Soverän auf dem Deutschen Sonderweg

Der Nationalkonservatismus als Teilströmung der extremen Rechten

Im Gegensatz etwa zum Neonazismus zeigen Nationalkonservative ihre Ablehnung von gesellschaftlichem Pluralismus und liberaler Demokratie zumeist nicht offen. Insbesondere ihre Haltung zur NS-Vergangenheit offenbart aber ihr völkisches Demokratieverständnis und verortet sie in der Braunzone zwischen moderater und extremer Rechter.

Weil Konservatismus vor allem als Krisendenken zu begreifen ist, befassen sich dessen Vertreter_innen vorrangig mit der Gegenwart und nicht mit der Vergangenheit. Sie nehmen also keine im eigentlichen Sinn reaktionäre, das heißt rückwärtsgewandte Haltung ein, sondern beteiligen sich an aktuellen politischen Auseinandersetzungen und beziehen Position zu strittigen Themen. Sie rufen zur Berücksichtigung des Überkommenen und Bewährten, zur Bewahrung der Tradition und des Common Sense auf und wollen diese Bestände gegen Neuerungen und Umbrüche ins Spiel bringen. Konservative stellen dabei aber nicht nur, wie der Gießener Soziologe Helmut Dubiel in den 1980er Jahren formuliert hat, die „Diagnose einer kulturellen Krise des gegenwärtigen Kapitalismus“. Vielmehr streben sie danach, so die Konservatismusforscherin Martina Steber, „Zukunft über vorausschauende Planung in den Griff zu bekommen, Zukunft also aus der Gegenwart heraus lenken zu können“. Doch charakterisiert es eher die Bestrebungen gemäßigter Konservativer, den Liberalismus vor seinen vermeintlichen Übersteigerungen zu bewahren, weil sie befürchten, dass er bei immer mehr Gleichheit, Minderheitenschutz und gesellschaftlicher Diversität irgendwann in sein Gegenteil kippt.

Die permanente konservative Revolution

Solche Versuche einer gemäßigten Rechten, politische Stabilität gegenüber allzu großer Neuerungswut zu betonen und dadurch gesellschaftlicher Polarisierung und extremistischen Anschauungen entgegenzusteuern, werden landläufig auch als das herrschende konservative Ideal betrachtet. Darüber sollte aber nicht jene antidemokratische Strömung vergessen werden, die sich bis heute auf die Gedankenwelt der „Konservativen Revolution“ in der Weimarer Republik beruft. Einen ihrer bis heute vielzitierten Leitsprüche hat Anfang der 1920er Jahre der Kulturphilosoph Arthur Moeller van den Bruck formuliert. Ihm zufolge gilt es, überhaupt erst „Dinge zu schaffen, deren Erhaltung sich lohnt“.

Die Bestrebung, einen Neuanfang zu wagen, mit dem überhaupt erst bleibende Werte etabliert werden können, bildet seitdem das Kernanliegen der Vertreter_innen des nationalkonservativen Denkens. Sie begegnen damit dem vermeintlichen Drang jeder liberalen Ordnung, sich durch ihre Selbstentgrenzung und -auflösung letzten Endes ad absurdum zu führen. Beispielsweise verortet der Historiker Karlheinz Weißmann, Mitbegründer und langjähriger Weggefährte des rechtsextremen Instituts für Staatspolitik, in seiner Kampfschrift „Das konservative Minimum“ von 2009 das Problem im liberalen Laissez-faire überhaupt. „Gier und Obszönität“, die sich in Deutschland immer mehr breitmachten, bildeten aber lediglich die „Oberflächenphänomene“. Statt allein nur diese anzuprangern, müsse der „Kern des Problems“ herausgearbeitet werden. „Dieser Kern ist Dekadenz, das heißt Bedrohung durch Perversion und inneren Zerfall.“

Was eine souveräne Nation ist

Der Standpunkt, nicht mehr Herr im eigenen, von der multikulturellen Gesellschaft bewohnten, Haus zu sein, bildet eine wichtige Hintergrundannahme für diese und ähnliche Diagnosen. So moniert Weißmann auch, „dass die westlichen Gesellschaften durch Zuwanderung in heterogene Gebilde verwandelt wurden, die weder mit den klassischen Mitteln des staatlichen Durchgriffs zu beherrschen, noch mittels Rückbezug auf die Überlieferung zu integrieren sind.“ Damit bildet der Nationalkonservatismus eine Art Übergangsfeld zwischen dem konservativen Wunsch nach einem durchgriffsfähigen Staatswesen, das für Ordnung und verbindliche Werte sorgt, einerseits und den völkisch-nationalen Verschwörungstheorien — vor allem der Identitären Bewegung — von einem „großen Austausch“ andererseits.

