Reaktionäre Rebellen

Aspekte des Selbstverständnisses der „Jungen Alternative“

Die Jugendorganisation der AfD will junge Erwachsene politisch sozialisieren. Soll sie auf eine politische Karriere in der Partei vorbereiten oder ihre Aktivisten und die wenigen Aktivistinnen weltanschaulich formen? Die Antwort lautet: beides. Welche Selbstbilder entwirft die „Junge Alternative“ dabei von sich?

Die Jugendorganisation der AfD will junge Erwachsene politisch sozialisieren. Soll sie auf eine politische Karriere in der Partei vorbereiten oder ihre Aktivisten und die wenigen Aktivistinnen weltanschaulich formen? Die Antwort lautet: beides. Welche Selbstbilder entwirft die „Junge Alternative“ dabei von sich?

Über Jahrzehnte bildete ein im Wesentlichen gesinnungsgemeinschaftlich verfasstes Spektrum von Organisationen die Gewähr dafür, junge Menschen politisch und weltanschaulich im Sinne der extremen Rechten zu sozialisieren. Dieses Spektrum reichte von Wiking Jugend und Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) über die Jungen Nationaldemokraten, diverse schlagende Burschenschaften unter dem Dach der Deutschen Burschenschaft und völkisch-bündisch verfasste Organisationen wie Der Freibund bis hin zu Nachwuchsstrukturen der „Vertriebenen“-Verbände. Bei aller Unterschiedlichkeit ihrer jeweiligen Praxis und politischen Akzentsetzung war diesen Nachwuchsorganisationen gemein, dass sie ihren Mitglieder ein im weitesten Sinne rechtes Kontrastprogramm zu liberaler Demokratie und Emanzipation boten, in Bezug auf die NS-Zeit und den Zweiten Weltkrieg, gepaart mit geschichtspolitischem Fundamentalismus, und zudem Rassismus und Antisemitismus in unterschiedlich offener Ausprägung propagierten. Ziel dieser Organisationen war es, entweder für Parteien wie die NPD politischen Nachwuchs zu rekrutieren oder mit der Jugendarbeit das Fundament für weltanschaulich gefestigte politische Kader herauszubilden, die hernach katalytisch in Politik und Wirtschaft, aber auch Universität oder Publizistik wirken sollten.

Am ehesten waren und sind damit die Burschenschaften erfolgreich, deren Lebensbundprinzip über Jahrzehnte Karrierenetzwerke förderte und garantierte. Auch anderen Studentenverbindungen gelang dies. Wer sich den frühen politischen Werdegang etwa von Götz Kubitschek, Dieter Stein oder Karlheinz Weißmann vor Augen führt, wird bemerken, dass diese unter anderem in der Deutschen Gildenschaft politisch sozialisiert wurden. Zusammengefasst: In den Strukturen rechter Jugendbünde erlebten jene ihre politische Prägung, die heute zu den wichtigsten Ideologen der extremen Rechten im deutschsprachigen Raum gehören.

Selbstdarstellungen

Seit Gründung der AfD ist mit der Jungen Alternative (JA) eine weitere Jugendorganisation im rechten Lager hinzugekommen, die einerseits der Nachwuchsrekrutierung der Partei dienen soll, andererseits in ihrem Selbstverständnis mehr sein will als eine klassische Parteijugend. Die Jugendorganisationen der etablierten Parteien sind politische Spielwiesen bzw. Experimentierfelder. Hier kann sich der Parteinachwuchs ausprobieren, folgen- und konsequenzenlos auch einmal etwas ganz Radikales fordern und zugleich lernen, nach welchen Regeln politischer Machterwerb funktioniert.

Jede parteipolitische Jugendorganisation mag ihre ganz eigene interne politische Kultur haben, mehr oder weniger partizipativ oder inklusiv sein. Sie spiegeln in sich aber doch die Logik der Strömungen der Mutterparteien. Die Mechanismen des Erlernens von Politik in Organisationen und Gremien sind in ihrem Kern bei den Jusos nicht anders verfasst als bei der Jungen Union oder der Grünen Jugend. Die offen neofaschistisch auftretenden Teile der Jungen Alternative und das politische Vorfeld der AfD erheben jedoch den Anspruch, die JA solle mehr sein als nur eine Art Bootcamp für die braven Parteisoldaten von morgen. Das Selbstbild, das man im Dreieck zwischen JA, vormaligen IB-Aktivist:innen und Burschenschaftlern von sich entwirft, ist das eines intellektuell aktivistischen Nachwuchses, der sich den Logiken innerparteilicher Machtmechanismen und vorschneller Anpassungslogiken an den Parlamentarismus entzieht, diese jedoch zugleich nutzt, um sich außerparlamentarisch aktivistisch zu engagieren. Geht es nach den „neurechten“ Ideologieproduzenten im Umfeld der JA oder auch ihrem aktuellen Vorsitzenden Hannes Gnauck, so soll die JA nicht in erster Linie die Karrieren opportunistischer Parteifunktionär:innen befördern, sondern eine politische Elite formen, die in einer als rechte Bewegungspartei verstandenen AfD eine Schlüsselrolle einzunehmen vermag.

