
Kraftproben im Industriemuseum
Rechte Angriffe auf die „Zeche Zollern“ in Dortmund
Gerald Christ, Sprecher des AfD-Kreisverbandes Bonn, wurde an den Maifeiertagen 2024 und 2025 zum Experten wider Willen. Weil die Besuchergruppen der AfD keine Führungen erhielten, musste er zweimal einspringen und seine MitstreiterInnen durch die Dortmunder Industriegeschichte geleiten. Das Ergebnis kann nicht überraschen, Christ wirkte schlecht orientiert: Am 1. Mai 2024 war er auf der Kokerei Hansa mit der Gruppe „hinters Salzlager gekrochen“, also in „Bereiche, in die sie gar nicht gehen durften“, so Geschäftsführerin Ursula Mehrfeld gegenüber Nordstadtblogger. Ein Jahr später stellte Anne Kugler-Mühlhofer, Leiterin des Industriemuseums Zeche Zollern, im WDR fest, dass Christ in seiner „Führung“ immer wieder auf die „deutsche Baukunst“ zu sprechen kam – obwohl die Jugendstil-Elemente auf Zollern darunter nicht zu fassen seien.
White tears und Nazis im Museum
Die AfD-Besuche in den Museen waren kein Zufall, sondern Teil einer breiteren rechten Kampagne gegen die Zeche Zollern. Das Industriemuseum gehört zum Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), einem der wichtigsten Träger der öffentlichen Daseinsvorsorge in NRW. Unter dem Titel „POWR! Postkoloniales Westfalen-Lippe“ rief der LWL für 2024 ein Themenjahr aus, das die koloniale Vergangenheit der Region beleuchten sollte. Kernstück bildete die Ausstellung „Das ist kolonial. Westfalens (un)sichtbares Erbe“, die seit Juni 2024 auf der Zeche Zollern präsentiert wird – und noch bis zum 26. Oktober 2025 besucht werden kann. Die Ausstellung setzt sich mit Spuren und Kontinuitäten des Kolonialismus in der Region auseinander und verbindet historische Darstellungen mit künstlerischen Interventionen. Voran ging ihr von März bis Oktober 2023 eine Ausstellungswerkstatt, in der partizipative Zugänge zum Thema erprobt wurden.
Hier gab es zunächst keine Reaktionen von der extremen Rechten, auch nicht von der AfD-Fraktion in der Landschaftsversammlung, dem politischen Gremium des LWL. Dies änderte sich schlagartig Ende August 2023 durch ein Video der AfD-Politiker und Mitglieder der Landschaftsversammlung Wolfgang Seitz (Dortmund) und Jan Preuß (Gelsenkirchen). In dem Video skandalisierten sie, dass die Ausstellungswerkstatt an einzelnen Wochentagen für mehrere Stunden zu einem „Safer Space“ werde, da die Räumlichkeit – so der Wortlaut des Aushangs – „in diesem Zeitraum für Schwarze und indigene Menschen und People of Color (BIPoC) reserviert“ sei. Seitz und Preuß schnitten Fetzen aus Gesprächen mit Mitarbeitenden des Museums zusammen und witterten „Rassismus gegen weiße Menschen“. Dass der LWL danach betonte, dass es sich lediglich um eine „Empfehlung“ und nicht um einen „Ausschluss“ handele, ging letztlich unter. Zwar blieb das Video einige Tage nur ein Sturm im Wasserglas, aber das änderte sich, als am 29. August mit Joana Cotar die erste AfD-Bundespolitikerin das Thema aufgriff und das Video auf der Plattform X postete: „Wenn Weiße in Deutschland zu bestimmten Zeiten nicht ins Museum dürfen…. Rassismus in Dortmund. Unfassbar. #ZecheZollern“. Innerhalb weniger Stunden mobilisierte sich der rechte Mob in den Sozialen Medien – und das Industriemuseum wurde zur Zielscheibe. Der Dortmunder Ableger der Neonazi-Partei Die Heimat rief seine Anhänger*innen zum Besuch der Ausstellung auf, Mitarbeitende des Museums wurden vor Ort angegangen und abgefilmt, es gab haufenweise hetzerische Mails und Anrufe sowie rechte Schmierereien am Eingangstor.