Behaupten die Identitären in antisemitischer Manier die Existenz angeblicher Strippenzieher, welche die Einwanderung in die westlichen Gesellschaften gezielt steuern, vermeiden es Vertreter_innen des Nationalkonservatismus, die gezielte Schwächung Deutschlands durch äußere Kräfte zu betonen. Stattdessen führen sie als Ursache vor allem den anhaltenden Einfluss der „68er“ ins Feld. Souveränitätsverzicht ist in ihrem Denken, das sich auf den tief in den Nationalsozialismus verstrickten Juristen Carl Schmitt beruft, aber nur die Kehrseite der verweigerten Dezision, das heißt des fehlenden Willens, durch staatliche Entscheidungen notfalls auch bewusst Rechtsbruch zu begehen und im Modus des Ausnahmezustands zu regieren.

Distanz zum Faschismus

Wenngleich der Nationalkonservatismus den liberalen Verfassungsstaat als schwach, weil unfähig zur Selbstbestimmung bei der Zusammensetzung seiner Bevölkerung sieht, hält er durchaus Abstand zu neofaschistischen Vorstellungen von einer nationalen „Wiedergeburt“ (Roger Griffin) und schwelgt nicht in völkischen Reinheitsphantasien. Er tritt vage für eine neue, kaum je genauer ausbuchstabierte Form staatlicher Ordnungsstiftung ein, nicht aber für den revolutionären Umsturz des Systems. Die Revolution dient eher als Drohkulisse für das, was passieren könne, wenn stetig am „Volk“ vorbeiregiert werde. Solche Vorsicht erklärt sich nicht allein daraus, dass eine Abkehr von der nationalsozialistischen Herrschaft und die Leugnung der konservativen Verstrickung in sie betont werden muss, um besser in die Mitte der Gesellschaft hineinzuwirken. Hinzu kommt ein elitärer Abscheu vor einer dazu notwendigen Spontaneität der Massen, die als führungsbedürftig angesehen werden. Dies unterscheidet den Nationalkonservatismus von anderen Strömungen der extremen Rechten, insbesondere dem Rechtspopulismus. Als Teil der „Neuen Rechten“ strebt er jedoch nach einer autoritären Prägung des vorpolitischen Raums, um einen autoritären Systemwechsel vorzubereiten. Die erlangte Diskursmacht über Kultur und Medien, Schulen und Universitäten, politische Entscheidungsträger_innen und Lobbygruppen könnte eines Tages dazu führen, im letzten Schritt die Staatsapparate in Beschlag zu nehmen und den gesellschaftlichen und politischen Pluralismus zu beenden.

„Selbsterhaltung“ statt „Deutscher Sonderweg“

In diesem Zusammenhang präsentiert der Nationalkonservatismus anhand der NS-Zeit sowie dem nach 1945 von den alliierten Siegermächten Deutschland angeblich auferlegten Sonderweg seine eigenen Geschichtsdeutungen. So finden sich in seinem publizistischen Umfeld seit langer Zeit Argumentationen, um die vermeintlich fehlende Staatssouveränität der Bundesrepublik gegen ihre offizielle Erinnerungskultur auszuspielen. Dieses Manöver lässt sich anhand folgender Grundzüge nationalkonservativer Argumentationen nachzeichnen:

