„Der Ruf des Reiches“

Prozess gegen die „Vereinten Patrioten“

In den ersten Monaten im Prozess gegen die „Vereinten Patrioten“ vor dem Oberlandesgericht Koblenz ist noch nicht viel passiert. Zu lange haben die ersten Einlassungen in Anspruch genommen. Doch diese lassen bereits erste Schlüsse über Motivation, Weltbilder und Selbstwahrnehmungen einzelner Angeklagter zu.

Seit ihrer Verhaftung werden die Vereinten Patrioten von einer starken medialen Präsenz begleitet. Schließlich sollen sie geplant haben, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zu entführen, durch Stromausfälle bürgerkriegsähnliche Zustände herbeizuführen und sich zu diesem Zweck Waffen und Sprengstoff zu beschaffen. Der Generalbundesanwalt wirft den Angeklagten vor, eine terroristische Vereinigung gegründet zu haben, um Mord, Freiheitsberaubungen und weitere gemeingefährliche Straftaten zu begehen. Die Anklage spricht von einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, für die sich die Angeklagten Kriegswaffen beschafft hätten, die geeignet seien, die Bevölkerung einzuschüchtern und bürgerkriegsähnliche Zustände herbeizuführen. Nach den ersten Monaten der Verhandlungen zeichnet sich bereits ab, dass die zugrundeliegenden Taten tatsächlich geplant waren. Die Angeklagten wollen aussagen und beginnen sich gegenseitig zu belasten.

Vom Stromausfall zum Staatsstreich

Über die Entstehung der Gruppe ist bekannt, dass sich die Beteiligten zunächst unabhängig voneinander in Chatgruppen und bei Demonstrationen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie vernetzten. Über weitere Gruppeneinladungen vernetzten sie sich bundesweit, trafen sich als „Fluthelfer“ bei den Aufräumarbeiten nach den Überschwemmungen im Ahrtal, bevor sie sich im Dezember 2021 in einer Grillhütte bei Bendorf (Landkreis Mayen-Koblenz) trafen. Hier wurde der Plan, über mehrere Wochen einen Stromausfall herbeizuführen, konkret. Mit Konkretisierung ihres Vorhabens wurde auch die Beschaffung und Finanzierung von Schusswaffen und Sprengstoff wichtiger. Ebenso wie die Frage, wer die Pläne in die Tat umsetzen soll. Für Lauterbachs „Verhaftung“ wurden beispielsweise fünf militärisch Ausgebildete gesucht. Zu den Plänen der Vereinten Patrioten zählte auch das Vorhaben, Kontakt zur russischen Regierung aufzunehmen und ein Treffen mit ihr zu vereinbaren. Mit Beginn der Stromausfälle war eine „konstituierende Versammlung“ nach dem Vorbild des Deutschen Reiches von 1871 geplant, um einen neuen Staat auszurufen, den sie bei einer Reise nach Russland dort vom russischen Staat legitimieren lassen wollten.

Neues Staatsoberhaupt sollte der im März 2022 verstorbene Holocaustleugner Rigolf Hennig werden. Als strategischer Kopf der Gruppe kann die pensionierte Lehrerin Elisabeth Roth gelten. Neben ihr wird Michael Heeren, der unter anderem von dem extrem rechten Szeneanwalt Martin Kohlmann vertreten wird, zum administrativen Arm der Gruppe gerechnet. Auch David W. müsste eigentlich zu diesem Kreis dazu gezählt werden. W. fehlt allerdings auf der Anklagebank, weil er sich aktuell im Ausland aufhält. Heeren gilt laut der Anklage außerdem als „Sektionsleiter Nord“. Für den Westen war Thomas Oldenburg und für den Osten Sven Birkmann zuständig. Beide dürften in der Hierarchie aber eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Der letzte Angeklagte ist Thomas Kirchner. Den Angeklagten ist gemein, dass sie vorher nicht öffentlich in Erscheinung getreten sind. Nur Elisabeth Roth hatte bereits ab Mitte der 2010er Jahre begonnen, Bücher mit verschwörungsideologischen Inhalten zu veröffentlichen.

