Im Hintergrund: "Jung und Stark" Hessen bei einem Aufmarsch am 26. April 2025 in Frankfurt.

Generation Z im „Nationalen Widerstand“

Hessische Betrachtung eines bundesdeutschen Phänomens

Seit Herbst 2024 treten auch in Hessen neue, offen neonazistische Jugendgruppen auf. Die Mitglieder sind auffallend jung, teilweise minderjährig und inszenieren sich in Sozialen Netzwerken. Sie nennen sich „Jung & Stark“ oder „Deutsche Jugend Voran“. Mitunter besteht eine enge Verknüpfung mit der Partei „Die HEIMAT“.

Am 26. April 2025 zog eine Demonstration unter dem Motto „Gemeinsam für Deutschland“ durch Frankfurt am Main. Extrem Rechte verschiedener Couleur beteiligen sich bereits seit März deutschlandweit an regelmäßigen, dezentral stattfindenden Aufzügen unter diesem gleichlautenden Motto. Die Inhalte der Demonstrationen bleiben ebenso diffus wie das Teilnehmer*innenfeld: Organisierte Neonazis und die Klientel rassistischer Mobilisierungen beteiligen sich ebenso wie versprengte Teile der rechten Verschwörungsszene, die seit der Corona-Pandemie aktiv sind. Bundesweit zeigt sich hier der Schulterschluss zwischen verschiedenen rechten Lagern und Generationen auf der Straße.

Ein Teilnehmerspektrum fällt dabei besonders ins Auge: Gruppen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich durch Ästhetik und Auftreten eindeutig zur Neonaziszene bekennen. Sie sind eine Bricolage vergangener rechter Subkulturen: mal in Bomberjacke und Springerstiefeln, mal ordentlich gescheitelt, mit schwarzen Windbreakern und Sonnenbrillen im Stil von Ultragruppen oder der „Autonomen Nationalisten“, die in den 2000ern versuchten, linke Ästhetik zu kopieren. Wichtig ist ihnen ein möglichst martialisches Auftreten, sowohl auf der Straße als auch in Sozialen Netzwerken. Sie inszenieren sich als eingeschworene, gewaltaffine Truppe im Kampf gegen eine angebliche linke und queere Dominanz in der Bundesrepublik. Dieses maßgeblich von der AfD und ihrem Vorfeld ventilierte Narrativ eint die rechten Spektren ebenso wie der Rassismus und motiviert junge Neonazis aktiv zu werden. Der alarmierende bundesweite Trend ist damit auch auf den hessischen Straßen angekommen.

Ostdeutsche Vorbilder…

Anfang des Jahres 2024 hatte sich im Raum Dresden die Gruppe Elblandrevolte im Umfeld der Jungen Nationalisten (JN) gebildet, die bald wegen ihrer offen im Netz zelebrierten Gewaltbereitschaft Schlagzeilen machte. Beispielsweise wurde der SPD-Politiker Matthias Ecke beim Plakatieren Anfang Mai von einem 17-jährigen Mitglied der Gruppe angegriffen und schwer verletzt. Schnell bildeten sich andernorts Ableger wie die Chemnitz Revolte. Extrem rechte Aktivitäten, Übergriffe auf politische Gegner*innen und rassistische Gewalttaten stiegen massiv an. Ab Sommer 2024 mobilisierten die Gruppen dann gezielt gegen queere Demonstrationen, zunächst in Ost-, dann auch in Westdeutschland. Bisheriger Höhepunkt war der Christopher Street Day (CSD) in Bautzen, wo den 1.000 Teilnehmenden über 700 Neonazis gegenüber­standen. Das Autor*innenkollektiv Feministische Intervention (AK Fe.In) resümiert im Rückblick auf die vergangene Pride-Saison, „dass fast 40% aller CSDs und Prides von Neonazis und anderen Rechten auf unterschiedliche Art und Weise queerfeindlich angegriffen wurden.“ Dabei zeichne sich „dort, wo die Nazistrukturen gut dokumentiert sind, […] immer dasselbe Muster ab: Die Anmeldungen werden von etablierten Strukturen vorgenommen, die (Online-)Mobilisierung von jüngeren Gruppen, die oft erst im Zusammenhang mit den Aktivitäten gegen CSDs öffentlich in Erscheinung treten.“

