Die Antwort auf Antifeminismus ist Feminismus
Interview mit dem „Netzwerk feministische Perspektiven & Interventionen gegen die (extreme) Rechte“ („femPI“)
Hallo Alia, Len und Rebekka, vielen Dank an euch, dass ihr mit uns dieses Gespräch führt. Mögt ihr zunächst etwas zur Entstehung des Netzwerks sagen? Gab es einen bestimmten Grund für den Aufbau, einen besonderen Anlass?
Den Bedarf, sich aus feministischer Perspektive mit der extremen Rechten zu beschäftigen, gibt es – leider! – schon lange. Dies ist auch Ausgangspunkt für das bereits seit 2001 bestehende Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus gewesen. Der Anstoß für uns kam auch aus diesem Netzwerk. Einzelpersonen von uns wurden zusammen mit anderen Nachwuchsforscher*innen, Aktivist*innen und allgemein im Themenfeld Aktiven zu einem Vernetzungstreffen im September 2019 eingeladen. Denn es gab auch zu diesem Zeitpunkt großen Bedarf an Analysen, Recherche, Bildungsarbeit und Forschung, aber teils wenig Vernetzung zwischen dazu bereits Arbeitenden. Daran anschließend haben einige von uns sich zusammengeschlossen und 2020 femPI als ein FLINTA*-Wissensnetzwerk gegründet. Uns war es von Anfang an wichtig, verschiedene Bereiche, in denen unsere Mitglieder verortet sind, abzudecken, und Wissenschaft, Journalismus, Aktivismus und Bildungsarbeit zusammenzudenken. Wir treffen uns mehrmals jährlich und versuchen darüber hinaus, im Austausch zu sein und hin und wieder gemeinsame Texte und Analysen zu veröffentlichen. So haben wir zum Beispiel 2022 unser Impulspapier „Antifeminismus – Plädoyer für eine analytische Schärfe“ gemeinsam mit dem Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus veröffentlicht und im Februar 2024 den von uns initiierten offenen Brief „Vernetzt und positioniert gegen die AfD in Wissenschaft, Bildung und Alltag!“.
Antifeminismus wird ja mit einer Reihe an Inhalten gefüllt. Wie definiert ihr diesen Begriff?
Mit dem Begriff Antifeminismus lassen sich Einstellungen, Handlungen und Mobilisierungen beschreiben, die das Ziel haben, emanzipatorische Bewegungen, Errungenschaften und Anliegen im Bereich der Geschlechterverhältnisse und LSBTQIA*-Lebensweisen abzuwehren, und sich dabei gegen gleichstellungspolitische bzw. feministische Anliegen und geschlechtliche sowie sexuelle Vielfalt richten. Antifeminismus verstehen wir dabei als grundlegende Ideologie in patriarchalen Gesellschaften, die einerseits hierarchische Geschlechterverhältnisse absichert und andererseits das Infragestellen patriarchaler Verhältnisse etwa durch feministische und queere Bewegungen abwehrt. Dies gelingt, indem eine vermeintliche Ursprünglichkeit bzw. Natürlichkeit der Geschlechterhierarchie behauptet wird. Antifeminismus basiert auf der Vorstellung von ausschließlicher Zweigeschlechtlichkeit, in der cis-Männer und cis-Frauen sich als gegensätzliche Pole anziehen. Zentral ist dabei die Aufwertung klassischer Weiblichkeit. Hierunter ist ein eng gefasstes Ideal zu verstehen, das cis-Frauen als zuständig für die Sorge- und emotionale Arbeit betrachtet und sie auf ihre potenzielle Mutterschaft festschreibt. Antifeminismus geht dabei über reine Frauenfeindlichkeit hinaus, denn Antifeminist*innen stehen allen Menschen – darunter auch cis-Männern – feindlich gegenüber, die für eine emanzipierte Gesellschaft eintreten oder durch ihre Lebensweise den engen Grenzen der antifeministischen Weltsicht widersprechen. Daher lassen sich Antifeminismus und Queerfeindlichkeit nicht als zwei unterschiedliche Phänomene, sondern als Ausprägungen im Kern verschränkter Ideologien verstehen.
Welche Rolle spielt Antifeminismus aktuell bzw. in den letzten Jahren? Welche Funktionen erfüllt das Themenfeld?
