Das „Hannibal-Netzwerk“

Interview mit Sebastian Erb und Christina Schmidt

Über rechte Netzwerke in den Sicherheitsapparaten sprachen wir mit Sebastian Erb und Christina Schmidt. Gemeinsam mit Kolleg\*innen recherchierten sie für die „taz“ über Chatgruppen, in denen sich Polizisten und Bundeswehrsoldaten auf den „Tag X“ vorbereiten, und über den Verein „Uniter e.V.“. Für ihre Recherchen wurden sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem vom „Medium Magazin“ als „Team des Jahres 2019“.

Über rechte Netzwerke in den Sicherheitsapparaten sprachen wir mit Sebastian Erb und Christina Schmidt. Gemeinsam mit Kolleg*innen recherchierten sie für die „taz“ über Chatgruppen, in denen sich Polizisten und Bundeswehrsoldaten auf den „Tag X“ vorbereiten, und über den Verein „Uniter e.V.“. Für ihre Recherchen wurden sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem vom „Medium Magazin“ als „Team des Jahres 2019“.

Guten Tag. Könnt ihr uns zunächst eine kurze Zusammenfassung über die Dimension des „Hannibal-Netzwerks“ geben? Wie war es aufgebaut?

Christina Schmidt: Das Netzwerk, das wir nach André S. alias „Hannibal“ benannt haben, ist keine feste Organisation. Wir sprechen vor allem von Personen, die Mitglied in Chatgruppen sogenannter Prepper waren. Das sind Leute, die sich auf eine drohende Katastrophe vorbereiten, Lebensmittel horten und „Safe-Häuser“ einrichten für einen „Tag X“. Darunter verstehen sie eine Naturkatastrophe oder dass Geflüchtete das Land „überrennen“. Ins Leben gerufen wurden diese Chatgruppen etwa 2015 von „Hannibal“, der damals Soldat des Kommando Spezialkräfte (KSK) war, der Eliteeinheit der Bundeswehr. Es gab unter anderem eine Gruppe im Süden Deutschlands, eine im Norden, im Osten und im Westen, auch in Österreich und der Schweiz.

Sebastian Erb: Es war aber keine rein virtuelle Veranstaltung. Die Männer, darunter viele aktive Soldaten, Reservisten und Polizisten, haben sich auch persönlich getroffen. Aber nicht alle kannten sich, vor allem nicht die in anderen Regionen. Manchmal kannten sie nur den Chatnamen. Das war durchaus auch so gewollt.

Schmidt: Entscheidend ist, dass an allen möglichen Enden des Netzwerks Personen anzutreffen sind, die rechtsextrem sind und mutmaßlich kriminell. Der Admin der „Nordkreuz“-Gruppe in Mecklenburg-Vorpommern, ein ehemaliger SEK-Polizist, wurde Ende 2019 wegen illegalen Waffen- und Munitionsbesitzes zu 21 Monaten auf Bewährung verurteilt. Bei ihm wurden rund 55.000 Schuss Munition und viele Waffen sichergestellt, darunter eine Uzi-Maschinenpistole, die vor Jahren bei der Bundeswehr entwendet worden war. Gegen zwei weitere Nordkreuz-Mitglieder ermittelt der Generalbundesanwalt wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Der Kriminalpolizist und der Anwalt sollen Feindeslisten angelegt und geplant haben, am Tag X politische Gegner umzubringen. Auch Franco A. war Mitglied in einer der Chatgruppen, in der im Süden. Er war bei Treffen dabei, auch mal bei „Hannibal“ zuhause. Franco A. ist der Bundeswehroffizier, der getarnt als syrischer Flüchtling Terroranschläge geplant haben soll. Er muss sich deswegen vor dem Oberlandesgericht Frankfurt verantworten.

Welche Rolle spielt der von André S. gegründete „Uniter e.V. im „Hannibal-Netzwerk“?

Erb: Er spielt eine wichtige Rolle, weil er nach außen sichtbar ist. Und weil es sich um ein Herzensprojekt von „Hannibal“ handelt, der den Verein zum ersten Mal 2012 in Halle an der Saale gründete. Damals scharte er einige Kameraden aus dem Kommando Spezialkräfte um sich und gewann auch Bekannte aus seiner Freimaurerloge, die vor allem bei den vereinsrechtlichen Dingen halfen. Der offizielle Grund für die Gründung war, dass man einen Verein brauchte, um KSK-Soldaten den Abschluss einer Risikolebensversicherung zu ermöglichen. Aber Hannibal hatte größeres vor. Er wollte eine Berufsvereinigung aktiver und ehemaliger Spezialkräfte von Bundeswehr und Polizei schaffen. Es ging um Gemeinschaft und um Jobvermittlung.