… und hessische Nachahmer

Befeuert von der queerfeindichen Mobilisierung bildeten sich deutschlandweit Zusammenhänge nach ostdeutschem Vorbild. Als bundesweit aktive Labels setzten sich Jung & Stark (JS) sowie Deutsche Jugend Voran (DJV) vorerst durch. Die Übersicht zu behalten ist schwer, da unterschiedliche Plattformen wie TikTok, Instagram oder Telegram mit diversen, oft auch unsteten Accounts bespielt werden. Sie tauchen auf, werden unbenannt oder gelöscht, auch scheint die Zuständigkeit immer wieder zu wechseln. Sie nehmen in unterschiedlicher Intensität aufeinander Bezug, manche produzieren gar keine eigenen Inhalte. Nicht jeder neue Account bedeutet auch eine real existierende Gruppierung. Neben dem hessischen Ableger von Jung & Stark namens JS Hessen, dem die meisten realen Auftritte zugerechnet werden können, finden sich etwa auf Instagram DJV Hessen, Freischar Hessen, Löwenjugend und Hessenrevolte, sowie lokalere Gruppen wie Vogelsberg Revolte, Bad Vilbel Revolte oder Kinzigtal Revolte, deren selbst produzierter Content aus einem verpixelten Foto von drei Jugendlichen besteht, die ein Banner an einer einsamen Landstraße hissen. Oft werden Beiträge anderer, mehrheitlich ostdeutscher Accounts geteilt. Es handelt sich daher nicht um scharf getrennte, womöglich konkurrierende Gruppen, sondern um ein Milieu, das sich unterschiedlicher Labels bedient.

Typisch hessisch – JS Hessen

Seit Oktober 2024 sind Aktivitäten in Form von Treffen und Aktionen von JS Hessen bekannt, mehrfach in der Region Fulda. In der zugehörigen WhatsApp-Gruppe sollen sich über 100 Personen befinden, auf Demonstrationen und anderen Veranstaltungen konnten insgesamt bislang etwa 60 Personen festgestellt werden. Es herrscht eine hohe Fluktuation, nur wenige Personen kamen zu mehr als einer Aktion und nur einzelne sind regelmäßig anzutreffen. Die wenigsten von ihnen sind zuvor politisch in Erscheinung getreten. Mädchen und Frauen nehmen nur vereinzelt an den Aktionen der Gruppe teil, einzelne dafür aber augenscheinlich in organisierender Funktion. Der typische JS-Anhänger ist männlich, zwischen 15 und 20 Jahre alt und stammt aus der hessischen Provinz, insbesondere aus Nord- und Osthessen. Einzelpersonen oder Freundeskreise nehmen dementsprechend Wege in Kauf, um an den online angekündigten Aktionen teilzunehmen. Kontakte werden offenbar zunächst virtuell geknüpft, persönlich lernt man sich vor Ort kennen. Obwohl sich die Gruppen parteiunabhängig inszenieren, sind Nähe und Anbindung an Die HEIMAT in Hessen offensichtlich.

Sie beziehen sich nicht nur online aufeinander, sondern sind auch zusammen bei Aktionen zu sehen, wie bei einer Mahnwache gegen Friedrich Merz im Januar 2025 in Neuhof oder der Demo zum ersten Mai in Gera. Ein Video, in dem Thassilo Hantusch zu Protesten gegen den diesjährigen CSD Mittelhessen in Wetzlar aufruft, wird von dem Kanal @meinMittelhessen auf YouTube und den Instagram-Accounts Löwenjugend und Hessenrevolte ebenso verbreitet wie vom Telegram-Kanal der JN. Dass die Anhänger von JS Hessen vor allem aus ländlichen Regionen stammen, ist typisch für die hessische Naziszene, die seit jeher nicht in den großen Organisationen verankert ist, sondern in Cliquen, Freundeskreisen und den rechten Lebenswelten der Dörfer. Sonja Brasch und Sebastian Hell hielten unter der Überschrift „Lebenswelt statt Organisierung“ in LOTTA #86 (S. 9) fest: „Langfristig erfolgreicher sind und waren in Hessen lose Strukturen aus Bekanntschaften und Freundeskreisen ohne Verein, Label oder Parteibuch. Die im Jahr 2010 veröffentlichte Broschüre ‚Dunkelfeld‘ widmet sich ausführlich diesen rechten hessischen Lebenswelten. Und so ist für fast alle Regionen festzustellen: Auch wenn die Gruppen verschwanden, blieb zum einen das Personal, zum anderen die Mentalität. Eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit Rassismus, Antisemitismus und Sexismus folgte nie, insbesondere nicht in den ländlichen Regionen abseits der Nord-Süd-Achse der Städte Kassel, Marburg, Gießen, Frankfurt und Wiesbaden.“

