Aufgaben und Perspektiven antifaschistischer Medien
Ein Gespräch mit dem AIB, der ak, dem GAMMA-Newsflyer und Kombinat Fortschritt
Während wir unsere Nummer 50 feiern, wird das „Antifaschistische Infoblatt“ (AIB) im nächsten Jahr die 100. Ausgabe drucken. Wie ist eure Zeitschrift entstanden?
AIB: 1987 gründeten Aktivist_innen aus der radikalen Linken und der Häuserbewegung das AIB, um den immer offener auftretenden Neonazis Widerstand entgegenzusetzen. Damit dieser wirksam werden kann, bedarf es einer Öffentlichkeit. Genau hier verortete sich unsere Zeitschrift. Gleichzeitig sollte das AIB nicht nur eine weitere Szenezeitschrift sein, sondern auch ein breites Spektrum außerhalb der Antifa ansprechen. „Das Info wurde Sprachrohr und Mobilisierungsfaktor einer sehr quirligen Bewegung. Doch Bewegungen kommen und gehen, […] übrig blieb die Zeitung.“ (AIB Nr. 40, S.5) 1990/91 traten dann mehrere Antifa-Gruppen aus der BRD an uns heran und fragten, ob wir als bundesweite Zeitung erscheinen wollten. Das Ergebnis dieser Anfänge kann man auch heute noch in den Händen halten.
In welchem Entstehungskontext sind eure Projekte gegründet worden?
GAMMA: Uns gibt es seit 1998. Der gleichnamige Newsflyer entstand zu einer Zeit, als das Web erst im Kommen war und sich Antifaschist_innen noch über ein Infotelefon informieren mussten. Der GAMMA-Newsflyer ist aus dem Leipziger Antifa-Infotelefon hervorgegangen, war zunächst ebenso ein Presse- und Terminticker. Bisher sind mehr als 190 Ausgaben erschienen. GAMMA hat sich währenddessen immer weiter spezialisiert. Nach wie vor informieren wir schwerpunktmäßig über Nazistrukturen und -aktionen in Leipzig und Umland. Aber das spielt sich heute weniger im Spannungsfeld von Mobilisierung und Gegenmobilisierung ab, sondern wir wollen aktiv dafür sorgen, dass sich antifaschistische Arbeit auf verlässliche Informationen und Analysen stützen kann. Darin sehen wir heute unsere Aufgabe.
KOMFORT: Wir haben uns Mitte 2011 gegründet, um eine linke Medienplattform für Mecklenburg-Vorpommern zu bieten, die im Flächenland eine zentrale Anlaufstelle für die Szene, aber auch für interessierte Außenstehende sein soll. Die – heute noch bestehenden, jedoch mehr oder weniger inaktiven – älteren Projekte konnten den Ansprüchen, die wir an ein Newsportal und die heutige Internetnutzung haben, nicht gerecht werden. Die Möglichkeiten moderner Medien zu nutzen, um Inhalte ansprechend zu gestalten und weit streuen zu können, dabei Möglichkeiten zur Partizipation und eine aktive Berichterstattung zu bieten sowie Platz für theoretische Auseinandersetzungen einzuräumen, das sind die Ziele von Kombinat Fortschritt.
ak: Am Anfang, also ab 1971, war ak die Zeitung des Kommunistischen Bundes (KB): eine klassische Organisationszeitung. Seit 1991 gibt es den KB nicht mehr, ak jedoch schon. Wir sind unseres Wissens die einzige Zeitung, die die Transformation von der Organisationszeitung zum unabhängigen Debattenblatt geschafft hat. Im besten Fall kann ak einer verbesserten linken Praxis dienen, unsere Artikel sollen einen Gebrauchswert für diese Praxis haben – das muss nicht unbedingt bedeuten, dass der Inhalt direkt umsetzbar ist; auch die Vermittlung politischer Bildung gehört zu den Aufgaben, die wir uns stellen.
Damals, als ak noch „Arbeiterkampf“ hieß, sollte die Zeitung die Aufgabe eines „kollektiven Organisators“ übernehmen...