Antifeminismus zeigt sich sehr vielseitig und ist in verschiedenen Strömungen zu beobachten. Das heißt auch, dass viele feministische Errungenschaften unmittelbar von Antifeminismus bedroht sind. Zu antifeministischen Akteur*innen zählen zum Beispiel konservative bis reaktionäre Journalistinnen, selbsternannte Männerrechtlerinnen, christliche Fundamentalistinnen oder extrem rechte Akteurinnen. Diese Akteur*innen teilen ein antifeministisches Welt- und Geschlechterbild und gehen von einer ausschließlichen und vermeintlich biologisch unstrittig begründbaren Zweigeschlechtlichkeit und von daraus folgenden Geschlechterrollen aus.
Vor allem die Kämpfe gegen sexuelle, geschlechtliche und reproduktive Selbstbestimmung spielen im Antifeminismus nach wie vor eine wichtige Rolle. Letzteres zeigt sich beispielsweise an den Aktivitäten selbsternannter Lebensschützeri*nnen, die das Ziel verfolgen, Schwangerschaftsabbrüche zu verunmöglichen. In NRW findet ja seit 2023 auch in Köln der „Marsch für das Leben“ statt, organisiert vom Bundesverband Lebensrecht, oder der „1000-Kreuze-Marsch“ in Münster.
Die Kämpfe gegen sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung richten sich vordergründig gegen queere Menschen und/oder sexuelle Bildung. Beispiele hierfür sind Gegenaktionen zu CSDs, die nicht nur von Neonazis, sondern auch (lange vor den aktuellen Mobilisierungen) von christlich-fundamentalistischen Akteurinnen ausgingen und -gehen. Außerdem zeigen sich antifeministische Mobilisierungen in Protesten gegen sexuelle Bildung, an sogenannten Väterrechtlerinnen, die Frauen in Trennungssituationen unter Druck setzen und deren Aktivitäten sich auch auf Sorgerechtssprechung auswirken. Familismus, also die Bezugnahme auf die heterosexuelle, cisgeschlechtliche Kleinfamilie mit Kindern, ist ein weiteres Mobilisierungsthema von organisierten Antifeminist*innen. Da wird die klassische Kleinfamilie als Ideal festgeschrieben und als „Keimzelle der Nation“ gesehen. Andere Familienmodelle werden nicht anerkannt, abgelehnt oder bekämpft. Die Sprecherin der „Demo für alle“, Hedwig von Beverfoerde, sagte zum Beispiel in einem ihrer zahlreichen Videos: „Unser Ziel ist es, dass wir wieder Familie sagen können, ohne ,traditionell‘davorsetzen zu müssen.“ Das macht auch deutlich, wer für Antifeminist*innen als Familie gilt und wer nicht. Patchworkfamilien, Mehrelternschaften, Solo-Eltern und queere Familienmodelle werden abgelehnt. Dies alles zeigt, wie vielseitig die Betätigungsfelder von Antifeminist*innen sind und wie viele Menschen Antifeminismus auch unmittelbar betrifft – unabhängig davon, ob sich Menschen selbst als feministisch verstehen und positionieren.
Natürlich ist die AfD derzeit eine der wichtigsten antifeministische Akteurinnen, bei ihr finden wir mit ihren Forderungen und Inhalten die ganze Bandbreite antifeministischer Mobilisierung: Von „Genderwahn“-Narrativen bis hin zum vermeintlichen „Lebensschutz“ oder der angeblichen „Frühsexualisierug“ lässt die AfD oftmals kein antifeministisches Buzzword aus.
Eurer Meinung nach nimmt die Bedeutung des Themas Antifeminismus gegenwärtig also zu?
Antifeminismus ist kein neues Phänomen. Der Begriff wurde bereits von Hedwig Dohm Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt. Doch lange wurde Antifeminismus kaum systematisch betrachtet. Daher erscheinen Antifeminismus und die Verschränkung von Antifeminismus und extrem rechter Ideologie heute als neuartiges Phänomen. In jüngerer Zeit ist es gelungen, ein grundlegendes Verständnis von Antifeminismus als eigenständiger Ideologie zu entwickeln und gleichzeitig die Verflechtungen mit anderen Ideologien der Ungleichheit aufzuzeigen. Doch auch dies war ein Prozess, und oft waren es zunächst feministische Wissenschaftlerinnen und Aktivistinnen, die Antifeminismus als Mitmotiv benannten, etwa bei rechtsterroristischen Anschlägen wie in Oslo/Utøya 2011.
