Modisch ganz weit vorne: Die "deutsche Jugend" am 1. Mai 2025 in Gelsenkirchen.
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Jungnazi-Strukturen in NRW

DST, DJV, JS, ADJ, RPG, MfG, mit freundlichen Grüßen…

Seit dem Sommer 2024 schießen neue neonazistische Gruppierungen mit sehr jungen Akteur*innen wie Giftpilze aus dem Boden. Rechtssein wird als modischer Trend zelebriert. Aufgefallen ist der aktions- und gewaltorientierte Nachwuchs vor allem durch Störungen und Provokationen von CSD-Veranstaltungen, „Pedo-Hunting“, Propagandaaktionen sowie der Selbstvermarktung in den Sozialen Medien. Auch Gewalttaten gehören bereits zum Standardrepertoire. Nachdem in LOTTA #98 eine „hessische Betrachtung eines bundesdeutschen Phänomens“ vorgenommen wurde, soll dieses Mal ein näherer Blick auf NRW geworfen werden.

Die Strukturen, die sich u. a. Deutsche Jugend Voran (DJV), Jung und Stark (JS) oder Der Störtrupp (DST) nennen, sind bisher noch relativ undurchsichtig, stetig im Wandel begriffen und ziemlich verworren. Der Großteil der Mitglieder scheint kein geschlossenes rechtes Weltbild zu haben, vielmehr werden einzelne rechte Ideologiefragmente mit einer „Propaganda der Tat“ kombiniert. Queer-Feindlichkeit und „Anti-Antifa“ sind die wichtigsten verbindenden Klammern.

Viele Teilnehmende an rechten Aktionen scheinen auch schnell wieder das Interesse zu verlieren, wobei hierbei staatliche Repression und antifaschistische Interventionen beschleunigend wirken können. Die Gruppen sind häufig eher lockere Freundeskreise; Gemeinschaftsgefühl, Gruppenidentität und Erlebnisorientierung – Streitigkeiten, Gruppenausschlüsse und allerlei Dramen inklusive – sind deutlich relevanter als tatsächliche Politik. Modisch orientiert man sich teilweise an den rechten Skinheads der „Baseballschlägerjahre“, den „Autonomen Nationalisten“ der 2000er, aber auch am historischen Nationalsozialismus (z. B. der HJ) sowie dem aktuellen Jugend-Mainstream – oft bunt durcheinandergewürfelt. Im Folgenden soll versucht werden, etwas Ordnung in das Chaos der Gruppen in NRW zu bringen und anhand einiger Beispiele schlaglichtartige Einblicke zu bieten.

Von Ost bis West – kaum Durchblick im Schlangennest

Auch wenn medial ein anderer Eindruck entstanden sein mag, vor allem seit dem Aufmarsch gegen den CSD am 11. August 2024 in Bautzen, sind derartige junge Neonazigruppierungen kein ostdeutsches Phänomen. Eine personelle Verbindung in den Westen stellte beispielsweise der 19-jährige Justin Übernickel aus Essen dar, der anfangs als DJV-Mitglied auftrat und auch bei Aufmärschen in Berlin anwesend war. Nach kurzer Zeit gründete er eine eigene rechte Gruppierung, die Deutsche Elite Jugend (DEJ), die offenbar nur aus ihm selbst und seinem Kumpanen „Giulian“ bestand. Die DJV spielt seitdem in NRW keine Rolle mehr; und nachdem die Jungen Nationaldemokraten (JN) Übernickel in ihren Reihen aufgenommen hatten, war auch von der DEJ nichts mehr zu hören. Die DEJ wirkte „im Bündniss“ (sic) mit der Alternativen Deutschen Jugend (ADJ) aus dem Raum Köln, deren „Gründer und Anführer“ Leon S. aus Rösrath ist, der sich online „Lonkh“ nennt. Die recht jungen ADJ-Mitglieder fallen neben ihren Social-Media-Beiträgen aus Parkhäusern und von „Lost Places“ durch eine recht hohe Bereitschaft auf, an Demonstrationen der extremen Rechten teilzunehmen oder am Rande linker Demos zu provozieren. Am 26. Juli 2025 posierte die ADJ an einem Wahlkampfstand der AfD in Düren. Das Posting der AfD Brühl, das den Jungnazi „Camo“ mit einem „Defend Europe“-T-Shirt zeigte, wurde aber von der AfD schnell wieder gelöscht und stattdessen eine retuschierte Version hochgeladen. Auch gab es bereits einzelne Versuche, sich als „Anti-Antifa“ zu betätigen, inklusive Drohungen und Konfrontationsversuche gegen Medienvertreter*innen und als Antifas wahrgenommene Personen. Vor dem Hintergrund, dass Gruppenmitglieder online mit Hieb- und Stichwaffen posieren und alles andere als den Eindruck erwecken, als ob sie sich über etwaige Folgen ihres Handelns und eines Einsatzes dieser Waffen Gedanken machen, ist also durchaus Vorsicht geboten. Leon S. und einige seiner Leute nahmen zuletzt auch an den „Offenen Abenden“ der JN NRW teil. Am 2. August organisierte die Truppe in Bonn ihre erste eigene Demo, die sich – wie könnte es anders sein – gegen eine CSD-Veranstaltung richtete, allerdings nahmen gerade einmal ein Dutzend Personen teil. Ende August erfolgte dann die Umbenennung der ADJ in Rheinfront – vermutlich ein erster Schritt zur Etablierung einer neuen JN-Ortsgruppe.

