Das Erfurt des Westens der AfD
Ein Betrachtung der AfD-Kundgebung mit Höcke in Paderborn am 13. Mai 2016
„Ihr seid die Erfurter Westdeutschlands“, ruft Björn Höcke am 13. Mai 2016 in Paderborn dem Publikum zu. Wer nachzählte, rieb sich verwundert die Augen, denn vor der Bühne standen nicht Tausende wie bei den Kundgebungen der AfD in Erfurt, sondern nur 400 bis 450 Teilnehmende. Vielleicht meinte Höcke aber nicht die Anzahl, sondern die weit rechts stehende inhaltliche Ausrichtung der Zuhörer_innen.
Björn Höcke zog in seiner Rede alle rhetorischen und inhaltlichen Register, die Redner_innen der extremen Rechte gerne ziehen: Mit klassischen Stichworten der extremen Rechten befeuerte Höcke die Stimmung und bediente die Erwartungen der Anwesenden: wenn er von „keine Heimatliebe mehr im Leibe“, von „krankhaftem Selbsthass“ redete; wenn er Angela Merkel als „Kanzlerdiktatorin“, die seinem Gefühl nach „fremdbestimmt“ sei, bezeichnete und verkündete, dass die AfD im Falle eines Wahlsiegs „dieses Multi-Kulti-Experiment sofort beenden“ würde; wenn er immer wieder das „deutsche Volk“ beschwörte - dann bedient Höcke Rassismus und Nationalismus. Das Publikum goutierte seine Rede mit „Merkel muss weg“-Rufen und rhythmischem Klatschen.
Völkische Kader
Wer sich das Publikum, welches Höcke zujubelte, etwas genauer ansah, dem fielen sofort die vielen Personen mit extrem kurzen Haaren auf. Nein, keine Skinheads mit Glatze, sondern eher das, was man als „HJ“-Schnitt bezeichnen würde. Die etwa 12-köpfige Gruppe völkischer Aktivist_innen aus Ostwestfalen-Lippe und dem angrenzenden Niedersachsen hatte sich nicht zum ersten Mal bei einer Veranstaltung der AfD in Paderborn eingefunden. Seit Ende 2015 organisiert die AfD Aufmärsche in westfälischen Region). Bereits bei der AfD-Demonstration am 17. März 2016 seien Ex-Aktivisten der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) mitgelaufen, twitterte „Antifainfo Bielefeld“. Am 13. Mai 2016 war unter anderem das Detmolder Ehepaar Anna-Maria und Gerd Ulrich mit ihrer ältesten Tochter angereist. Beide waren bis zum Verbot 2008 Aktivist_innen der HDJ. Einen deutlich längeren Anreiseweg hatte Andreas-Dieter Iloff auf sich genommen. Der ehemalige Fallschirmjäger ist, wie seine Mitgliedsnummer nahe legt, nicht erst seit gestern AfD-Mitglied. Im Kreisverband Diepholz ist Iloff stellvertretender Kreisvorsitzender der AfD und kann in dieser Rolle durchaus Einfluss auf die politische Ausrichtung der AfD, zumindest auf lokaler Ebene, nehmen. Iloff betreibt auf dem „Auehof“ in Kirchdorf im Landkreis Diepholz (Niedersachsen) eine Huf- und Messerschmiede. Seit Mitte der 1990er Jahre ist Iloff in der extremen Rechten aktiv. Iloff lud in der Vergangenheit selbst zu Sonnenwendfeiern auf dem „Auehof“ und nahm an einem von der Artgemeinschaft (LOTTA #59) beim Thüringer Neonazis Thorsten Heise konspirativ organisierten Treffen teil, wie die Journalistin Andrea Röpke im Blick nach Rechts berichtet.
Ein weiterer Schmied war bei der AfD Kundgebung in Paderborn anwesenden, Christoph Kutz aus dem zu Paderborn gehörenden Neuenbeken. Kutz, der seit mehreren Jahren mit Iloff zusammenarbeitet, zeigte bei der Kundgebung seine Tätowierung einer „Odalsruhne“, welche auch das Symbol der verbotenen Wiking-Jugend war. Auch aus anderen Bereichen der extremen Rechten waren bekannte Aktivist_innen vor Ort. Zum Beispiel Siegfried Reball, er kommt wie Gerd Ulrich aus der NPD. Am 9.05.2016 trat er auf der PIGIDA NRW Demonstration in Duisburg als Redner auf und stellte sich dort als „ein aufrechter deutscher Patriot“ vor. In Reichsbürgermanie wetterte er gegen die BRD und behauptete, dass das Deutsche Reich noch fortbestehen würde. Des Weiteren fanden sich bei der AfD-Kundgebung in Paderborn noch einige Aktivist_innen aus dem Bereich der rechten Fußball-Fanszene des SC Paderborn rund um die Gruppe „Domstädter“ ein.