Recherchen in feministischen Archiven zu antifeministischen Entwicklungen zeigen außerdem, dass es in den 1970er und 1980er Jahren in Westdeutschland zahlreiche (rechte) Angriffe auf feministische Projekte und Veranstaltungen gab, die zum Teil auch überregional in feministischen Publikationen diskutiert wurden. Dazu gehören eine Serie von Brandanschlägen auf Einrichtungen von pro familia im Jahr 1980, eine neonazistische Bedrohungsserie gegen feministische und migrantische Projekte 1983/84, der Angriff auf den Treff- und Informationspunkt für Frauen aus der Türkei (TIO) am 25. September 1984 in West-Berlin, bei dem Fatma E. starb und Seyran A. schwer verletzt wurde, sowie zahlreiche kleinere Angriffe auf feministische Projekte. Außerdem sind in diesem Zusammenhang auch die Anschläge der Gruppe Ludwig zu nennen, zu denen das Autor*innenkollektiv feministische Intervention (AK FE:In) und die Antisexistische Aktion München (asam) in den letzten Jahren viel Wissen zusammengetragen haben. Dies macht deutlich, dass Antifeminismus kein neues Phänomen ist und schon immer eine Säule in rechten Bewegungen war, auch wenn dies nicht immer in der Analyse „entschlüsselt“ wurde. Es kann also sinnvoll sein, rechte Entwicklungen und Vorfälle der Vergangenheit auf mögliche antifeministische Motive und Hintergründe neu zu befragen. Wir beobachten aktuell aber auch, dass Dinge wieder sagbar geworden sind und Angriffe und Anfeindungen zunehmen. Feministische Errungenschaften sind leider nicht in Stein gemeißelt und müssen kontinuierlich verteidigt werden.
Wie ist eures Erachtens eine Abgrenzung zu Phänomenen wie Sexismus oder Misogynie zu analysieren?
Die Abgrenzung zu Sexismus und Misogynie ist nicht immer trennscharf. Das Misogynie-Verständnis insbesondere im englischsprachigen Raum entspricht zu großen Teilen einem im deutschsprachigen Raum vorherrschenden Antifeminismus-Verständnis. Um ein Beispiel zu nennen: Die US-amerikanische Philosophin Kate Manne verwendet den Begriff, um ein System innerhalb patriarchalischer Gesellschaften zu beschreiben, das die Unterdrückung von Frauen sicherstellt und kontrolliert und die männliche Dominanz aufrechterhält. Frauen, die als Bedrohung für die patriarchalische Ordnung angesehen werden, insbesondere Feminist*innen, sind besonders starken Angriffen ausgesetzt. International liegt der Fokus der Frauenfeindlichkeit in letzter Zeit auf Angriffen aus dem „Incel“-Spektrum. „Incel“ ist die Abkürzung für „involuntary celibate“: unfreiwillig ohne Ehe bzw. Sex lebend. Es handelt sich um eine selbsternannte frauenfeindliche Bewegung, die Teil der sogenannten Manosphere und vor allem im Internet aktiv ist. Die Isla-Vista-Morde 2014 in Santa Barbara, Kalifornien, waren die ersten bekannten Angriffe, die mit der „Incel“-Community in Verbindung gebracht wurden. Antifeminismus nährt sich u.a. auch von Misogynie, ist aber demgegenüber eine politische Bestrebung, um sexistische und misogyne Verhältnisse abzusichern. Dementsprechend baut Antifeminismus auch immer auf Heterosexismus auf, beschreibt aber die Ideologie, die sich gegen feministische Errungenschaften richtet.
Was ist demgegenüber der Anspruch eures Projekts?