ak: Auch heute sollte eine Zeitung wie ak durchaus eine organisierende Rolle einnehmen. Aber eben in einem anderen Sinn als vor über 40 Jahren. Wir sehen unsere Rolle darin, eine linke strömungsübergreifende Debatte zu organisieren und linke Politik und Bewegung solidarisch-kritisch zu begleiten. Viele Ein-Punkt-Bewegungen haben ihre eigenen Medien. Die Veränderung der Verhältnisse ist aber eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit. Deshalb müssen nicht nur die Diskussionen zu Antiatom, Antifa, Antirassismus, Geschlechterverhältnissen oder Sozialem miteinander in Beziehung gesetzt werden, sondern auch die Aktiven, die zu den jeweiligen Themen arbeiten. Dabei versuchen wir auch, Themen zu setzen und zu pushen; versuchen, fast vergessene Debatten für eine jüngere Generation zugänglich zu machen. Als bewegungsnahe Zeitung wollen wir ebenso Kampagnen selbstkritisch aufarbeiten. Initiativen und Gruppen sind nach einer größeren Aktion froh, dass es vorbei ist und tendieren eher dazu – zu Recht – ein rosiges Bild ihrer Aktivitäten zu zeichnen. Wir wollen in solidarischer Absicht auch mal den Finger in die Wunde legen.
Die 50. Ausgabe des AIB aus dem Jahr 2000 trug den Titel „Zustand und Perspektiven antifaschistischer Arbeit“. Ist das AIB noch immer ein Forum, in dem über die Perspektiven antifaschistischer Politik diskutiert werden kann?
AIB: In dem von euch erwähnten Artikel hatten wir hervorgehoben, Antifa immer auch im Kontext gesellschaftlicher Veränderungen zu betrachten. Gleichzeitig gab und gibt es „Fehler der Antifa-Bewegung […], aus denen wir lernen müssen. Zum einen dachten wir aufgrund des ‘Booms’ der Antifabewegung nach [den rassistischen Pogromen von] Rostock, dass wir so viele wären, dass das Wegbrechen der klassischen Bündnispartner zu verkraften wäre. Zum anderen ist es der Antifabewegung – und auch dem AIB – damals [in den 1990er Jahren] nicht gelungen, den Zusammenhang zwischen staatlichem, institutionellem Rassismus, gesellschaftlichem Rassismus und rassistischer Gewalt ausreichend zu problematisieren und zum Kern unseres politischen Handelns zu machen. Im Gegenteil: Wir haben mehr Energie in klassische antifaschistische Recherche gesteckt als in Rassismusanalysen und antirassistische Handlungskonzepte.“ (AIB Nr. 50, S. 13) Diese Analyse lässt sich auch auf die 2000er Jahre übertragen.
Seitdem haben wir neben gesellschaftlichen Veränderungen auch eine Ausdifferenzierung der Antifabewegung erlebt, die sich nach dem Wegbrechen bundesweiter Organisationen nun in diversen Ansätzen neu strukturiert. Damals wie heute verstehen wir uns nicht als „Sprachrohr“ eines Ansatzes, sondern wollen einer Vielfalt von Argumenten Raum geben. Auch wenn die jeweiligen Fraktionen eigene Informationskanäle nutzen, sehen wir Diskussionspunkte, die über den „eigenen Kreis“ hinaus von bundesweiter Bedeutung sind. Zu eben diesen wollen wir uns äußern. Aktuelle Beispiele wären unsere Beiträge zur Debatte um sogenannte Umsteiger aus der Neonaziszene oder um eine (Sammel-)Bezeichnung der Rechten sowie unsere fortlaufende Reihe zu Faschismustheorien.
Vor welchen Herausforderungen steht ihr heute?
ak: Durch unsere über 40-jährige Geschichte sind wir ein durchaus generationsübergreifendes Projekt. Innerhalb der Redaktion ist eine Verjüngung schon recht gut gelungen. Jetzt ist es an der Zeit, auch für das Gesamtprojekt die Übergabe der Verantwortung an Jüngere zu organisieren. Abgesehen davon ist eine generelle Herausforderung für Zeitungsprojekte natürlich das Internet.
„Internet war gestern“, lautet der provokative Slogan eurer aktuellen Werbekampagne. Ist das so?
ak: Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Bis Anfang der 1990er war ak ein Medium der Gegeninformation. Dank Internet kommen wir inzwischen viel schneller an Informationen, und eine Monatszeitung muss sich nicht mehr als Gegenspielerin des medialen Mainstreams behaupten. Die Möglichkeit, Informationen zu erhalten, wird aber häufig mit Aufklärung und Analyse verwechselt. Und hier wird vergilbbares Papier und vor allem redaktionelle Arbeit wichtig. Der begrenzte Platz in einer Zeitung zwingt dazu, Themen zu gewichten, guten Argumenten Raum zu geben und heiße Luft aus Texten abzulassen. Auch das ist ein Moment von Gegenöffentlichkeit. Die redaktionelle Arbeit, das heißt eine kollektive Verständigung über wichtige Themen und Fragen, ist bereits eine politische Selbstverständigung. Darüber hinaus kann sie im besten Fall Orientierung bieten in den unübersichtlichen Weiten der digitalen Welt.