Schmidt: Wir konnten dann recherchieren, wie der Verein hinter der harmlosen Fassade aussieht. 2016 wurde Uniter in Stuttgart neu gegründet, Vorsitzender war Ringo M., ein ehemaliger Polizist, der damals beim Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg arbeitete. Aber die maßgebliche Figur blieb „Hannibal“. Er machte sich auf, eine streng hierarchische Organisation aufzubauen, bei der militärische Ausbildung eine zentrale Rolle einnimmt. Die Struktur lässt sich als sektenartig beschreiben. Mitglieder können in Graden aufsteigen, bei Ritualen soll auch mal Wein aus einem menschlichen Schädel getrunken werden. Wir konnten all das durch Aussagen von Insidern und mit Hilfe von internen Dokumenten belegen.

Erb: Unsere Recherchen haben auch gezeigt, dass es im Süden Deutschlands große Überschneidungen zwischen der Prepperchatgruppe „Süd“ und dem Verein Uniter gab. Das ist deshalb wichtig, weil die beiden Gruppierungen auch von den Ermittlern getrennt betrachtet werden.

Nach außen hin ist Uniter e.V. nur ein karitativer Verein, was ist eure Einschätzung zu seiner Funktion?

Erb: Das ist schwer zu sagen und wahrscheinlich gibt es da auch nicht die eine Antwort. Wir konnten jedenfalls beschreiben, wie sie ein paramilitärisches Training durchführten und sich dem philippinischem Autokraten Rodrigo Duterte angedient haben. Diese Dinge legen nahe, dass „Hannibal“ eine Art Söldner-Organisation aufbauen wollte.

Schmidt: Auch die Behörden vermuten inzwischen, dass es hinter der Fassade problematische Dinge gibt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat im Februar Uniter zum rechtsextremen Prüffall erklärt. Der Verfassungsschutz sieht bei Uniter „erste tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“. Auch der Generalbundesanwalt führt schon länger einen sogenannten Beobachtungsvorgang zu Uniter, das bedeutet, dass er schaut, ob Ermittlungen einzuleiten sind. In Deutschland hat sich Uniter inzwischen als Verein aufgelöst und gibt nun einen Sitz in der Schweiz an. Das heißt natürlich nicht, dass damit auch die Strukturen hierzulande verschwunden sind.

Welche Verbindungen zur AfD sind bekannt?

Schmidt: Viele der Männer aus dem Netzwerk stehen der AfD nahe. Von einigen der „Nordkreuz“-Mitglieder wissen wir, dass sie AfD-Mitglieder sind, teils auch mit Parteiamt. So arbeitet etwa der unter Terrorverdacht stehende Polizist Haik J. im Landesfachausschuss „Innere Sicherheit“ der Partei mit. Ein ehemaliges Mitglied der Chatgruppe Ost, Maximilian T., sitzt im Vorstand der Jungen Alternative in Sachsen-Anhalt und arbeitet neben seinem Hauptjob bei der Bundeswehr für einen AfD-Verteidigungspolitiker im Bundestag. Maximilian T. wurde bekannt, weil er als mutmaßlicher Mittäter von seinem Kamerad Franco A. galt, er saß deswegen auch in Untersuchungshaft. Der Generalbundesanwalt hat die Ermittlungen gegen ihn aber eingestellt.

Erb: Und dann gibt es noch indirekte Verbindungen, die bemerkenswert sind. So sitzt etwa ein früherer Kollege von Ringo M. aus der Polizeieinheit BFE 523 in Böblingen, Martin Hess, heute für die AfD im Bundestag. Er ist Mitglied des Innenausschusses und war dort immer wieder auch mit dem Themenkomplex beschäftigt. Und sagen wir mal so: Mit besonders kritischen Fragen ist er dort nicht aufgefallen.

Eine Frage zur Strafverfolgung: Warum wird an verschiedenen Orten unter verschiedener staatsanwaltschaftlicher Verantwortung, und nicht übergreifend ermittelt? Warum ist der Generalbundesanwalt nicht federführend?

