Anastasia — ein Kult
Einleitung in den Schwerpunkt
Dieses Weltbild basiert ganz wesentlich auf der Buchreihe „Klingende Zedern Russlands“ des russischen Unternehmers Wladmir Megre, der einen Mythos um eine spirituelle Kraft, verkörpert durch eine weiße, blonde Frau aus der Taiga, erschaffen hat. Er nennt sie „Anastasia“ und behauptet von ihr „geheimes Wissen“ erhalten zu haben, wonach die „weiße Rasse“ der „Wedrussen“ sich vor ihrem vermeintlichen Untergang durch die Gründung von „Familienlandsitzen“ zur ökologischen Selbstversorgung innerhalb einer patriarchal geführten Kleinfamilie retten kann. Nur so könne man sich von der von „jüdischen Hohepriestern“ geschaffenen „Dämonkratie“ (Demokratie) befreien. In der Zeit der gesellschaftlichen Umbrüche nach Ende der Sowjetunion fand Megre mit seiner Erzählung eine größere Gefolgschaft, durch den Verkauf von Zedern-basierten „Heilprodukten“ wurde er reich. Seine Weltsicht breitete sich auch in vielen anderen Teilen der Welt aus, seit Mitte der 1990er Jahre auch zunehmend in der Bundesrepublik.
Völkische Siedlungsbewegungen streben in einer vermeintlich immer liberaler werdenden Gesellschaft ein „natürliches“ Leben an. Dieses ist auch für Menschen aus ökologischen und esoterischen Milieus anziehend, da es Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung suggeriert. Das Anastasia-Weltbild verspricht denjenigen, die den Prinzipien folgen, nicht nur seelische Heilung und Harmonie, sondern bietet ebenso eine konkrete — wenn auch unrealistische — Vision, wie ein Leben nach ökologischen Prinzipien aussehen könnte.
In diesem Schwerpunkt werden wir Weltbild, Strukturen und Akteur*innen der Anastasia-Bewegung beleuchten. Ob es sich dabei tatsächlich um eine Bewegung handelt, ist umstritten. Im deutschsprachigen Raum hat sich jedoch bisher kein Begriff ähnlich dem englischen „Anastasianism“ herausgebildet, weshalb wir in unserem Schwerpunkt von „Anastasia-Kult“ oder „Anastasia-Bewegung“ sprechen, um das Phänomen zu bezeichnen.
Einen Überblick über Ideologie und Strukturen des Anastasia-Kultes sowie dessen Verbindungen zu völkischen SiedlerInnen gibt Andrea Röpke.
Anna Rosga und Mona Schwarz beschreiben Geschlechterrollen, Familienbild und Kindeserziehung in der Anastasia-Bewegung.
Carl Kinsky und Sebastian Hell werfen einen Blick auf Strukturen und Akteure von Anastasia-Famillienlandsitzen in NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen.
Abschließend berichtet Ruth Fiedler im Interview von ihren Erfahrungen bei der Organisation antifaschistischer Proteste gegen den Familienlandsitz Weda Elysia im Harz.