Seitdem haben wir neben gesellschaftlichen Veränderungen auch eine Ausdifferenzierung der Antifabewegung erlebt, die sich nach dem Wegbrechen bundesweiter Organisationen nun in diversen Ansätzen neu strukturiert. Damals wie heute verstehen wir uns nicht als „Sprachrohr“ eines Ansatzes, sondern wollen einer Vielfalt von Argumenten Raum geben. Auch wenn die jeweiligen Fraktionen eigene Informationskanäle nutzen, sehen wir Diskussionspunkte, die über den „eigenen Kreis“ hinaus von bundesweiter Bedeutung sind. Zu eben diesen wollen wir uns äußern. Aktuelle Beispiele wären unsere Beiträge zur Debatte um sogenannte Umsteiger aus der Neonaziszene oder um eine (Sammel-)Bezeichnung der Rechten sowie unsere fortlaufende Reihe zu Faschismustheorien.
Vor welchen Herausforderungen steht ihr heute?
ak: Durch unsere über 40-jährige Geschichte sind wir ein durchaus generationsübergreifendes Projekt. Innerhalb der Redaktion ist eine Verjüngung schon recht gut gelungen. Jetzt ist es an der Zeit, auch für das Gesamtprojekt die Übergabe der Verantwortung an Jüngere zu organisieren. Abgesehen davon ist eine generelle Herausforderung für Zeitungsprojekte natürlich das Internet.
„Internet war gestern“, lautet der provokative Slogan eurer aktuellen Werbekampagne. Ist das so?
ak: Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Bis Anfang der 1990er war ak ein Medium der Gegeninformation. Dank Internet kommen wir inzwischen viel schneller an Informationen, und eine Monatszeitung muss sich nicht mehr als Gegenspielerin des medialen Mainstreams behaupten. Die Möglichkeit, Informationen zu erhalten, wird aber häufig mit Aufklärung und Analyse verwechselt. Und hier wird vergilbbares Papier und vor allem redaktionelle Arbeit wichtig. Der begrenzte Platz in einer Zeitung zwingt dazu, Themen zu gewichten, guten Argumenten Raum zu geben und heiße Luft aus Texten abzulassen. Auch das ist ein Moment von Gegenöffentlichkeit. Die redaktionelle Arbeit, das heißt eine kollektive Verständigung über wichtige Themen und Fragen, ist bereits eine politische Selbstverständigung. Darüber hinaus kann sie im besten Fall Orientierung bieten in den unübersichtlichen Weiten der digitalen Welt.
KOMFORT: Internetseiten und Blogs sind unserer Meinung nach ziemlich flüchtige Medien. Printerzeugnisse haben mit ihrer ganz anderen Produktions- und Rezeptionsgeschwindigkeit auch Vorteile gegenüber den „schnelleren“ Medien. Informationen können in Ruhe aufgearbeitet werden, und ein Magazin kann man sich auch nach Wochen oder gar nach Jahren noch einmal vornehmen. Blogbeiträge sind nach einer Woche in der Regel bereits wieder vergessen.
Für uns war es zu Beginn wichtig, das politische Tagesgeschehen in der Region aus einer linken Perspektive zu kommentieren. Es ging also nicht so sehr darum, exklusive Informationen zu veröffentlichen, sondern Dinge auszudeuten, von denen wir dachten, dass sie der Zielgruppe schon bekannt sind. Das hat sich allerdings ziemlich schnell gewandelt. Wir freuen uns sehr, wenn Recherchegruppen uns Artikel einsenden und Infos bekannt machen, die es so noch nirgendwo öffentlich zu lesen gab.
Ihr habt Anfang August die Beziehung der Olympia-Ruderin Nadja Drygalla zu einem aktiven Neonazi-Kader bekannt gemacht. Der Fall ging bundesweit durch die Medien, wahrscheinlich hat das Kombinat Fortschritt bislang keine ähnlich große Resonanz bekommen?
