Robert Lambrou, Vorsitzender des AfD-Landesverbands Hessen und der AfD-Fraktion im hessischen Landtag, bei der Veranstaltung zum zehnten Jahrestag der AfD-Gründung in Königstein.
Timo Weber

Ausgebaut

Die hessische AfD nach der Landtagswahl

Die AfD hat bei der Landtagswahl in Hessen ihr Ergebnis im Vergleich zu 2018 deutlich ausgebaut. Als zweitstärkste Partei im neuen Landtag verfügt sie nun über realpolitische Möglichkeiten, die Isolation im Parlament aufzuweichen. Darüber hinaus dürfte die Partei auch in den kommenden fünf Jahren am Ausbau ihrer Strukturen arbeiten.

Bei der Landtagswahl in Hessen am 8. Oktober 2023 erreichte die AfD 18,4 Prozent, gleichbedeutend mit 28 Mandaten. Das entspricht einem Zuwachs von etwa fünf Prozentpunkten und neun zusätzlichen Mandaten im Vergleich zur Landtagswahl 2018. Der Partei kam zugute, dass die Themen Flucht und Migration zuletzt wieder stärker in den Fokus rückten. Während der Corona-Pandemie konnte die AfD keine Akzente setzen und lag bei den Umfragen zwischenzeitlich nur noch bei etwa 10 Prozent. Auch den Krieg in der Ukraine wusste der Landesverband nicht für sich zu nutzen und verlor weiter an Zustimmung. Im Sommer 2022 rangierte die AfD in Hessen nur noch bei sieben Prozent. Erst ab dem Spätsommer 2022 stiegen die Umfragewerte und pendelten sich etwa beim Ergebnis von 2018 ein. Zwischenzeitlich gab es — kurzzeitig — einzelne Werte, die sogar bis zu 20 Prozent reichten. Seit der Wahl im Oktober hat die AfD in Hessen jedoch laut Umfragen wieder 3 Prozentpunkte verloren. Durch den Zuwachs an Mandaten verfügt die künftige Fraktion über mehr als 20 Prozent der Sitze im Parlament, was es ihr ermöglicht, aus eigener Kraft Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Direkt nach der Wahl wurde bereits ein Corona-Ausschuss angekündigt. Laut dem Co-Landesvorsitzenden Andreas Lichert will die Fraktion dafür sorgen, dass „seriös und vernünftig“ aufgearbeitet werde, „was da alles schiefgelaufen ist“.

Personaldebatten

Eine weitere Konsequenz aus dem hohen Wahlergebnis der AfD ist, dass nun einige Kandidaten ein Mandat erlangt haben, bei denen es vermutlich sogar parteiintern als unwahrscheinlich galt, dass sie in den Landtag einziehen würden. Dies hat dazu geführt, dass sich die in Bildung befindende Fraktion — wie schon vor fünf Jahren (vgl. LOTTA #73, S. 28 ff.) — direkt nach der Wahl mit Personalfragen auseinandersetzen musste. Allen voran mit Sascha Herr aus dem Hochtaunuskreis. Von jenem waren bereits 2021 Bilder mit Neonazis und auf dem Weg zu Rechtsrock-Konzerten bekannt geworden. Kurz vor der Wahl sorgte dann ein weiteres Bild für Aufsehen, auf dem Herr unter anderem mit Daniel Ott zu sehen ist. Ott war 2020 als einer von sechs Personen bundesweit die Verbotsverfügung für Combat 18 zugestellt worden. Dies war offenbar nicht tragbar für die hessische AfD, die zu diesem Zeitpunkt noch gegen die Bewertung als Verdachtsfall durch das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) klagte. Herr wurde daraufhin nicht Teil der Fraktion und verließ Ende Oktober die Partei.

Zu einer weiteren Personalie verhält sich die AfD bisher nicht. Wie ebenfalls vor der Wahl bekannt geworden war, soll der langjährige Vorsitzende des AfD-Kreisverbandes Bergstraße, Karsten Bletzer, unerlaubt in die Parteikasse gegriffen haben. Ein Betrag von 16.000 Euro steht im Raum, den er sich ohne entsprechenden Beschluss des Kreisvorstands als Honorar für eine Flyeraktion überwiesen haben soll. Von Parteiseite wird keinerlei Aufhebens um die Sache gemacht. Anzeige wurde nicht erstattet, auch der Rücktritt Bletzers als Kreissprecher und Landesvorstandsmitglied wurde nicht publik gemacht. Offenbar sollte dies den Wahlkampf nicht beeinträchtigen. Nun zieht Bletzer in den Landtag ein. Die Staatsanwaltschaft Darmstadt gab hierzu an, von Amtswegen tätig werden zu müssen, sobald sie von einem solchen Vorgang erfahre, und ermittelt nun wegen mutmaßlicher Veruntreuung.

