der wird nicht in den Parlamenten entschieden, der wird tatsächlich auf der Straße entschieden.“
Beim neuen JA-Vorsitzenden stößt er auf Zustimmung. Schon vor seiner Wahl hatte er signalisiert, sein Platz werde „immer bei euch auf der Straße sein! […] Wir hängen liebend gerne mal den Anzug und die Krawatte in die Ecke, um mit euch sportlich auf Demonstrationen unterwegs zu sein! Geführt wird schließlich immer von vorn und nicht aus dem warmen Büro!“. Sein Stellvertreter Froelich sieht die JA heute „stärker als jemals zuvor“. Sie habe sich „zunehmend als inhaltlicher Motor der Mutterpartei profiliert, sei es in der Corona-Politik oder durch mutiges Vorpreschen in geopolitischen Fragen, etwa im Ukraine-Krieg“. Zwar ist die JA mit ihren weniger als 2.000 Mitgliedern eine nach wie vor quantitativ sehr überschaubare Truppe — in der Parteiorganisation und der Bundestagsfraktion hat sie ihren Einfluss aber ausgebaut. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit größer denn je, dass inhaltliche Positionen der JA, aber auch ihr strategischer Ansatz mit einer Stärkung des „Vorfelds“ der Partei und mehr „Straßenorientierung“ Eingang finden in die Diskussionen der AfD.