Farin wäscht weißer
„Frei.Wild - Südtirols konservative Antifaschisten“
Das Buch unterlässt kritische Nachfragen, glaubt den Protagonisten mehr als allen Anderen und attestiert Frei.Wild trotz ihrer völkischen Texte und Verbindungen, dass sie „konservativ, aber nicht ausgrenzend und nicht nationalistisch“ seien. Farin stilisiert die Band mit Sprüchen wie „Frei.Wild tut weh“ zu Rebellen und sich selbst gleich mit: als einzigen, der all den „Gutmenschen“ die Wahrheit sagt.
Über 100 der knapp 400 Seiten des großformatigen Buches bestehen aus oftmals ganzseitigen Fotografien. Allein durch das Layout und die wirkmächtigen, die Selbstinszenierung der Band wiedergebenden Bilder hat Farin ein Werk in die Welt gesetzt, das für eine kritische und sachliche Auseinandersetzung nicht geeignet ist. Beim Lesen des Buches gewinnt man den Eindruck, dass diese auch nicht gewollt ist. Stattdessen orientiert sich Farin scheinbar am von der Band selbst herausgegebenen Band „Allein nach vorne“ von 2011, aus dem nicht nur einige Zitate des Farin-Buches stammen, sondern in dem teilweise auch die gleichen Bilder abgedruckt sind.
Plumpe Provokation
„Südtirols antifaschistische Haltung ist zu erheblichen Teilen zugleich eine pro-nationalsozialistische“, schreibt Farin mit Blick auf die 1930er und 1940er Jahre, in denen viele SüdtirolerInnen gerne „Heim ins Reich“ gekommen wären. Der Faschismus war für diese vor allem deswegen schlecht, weil er italienisch war - sie begrüßten hingegen den Nationalsozialismus. Von Hitler wurden sie jedoch enttäuscht, da dieser keinen Konflikt mit Mussolini wollte. Die Schlussfolgerung, dass sich die Band Frei.Wild in dieser historischen Kontinuität bewegt, will Farin jedoch nicht ziehen. Völkische oder gar extrem rechte Inhalte lassen sich seiner Ansicht nach in den Liedern partout nicht finden. Der Titel „Südtirols konservative Antifaschisten“ ist eine verkaufsfördernde Provokation – es ist das, was die Fans hören wollen. Übrigens ordnen sich die von Farin interviewten Bandmitglieder nicht einmal selbst als Antifaschisten ein.
Das Bruchstückhafte, die fehlende Analyse und die Weigerung, Rückschlüsse aus den Fakten zu ziehen, zeigt sich auch im Beitrag zu „Wahre Werte“, ein Song, der von Frei.Wild-Kritikern oftmals als Ausdruck deren reaktionären Gesellschaftsbildes angeführt wird. Zu Wort kommt Efrem Oberlechner, Medienreferent des Südtiroler Schützenbundes. Mit ihm arbeitete Frei.Wild für das Video zu „Wahre Werte“ zusammen. Oberlechner bezeichnet die Südtiroler Bombenleger als „Freiheitskämpfer“ und „Vorbilder für die Jugend“. Farin sagt zwar deutlich, dass in Deutschland solche Täter als Terroristen bezeichnet würden, weitere Problematisierungen des im Video verklärten Schützenwesens gibt es nicht. Und auch auf die Wertung der Band wirkt sich dies nicht aus.
Aus erster Hand
Farin konstruiert für sein Buch den Mythos, mit dem sich auch Frei.Wild umgibt: Es sei aus „erster Hand“, also „authentisch“ und „ehrlich“. Dass der Autor dabei höchst manipulativ agiert, wird jedoch schnell klar. Fragt er erst, ob Frei.Wild nicht auch ein „Ausstiegshelfer aus der rechtsextremen Szene“ sein kann, so folgt sechs Zeilen später ein herzerwärmendes Zitat eines zum Frei.Wild-Fan bekehrten Neonazi-Aussteigers. Der erklärt zwar nicht, wieso die Band zum Ausstieg animiert, scheint aber als Beleg für die These zu genügen. Wenn Farin schreibt: „Denn diese Frei.Wild-Fans haben Lebenserfahrungen, über die andere – zum Glück – nicht verfügen. Sie kennen aus erster Hand, was wir zumeist nur aus den Medien erfahren – und das muss ja nicht unbedingt stimmen“, erklärt er deren Ausführungen zur Wahrheit und bedient zudem das Feindbild Medien, was das Buch den Fans noch sympathischer machen wird. Kritische Nachfragen, warum die erste CD von Frei.Wild bei einem wichtigen Protagonisten des RechtsRock erschien, wo man doch mit der Szene nichts mehr zu tun haben wollte: Fehlanzeige! Stattdessen darf Sänger Philipp Burger darüber fabulieren, dass er nur aus Angst erklärt habe, dass die Zeit in der Band Kaiserjäger ein Fehler gewesen sei, aber sie auch nie straffällig geworden seien. Als ob das die rassistischen Texte von Kaiserjäger rechtfertigen würde. Farin jedoch setzt hinter die Erklärung des Sängers noch ein Ausrufezeichen: „Das bestätigt […] auch die Polizei“.
