Irmhild Boßdorf auf dem Weg zu einer „Junge Alternative“-Veranstaltung am 24. Juni 2023 in Dortmund.
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Netzwerkerin der „Neuen Rechten“

Irmhild Boßdorf

Es ist ein Schlagwort, das in den vergangenen Jahren durch die sogenannte „Identitäre Bewegung“ geprägt wurde: „Remigration“. Irmhild Boßdorf benutzte es in ihrer Bewerbungsrede für Platz 9 auf der Europawahlliste der AfD. Wenn man sich Boßdorfs Familiengeschichte und Werdegang anschaut, ist diese Wortwahl wenig überraschend. Über eine „neurechte“ Netzwerkerin und Politikerin mit einem entsprechenden Familienclan.

Irmhild Boßdorf, geborene Deschner, kam 1967 auf die Welt und hat das „neurechte“ Denken in die Wiege gelegt bekommen. Denn ihr Vater, der Publizist Günther Deschner, pflegte über Jahrzehnte Kontakte in die französische und deutsche „Neue Rechte“. In den 80er-Jahren war er Redakteur für die vom „neurechten“ Think-Tank GRECE herausgegebene Zeitschrift Nouvelle École. In der französischen Gruppe waren mit Alain de Benoist, Dominique Venner oder Guillaume Faye zahlreiche ideologische Vordenker der heutigen „Neuen Rechten“ aktiv. Gegen Ende seiner publizistischen Karriere leitete er als Chefredakteur von Dezember 2009 bis Februar 2011 die gerade erst gegründete extrem rechte Zeitschrift „Zuerst!“, die sich im Untertitel als „Deutsches Nachrichtenmagazin“ bezeichnet.

Bevor Irmhild ihrem Vater in das Berufsfeld des Journalismus folgte, verbrachte sie Teile ihrer Jugend in der Gemeinschaft Junges Ostpreußen (GJO), der Jugendorganisation der „Vertriebenen“-Vereinigung Landsmannschaft Ostpreußen. Die in den 60er-Jahren gegründete und an die bündische Jugend angelehnte Gruppe verschrieb sich vordergründig der Pflege von Brauchtum und Tradition und gab sich nach außen hin überwiegend als unpolitischer Kulturverein. Einige Mitglieder der GJO hatten jedoch Kontakte zur NPD und zu deren Jugendverband JN, was 1991 zur Abspaltung einer extrem rechten Jugendorganisation, der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen, führte. Irmhild Boßdorf zeigte in der GJO Engagement. 1987 wurde sie zur Pressereferentin deren nordrhein-westfälischen Landesverbands gewählt, 1988 leitete sie im Rahmen der ersten Veranstaltung der neu gegründeten GJO-Ortsgruppe Nürnberg einen Volkstanzabend.

Historikerin — Journalistin — Übersetzerin

Wie ihr Vater studierte auch Irmhild an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, die sie 1992 mit einem Abschluss in den Fächern Geschichte, Politikwissenschaft und Staatsrecht verließ. Von Süddeutschland zog es sie Ende 1992 nach Bonn, wo sie zunächst bis 1998 für den CDU-Bundestagsabgeordneten Wolfgang Börnsen arbeitete.

Um die Jahrtausendwende herum wurde sie als Journalistin aktiver. Aufbauend auf ihrem Studium widmete sie sich auch in ihren Texten immer wieder historischen Themen. So griff Boßdorf Anfang der 2000er-Jahre in zwei Artikeln in der „neurechten“ Zeitschrift Criticón die Frauenrechtlerin Gertrud Bäumer und die historische Frauenbewegung als Thema auf. Im Jahr 2000 erschien in der Jungen Freiheit (JF) ein Interview mit Jutta Rüdiger, die von 1937 bis 1945 Reichsreferentin des Bundes Deutscher Mädel (BdM) war. Boßdorf ließ dort die Aussagen Rüdigers zur Rolle des BdM und nationalsozialistischer Ideale so unkritisch im Raum stehen, dass das Interview später im Neonazi-Zine Das treue Mädel nachgedruckt wurde. Ob dies mit Einwilligung Boßdorfs geschah, ist nicht bekannt.