Im Fokus des LfV

Hatte die AfD im Oktober 2022 noch einen Erfolg verbucht und die Beobachtung des LfV abgewendet (vgl. LOTTA #91, S.28 ff.), entschied im November 2023 das Verwaltungsgericht Wiesbaden, dass der Landesverband der Partei nun doch als Verdachtsfall beobachtet werden darf. Daran anschließend folgte ein weiterer Beschluss im Landtag. Im sogenannten Demokratiepakt wurde mit den Stimmen von CDU, SPD, FDP und Grünen unter anderem beschlossen, dass Mitglieder der G10-Kommission des Landtags künftig gewählt anstatt wie bisher nach Fraktionsgröße benannt werden. Hintergrund ist, dass in der Kommission, deren Name sich auf Artikel 10 des Grundgesetzes über das Post- und Telekommunikationsgeheimnis bezieht, über die Zulässigkeit der Überwachung von Post und Telekommunikation durch das LfV bestimmt wird. Im Fall der AfD Hessen würde diese in der Kommission gegebenenfalls über die eigene Überwachung mit entscheiden.

Unabhängig

Die drohende Beobachtung durch das LfV dürfte auch ein Grund für den Landesverband sein, eigene Firmenstrukturen aufzubauen und somit nicht Gefahr zu laufen, dass etwa für den Wahlkampf wichtige Aufträge kurzfristig storniert werden. Beispielsweise wurde im Mai 2023 die Gesellschaft für Medien und Veranstaltungen Unternehmergesellschaft (GMV) gegründet. Die Tätigkeiten der GMV umfassen Parteiwerbung, das Organisieren von Veranstaltungen und Schulungen sowie die „Vermietung von Fahrzeugen“ und „Immobilien“. Kurzum: alles, was die AfD für Parteiarbeit und Wahlkampf benötigt, sich dabei aber nicht von externen Firmen abhängig machen will. Geschäftsführer ist der Immobilienmakler Norbert Schmidt aus Bad Vilbel, Stadtverordneter der AfD in Bad Vilbel. Ansässig ist die GMV unter der Adresse der Landesgeschäftsstelle in Gießen, ebenso wie die Firma FR-Scaling. Diese wird von dem im Dezember in den Landesvorstand gewählten Robin Jünger geführt. Ihr Angebot umfasst neben IT-Schulungen eigener Angabe zufolge „Social Media Services, insbesondere die Planung und Erstellung von Werbekampagnen“.

Vorfeld und Interessengruppen

Gründen sich Interessengruppen oder Vereine innerhalb der AfD oder an diese angegliedert, mischen der hessische Landesverband oder seine Funktionäre häufig mit. Bereits bei der Gründung der Juden in der AfD 2018 war es der Landtagsabgeordnete Dimitri Schulz aus Wiesbaden, der als Initiator galt und ab 2021 auch als Schatzmeister Mitglied des Vorstands war. Im Vorfeld der Landtagswahl gründete sich nun im Juni 2023 der parteinahe Verein Mit Migrationshintergrund für Deutschland. Bei der Gründungsveranstaltung in Allendorf/Lahn bei Gießen waren vornehmlich hessische AfD-Mitglieder involviert. Die FunktionärInnen des Vereins sind meist zumindest auf kommunaler, wenn nicht auf Landesebene exponierte Mitglieder der AfD, unter ihnen auch der hessische Landesvorsitzende Robert Lambrou. Eine vergleichbare Struktur für Frauen in der AfD ist offenbar auch in Planung. In der Geschäftsstelle in Gießen trafen sich im Juli 2023 „10 Starke Frauen und ein ebenso engagierter Mann“. Offenbar auf Einladung der künftigen Landtagsabgeordneten Sandra Weegels aus Gießen beratschlagten sie, wie sie „Frauen innerhalb der Partei weiter stärken können“. Es folgten Gruppenbilder von „Frauen, die sich mit Herzblut politisch engagieren“ und „AfD-Mädels“, im August dann ein „Fraueninfostand“ im Rahmen des Wahlkampfes in der Gießener Innenstadt. Im Landtag hingegen gibt es neben Weegels mit Anna Nguyen lediglich eine weitere Frau in der mutmaßlich dann 27-köpfigen Fraktion.