Natürlich waren auch Vertreter der lokalen AfD-„Prominenz“ vor Ort. Neben dem Paderborner AfD Kreissprecher, Günter Koch, welcher als Redner die Kundgebung eröffnete, sprachen Christian Blex, Kreissprecher der AfD Warendorf und neben Koch einer der treibenden Kräfte hinter der AfD-Demonstrationspolitik, sowie Thomas Röckemann, Kreissprecher der AfD aus Minden-Lübbecke. Vor der Bühne fanden sich mit Karl-Heinz Tegethoff, Markus Wagner und Udo Hemmelgarn wichtige Aktivposten der AfD im Raum Ostwestfalen ein. Zumindest Hemmelgarn pflegt als Mitorganisator der „Alternativen Wissenskongresse“ in den letzten beiden Jahren Kontakte zum rechten verschwörungstheoretischen Milieu um Jürgen Elsässer und dessen „Compact Magazin“. (LOTTA #60)
Identitäre und AfD – Hand in Hand
Auffällig im Gegensatz zu den bürgerlich auftretenden AfD-Kadern war eine Gruppe junger Menschen, fast ausschließlich Männer, deren Habitus wie eine Mischung von Fussball-Ultras und Burschenschaftern wirkte. Gut sichtbar waren Lamda-Symbole auf T-Shirts oder Buttons – das Zeichen der „Identitären Bewegung“, zu der die Aktivist_innen scheinbar gehörten oder für die sie sympathisieren. Unter ihnen befand sich auch David Mühlenbein. An ihm lässt sich besonders gut die Verschränkung von „Identitärer Bewegung“ und AfD verdeutlichen. Mühlenbein war sowohl an der Gründung der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ in Paderborn beteiligt, als auch an der Gründung des Vereins „Identitäre Bewegung Deutschland e.V.“.
Es waren auch Aktivist_innen bzw. Sympathisant_innen der „Identitären Bewegung“, die nach der AfD-Kundgebung in Paderborn, die mit dem gemeinsamen Singen der Deutschen Nationalhymne endete, Richtung Gegendemonstration zogen, um diese zu provozieren. Zuvor hatten sie Flyer verteilt, die für einen für den 11. Juni im „Raum Bielefeld“ angekündigten „Alternativen Kulturkongress“, warben. In einer ersten Version des Kongress-Programms war als Redner neben Björn Höcke auch Martin Sellner, einer der führenden Köpfe der „Identitären Bewegung“ in Österreich, angekündigt. Mittlerweile wurde das Programm geändert, statt Sellner soll nun das AfD Gründungsmitglied und Brandenburger Landesvorsitzende Alexander Gauland bei der Veranstaltung auftreten.
Paderborn – Erfurt des Westens?
Paderborn ist, zumindest was die Teilnehmer_innen-Zahlen betrifft, nicht das Erfurt des Westens. Aber Paderborn ist diejenige westfälische Stadt, in der die AfD bislang am häufigsten demonstrierte. Inhaltlich zeigte die Kundgebung am 16. Mai, dass die AfD im Raum Paderborn stramm auf Höcke- und damit auf Rechtsaußen-Kurs ist. Dies zieht jedoch nur im verhältnismäßig geringem Umfang rassistische Bürger_innen an, sondern mobilisiert vielmehr altbekannte Kader der extremen Rechten. Einige von ihnen sehen in der AfD endlich eine erfolgreiche Rechtspartei, in der sie aktiv werden und die sie mitgestalten können. Andere sehen möglicherweise ihre Chance die AfD, auch ohne Mitgliedschaft, zu beeinflussen und im Sinne der extremen Rechten zu radikalisieren. Wie fließend die Übergänge zwischen AfD und organisierter extremer Rechter sind, belegen die organisatorischen Verschränkungen, welche vor allem zwischen Aktivist_innen der „Jungen Alternative“ im Kreis Paderborn und den Aktivist_innen der „Identitären“ in der Region bestehen.
Es ist hoch problematisch, dass besonders in Paderborn, wo die Verschränkung der AfD mit Teilen der extremen Rechten und das Wechselspiel aus rechten Parolen und Neonazismus offen zu Tage tritt, sich die AfD trotzdem als akzeptabler Diskurspartner zu präsentieren weiß und, zum Beispiel bei einer von WDR 5 organisierten Podiumsdiskussion am 19. Mai, auch als solcher angenommen wird. So wundert es nicht, dass es dann in Paderborn, im Gegensatz zu anderen Städten in Ostwestfalen, nicht gelingt, den Wirt_innen klar zu machen, dass sie bei Vermietung ihrer Räumlichkeiten an die AfD mitverantwortlich für die Verbreitung von Hetze sind.
Es ist wichtig, bei der Analyse der AfD Sorgfalt walten zu lassen, denn in weiten Bereichen sind nicht die paar Neonazis das gesellschaftliche Problem, sondern vielmehr ein radikalisiertes Kleinbürgertum. Die AfD wird auch zumeist nicht wegen, sondern trotz ihrer Verbindungen zur extreme Rechte gewählt. Dennoch ist es wichtig genau dieses Überschneidungen aufzuzeigen, ermöglicht dies doch einerseits die Gegenkräfte zu stärken und andererseits mögliche Entwicklungsperspektiven der AfD aufzuzeigen. Das Interesse langjähriger neonazistischer Kader an der AfD ist ein deutliches Zeichen der kontinuierlichen Radikalisierung und Verbreitung völkisch nationalistischer Positionen in der AfD.