Wenn auch aus (klein)-bürgerlichen Milieus kommend, gibt sich die JA dezidiert antibürgerlich und rebellisch. Die Rebellion ist bei der JA zuallererst eine politisch-ästhetische Inszenierung der rhetorischen Form. Folgerichtig polemisiert sie gegen den vorgeblich „woken Zeitgeist“ und den angeblich „linken Mainstream“, gegen „Multikulturalismus“ und „Genderwahn“. In alledem meint man die Dekadenz, also den Verfall althergebrachter Werte zu erkennen, gegen die man sich auflehnt. Die Anklänge an das Begriffsarsenal der sogenannten Konservativen Revolution sind nicht Zufall, sondern Absicht. Deren präfaschistische Akteure in den extrem rechten Netzwerken der Weimarer Republik agitierten in ihren Zeitschriften, Reden und Büchern gegen die „Republik der Novemberverbrecher“, gegen Liberalismus und Demokratie. Ihr elitäres Selbstverständnis findet ein spätes Echo in der Nachahmung des Zirkelwesens der Weimarer Rechten durch die Exponent:innen der JA und ihres Umfeldes. Die antibürgerliche Rebellion vertritt ihrem ganzen Gestus nach radikale Positionen, praktiziert jedoch lebensweltlich und politisch einen autoritären Konformismus, der sich gerade dadurch auszeichnet, die herrschenden Verhältnisse zu affirmieren oder gar radikal zuzuspitzen.

Aufschlussreich ist die bildhafte Selbstdarstellung von JA-Aktivist:innen in Sozialen Medien. Sie lässt Rückschlüsse auf das politisch-kulturelle Referenzsystem des Milieus der JA zu. Dort präsentieren JA-Gliederungen und -Mitglieder mal wohlkalkulierte, mal aber offenkundig auch unüberlegte Einblicke in ihre Gedankenwelt, politisch-kulturellen Referenzen und dem, was sie von ihrem Alltag zeigen wollen. Der kulturelle Code dessen, was es auf Instagram und anderen Online-Plattformen zu sehen gibt, pendelt zwischen demonstrativer Spießigkeit gebügelter Hemden und popkultureller Bilderflut. Was auf den ersten Blick als Widerspruch erscheinen mag, gehört zusammen bzw. adressiert unterschiedliche Zielgruppen in der politischen Kommunikation. Jugendliche werden über popkulturelle Codes angesprochen. Anderen will man sich als verlässliche, lebensweltlich konservative Akteure darstellen.

Accessoires des Politischen

Häufig gezeigte Accessoires in sozialen Medien sind Bücher und Zeitschriften, die von den Aktivist:innen gezielt, also gar nicht zufällig drapiert sind, um die Bildaura einer intellektuellen Arbeit zu erzeugen. Bei den gezeigten Büchern und Zeitschriften handelt es sich fast ausschließlich um Publikationen aus dem extrem rechten Milieu, aber auch um solche, die ihrem Inhalt nach nicht politisch rechts zu verorten sind, in der Szene aber aus einem intentional politischen Blickwinkel rezipiert werden und gerade en vogue sind. Dies kann ein Buch von Sahra Wagenknecht ebenso sein wie eines von Hans Magnus Enzensberger. Ziemlich naheliegend empfahl die JA Sachsen-Anhalt ihren Followern Bücher aus dem extrem rechten Antaios Verlag, der organisatorisch mit dem Institut für Staatspolitik in Schnellroda verbandelt ist. Ebenfalls hoch im Kurs stehen Bücher aus dem Jungeuropa-Verlag, dessen Programm neben Lizenzausgaben der Bücher des französischen „neurechten“ Vordenkers Alain de Benoist, auch Autoren der europäischen Faschismen des 20. Jahrhunderts neu auflegt. Jungeuropa liefert dem eigenen Anspruch nach eine Art Lesekanon für rechte Aktivist:innen, der vom Roman bis zum Theorie-Buch reicht. Die Lektüre von Büchern wird in diesem Milieu nicht als Freizeitbeschäftigung verstanden, sondern als bewusste politische Bildung im Sinne einer geistigen Zurüstung für das aktivistische Selbstverständnis. Ihre Lektüre oder ein Zitat aus einem Buch signalisiert dem Umfeld intellektuelle Differenz zur apolitischen Lebenswelt anderer Gleichaltriger und die Zugehörigkeit zu einer selbsterklärten geistigen Elite, die sich noch die Mühe mache, komplexe Texte zu lesen.