KOMFORT: Von der Vehemenz der Medienreaktion waren wir überrascht. Der Fokus der Medien bewegte sich sehr schnell weg von Nadja Drygalla und hin zu ihrem Freund, Michael Fischer. Durch den aufgebauten immensen Druck war er gezwungen, seinen „Ausstieg“ zu inszenieren. Fischer hat sich zu keinem Zeitpunkt öffentlich wahrnehmbar von der Ideologie distanziert. Das NPD-Portal MupInfo äußerte Verständnis für sein Verhalten, er sei ein von den „Systemmedien“ Verfolgter. Hätte Fischer sich tatsächlich distanziert, wären die Neonazi-Medien nicht so sanft mit ihm umgegangen. Dieser Rückzug und der Umstand, dass Fischer – ein wichtiger Kader der Rostocker Neonaziszene – von nun an darauf bedacht sein muss, in Deckung zu bleiben, ist ein Erfolg.
Auf der anderen Seite schossen einige Medien in der allgemeinen Hysterie bei dem Versuch, auch Nadja Drygalla neonazistische Umtriebe nachzuweisen, über das Ziel hinaus. So veröffentlichte die WELT ein Foto, das eine Neonazikundgebung in Mecklenburg zeigte, auf dem Foto war auch eine blonde Frau. Ob es sich dabei um Drygalla handelte, war nicht zu erkennen. Szenekenner gingen im Gegenteil davon aus, dass es sich um eine völlig andere Frau handelte. Das haben wir der WELT auch zeitnah nach der Veröffentlichung mitgeteilt – darauf hat die Zeitung aber nicht reagiert. Sicher kann man mit einigem Recht davon ausgehen, dass Drygalla zumindest kein Problem mit Fischers politischer Gesinnung hat – vorsichtig ausgedrückt. Schließlich ist sie seit vielen Jahren mit ihm zusammen. Dennoch ist es schade, dass durch eine Vorgehensweise wie von den WELT-Journalist_innen die Glaubwürdigkeit und die Legitimität des Vorhabens, Neonaziumtriebe und Neonaziverbindungen von Personen des öffentlichen Lebens bekannt zu machen, Schaden nimmt.
GAMMA veröffentlicht regelmäßig Rechercheergebnisse über die Neonazi-Szene. Wie ist euer Verhältnis zu den großen Medien?
GAMMA: Seit dem Auffliegen des NSU hat sich der Stellenwert der Pressearbeit geändert, und damit ist unsere Sache um einen Widerspruch reicher geworden: Unsere Informationen werden jetzt sehr ausgiebig zitiert. Aber wenn sich manche Medien oder politischen Akteure darauf berufen, wird ebenso gern unterschlagen, dass es sich um oft aufwändige Antifa-Recherchen handelt. Es ist schon vorgekommen, dass wir als namenlose „Extremismus-Experten“ bezeichnet oder unsere Hinweise „Sicherheitskreisen“ angedichtet wurden. Insofern sind wir Schmuddelkinder geblieben. In den besseren Fällen werden wir als „Dienstleister“ wahrgenommen. Zu den aktuellen Herausforderungen gehört es, uns nicht in solche Rollen drängen zu lassen. Auch aus diesem Grund sind unabhängige antifaschistische Medien unverzichtbar.
Die Aufdeckung des NSU hat Projekte, die sehr nah an der Neonazi-Szene recherchieren, vor Fragen gestellt. Haben wir unsere eigenen Analysen nicht ernst genug genommen? Warum wurde die Deutung der Ermittlungsbehörden nicht hinterfragt? Oder überfordern solche konspirativ begangenen Taten schlichtweg unsere Fähigkeiten, sind die an uns gestellten Ansprüche zu hoch?