Labels wie JS Hessen knüpfen damit an altbewährte Konzepte an und führen diese fort. Sie etablieren sich in den Regionen, die seit Generationen als rechte Lebenswelten geprägt werden. Beispielhaft dafür kann der Vogelsberg genannt werden, wo bis heute die Prägung durch die Berserker Kirtorf präsent ist (vgl. LOTTA #85, S. 21 ff). So verwundert es auch nicht, dass ein junger Neonazi von dort im Januar 2025 von seinen Eltern zu einer Aktion in Kassel begleitet wurde.

Gewaltpotenzial in der Provinz

Vom Erfolg ihrer ostdeutschen Vorbilder sind Nazis in Hessen weit entfernt. Bei einem geplanten Protest gegen eine linke Demonstration am 8. Februar in Gießen stoppte die Polizei die jungen Neonazis bereits am Bahnhof und setzte sie wieder in die Züge. Ihre Demonstration war nicht rechtzeitig angemeldet worden. Ähnlich verlief eine Aktion zur Störung einer Demonstration gegen Neonazis am 17. Januar in Kassel. Seitdem beschränkt sich JS Hessen überwiegend auf die Teilnahme an Demonstrationen anderer, wie in dem Beispiel von Gemeinsam für Deutschland.

Doch schaffen Labels wie JS Hessen Erlebnisse für eine Generation, deren Jugend aufgrund der Isolation der Corona-Pandemie eher erlebnisarm verlief. Das Gefühl von Gemeinschaft – und sei es nur beim Gruppenfoto oder zusammen in der Polizeikontrolle – eignet sich, um die mediale Dauerpräsenz rechter Narrative wie „Der großen Austausch“ mit realen Erlebnissen anzureichern. Auch in Hessen steigt die Zahl rechter Straftaten, gerade in der Provinz haben Schmierereien und Sachbeschädigungen enorm zugenommen.

Wie schnell die Gewalt eskalieren kann, zeigen die ostdeutschen Pendants: Neben der Elblandrevolte mussten sich auch Akteur*innen anderer Gruppen wegen Gewalttaten gegen politische Gegner*innen vor Gericht verantworten. Am 9. April verurteilte ein Berliner Gericht Julian Milz als Anführer von DJV Berlin zu drei Jahren und drei Monaten Haft wegen gefährlicher Körperverletzung. Ebenfalls in Berlin stehen derzeit vier junge Neonazis, die zum Teil der Gruppe Deutsche Jugend Zukunft aus Halle an der Saale zugerechnet werden, vor Gericht. Sie sollen im Dezember 2024 zwei SPD-Wahlkämpfer*innen brutal angegriffen haben. Im Oktober 2024 zerstörte ein Brand das Kulturhaus von Altdöbern im Brandenburger Landkreis Oberspreewald-Lausitz. Journalist*innen, die die Gruppe Letzte Verteidigungswelle (LVW) infiltriert hatten, informierten die Behörden. Die Polizei hatte den Brandanschlag bis dahin als technischen Defekt eingestuft, mittlerweile ermittelt die Bundesanwaltschaft wegen Terrorismus. Die Spuren der LVW führten dabei auch in ins hessische Hinterland: Ein 14-Jähriger aus Haiger (Lahn-Dill-Kreis) wurde festgenommen. Gegen ihn wird wegen Beihilfe ermittelt.

Die rechten Lebenswelten bestimmter hessischer Regionen bieten den Nährboden, eine Generation junger Neonazis zu politisieren und das Leben aller, die als Feinde deklariert werden, zu gefährden. Hier wird sich die Gewalt wesentlich eher entladen als bei Aktionen in den Städten. Die Aufgabe der antifaschistischen Bewegung ist es nunmehr, Räume der Selbstbestimmung und queerer Sichtbarkeit zu schützen und die Selbstinszenierung der Neonazis ins Leere laufen zu lassen.

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