Wiege der Undemokratie
Das „Neue Hambacher Fest“
Was haben ein AfD-Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten, ein Crashprophet der Werteunion und Gründer der Atlas Initiative sowie ein Geschäftsmann aus Neustadt gemeinsam? Max Otte mag das aus politisch-ideologischem Interesse heraus tun. Seinem unternehmerischen Wirken als Finanzberater käme ein noch freierer und unregulierter Markt auch gelegen. Den Vorsitz der Werteunion musste er wieder abtreten, weil er sich von der AfD zum Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten hatte vorschlagen lassen und das sogar bei der Werteunion zu viel war.
Markus Krall, rechtslibertärer Vertreter der Atlas-Initiative mit Vorliebe für die Privatstadtbewegung um Titus Gebel, dem Modell einer Stadt ohne Staat, in der der Markt alles regelt. Ein Blick auf die bereits bestehenden Privatstädte verrät, was den Marktradikalen vorschwebt. Wer dafür bezahlen kann, erhält Leistungen wie Gesundheitsvorsorge oder Behandlung im Krankenfall. Das dürfte Krall gefallen, denn dort gibt es auch keine Geflüchteten. Oder Leistungsbezieher*innen, denen er ohnehin gerne das Wahlrecht grundsätzlich entziehen möchte.
Otte und Krall arbeiten bereits seit 2018 gemeinsam am Brückenschlag zwischen Konservativen und der extremen Rechten. (siehe LOTTA #80, S. 46 f) Auf den von Otte 2018 bis 2020 jährlich veranstalteten Treffen, für die er sogar den Markennamen „Neues Hambacher Fest“ ins Markenregister eintragen ließ, sprach Krall u. a. neben Jörg Meuthen, Tino Chrupalla und dem Herausgeber des Onlinemagazins Tichys Einblick Roland Tichy im historischen Hambacher Schloss. 2021 beendete die Stiftung Hambacher Schloss Ottes demokratiefeindliche Veranstaltungen durch Änderung der Satzung. Otte musste den Markennamen wieder löschen lassen.
Widerstand
Im Januar 2022 kündigte der Vermögensverwalter Wolfgang Kochanek bei einer Montagsdemonstration in Neustadt einen Protestmarsch mit 30.000 Teilnehmer*innen zum Demokratiefest anlässlich des 190. Jubiläum des historischen Hambacher Fests auf das Hambacher Schloss an. Dem Aufruf folgten etwa 3.500 Personen aus dem „Querdenken“-Spektrum und andere extrem Rechte. Aus der Menge heraus warfen Rechte Müll auf den Stand des Bündnisses gegen Rechts und beleidigten einen Neustädter Juden antisemitisch. Im Laufe des Jahres besuchte Kochanek Otte mehrfach bei ihm zuhause.
Wolfgang Kochanek findet die Demokratie nur so lange gut, wie er davon persönlich profitiert. Seit Jahren befindet er sich im Streit mit der Verwaltung, von der er seine unternehmerische Freiheit bei Immobilienprojekten eingeschränkt sieht. Also setzt er die ohnehin aufgeheizte Protestszene als Druckmittel ein. Mit dem Bündnis Deutschland steht auf, mobilisiert Kochanek ein Netzwerk, mit dem er besonders Unternehmer ansprechen will. Bis Ende 2022 orientierte er sich damit noch deutlich für den Protest auf der Straße und gegen den parlamentarischen Weg.
Querschenken
2023 sollte sich einiges ändern. Kochanek meldete für den 28. Mai „nur noch“ 10.000 Teilnehmende für die Demonstration auf das Hambacher Schloss an, von denen noch 2.800 kamen. Seine Stiftung sollte erstmals auf dem Schlossgelände ihren „Demokratiepreis“ verleihen dürfen. Dafür musste er sich vor Gericht mit der Verwaltung auf Auflagen einigen. Dazu riet sein Anwalt Ralf Ludwig. Es durften maximal 1.500 Personen aufs Schlossgelände, die Gebäude, insbesondere die Toilettenanlage, durften nicht betreten werden. Nicht nur die Auflagen selbst sorgten für Unmut in der Szene. Dass er sich überhaupt auf eine Zusammenarbeit „mit dem System“ eingelassen habe, erboste die Teilnehmenden.