AIB: Wir hoffen nicht, dass die an uns gestellten Ansprüche zu hoch sind, müssen uns aber eingestehen, dass auch wir nicht aus allen Fehlern der letzten Jahrzehnte gelernt haben. Bezogen auf die Neonaziszene war und ist nicht nur uns bewusst, dass rechte Ideologien menschenverachtend und gewalttätig sind sowie in letzter Konsequenz auf Vernichtung abzielen. Dies immer wieder klar zu benennen ist Teil unserer Arbeit. Die Verstrickungen der Sicherheitsbehörden in den NSU bestärken uns zwar in unserem Fokus auf unabhängige Recherchen, dennoch haben wir die Möglichkeiten verdeckter und bewaffnet agierender Neonazi-Strukturen augenscheinlich nicht erkannt.
Dies bringt uns zu dem zweiten Punkt. Wären die vom NSU Ermordeten weiß-deutsche Antifas gewesen, wäre mit Sicherheit nicht nur die Empörung innerhalb der antifaschistischen Bewegung eine andere gewesen, sondern auch wir hätten eventuell einen stärkeren Fokus auf die Morde gelegt. So gesehen konnten wir unseren in der erwähnten Ausgabe 50 formulierten Anspruch nicht erfüllen. Eine zu Recht an die mehrheitlich weiße Antifaszene gerichtete Kritik, den Taten des NSU zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt zu haben, da die Betroffenen einen „Migrationshintergrund“ besaßen, muss nicht nur angenommen, sondern ebenso Teil unserer Arbeit und Analyse werden. Das setzt eine notwendige Reflexion unserer bisherigen Praxis voraus, um nicht im eigenen „Szenesumpf“ stecken zu bleiben, sondern gemeinsame Kämpfe mit negativ von Rassismus Betroffenen zu führen, die nicht nur Lippenbekenntnisse bleiben.
GAMMA: Klar, unsere eigenen Ansprüche sind so hoch, weil wir antifaschistische Politik ernst nehmen. Das bedeutet aber nicht, dass diese Ansprüche sich immer bewähren: Unsere Möglichkeiten, Nazistrukturen aufzudecken, sind begrenzt; und noch begrenzter ist der Handlungsspielraum, diese Strukturen dann auch wirklich aus dem Rennen zu nehmen. Das ist banal und war lange vor dem Auffliegen des NSU bekannt – dass jetzt Selbstkritik wichtig ist, versteht sich freilich von selbst.
Es verstand sich aber – zumindest bei uns – auch immer von selbst, dass wir kein alternativer Verfassungsschutz sein wollen und dass antifaschistische Politik etwas anderes zu bedeuten hat als das Aufziehen einer Privatdetektei. Insofern denken wir, dass Antifa-Initiativen wenn, dann nicht auf einer „handwerklichen“, sondern einer politischen Ebene „versagt“ haben. Eine Kritik an Ermittlungsbehörden setzt doch voraus, dass antifaschistische Initiativen auch in einem kritischen Verhältnis zu diesem Staat und dessen Institutionen stehen. Aber was bleibt von so einer Kritik übrig, wie soll ein „Hinterfragen“ des Behördenhandelns noch aussehen, wenn sich manche Mitverantwortliche in oft zitierten antifaschistischen Publikationen verewigen dürfen? Der kritische Antifaschismus, für den wir streiten, läuft ohne Staat. Wir wollen einen Antifaschismus ohne einen Extremismus-Theoretiker wie Armin Pfahl-Traughber, um nur einen zu nennen.
Diese politische Grenzziehung einzufordern wäre eine Konsequenz insbesondere aus dem Behördenhandeln, das gegen den Rechtsterrorismus des NSU nichts ausgerichtet hat. Der Rechtsterrorismus in dieser Republik war, ist und bleibt eine Verschlusssache – das ist ein Teil des Problems. Noch vor der Frage, wie triftig dagegen unsere eigenen Analysen sind, steht daher die politische Frage: Steht „unser“ Antifaschismus wirklich im Gegensatz zu den Erzählungen staatlicher Institutionen, oder will er sich ihnen andienen? Das macht einen Riesenunterschied.