In anderen Interviews zeigten sich Irmhild Boßdorfs Kontakte ins europäische Ausland, die sie in Interviews mit ihren „flämischen Wurzeln“ begründet. So interviewte sie für die Junge Freiheit etwa den Vlaams Belang-Politiker Filip Dewinter und 2004 den damaligen Vorsitzenden des nationalistischen Vlaams Belang, Frank Vanhecke, der im Gespräch mit Boßdorf von einer Abspaltung Flanderns von Belgien träumte. Für die „neurechte“ Zeitschrift Sezession übersetzte sie 2013 den ursprünglich in der flämischen Zeitschrift TeKoS erschienenen Text „Hoe groen waren de nazi’s?“, in dem die Losung „Blut und Boden“ in eine harmlose völkisch-ländliche Utopie umgedeutet wird.

Eine schrecklich rechte Familie

Im Privaten folgte Irmhild Boßdorf augenscheinlich dem Anspruch, ihre „neurechte“ Familientradition weiterzuführen. Ihr Anfang 2020 verstorbener Mann Peter Boßdorf war ebenfalls publizistisch tätig und bestens in der extremen Rechten in Deutschland vernetzt. Genau wie seine Ehefrau war Peter Boßdorf Mitglied einer „Vertriebenen“-Organisation, dem Ostpolitischen Deutschen Studentenverband (später Gesamtdeutscher Studentenverband) und engagierte sich später bei der Partei Die Republikaner. Zudem konnte er auf Kontakte in zentrale „neurechte“ Institutionen, wie dem Thule-Seminar oder dem Institut für Staatspolitik, setzen. Journalistisch schrieb er vor allem für die JF, publizierte als Geschäftsführer des Mittler Report Verlags aber auch zu sicherheitspolitischen Themen.

Auch Irmhild Boßdorfs Kinder sind zum Teil fest in extrem rechten Strukturen verankert. Gertrud Boßdorf folgte zunächst dem Beispiel ihrer Mutter und war in einer bündischen „Mädchenwandervogel“-Gruppe aktiv. Ab den 2010er-Jahren trat sie dann vorwiegend in extrem rechten Zusammenhängen in den Niederlanden in Erscheinung und schrieb, wie ihre Mutter, Artikel mit flämischen Bezügen für die JF. Auch Tochter Reinhild Boßdorf ist seit Jahren in der extremen Rechten aktiv. War sie anfangs Aktivistin bei den „Identitären“, verließ sie diese 2019 und gründete die pseudofeministische Frauengruppe Lukreta, die inhaltlich eng an die „identitäre“ „120db“-Kampagne anknüpfte. Zusammen mit ihrer Mutter hält Reinhild immer wieder Vorträge, etwa über ihre Kritik am modernen Feminismus. Zudem unterhält sie enge Kontakte zur Jungen Alternative und zu „identitären” Strukturen, wie der Revolte Rheinland (siehe Artikel in diesem Heft). Im Oktober 2022 trat die extrem rechte Aktivistin im Rahmen einer Veranstaltung der EU-Parlamentsfraktion Identität und Demokratie im EU-Parlament als Referentin zum Thema „Feminismus von rechts“ auf.

In ihrer Freizeit unternimmt die Familie Boßdorf auch vermeintlich unpolitische Ausflüge. So besuchte sie etwa Hardcore-Techno-Festivals wie das niederländische Thunderdome. Begleitet wurde die Familie dabei vom niederländischen Neonazi Paul Peters, der enge Kontakte zu den Boßdorfs pflegt. Peters nahm 2012 an der neonazistischen Demo zum Tag der Deutschen Zukunft in Hamburg teil und kann auf eine lange Karriere in verschiedenen neonazistischen und „neurechten“ Organisationen zurückblicken. 2017 fuhr er mit Reinhild und Gertrud zum nationalistischen „Unabhängigkeitsmarsch“ nach Warschau. Irmhild Boßdorf schien die bewegte Vergangenheit Peters nicht zu stören. Ebenfalls 2017 war er anlässlich des Geburtstags von “ibster Irmhild”, wie er sie auch nennt, zum Cocktail-Abend eingeladen.