Es existieren in NRW aber noch diverse weitere Jungnazi-Zusammenhänge, die immer mal wieder oder auch nur einmalig auftauchen und entweder bisher wenig in die Welt jenseits der Bildschirme wirken oder lokal sehr begrenzt sind. Unter letztere fällt zum Beispiel der Nationale Westen aus Mönchengladbach, der aber mit Simon Jansen und Sveno Kuepp von zwei deutlich älteren Neonazis angeleitet wird. Die ebenfalls in Mönchengladbach beheimatete Nationale Jugend Neuwerk wird vom Düsseldorfer Neonazi Manuel Senk (2002), angeleitet, der schon seit etwa acht Jahren in der Neonazi-Szene unterwegs ist und aktuell versucht, gemeinsam mit dem Bochumer Christian Schemm Strukturen der NPD (sic) in NRW aufzubauen. Die Gruppe Kombat 89 bemühte sich temporär, aber offenbar erfolglos darum, im Raum Hagen/Herdecke eine extrem rechte Kampfsportgruppe zu etablieren. In Dortmund und Umgebung tritt eine Jugendgruppe in 90er-Jahre-Skinhead-Style rund um den Dortmunder Justin R. auf, die sich nach einer französischen „Rock against Communism“-Band Kampfbund nennt. Die Gruppenmitglieder tragen uniforme T-Shirts mit „Schwarze Sonne“-Aufdruck. Die beiden auffälligsten neuen Strukturen in NRW sind derzeit allerdings Der Störtrupp (DST) und Jung & Stark (JS NRW).

„Der Störtrupp“ (DST)

Öffentlich aufgetreten ist DST bundesweit das erste Mal anlässlich des CSD in Köln Mitte Juli 2024. Dort traten elf Männer und eine Frau im Alter zwischen 18 und 30 Jahren in Erscheinung. Sie waren schwarz gekleidet, rissen Regenbogenfahnen ab und tätigten laut Polizei „lautstark rechtsradikale und homophobe Äußerungen“. Auch in Duisburg und Essen kam es zu koordinierten Störungen der CSD-Paraden. Als „Führung“ des DST bezeichneten sich anfänglich drei Personen: Louis S. aus Herne sowie Jason R. und eine sich „Thor“ nennende Person aus Duisburg. Inzwischen haben sich die meisten der Gründungsakteure wieder zurückgezogen, DST wurde von deutlich älteren Personen übernommen. Als Sprachrohr und öffentliches Gesicht der Gruppe fungierte nun Dino Carpinone aus Pforzheim.

Die wichtigsten DST-Akteure aus NRW sind Tobias Thuro und Joel Böhne aus Aachen sowie Alexander Mies aus Köln. Diese drei waren auch – gemeinsam mit Steven Gehrmann (JN) – für einen versuchten Übergriff auf Antifaschist*innen in Köln verantwortlich. DST zeigte auf diversen extrem rechten Demos Präsenz und prägte oft mit großen Fahnen, Bannern und einheitlicher Kleidung das Erscheinungsbild. Am 17. Mai 2025 stellten DST-Mitglieder die Ordner bei einem Aufmarsch im ostwestfälischen Herford. Auch eine Woche später, bei einer Demonstration in Bielefeld, waren DST-Mitglieder mit ihrem charakteristischen Outfit zugegen. Im Sommer 2025 splittete sich DST in zwei Teile: Die sich bisher als DST-Elite bezeichnenden Mitglieder traten nun als C-60 auf und pflegten das Image einer „Bruderschaft“ und Rocker-Gruppierung. Um DST selbst ist es seitdem stiller geworden. C-60 hingegen mobilisierte zu mehreren Demonstrationen, allerdings außerhalb von NRW. Ende August 2025 zerlegte sich C-60 bereits wieder. Gegen Dino Carpinone laufen diverse Ermittlungsverfahren, zudem wurde er von DST aus der Szene ausgeschlossen. Ursächlich soll gewalttätiges und manipulatives Verhalten vor allem gegen Frauen sein.