Unser Anspruch ist vielfältig. Vor allem möchten wir als FLINTA-Netzwerk in den verschiedenen Bereichen der Arbeit zu bzw. gegen die (extreme) Rechte eine Stelle besetzen, aus der heraus aus einer FLINTA-Perspektive gesprochen und geforscht werden kann. Darüber hinaus denken wir, dass unsere vielfältige Aufstellung aus Wissenschaft, Praxis, Journalismus, Bildungsarbeit wertvoll ist, um auch Erkenntnisse zu „übersetzen“ und für die Praxis fruchtbar zu machen, etwa indem wir Antifeminismus und Queerfeindlichkeit ebenso zusammendenken wie die Verschränkung von Antifeminismus mit Rassismus und Antisemitismus sowie weiteren Ungleichheitsideologien. Daraus ergibt sich unmittelbar ein Verständnis dafür, dass es breite Bündnisse und Solidarität braucht, um sich dem Erstarken (extrem) rechter Kräfte entgegenzustellen. Unser Netzwerk ist für uns aber auch ein Raum für Austausch und Empowerment, wenn wir uns u.a. mit uns direkt betreffenden und psychisch belastenden Themen auseinandersetzen, um damit nicht allein zu bleiben.
Der Name eures Netzwerks verweist ja auf feministische Perspektiven und Interventionen. Welche Perspektiven sind in diesem Falle von Bedeutung? Und welche Interventionen, welche Form nehmen diese an?
Die Arbeit zur bzw. gegen die extreme(n) Rechte(n) ist nach wie vor ein Bereich, in dem FLINTA* unterrepräsentiert sind. Als FLINTA-Netzwerk wollen wir solidarisch miteinander sein, uns gegenseitig unterstützen und verschiedene Perspektiven in den Diskurs einbringen. Eben Perspektiven von Frauen, Lesben, inter* und trans* Personen, die im Themenfeld aktiv und mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert sind. Diese Personengruppen sind zum Beispiel auch anders, meistens direkter, von antifeministischen Anfeindungen betroffen. Wichtig ist uns vor allem ein Raum für Austausch, der nicht nur fachlicher Art sein muss. Da FemPI ein kleines Netzwerk ist, stehen wir uns auch persönlich nahe und tauschen uns auch mal über frustrierende Aspekte oder Belastungen aus. FemPI ist ein Raum für Solidarität, Wissens- und Skillsharing, aber auch ein Ort, an dem einfach mal abgekotzt werden kann. Aus dem Netzwerk entstehen auch Freund*innenschaften und immer wieder gemeinsame Projekte und Publikationen. Eine Intervention sehen wir darin, dass wir uns trotz der patriarchalen und rechten Strukturen nicht vertreiben lassen, unsere Perspektiven und unser Wissen sichtbar machen, trotz Angriffen auf strukturellen und persönlichen Ebenen.
Wo wir von Interventionen sprechen, welche Gegenstrategien erscheinen für euch im Zusammenhang von extremer Rechter und Antifeminismus als wirkungsvoll?
Es gibt viele verschiedene Weisen, sich gegen Antifeminismus zu engagieren. Die beste Reaktion auf Antifeminismus ist Feminismus. Und dort sind die Betätigungsfelder ja total vielseitig. Sie reichen von feministischer Forschung bis hin zu Recherchearbeit, von Bildungsangeboten bis zur lokalen feministischen Gruppe, die monatlich gegen selbsternannte Lebensschützer*innen auf die Straße geht. Dokumentation von antifeministischen Vorfällen und Angriffen, feministische und antifaschistische Archivarbeit gehören dazu. Oder eben auch, Antifeminismus nicht unwidersprochen stehen lassen. Und auch wichtig: Betroffenen zuhören und mit ihnen solidarisch sein. Wir sehen, dass Vernetzungsarbeit eine wichtige Bedeutung hat. Durch die Vielseitigkeit von Antifeminismus sind eben auch verschiedene Akteur*innen und Strukturen unmittelbar betroffen. Es ist sinnvoll, sich zu vernetzen und sich gegenseitig zu supporten. Das geht zum Beispiel ganz praktisch, indem man zu Prides im ländlichen Raum fährt, solidarische Kundgebungen anmeldet, wenn zum Beispiel Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen angegangen werden und so weiter. Und nicht zuletzt: Auch finanzielle Absicherung ist total relevant. Feministischen und queeren Organisationen fehlt an vielen Stellen Geld, viele Angebote sind in Zukunft bedroht.
Vielen Dank für das Interview!