„Vor Antisemitismus triefende Ideologie“

In den ersten 14 Verhandlungstagen ließen sich bisher nur Sven Birkmann und Elisabeth Roth ein. Während Birkmann neben seiner Weltanschauung auch zum Sachverhalt beitrug, konnte in den sieben Verhandlungstagen, an denen Roth im Gerichtssaal nahezu durchgängig referierte, davon nicht die Rede sein. Sie nutzte das Gericht als Bühne, um, wie es der Generalbundesanwalt ausdrückte, ihre „vor Antisemitismus triefende Ideologie“ auszubreiten. Ein Vorgehen, das Parallelen zu Prozessen gegen die Holocaustleugner*innen Ursula Haverbeck und Horst Mahler aufweist — und was auch nicht verwunderlich ist, denn Roth war mit dem verstorbenen Rigolf Hennig gut bekannt. Es ist möglich, dass sie über Hennig Kontakte zu Akteurinnen des von ihm mitgegründeten und 2017 aufgelösten Holocaustleugner-Netzwerks Europäische Aktion hatte.

Grundannahme im Denken von Roth ist die Vorstellung einer ursprünglichen, untergegangenen „Germanischen Hochkultur“ aus der „Vorzeit“, welche die „Einzigartigkeit des deutschen Reiches“ begründet. Damit führt sie die Narrative der NS-Mythologie des „Ahnenerbes“ fort, einer SS-Organisation, die versuchte archäologisch diese germanische Kultur zu beweisen. Das Judentum hätte die Germanen verdrängt und Erinnerungen an diese Kultur wären gezielt zerstört worden.

Roth bezeichnete dies als den 3.000-jährigen Krieg gegen die Deutschen, der bis heute anhalte. Das Ziel dieses Krieges soll die jüdische Weltherrschaft sowie die Reduzierung der Menschheit sein — eine typische antisemitische Verschwörungserzählung. Die einzige Lösung für sie verspricht das „Deutsche Reich“. Denn dieses konnte „kein jüdischer Putsch unterkriegen“.

Außerdem hätte die „jüdische Gegenreformation“ als Antwort auf die von Martin Luther initiierte Reformation ihr Ziel verfehlt. Martin Luther ist zentral in Roths Denken. Mit seiner Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ hätte er die Verschwörung aufgedeckt. Ihre Ausführungen untermauerte Roth mit antijudaistischen Bibelzitaten und gängigen Verschwörungserzählungen. Zu Beginn ihrer teilweise quälend langen Ausführungen versuchte die Bundesanwaltschaft noch zu intervenieren, ließ dies im weiteren Verlauf aber bleiben.

Weitere Beteiligte

Sven Birkmann wiederum zeigt sich geständig, kann sich aber auffällig oft nicht an Details erinnern. Es wirkt, als verfolge er die Strategie, alle Vorwürfe als Überlegungen ohne Planungsabsichten abzutun. Gleichzeitig belastete er Mitangeklagte, indem er etwa die Verantwortung für den geplanten Blackout auf Oldenburg ablud. Er betonte, dass sich „Oldenburg stark engagiert“ und eine „Vorliebe für Sprengstoffe“ gezeigt habe. Die Idee, die Verfassung von 1871 wieder einzusetzen, stamme von Roth und Heeren.

Es verwundert, dass nur diese fünf sich für die Bildung einer terroristischen Vereinigung verantworten müssen. Birkmann nannte immer wieder Tobias Schirmer, der an allen Treffen teilgenommen habe und Lagerkapazitäten für zehn Tonnen bestellten Kriegsmaterials aus dem ehemaligen Jugoslawien anbot. Außerdem sollten die Waffen der fingierten Lieferung am 10. April 2022 ihm direkt als zentrale Verteilstelle zugehen. Ein weiterer Name, der mehrmals genannt wurde, ist Markus Lowien. Laut Oldenburgs Anwalt, Martin Nitschmann, war Lowien bei allen relevanten Treffen anwesend. Dies geht aus einer 15-seitigen Zeugenbefragung Lowiens von Anfang dieses Jahres hervor.

