Alles „Querfront“?
Einspruch gegen die inflationäre Verwendung eines Begriffs
Ihre Fahnen sind rot mit Stern und der Aufschrift „Freie Linke“. Sie sind auf Demonstrationen gegen Waffenlieferungen an die Ukraine oder die Corona-Maßnahmen anzutreffen. Dort gehen sie auch gemeinsam mit extrem rechten Akteuren auf die Straße. In Düsseldorf beispielsweise trat die Freie Linke regelmäßig bei Corona-Demos auf, bei der auch die unterschiedlichsten Akteure vom rechten Hooligan bis zur „identitären“ Gruppe mitmarschierten. Eine „Querfront“? Der Begriff ist in den Medien, aber auch bei linken Gruppen in Mode, wenn es darum geht, ein Zusammenwirken politischer Akteure zu beschreiben, die auf den ersten Blick nicht nur nichts miteinander verbindet, sondern politisch als einander feindlich gesonnen verortet werden.
Wer den Begriff „Querfront“ für Bewegungsformen wie die „Querdenker“-Demos gegen Corona-Schutzmaßnahmen ebenso anwendet wie auf die Debatte um den Krieg Russlands gegen die Ukraine, legt nahe, hier bahne sich ein Zusammengehen von linken und rechten politischen Strömungen an. Was derzeit unter dem Begriff gehandelt wird, ist vieles: moralische Verkommenheit, politische Naivität oder angeblich eine politische Strategie zur Eindämmung der extremen Rechten. Nur eines nicht: „Querfront“. Nicht jede Interaktion mit der extremen Rechten ist eine „Querfront“. Ideologisch ist der Ansatz für eine solche gegeben, wo es Rechte für geboten halten, sich rhetorisch und thematisch auf linke Positionen zuzubewegen, ohne jedoch das Wesen ihrer Ideologie der Ungleichheit in Frage zu stellen. Wo Linke sich rechten Positionen annähern, diese aus taktischen Gründen imitieren oder zeitweise übernehmen, geben sie im gleichen Augenblick politische Grundpositionen auf und nähern sich der extremen Rechten weltanschaulich und politisch an.
Die Frage aber, ob eine „Querfront“ tatsächlich entsteht und politisch wirksam wird, ist damit noch nicht beantwortet. Hierfür ist nicht nur die politische Intention entscheidend, sondern ob ein politisches Zusammenwirken von extrem Rechten und Linken einer rechten politischen Agenda Vorschub leistet. Anders gesagt: Wenn AfD und Die Linke im Stadtrat von Krauthausen (Thüringen) zusammen für einen neuen Anstrich des Bushäuschens stimmen, wertet dies zweifelsohne die AfD im politischen Diskurs der Kommune auf, aber das ist keine „Querfront“. Diese wäre gegeben, wenn sich beide Akteure auf einen politischen Tauschhandel einließen, in dem Die Linke mit der AfD gegen die Unterbringung von Geflüchteten in der Kommune stimmt und die AfD für die Übernahme der Kosten für das ermäßigte Schülerticket eintritt. Beides, das gemeinsame Stimmverhalten wie eine partielle gemeinsame politische Agenda, stärkt aller Erfahrung nach letztlich die extreme Rechte.
„Querfront“ historisch
„Querfront“ war historisch in Deutschland ein Projekt rechter Eliten, nämlich der Versuch, aus den reaktionären, präfaschistischen Eliten der Reichswehr, Teilen der Schwerindustrie und rechtsintellektuellen publizistischen Kanzleifilialen am Ende der Weimarer Republik eine Militärdiktatur mit Massenbasis zu formieren, ohne Adolf Hitler und die NSDAP an die Macht zu bringen. Gedacht war dabei, einen anderen rechtsautoritären Ausgang aus der Krise des Kapitalismus am Beginn der 1930er Jahre als den nationalsozialistischen zu finden. Andere Formen des Faschismus standen durchaus im Raum. Dazu brauchte es einen Brückenschlag nach links, zu den Gewerkschaften des ADGB, nationalistisch-volksgemeinschaftlich gesinnten Sozialdemokraten, um diese einzubinden. Hierzu sondierten Reichswehrminister Kurt von Schleicher und sein Umfeld die Gemengelage in der Arbeiterbewegung. So unterschiedliche Akteure wie der Nationalrevolutionär Ernst Niekisch, der Frontschriftsteller Ernst Jünger und der „linke“ Nazi Gregor Strasser konnten — mit je eigener machtpolitischer Akzentsetzung — der Vorstellung von einem autoritären Kasernenhof Staat, der die Vokabel Sozialismus im Munde seiner Propaganda führt und in dem Soldaten und Arbeiter von einer Elite zu einer Volksgemeinschaft geführt werden, etwas abgewinnen.
Eine nationalistische Rhetorik war der eigentlich proletarisch-internationalistisch gesonnenen KPD nicht fremd, im Laufe der Weimarer Republik blinkte sie zweimal heftig nach ganz rechts außen: im Jahr 1923 mit dem sogenannten Schlageter-Kurs, als der Emissär der Komintern Karl Radek den rechtsradikalen Freikorpskämpfer Albert Leo Schlageter als „Märtyrer des deutschen Nationalismus“ bezeichnete, an dem sich linke Revolutionäre ein Vorbild nehmen sollten; und in ihrem Parteiprogramm von 1928, welches das reaktionäre, von ökonomischem Abstieg geängstigte und radikalisierte Kleinbürgertum heftig umwarb. Von diesen Bündnisoptionen versprach man sich in der KPD, Teile der Anhängerschaft der NSDAP aus dem rechten Block herausbrechen und für sich gewinnen zu können. Bekanntlich scheiterte dies in katastrophaler Weise.
Die Historiker Axel Schildt und Richard Saage forschten umfänglich zur historischen „Querfront“-Konzeption in Deutschland. Sie gelangten zu der Auffassung, dass es am Ende der Weimarer Republik zu keinem Zeitpunkt reale Chancen der Verwirklichung einer „Querfront“ gegeben habe. Zu stark waren die Widerstände in der Arbeiterbewegung gegen eine Militärdiktatur präfaschistischer Façon, zu stark war aber auch die im Aufstieg begriffene NSDAP, die einen Weg aus der bürgerlichen Weimarer Demokratie wies. Und sich bekanntlich durchsetzte.
Ausreichend erfolgreich
Für die Brauchbarkeit des Begriffs ist nicht zuletzt zu prüfen, ob die heutige extreme Rechte derzeit jenseits rhetorischer Volten eine „Querfront“ überhaupt anstrebt. Aufschluss hierüber geben etwa die Arbeiten des rechten Publizisten Benedikt Kaiser, vormals Lektor im „neurechten“ Antaios Verlag und nun Referent des AfD-MdB Jürgen Pohl. Kaiser gilt manchen als Strategie-Scout des politischen Vorfeldes der AfD. Wer Kaisers Einlassungen zu dieser Frage liest, weiß, dass dort eine „Querfront“ mit Linken nicht angestrebt wird. Björn Höcke mag medienwirksam um Sahra Wagenknecht werben, zielt aber auf deren links-nationalistische, kulturell konservative Wähler*innen. Wagenknecht wiederum hat die AfD-Wählerschaft als Resonanzraum im Blick. Die extreme Rechte hat derzeit kein Interesse an einer „Querfront“, weil sie sich und ihre politische Agenda der letzten Jahre für ausreichend erfolgreich hält. Zumindest die Umfragen geben diesem Ansatz Recht. Der rapide gesellschaftliche Rechtsruck kommt ohne „Querfront“ aus.