„Jung & Stark“ (JS NRW)

Die Gruppe JS, die inzwischen ihr Einstiegsalter in NRW auf 16 Jahre abgesenkt hat, ist die zweite größere Gruppe und wird in NRW – in der Neonaziszene eine Seltenheit – von einer Frau angeführt. „Lina“ fiel zum ersten Mal am 14. September 2024 bei einer Demo gegen den CSD in Dortmund auf, als sie u. a. mit ihrem Freund „Chewie“ Antifaschist*innen angriff und verletzte. Die JS NRW hat ihren Schwerpunkt im Raum Duisburg/Essen. Die JS unterstützte zusammen mit DST die extrem rechte Demo des politischen Selbstdarstellers und Wendehalses Ferhat Sentürk am 18. Januar 2025 in Aachen. Die Soundtechnik stellte hierbei der als Anheizer agierende Daniel Kokott aus Bielefeld, der seine bei zahlreichen Demos gegen die Coronamaßnahmen gesammelte Erfahrung inzwischen in viele verschiedene Gruppen und Neugründungen steckt.

Eigene Aktionen der JS gab es bisher noch nicht wirklich, sieht man einmal von einem Grillabend an der Duisburger Sechs-Seen-Platte und einem Stammtisch in der Krefelder Kneipe Gebrüder ab. Diese Gaststätte war auch Ausgangspunkt einer kleinen Demo am 10. Juni 2025. Der Anlass: Am Tag zuvor soll eine Gruppe JS- und Kampfbund-naher Jugendlicher rund um Sean H. (JS) aus Krefeld, der sich auch gerne mal beim Abfeuern einer Handfeuerwaffe filmt, angegriffen worden sein. Um Stärke zu zeigen, reisten sogar JS-Kader aus Ostdeutschland an. Letztendlich mussten die Teilnehmenden der Minidemo angesichts antifaschistischer Gegenwehr in einen türkischen Kiosk flüchten. Wenige Tage später wurde ein linksalternativer Treffpunkt in Mönchengladbach von Simon Jansen und Sveno Kuepp ausgespäht, weitere Reaktionen blieben aus. Am 12. September erklärte JS NRW, eine „Umstrukturierung vornehmen“ und den „öffentlichen Aktivismus so weit es geht einstellen“ zu wollen. Man möchte „nur noch im Hintergrund aktiv sein“. Das sei aber „kein Abschied, sondern ein ANFANG“.

Stärkung der organisierten Neonazi-Szene

Unter dem Strich profitieren Die Heimat bzw. die Jungen Nationalisten (JN, auch als Heimatjugend bezeichnet) derzeit wohl am stärksten von dem aktuellen rechten Trend. Trotz ihres erklärten Wunsches, unabhängig von Parteien, also selbstständig zu agieren, scheint sich insbesondere die JS in NRW immer stärker auf die JN zuzubewegen und ihr anzugliedern, was mit einer gewissen Professionalisierung einhergeht. Die JN hat Zugriff auf Strukturen und Räume, Erfahrung und genießt auch Ansehen in der Szene, was es ihr recht einfach macht, rechte Jugendliche aufzufangen, zu indoktrinieren und an sich zu binden. Ihr größtes Erfolgsmodell ist derzeit der abwechselnd in Essen-Kray – Sitz der Landesgeschäftsstelle der Die Heimat – und Dortmund-Dorstfeld stattfindende „Offene Abend“, der gezielt unorganisierte Jugendliche ansprechen soll und als wichtige Vernetzungsplattform fungiert. Für die Erlebnisorientierung findet zumeist direkt im Anschluss ein kleiner Aufmarsch statt.

Dass aus diesen Treffen direkte Straßengewalt erwächst, zeigte sich u. a. am 31. Mai 2025: Nach einem „Offenen Abend“ in Dorstfeld marschierte eine Gruppe von etwa 20 jungen Neonazis einmal quer durch die Dortmunder Innenstadt und griff u. a. mit Bierbänken und Teleskopschlagstöcken die linksalternative Kneipe Hirsch-Q an. Die Gäste konnten sich verbarrikadieren, so dass es nur zu Sachschaden kam. Am 8. August erfolgte der nächste Angriff, dieses Mal in Essen-Kray. Ebenfalls um die 20 Jungnazis stürmten in einen Linienbus mit abreisenden Gegendemonstrant*innen und schlugen auf diese ein, es kam zu mehreren Verletzten.

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