Schmidt: Es laufen in der Tat unterschiedliche Verfahren. Es gibt kleinere waffenrechtliche Vorwürfe, da geht es auch um das paramilitärische Uniter-Training. Aber juristisch ist das schwer zu greifen. Der Generalbundesanwalt hat Franco A. angeklagt und ermittelt noch gegen die beiden erwähnten „Nordkreuz“-Mitglieder. Die offizielle Aussage ist, dass mehr nicht möglich ist. Der Schritt wäre ja, dass wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt wird. Und die sehen die Ermittler nicht.

Erb: Das Netzwerk ist zu einem recht frühen Zeitpunkt aufgeflogen. Das ist natürlich sehr gut, weil bis dato keine Menschen zu Schaden kamen, zumindest ist darüber nichts bekannt. Aber das erschwert natürlich auch die Möglichkeiten der Strafverfolgung. Auffällig ist aber schon, dass gegen die „Nordkreuz“-Mitglieder getrennt ermittelt wird. Viele Beobachter*innen verstehen nicht, warum nicht zumindest gegen die beiden Terrorverdächtigen und den Ex-SEK-Polizisten Marko G., der für die Gruppe die Munition hortete und der vom Landgericht Schwerin verurteilt wurde, wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt wird. Dafür mag es juristische Gründe geben. Es ist aber auch nicht auszuschließen, dass Quellen des Verfassungsschutzes hier einerkonsequenteren Strafverfolgung im Wege stehen.

Im Zusammenhang mit „Nordkreuz“ ist Munition aus Polizeibeständen in NRW gefunden worden…

Schmidt: Bei Marko G. wurde Munition gefunden, die von Sicherheitsbehörden des Bundes und aus mindestens sieben Bundesländern stammt, auch aus NRW, richtig. Wie die zu ihm gelangte, wurde nicht wirklich ermittelt. Es spricht sehr viel dafür, dass er direkt in Mecklenburg-Vorpommern an die Patronen kam. Dort gibt es einen Schießplatz, auf dem regelmäßig Polizisten und Soldaten aus Deutschland und dem Ausland trainieren oder an Wettbewerben teilnehmen. Dafür brachten sie auch Munition mit.

Wie beurteilt ihr die Auswirkungen der Enthüllungen um das „Hannibal-Netzwerk“ auf die Politik? Gibt es ein Bewusstsein dafür, dass im Falle eines Ausnahmezustandes Netzwerke wie diese im Militär aktiv werden könnten?

Schmidt: Zumindest auf parlamentarischer Ebene gab es relativ schnell Auswirkungen. Eine Reihe von Oppositionspolitiker*innen haben sich dem Thema angenommen und verfolgen es sehr intensiv. Es gab diverse Sitzungen des Innenausschusses und des Verteidigungsausschusses zum Thema und dutzende parlamentarische Anfragen in Bund und Ländern. Die Antworten darauf waren aber oft nicht wirklich zufriedenstellend.

Erb: Deutlich mehr passierte hinter den verschlossenen Türen des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestags. Die Geheimdienstkontrolleure haben sich mehr als 100 Aktenordner kommen lassen. Und das hatte schon Folgen, vor allem beim Militärgeheimdienst MAD, der viel übersehen hat und nun umstrukturiert wurde und genauer hinschaut. Man merkt es auch bei öffentlichen Äußerungen, dass sich etwas geändert hat. So hat etwa die CDU-Vorsitzende und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer vor Uniter gewarnt. Wer dort Mitglied sei, mache sich verdächtig, „in der Nähe rechtsextremer Netzwerke und Chats zu stehen“. Das reicht natürlich nicht, um zu sagen, dass das Bewusstsein groß genug ist.

Schmidt: Es gibt politische Akteure, die nicht den Eindruck machen, als hätten sie die Problematik wirklich erkannt, um es mal vorsichtig auszudrücken. Ich denke da besonders an Mecklenburg-Vorpommern. Die sogenannte Prepper-Kommission, die Innenminister Lorenz Caffier 2017 eingerichtet hat, hat bis heute keinen Bericht vorgelegt. Eine Expertenkommission, die den rechtsextremen Umtrieben im SEK nachging, hat dann ein ziemlich vernichtendes Urteil gefällt. Es war die Rede von „fehlender Konsequenz von Vorgesetzten auf allen Ebenen“. Und was passierte? Caffier hat halbherzig zwei leitende Polizisten versetzt. Einen innerhalb des Innenministeriums und der LKA-Chef arbeitet jetzt beim Verfassungsschutz.

Vielen Dank für das Interview!

Alle bisher erschienenen Texte von Christina Schmidt, Sebastian Erb und Kolleg*innen zum Thema finden sich unter taz.de/hannibal

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