Habituelle Inszenierungen des Politischen spielen in der Selbstdarstellung der JA-Aktivist:innen neben der Wiedergabe von Gemeinschaftserlebnissen wie Wanderungen, Trinkgelagen und den obligatorischen Gruppenfotos von Treffen eine wichtige Rolle. Eine politische Gesinnungsgemeinschaft wird über symbolische Signale sowohl an die Anhängerschaft, als auch an politische Gegner:innen kommuniziert. Dies hat vielgestaltige intellektuelle und emotionale Ebenen, die aufeinander Bezug nehmen, sich bedingen und absichtsvoll politische Identität stiften sollen. Als symbolische Signale dienen Bilder, Filme, Musik, Bücher und der deutende Verweis auf diese sowie alle Formen aktivistischen Tuns, das wiederum bebildert kommuniziert wird. Auf einige Autoren wird in den Social-Media-Posts wiederkehrend verwiesen. Besonders beliebt ist Ernst Jünger. Der Frontschriftsteller des Ersten Weltkrieges und prägende Autor des „Heroischen Realismus“ der Zwischenkriegszeit steht in der gesamten rechtsintellektuellen Szenerie hoch im Kurs, einige seiner Schriften gelten als eine Art Pflichtlektüre und zugleich als weltanschauliche Initiation ins „Rechts sein“ für den akademischen rechten Nachwuchs. T-Shirts mit Jünger-Konterfei können bei extrem rechten Versänden wie Phalanx Europa erworben werden. Jüngers Bücher wie „Strahlungen“ oder der Klassiker „In Stahlgewittern“ sind im Vergleich zu den Schriften des Existenzphilosophen Martin Heidegger oder Friedrich Nietzsches, die ebenfalls zu den erkorenen Hausgöttern des rechten Geisteskosmos gehören, ohne allzu große Vorkenntnisse lesbar und in einem rechten Kontext deutbar. Politisch interessierten JA-Aktivist:innen stehen natürlich auch rechte Zeitungen und Zeitschriften zur Verfügung. Seitens der JA wird beispielsweise auf die Wochenzeitungen Junge Freiheit und Preußische Allgemeine und auf Zeitschriften wie Sezession und Cato verwiesen. Anders als vor etwa sieben bis zehn Jahren hat sich, entgegen dem Trend der Zeitungskrise, das Angebot auf dem Markt rechter Print-Periodika vervielfacht und pluralisiert. Im Bahnhofsbuchhandel und am Kiosk, bei einigen Zeitschriften aber auch nur im direkten postalischen Bezug, ist für jeden Geschmack und jede Niveaustufe etwas dabei.

Inszenierung von Bildung und politischer Haltung

Dass es bei der zur Schau gestellten Lektüre immer um eine tiefgehende textliche Exegese geht, darf bezweifelt werden. Wichtiger als die Arbeit am Text an sich dürfte die inszenatorische Aura von Bildung, Wissen und Elite sein, die in Bildern zum Ausdruck kommt, die intensive intellektuelle Arbeit an Texten suggerieren: aufgeschlagene, übereinander gelegte Bücher, neben denen Stifte und Schreibpapier sorgfältig drapiert sind. In solchen Bildern kommt zweierlei zum Ausdruck: die Dekoration einer Haltung und ein politisches Bekenntnis. Allerdings: Gekünstelte intellektualistische Feingeistigkeit für sich genommen ist der Jungen Alternative Sache nicht. Im Gegenteil. Anti-intellektuelle Affekte sind der extremen Rechten nicht fremd, sie sind für sie sinnstiftend. Der Habitus einer kleinbürgerlichen Bodenständigkeit ist konstitutiv für das Ziel von AfD und JA, in ihrer Außendarstellung die untere Mittelschicht zu adressieren: kleine Gewerbetreibende, Handwerker:innen, Angestellte, Arbeiter:innen. Letztlich zielt alle intellektuelle Arbeit an und mit Texten und Autor:innen darauf, die Aktivist:innen zu befähigen, sich der politisch-weltanschaulichen Auseinandersetzung mit dem Feind zu stellen. Dieser Feind wird im politischen Umfeld von JA und AfD offen benannt: Liberalismus. Damit ist mehr als nur die parlamentarische Demokratie gemeint. Im rechtsintellektuellen Milieu ist Liberalismus als Containerwort zu verstehen, dem begrifflich alles zugeordnet wird, was in der extremen Rechten politisch negativ konnotiert ist: jede Form kollektiver Emanzipation von Minderheiten etwa.