Seilschaften

Auch als sich Korporierte in der AfD 2018 vernetzten, um eine Interessengemeinschaft zu gründen, sollen laut einer Veröffentlichung der Antifa Freiburg Mitglieder aus Hessen involviert gewesen sein. Letztendlich schrumpfte der Kreis bis zur Gründung des Deutschen Akademikerverbandes aber erheblich. Aber es gibt im hessischen AfD-Landesverband Korporierte in exponierten Positionen. Neben dem Fraktionsgeschäftsführer Frank Grobe von der Aachener Burschenschaft Teutonia stößt jetzt noch Maximilian Müger zur Fraktion, welcher Mitglied des Frankfurter Wingolf ist. Müger ist auch Vorsitzender der Stiftung für Alternative Politik Hessen.

Diese wurde 2017 als Desiderius-Erasmus-Verein Hessen gegründet und hatte den Sitz im osthessischen Cornberg-Rockensüß im Landkreis Hersfeld-Rotenburg. Im September 2022 wurden dann Name und Ort gewechselt, seitdem firmiert die Stiftung in Gießen unter der Adresse der Landesgeschäftsstelle der AfD. Als Tätigkeit werden etwa Fortbildungen und Veranstaltungen benannt. Jene wurden bislang nicht öffentlich beworben. So fand am 13. Juli 2023 eine Veranstaltung in Bad Homburg im Hochtaunuskreis statt, die mit dem Logo der Stiftung versehen war. Als Referent trat neben Dimitrios Kisoudis, Referent des AfD-Parteivorsitzenden Tino Chrupalla, auch Claus Wolfschlag auf. Er referierte zum Thema „Bau und Politik“. In der Vergangenheit ist er vor allem durch sein gemeinsames Agieren mit dem damaligen Abgeordneten der rechten Bürger für Frankfurt, Wolfgang Hübner, im Kontext der Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt aufgefallen (LOTTA #84, S. 11 f.).

Müger war in der vergangenen Legislaturperiode Referent der AfD im hessischen Landtag, ebenso wie Grobes Bundesbruder Hans-Ulrich Voß. Voß schrieb für das Verbandsorgan der Allgemeinen Deutschen Burschenschaft, als Grobe dort für die Redaktion verantwortlich war. Der Sohn des NPD-Funktionärs Hans-Jochen Voß aus Unna erlangte 2018 überregional Bekanntheit: Ihm war für den Entwurf einer PR-Kampagne für das „Linksextremismus“-Aussteigerprogramms left vom Innenministerium in NRW im Rahmen eines Ideenwettbewerbs ein Preis verliehen worden. Ebenfalls Alter Herr der Aachener Burschenschaft Teutonia ist Georg Gickeleiter, er trat als Ständiger Sachverständiger der AfD in der „Enquetekommission Mobilität der Zukunft in Hessen 2030“ im hessischen Landtag auf.

Aufschwung?

Der hessischen AfD ist es gelungen, bei der Landtagswahl in Hessen einen Höhepunkt ihrer Umfragewerte in Stimmen umzumünzen. Selbstbewusst kündigte der Landes- und Fraktionsvorsitzende Lambrou anschließend an: „Uns kann man nicht mehr lange ausgrenzen.“ Inwiefern das eigener Verdienst oder der Zustimmung zur AfD auf Bundesebene geschuldet ist, ist zweitrangig. Es bleibt festzuhalten, dass der Landesverband im Wahlkampf vor allem auf die eigene Stammklientel gesetzt hat und außerhalb dieser Sphäre vergleichsweise wenig wahrzunehmen war. Vor allem Saalveranstaltungen, oftmals im ländlichen Raum, prägten ihren Wahlkampf. Ob die verschiedenen Vereine, in denen die FunktionärInnen tätig sind, allerdings wirklich das Vorfeld der Partei bedienen und binden, ist fraglich. Es entsteht vielmehr der Eindruck, als seien hier bereits exponierte Personen involviert und würden neben der kommunalen Arbeit noch mit dem ein oder anderen Posten belohnt. Die Stiftung für Alternative Politik Hessen sowie die an den Landesverband angegliederten Firmen sind dennoch Beleg dafür, dass die Partei in Hessen Strukturen auf- und ausbaut, die ihr künftig neben finanziellen Vorteilen auch ein gewisses Maß an Unabhängigkeit garantieren sollen. Dies gilt gerade für den Fall, dass sich die Beobachtung des LfV negativ für sie auswirken sollte.

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