Wie der Aachener Politologe Kurt Lenk betont hat, ist es ein Ziel konservativen Denkens, Politik auf die „kollektive Selbstbehauptung“ als Ziel jeder Staatsräson zu verpflichten, was eine strikte „Trennung von Moral und Politik“ erfordere. Dies erwies sich aber im Falle Deutschlands nach der Shoah als kaum durchführbar. „Widerlegte Völker“, zu denen der hier im Folgenden zitierte konservative Anthropologe und Soziologe Arnold Gehlen vor allem das deutsche zählt, seien angesichts „einer übermächtig-fremdbestimmten Zukunft“ darauf festgelegt, „eine Atmosphäre der Schonung zu verbreiten.“ Dies bedeutet, dass die Bundesrepublik seit dem verlorenen Zweiten Weltkrieg ihre eigene Friedfertigkeit ständig unter Beweis stellen musste, zumindest aber glaubten ihre Repräsentant_innen an ihre Verpflichtung, so zu handeln. Dies wird von konservativer Seite bis heute als eine Form der nationalen Daseinsverfehlung gewertet. Denn die „Selbsterhaltung“ eines Volkes erfordere es laut Gehlen, „den physischen wie den moralischen Angriff auf sich unmöglich zu machen.“

Erinnerungskultur zur nationalen Identitätsgewinnung

Doch führt zu einer solchen Erinnerungsabwehr, wie schon Gehlen selbst vor etwa fünfzig Jahren resigniert eingestehen musste, kein realistischer Weg zurück. Daher erkennen auch Nationalkonservative den Zwang zur Erinnerung an den deutschen Faschismus an, versuchen die Vergangenheit jedoch soweit zu begradigen, dass sie einer bruchlosen nationalen Erzählung nicht länger entgegensteht. In ihrem Grundsatzprogramm von 2016 formuliert die AfD dazu: „Die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus ist zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, die auch die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst.“ Der Politologe Florian Finkbeiner resümiert solche Positionen als Strategien zur Gewinnung einer neuen nationalen Identität: „Um den Preis der Identität wegen setzte man sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinander — mit dem eigentlichen Ziel, sie zu verdrängen.“

Dazu wählen Nationalkonservative Formen eines „elliptischen Erinnerns“ (Habbo Knoch), mit denen sie vor allem die ‚eigenen‘ Opfer des Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Terrorherrschaft in den Vordergrund rücken. So greift Dieter Stein, Gründer und Chefredakteur der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit, in dem von ihm herausgegebenen Buch „Helden der Nation. Beiträge und Interviews zum Juli 1944“ die offizielle Erinnerungskultur der Bundesrepublik mit den Worten an: „Immer noch befindet sich das Land im Bann einer kollektivistischen Schuldhaftung, wie sie in ihrer Totalität dem Tyrannen, der vor sechszig [sic] Jahren beseitigt werden sollte, wohl gefallen hätte.“ Die Antwort darauf, wer diese angebliche Kollektivschuld verhängt habe, gibt Stein mit Verweis auf den gescheiterten militärischen Widerstand, indem er fortfährt: „Die Zusammenarbeit, die die deutschen Kriegsgegner einer möglichen Regierung des deutschen Widerstands versagt haben, das Pochen auf die bedingungslose Kapitulation, verweist auch darauf, daß es im Zweiten Weltkrieg nicht in erster Linie darum ging, eine verbrecherische Regierung zu beseitigen und Deutschland zu befreien, sondern das Deutsche Reich zu beschlagen und zu besetzen.“

Fazit

Auch eine angesichts des Neonazismus oder der Identitären Bewegung als moderat erscheinende Strömung der extremen Rechten wie der Nationalkonservatismus legt es darauf an, das nationale Kollektiv von Belastungen freizuhalten und die Erinnerung an die deutschen Verbrechen den eigenen Zwecken dienstbar zu machen. Sie tut dies, um damit ihr Plädoyer für eine neue Souveränitätspolitik Deutschlands abzusichern. Die mit einer solchen Politik einhergehenden Härten können so zumindest vor dem Vorwurf einer Wiederholung der deutschen Geschichte argumentativ abgesichert werden. Gleichzeitig geraten bei diesem Themenfeld aber auch die Unterschiede zu neofaschistischen und völkisch-nationalen Auffassungen ebenso in den Blick wie die Anschlussfähigkeit nationalkonservativer Positionen an die gesellschaftliche Mitte.