Sehnsucht nach „Kulturkampf“
Auch auf der parlamentarischen Ebene versuchte die AfD, die Deutungshoheit über die Ereignisse zu gewinnen. In autoritärem Tonfall forderte sie in ihren Anträgen unter anderem die Absetzung der Museumsleitung und dass der LWL „jede Diskriminierung von Weißen umgehend zu beenden“ habe. Für Martina Müller, Fraktionssprecherin von Bündnis 90/Die Grünen in der Landschaftsversammlung, ist dieses Agieren nicht überraschend. Im Gespräch mit LOTTA betonte sie, dass die AfD-Fraktion zuletzt „wiederholt kulturelle Schlüsselprojekte infrage gestellt“ habe. So sei im September 2024 auch die Finanzierung der Gedenkstätte Stalag 326 (siehe Artikel in dieser Ausgabe) mit dem Vorwurf abgelehnt worden, dass diese eine „Schuldkomplex-Bewirtschaftung“ betreiben würde.
Auch der Dortmunder Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich griff das Thema auf und lief sich damit in gewisser Weise warm für seinen Sitz im Kulturausschuss des Bundestages, dem er seit Mai 2025 angehört (siehe LOTTA #98). „Eine rechte, eine patriotische, eine identitäre Kultur-, Medien- und Identitätspolitik“, die er nach eigener Aussage anstrebt, ist bei der AfD und ihrem Umfeld kein technokratisch eingrenzbares Politikfeld, sondern im Zweifel alles: jede Anfrage zu „Gender-Gaga“ in Kitas, jeder Trachtenjanker, jeder Burschen-Schmiss. Noch immer wabert der ins Völkische gewendete „Hegemonie“-Begriff von Antonio Gramsci in den Hinterköpfen: „politische Macht“ nicht ohne vorherige „kulturelle Macht“. Das im Jargon „Vorfeld“ genannte Netzwerk aus „neurechten“ Thinktanks, Verlagen, Zeitschriften und Burschenschaften zieht daraus seine Legitimation – und Helferich bringt sich als dessen parlamentarischer „Vorkämpfer“ in Stellung.
Höcke muss draußen bleiben
Die angewandte Kulturpolitik von Helferich ließ sich dann erstmals am 1. Mai 2024 beobachten, als er eine BesucherInnen-Gruppe im Industriemuseum Zeche Zollern für eine Führung anmeldete. Auf diese Weise sollte das Museum wohl abgestraft werden. Als kurz vor dem Termin klar wurde, dass auch Björn Höcke Teil der Gruppe sein würde, wies das Museum sie allerdings an der Tür ab. Aufgrund des laufenden Wahlkampfs in Thüringen wollte man dem AfD-Landeschef keine Bühne bieten. Spontan fuhr die AfD mit Höcke dann ein paar Kilometer weiter zur Kokerei Hansa in Dortmund-Huckarde, die über ein offenes Gelände verfügt, auf dem Gerald Christ schließlich einen improvisierten Rundgang anleitete. Im Nachgang hagelte es ungehaltene Drohungen seitens der AfD gegen den LWL und die Museumsleitung. Das Museum wiederum hatte aus den Angriffen rund um die Ausstellungswerkstatt ein Jahr zuvor seine Schlüsse gezogen: Die Hausordnung wurde geändert, um Mitarbeitende zu schützen; es gab interne Schulungen zum Umgang mit Bedrohungen und deutliche öffentliche Positionierungen.
Auf der Leitungsebene blieb der LWL hingegen erstaunlich still. Bei der Eröffnungsveranstaltung der eigentlichen Ausstellung „Das ist kolonial“ im Juni 2024 ließ sich LWL-Direktor Georg Lunemann entschuldigen. Das Grußwort hielt an seiner Stelle Klaus Baumann, Vorsitzender der Landschaftsversammlung, der in keiner Weise auf die Bedrohungen einging. Auch sonst finden sich keine Pressemitteilungen des LWL, nur vereinzelte Äußerungen von Lunemann und Kultur-Landesrätin Barbara Rüschoff-Parzinger in der Presse. So legte Lunemann in der Hochphase der rechten Kampagne den abgefilmten und bedrohten Mitarbeiter*innen der Zeche Zollern gegenüber den Ruhrnachrichten nahe, selbst Anzeige zu stellen. Dabei läge es wohl in der Verantwortung einer Kultureinrichtung mit eigener Rechtsabteilung, auch juristisch den Mitarbeitenden beizustehen und diese nicht durch Klagen gegen Neonazis und rechte Streamer*innen noch weiter dem Mob auszuliefern.