Breite Kritik erfuhr die Preisverleihung, denn sowohl Spender Markus Krall als auch Preisträger des mit 10.000 Euro dotierten Preisgeldes Michael Ballweg sind in der Szene umstritten. Noch am selben Abend betitelte der Streamer Elijah T. einen dreistündigen Verriss der Veranstaltung „Hambach offenbart traurige Wahrheit — Wir sind von Idioten umgeben“. Hauptkritikpunkt der Sendung war dabei Michael Ballweg selbst. Der sei gar nicht so arm wie er alle glauben machen wolle. Als er im Sommer 2022 wegen Betruges in Untersuchungshaft kam, soll er im Besitz von über einer Million Euro gewesen sein, mit der er sich ins Ausland absetzen wollte. Der Prozess dazu steht noch aus. Ihm wird vorgeworfen, in 9.000 Fällen Spenden für „Querdenken“ für private Zwecke verwendet zu haben.
Auch Kochanek sei vor 2022 nicht im Widerstand aktiv gewesen. Markus Krall sei ein Crashprophet, dessen Vorhersagen noch nie zugetroffen haben. Sie bildeten eine Elite, die sich gegenseitig Geld zuschiebe. Die Instrumentalisierung der Proteste gegen die Coronabekämpfungs-Maßnahmen war nicht die einzige Aktion dieser Gruppe. Mit Freedoline war auch ein alternatives YouTube geplant, getragen durch ein Netzwerk von Stiftungen und Scheinfirmen. Damit hoffte man, ein Medium zu schaffen, das sich gesetzlichen Regeln entziehen könnte. Ballweg und Ludwig setzen mit mehreren Vereins-, Konten- und Stiftungsgründungen außerhalb Deutschlands auf, wie sie es nennen, „maximale Staatsferne“.
Parteigründung
Am 28.05.23 kündigt Kochanek eine Kursänderung an. Nachdem er in seiner Rede auf der jährlichen Demonstration am Hambacher Schloss noch forderte, bei der Stadtverwaltung müssten „Köpfe rollen“, eröffnete er am gleichen Abend bei einer internen Podiumsdiskussion, nun doch selbst eine Partei gründen zu wollen. Im September kündigte Markus Krall gegenüber Tichys Einblick an, bald für den Bundestag kandidieren zu wollen. Es werde „Bewegung ins Parteienspektrum hinein geben“. Konkreter wird Kochanek bei einer Demonstration in Magdeburg. Die Partei soll zunächst als Verein gegründet werden. Mitglieder könnten 50 Euro pro Jahr „für die Freiheit“ bezahlen. Stimmrecht hätten die Mitglieder im Verein aber nicht. Erst kurz vor den Wahlen soll dann aus dem Verein eine wählbare Partei werden. Ein kleines Team soll die Aufbauarbeit leisten: Michael Ballweg, Ralf Ludwig, Markus Krall und Kayvan Soufi-Siavash, bekannt als Ken Jebsen.
Risikoträger
Die Crashpropheten Otte und Krall sowie der Spendensammler Michael Ballweg haben offenbar in Wolfgang Kochanek einen gefunden, den sie ohne eigenes Risiko machen lassen können. Er will sogar ein Bürogebäude kostenlos zur Verfügung stellen. Möglicherweise die Papierfabrik in Neustadt, eine nicht anderweitig genutzte Immobilie, deren Eigentümer Kochanek selbst ist. Als wären die seit Juni vierzehntägig stattfindenden Kundgebungen auf dem Schlossgelände in Neustadt nicht schon genug, würde die Stadt zur Zentrale einer marktradikalen „Querdenker“-Partei. Das Risiko läge bei Kochanek. Sollte aus dem Versuch nichts werden, könnte Krall weiterhin zurück zur CDU. Bei der Beliebtheit, der sich das Aufbauteam der neuen Partei in der Szene bereits erfreut, wäre ein Plan B sinnvoll.