Steile Karriere in der AfD

Schenkt man Irmhild Boßdorfs Aussagen Glauben, war es die Sorge um ihre Kinder, die sie dazu brachte, 2016 in die AfD einzutreten und sich dort zu engagieren. Dort legte sie eine beachtliche Karriere hin. Im Frühjahr 2018 begann sie, als wissenschaftliche Mitarbeiterin für den Euskirchener Bundestagsabgeordneten und späteren NRW-Landesvorsitzenden Rüdiger Lucassen zu arbeiten und wurde dessen Wahlkreisbüro-Leiterin. Dies blieb aber nicht ohne Konsequenzen: Ende 2018 verlor sie auf politischen Druck hin das Bonner Haus der Geschichte als Auftraggeber für ihre selbstständige Tätigkeit als Dozentin in dem Museum. Neben der Stelle in Euskirchen trieb sie in den folgenden Jahren auch ihre Arbeit in der Kommunal- und Landespolitik voran. So kandidierte sie 2020 bei der Kreistagswahl für den Wahlkreis Königswinter II und baute ihr Netzwerk im NRW-Landesverband aus, für den sie auch an der Vorbereitung von Parteitagen beteiligt war. Zumindest 2021 fungierte sie als Pressesprecherin der Landes-AfD. Als Referentin trat sie in zahlreichen Kreis- und Ortsverbänden auf. Ihre parteipolitische Arbeit führte sie 2022 ins Amt der Fraktionsgeschäftsführerin der AfD im Landschaftsverband Rheinland und in das Büro des AfD-Landtagsabgeordneten Carlo Clemens.

Aber auch über NRW hinaus ist sie in der AfD gut vernetzt. So referierte sie bereits im Zentrum Rheinhessen in Mainz oder besuchte mit einer AfD-Delegation das nationalistische IJzerwake-Festvial in Belgien, an dem neben dem Vlaams Belang auch die extrem rechte Gruppe Voorpost teilnahm. Beteiligt war sie auch an mehreren „Frauenkongressen“, mit denen unter anderem der AfD ein „weiblicheres“ Bild verpasst werden sollte.

Besonders engen Kontakt pflegt Irmhild Boßdorf zum Dortmunder AfD-Politiker Matthias Helferich (MdB). Nicht zuletzt dessen Netzwerk in Kreisen der Jungen Alternative und anderen Rechtsaußen-Kräften in der Partei trieb ihre Kandidatur voran. In Irmhild Boßdorfs Spot zur Europawahl sitzt Helferich gemeinsam mit ihrer Tochter Reinhild am Esstisch der Familie und bekommt das von Irmhild gekochte Essen serviert — eine bewusst inszenierte völkische Familienutopie. Dieses Idealbild bringt die fünffache Mutter auch in ihre Kandidatur zur Europawahl ein. „Gegen diese ganze Gender-Agenda, die ja von Europa seit 1995 vorangetrieben wird“, und gegen das „transsexuelle Chaos“ wolle sie sich in Brüssel einsetzen, sagte sie in einem Interview.

Angekommen

Dabei zeigt ihre Karriere zugleich, wie sehr „neurechte“ Ideologeme in der AfD verbreitet beziehungsweise akzeptiert sind. Vorgeschlagen wurde sie bei der Wahl der Liste bei einem Parteitag Ende Juli in Magdeburg immerhin vom nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden Martin Vincentz, der damit einmal mehr zeigte, wie brüchig und künstlich sein Image eines „gemäßigten“ oder „moderateren“ AfD-Politikers ist. Boßdorf wusste die Delegierten in ihrer Bewerbungsrede zu begeistern. „Unser Volk“ werde von Berlin und Brüssel der Auflösung preisgegeben, klagte sie.

„Was wir wirklich fürchten müssen, das ist nicht der menschengemachte Klimawandel“, rief Boßdorf in ihrer immer wieder von Beifall unterbrochenen Rede in den Saal. „Nein, wir sollten uns vielmehr fürchten vor dem menschengemachten Bevölkerungswandel, der das alte Europa in eine Siedlungsregion für Millionen Afrikaner und Araber umwandeln soll.“ Eine „Remigration, millionenfache Remigration“ gegen „Asylforderer“ forderte sie. Und: „Was wir brauchen, sind Pushbacks, egal was der Europäische Gerichtshof dazu sagt.“ Satte 75,6 Prozent der Delegierten stimmten am Ende für Boßdorf. Auf Listenplatz 9 wird sie aller Wahrscheinlichkeit nach sicher ins Europaparlament einziehen. Ihre Kandidatur ist zweierlei: ein Beleg für den fortgesetzten Marsch der AfD nach Rechtsaußen und angesichts der Boßdorfschen Vernetzung über Deutschland hinaus und der einschlägigen Kontakte, die sie und ihre Familie pflegen, ein signifikanter Einflussgewinn der deutschen „Neuen Rechten“.

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