Museumsbesuch mit „Selbstermächtigungshaltung“
Der dritte Akt ereignete sich schließlich ein Jahr später, am 1. Mai 2025, als Helferich erneut eine Besuchergruppe anmeldete. Zwar bekam die Gruppe diesmal Zutritt auf der Zeche Zollern, erhielt aber keine Führung. Nach Auskunft des Museums waren keine Personalkapazitäten vorhanden – Christ musste also ein zweites Mal herhalten. Zudem gab es vor den Toren der Zeche antifaschistischen Gegenprotest, der zunächst den Zugang versperrte. Das Auftreten der AfD wird rückblickend von der Dortmunder Antifa 170, die an diesem Tag die Gegenkundgebung angemeldet hatte, gegenüber LOTTA als „Selbstermächtigungshaltung“ beschrieben: „Als die Polizei der Forderung der AfD, ihr den Weg frei zu machen, nicht nachkam, beschlossen die Rechten, sich selber Zutritt zu verschaffen.“ Letztlich erhielten zwei Vertreter der AfD Anzeigen wegen Körperverletzung. Auch Museumsleiterin Kugler-Mühlhofer wurde während der eigenmächtigen „Führung“ von AfD-Vertreter*innen angegangen und angeschrien.
Die BesucherInnengruppe bestand vor allem aus Verbündeten von Helferich, darunter AfD-Funktionäre aus dem Bezirksverband Arnsberg, der Landtagsabgeordnete Zacharias Schalley aus dem Rhein-Kreis Neuss sowie Höcke-Vertraute aus Thüringen, wie Robert Teske und Daniel Haseloff. Mit Benedikt Kaiser, Büroleiter von Teske, war zudem ein Vertreter des „Vorfelds“ zugegen. Höcke, Haseloff, Teske und Kaiser unterstützen Helferich seit längerem aktiv in parteiinternen Konflikten. Wichtig waren deshalb die zahlreichen Fotos, welche die Gruppe im Museum machte. Neben einem Gruppenbild in der repräsentativen Maschinenhalle waren es vor allem zahlreiche Selfies mit breit grinsenden AfD-Politikern, die den Eindruck einer siegreichen Kampagne vermitteln sollten.
Es geht nicht nur um die Kulisse
Der symbolische Wert der Zeche Zollern war der AfD jederzeit bewusst. Die Antifa 170 betont, dass „Orte wie die Zeche Zollern als Projektionsfläche für ein faschistisches Arbeitsideal dienen, das am 1. Mai den emanzipatorischen Bestrebungen der Arbeiter*innenbewegung entgegengesetzt werden soll“. Auch Höcke kam im Jahr 2024 in erster Linie für die Bilder. Er wollte sich vor der Dortmunder Industriekulisse als Volkstribun inszenieren.
Beim Freilegen der symbolischen Ebenen darf der stumpf-autoritäre Stil des Auftretens nicht übersehen werden. Alle geschilderten Etappen lassen sich auch als Kraftproben verstehen, an deren Ende nicht nur die Mitarbeitenden des Museums, sondern auch die Verantwortlichen in der Kulturverwaltung vor der AfD einknicken sollen. „Für öffentliche Einrichtungen wie den LWL sind die Herausforderungen durch ein Erstarken extremer Rechter sehr komplex“, so Grünen-Sprecherin Müller. Mit Blick auf die Landschaftsversammlung regt sie unter anderem an, dass Geschäftsordnungen überarbeitet und Ausschussvorsitzende geschult werden.
Während der LWL dem AfD-Treiben wenig entgegensetzte, verhinderten engagierte Museumsmitarbeitende größere Erfolge der AfD, deren wiederholtes Auflaufen am Ende eher den Widerstand im Museum stärkte, wo die Partei stets unerwünscht war. Die Erfahrungen der Zeche Zollern fanden auch über Westfalen hinaus in Fachmedien und Tagungen Beachtung, viele Museen konnten daraus lernen. Klar ist aber auch: Die Angriffe der extremen Rechten auf Kultureinrichtungen in NRW rollen gerade erst an. Gerald Christ wird wohl noch weitere Referate vorbereiten müssen.