Darüber hinaus zielt die Beschäftigung mit intellektuellen Inhalten auf die Tat. „Seid wehrhaft — Bildet Gemeinschaft“ ist in einem Social-Medial-Post des Bundesverbandes der Jungen Alternative zu lesen. Illustriert ist der Post mit einem stilecht in schwarz-weiß gehaltenen Foto, das einen Boxer beim Training zeigt. Dass Teile der JA regelmäßig Kampfsport trainieren, ist belegt. Kampfsporttrainings sind hier jedoch kein Selbstzweck. Sie dienen der Vorbereitung auf gewalttätige Angriffe auf politische Gegner:innen und der mentalen Vorbereitung auf eine Situation eines in der extremen Rechten seit langem vorhergesagten ethnischen Bürgerkriegs.

Fazit

Die Junge Alternative ist ihrer derzeitigen Gestalt nach mehr als nur eine parteipolitische Nachwuchsorganisation. Sie ist ein Sozialisationsort für extrem rechte Bewegungsaktivist:innen, deren Aktivitäten keineswegs auf die Partei beschränkt sind oder sein sollen. Die Junge Alternative ist unter dem Einfluss der extrem rechten Hegemonie in der Partei zu einer Organisationsstruktur herangewachsen, die junge Erwachsene nicht nur auf eine politische Karriere in der AfD vorbereiten will, sondern diese befähigen soll, in einem umfassenden Sinne Weltanschauungskämpfe gegen politische Feinde zu führen. Die vielgestaltigen Aktivitäten und die Vernetzung in das extrem rechte Umfeld der AfD zeigen, dass die JA mehr will als nur die nächste Generation von AfD-Parlamentarier:innen hervorzubringen. Die Junge Alternative knüpft in ihrer Praxis und in ihrer Selbstdarstellung vielfach an die Formen der verblichenen Identitären Bewegung an, ohne ihre Formen in Gänze zu kopieren. Sie ist zudem über ihr nahestehende Abgeordnete in den Parlamenten mit finanziellen und organisatorischen Ressourcen ausgestattet, die es erlauben, Organisationsaufbau zu leisten, Schulungen, Fahrten und Feste durchzuführen und Bücherstipendien für die politische Bildung der Mitgliedschaft auszuloben. Politische Schulung bietet das erwähnte IfS, und JA-Gliederungen laden sich mit Benedikt Kaiser einen ideologischen Souffleur der JA ein. Dass Björn Höcke der JA, wie zuletzt bei ihrem Bundeskongress im thüringischen Apolda, mit demonstrativem Wohlwollen gegenübertritt, hat seinen Grund darin, dass er sich deren Gefolgschaft sicher sein kann. Eine JA-Gliederung im Norden Sachsen-Anhalts nannte sich sogar ganz unironisch „Höckejugend“.

Der Eindruck, dass sich etwa die Praxis der JA in Bezug auf Rituale zum Volkstrauertag, der als „Heldengedenken“ im NS-Style begangen wird, nicht von der Praxis neonazistischer Strukturen unterscheidet, mag zutreffen. Dennoch gelingt es der JA, in einem politischen Kontext wahrgenommen zu werden, der mit dem Image des Neonazismus nichts zu tun hat. Dies ist für die Reichweite politischer Kommunikation von hoher Bedeutung, da neonazistische Inhalte gesellschaftlich noch immer stark stigmatisiert und tabuisiert sind, andere Formen der Präsentation extrem rechter Positionen jedoch nicht sofort als solche erkannt und benannt werden, wenn sie gängige Klischees unterlaufen. Oder wie Matthias Helferich, als „Kandidat der Jungen Alternative“ in den Bundestag gewählter und mittlerweile fraktionsloser Abgeordneter, es intern ausdrückte:„Das freundliche Gesicht des Nationalsozialismus“.

Die JA ist eine extrem rechte Kaderorganisation, deren Herkunftsmilieus auf eine Karriere in der AfD und in ihrem politischen Vorfeld orientieren. Die JA soll eine kampagnenfähige rechte Bewegungsorganisation sein, die der AfD hilft, ihr politisches Vorfeld zu erweitern. Bereits jetzt versammelt die JA ihrem eigenen Anspruch nach jene nächste Generation von AfD-Politikern und eher wenigen -Politikerinnen, die in wenigen Jahren nach Mandaten und Funktionen in Partei und Parlamenten streben werden. In den ostdeutschen Bundesländern wie Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mag manchem Nachwuchstalent eine Rolle in einer Koalitionsregierung vor Augen stehen. Doch soweit ist es noch nicht.