Verrohung

Die Gruppe ist das Ergebnis einer dreijährigen Radikalisierung in einer Blase aus Selbstviktimisierung und Verschwörungsideologie in einem extrem rechten Umfeld in Telegram-Gruppen. Aber auch Selbstwirksamkeitsmomente bei Demonstrationen mit Tausenden „Gleichgesinnten“ auf der Straße spielten bei der Radikalisierung eine Rolle. Deutlich wurde im Prozess etwa, wie Birkmann zu Beginn der Corona-Pandemie in Gruppen, wie dem von ihm gegründeten „Veteranen-Pool“ mit tausenden ehemaligen Militärangehörigen, aktiv wurde und immer mehr den Bezug zur Realität verlor. Bei „Querdenken“-Großdemonstrationen und der Mobilisierung zur „Fluthilfe“ im Ahrtal 2021 hat er Selbstermächtigung erlebt, die seine Überzeugungen stärkte. Das Zusammentreffen mit Elisabeth Roth hat sein Handeln in ein geschlossenes antisemitisches Weltbild eingebettet, wodurch er sich in einem viel größeren Kampf wähnte. Fortan ging es nicht mehr nur gegen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie, sondern um einen Kampf „Juden gegen Weiße“. In Präsenztreffen haben sich die Angeklagten mit immer neuen Ideen und dem Durchdenken der bestehenden in ihrem Vorhaben weiter bestärkt. Wie entmenschlicht diese Denkweise war, zeigt Birkmanns Bezeichnung der geplanten Entführung des Gesundheitsministers Karl Lauterbach lapidar als „Happening“. Er wollte „sehen, wie alle reagieren“, ohne Anzeichen von Schuldgefühlen oder Reue.

Noch kein Ausblick

Der bisherige Prozessverlauf zeigt auf, dass antifaschistische Praxis vor neuen Herausforderungen steht. Die Angeklagten waren vorher nicht in der extremen Rechten auffällig geworden, sind keine „Abgehängten“ der Gesellschaft, sondern Teil der gut situierten Mehrheitsgesellschaft. Es fällt schwer, sie zu identifizieren. Bis zum Beginn der Corona-Pandemie nahmen sie den Staat als eher ermöglichend wahr. In dem Moment, ab dem ihre gesellschaftlichen Privilegien in Gefahr schienen, zeigte sich, wie kurz der Weg der Bürgerlichkeit zum Terrorismus sein kann. Ganz nach deutscher Tradition… Umso wichtiger ist eine vollständige Aufklärung der Strukturen und Netzwerke der Gruppe. Klar ist auch, dass mit David W., Markus Lowien und Tobias Schirmer mindestens drei weitere zentrale Beteiligte auf der Anklagebank fehlen. Darüber hinaus muss es unzählige weitere Eingeweihte gegeben haben. Die fünf Angeklagten sind nur die Spitze des Eisbergs.

Der Prozess steht erst am Anfang. Deutlich ist aber, das Gericht nimmt den Prozess ernst und scheint an einer vollständigen Aufklärung interessiert, anders als bei vorherigen Prozessen gegen extrem rechte Akteur*innen. Die Absurdität des ganzen Vorhabens sollte nicht über die Gefährlichkeit der Angeklagten hinwegtäuschen. Auch wenn sie für sich in Anspruch nehmen, nur geplant und nicht gehandelt zu haben, darf nicht vergessen werden, dass ein Großteil der Angeklagten bei dem Versuch verhaftet wurde, Waffen zu kaufen. Waffen, die dazu bestimmt waren, Menschen gezielt zu ermorden. Elisabeth Roth und Michael Heeren sind schon länger damit befasst, wie der ihnen verhasste demokratische Staat abzuschaffen sei. Ihre Netzwerke reichen bis ins neonazistische Milieu. Heeren hatte Verbindungen, um die nötigen finanziellen Mittel aufzutreiben. Mit den drei weiteren Angeklagten haben sie Unterstützer gefunden, die bereit waren rechtsterroristische Anschläge durchzuführen. Mobilisiert durch Roths Versprechen einer romantisierten Vergangenheit und der Vermittlung der vermeintlich „wahren Feinde“: „den Juden“. Containerbegriffe wie Freiheit oder Souveränität bedeuten dann: eine einfache und übersichtliche Welt, ohne unkontrollierbare Entwicklungen der Moderne. Die nicht vorhandene ideologische Stringenz lässt sich ausblenden. Für das höhere Ziel eines „freien, souveränen Deutschlands“.

Nachtrag

Am 10. Oktober nahm die Polizei im Rahmen einer bundesweiten Durchsuchung fünf weitere Verdächtige aus dem Umfeld der Vereinten Patrioten fest. Die in dem Artikel erwähnten Schirmer, Lowien und W. gehören nicht dazu.

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