Fragen
„Ich habe für dieses Buch im Jahr 2014 insgesamt 4.206 Frei.Wild-Fans befragt“, schreibt Farin. Was er meint ist, dass 4.206 Personen einen Fragebogen im Internet ausgefüllt haben. Die Analyse der Antworten hat er einer Wissenschaftlerin der Universität Duisburg-Essen überlassen. Doch entsprach die Erhebung keinesfalls wissenschaftlichen Kriterien. In einem angeblich anonymen Fragebogen auch die E-Mail-Adressen für eine Verlosung abzufragen und diese Adressen dann für eine zweite Umfrage zu verwenden, ist unseriös. Noch problematischer ist der suggestive Charakter einiger Fragen. „Warum bist Du kein Neonazi geworden?“, wollte man beispielsweise von den Fans wissen. So wurde schon von vornherein ausgeschlossen, dass es Neonazis unter den Fans geben könnte. Gefragt wurde nach „Unterschiede[n] zwischen Frei.Wild und Rechtsrock-Bands“, nicht jedoch nach Gemeinsamkeiten. Eine Tabelle, laut der 75,6 % von ehemals extrem rechten Frei.Wild-Fans bekunden, sie hätten ihre „politische Einstellung als falsch“ erkannt, lässt sich nicht auf die Fragebögen zurückführen. Sie basieren auf zusätzlichen 18 biographischen Interviews. Wie diese Interviews zustande kamen, wäre sehr interessant, vor allem angesichts des im Buch nahegelegten Zusammenhangs von Frei.Wild und Ausstieg. Angaben dazu lassen sich jedoch leider nicht finden.
Dass es sich bei den beschriebenen Ergebnissen Farins um eine wissenschaftliche Analyse handele, dem widerspricht die auswertende Wissenschaftlerin Nicole Pfaff. „Schule ohne Rassismus“ hatte das Buch als eine „wissenschaftliche Fanstudie“ bezeichnet. Pfaff erkennt in dem Buch jedoch „eine unreflektierte und die wichtige politische Arbeit vieler Menschen infrage stellende Ablehnung politischer Streitkultur“, schreibt sie in einer Stellungnahme. Gerade der Fanbefragung spricht sie jeden wissenschaftlichen Anspruch ab: „Die statistische Auszählung von Äußerungen macht keine Wissenschaft – diese zeichnet sich durch Darstellung konträrer Haltungen zu einem Thema, durch die begründete (!) Einnahme von Positionen und nicht zuletzt durch eine kritische Reflexion ihrer Begriffe, Methoden und Zugänge aus. All das leistet Farin nicht.“
Bodenständigkeit, Patriotismus und Heimatliebe
Der inhaltliche Diskurs über die Begriffe Patriotismus und Heimatliebe bleibt im Buch seltsam schwammig. Die ausgrenzende Bildung einer „Wir“-Gruppe unter den Fans wird bestritten, die Folgen einer solchen nicht problematisiert. Es geht ums eigene Wohlfühlen. Farin fragt nicht, was damit gemeint ist, wenn Frei.Wild singt „Selbst ein Baum ohne Wurzeln kann nicht bestehen“. Ist das keine biologistische Metapher, welche Migration als unmöglich beschreibt?
Die Bandmitglieder präsentieren sich durchgehend als „bodenständig“. Nationalismus will Farin nicht erkennen. Auch hier greift der Autor der Band vor, wenn er erklärt, „dass ihr als Südtiroler eigentlich gar keine Nationalisten sein könnt“. Bei Farins Fragen stehen die Antworten schon vorher fest. Nur das erklärt auch seine Einschätzung, dass Frei.Wild mit völkischem oder gar extrem rechtem Denken rein gar nichts zu tun habe, sondern vielmehr als Ausstiegshelfer tauge. Wer das Buch genau liest, findet im Material neben Verharmlosung auch Belege für das Gegenteil. Farin kann sich derweil als Rebell stilisieren, Geld verdienen, wenn er das Buch im Rahmen von Konzerten verkauft, und sich als unverstandenes Opfer gerieren, wenn er kritisiert wird.
Klaus Farin Frei.Wild. Südtirols konservative Antifaschisten. Archiv der Jugendkulturen Verlag, Berlin 2015 400 Seiten, 36 Euro ISBN 978-3-945398-22-7