KOMFORT: Internetseiten und Blogs sind unserer Meinung nach ziemlich flüchtige Medien. Printerzeugnisse haben mit ihrer ganz anderen Produktions- und Rezeptionsgeschwindigkeit auch Vorteile gegenüber den „schnelleren“ Medien. Informationen können in Ruhe aufgearbeitet werden, und ein Magazin kann man sich auch nach Wochen oder gar nach Jahren noch einmal vornehmen. Blogbeiträge sind nach einer Woche in der Regel bereits wieder vergessen.
Für uns war es zu Beginn wichtig, das politische Tagesgeschehen in der Region aus einer linken Perspektive zu kommentieren. Es ging also nicht so sehr darum, exklusive Informationen zu veröffentlichen, sondern Dinge auszudeuten, von denen wir dachten, dass sie der Zielgruppe schon bekannt sind. Das hat sich allerdings ziemlich schnell gewandelt. Wir freuen uns sehr, wenn Recherchegruppen uns Artikel einsenden und Infos bekannt machen, die es so noch nirgendwo öffentlich zu lesen gab.
Ihr habt Anfang August die Beziehung der Olympia-Ruderin Nadja Drygalla zu einem aktiven Neonazi-Kader bekannt gemacht. Der Fall ging bundesweit durch die Medien, wahrscheinlich hat das Kombinat Fortschritt bislang keine ähnlich große Resonanz bekommen?
KOMFORT: Von der Vehemenz der Medienreaktion waren wir überrascht. Der Fokus der Medien bewegte sich sehr schnell weg von Nadja Drygalla und hin zu ihrem Freund, Michael Fischer. Durch den aufgebauten immensen Druck war er gezwungen, seinen „Ausstieg“ zu inszenieren. Fischer hat sich zu keinem Zeitpunkt öffentlich wahrnehmbar von der Ideologie distanziert. Das NPD-Portal MupInfo äußerte Verständnis für sein Verhalten, er sei ein von den „Systemmedien“ Verfolgter. Hätte Fischer sich tatsächlich distanziert, wären die Neonazi-Medien nicht so sanft mit ihm umgegangen. Dieser Rückzug und der Umstand, dass Fischer – ein wichtiger Kader der Rostocker Neonaziszene – von nun an darauf bedacht sein muss, in Deckung zu bleiben, ist ein Erfolg.
Auf der anderen Seite schossen einige Medien in der allgemeinen Hysterie bei dem Versuch, auch Nadja Drygalla neonazistische Umtriebe nachzuweisen, über das Ziel hinaus. So veröffentlichte die WELT ein Foto, das eine Neonazikundgebung in Mecklenburg zeigte, auf dem Foto war auch eine blonde Frau. Ob es sich dabei um Drygalla handelte, war nicht zu erkennen. Szenekenner gingen im Gegenteil davon aus, dass es sich um eine völlig andere Frau handelte. Das haben wir der WELT auch zeitnah nach der Veröffentlichung mitgeteilt – darauf hat die Zeitung aber nicht reagiert. Sicher kann man mit einigem Recht davon ausgehen, dass Drygalla zumindest kein Problem mit Fischers politischer Gesinnung hat – vorsichtig ausgedrückt. Schließlich ist sie seit vielen Jahren mit ihm zusammen. Dennoch ist es schade, dass durch eine Vorgehensweise wie von den WELT-Journalist_innen die Glaubwürdigkeit und die Legitimität des Vorhabens, Neonaziumtriebe und Neonaziverbindungen von Personen des öffentlichen Lebens bekannt zu machen, Schaden nimmt.
GAMMA veröffentlicht regelmäßig Rechercheergebnisse über die Neonazi-Szene. Wie ist euer Verhältnis zu den großen Medien?
GAMMA: Seit dem Auffliegen des NSU hat sich der Stellenwert der Pressearbeit geändert, und damit ist unsere Sache um einen Widerspruch reicher geworden: Unsere Informationen werden jetzt sehr ausgiebig zitiert. Aber wenn sich manche Medien oder politischen Akteure darauf berufen, wird ebenso gern unterschlagen, dass es sich um oft aufwändige Antifa-Recherchen handelt. Es ist schon vorgekommen, dass wir als namenlose „Extremismus-Experten“ bezeichnet oder unsere Hinweise „Sicherheitskreisen“ angedichtet wurden. Insofern sind wir Schmuddelkinder geblieben. In den besseren Fällen werden wir als „Dienstleister“ wahrgenommen. Zu den aktuellen Herausforderungen gehört es, uns nicht in solche Rollen drängen zu lassen. Auch aus diesem Grund sind unabhängige antifaschistische Medien unverzichtbar.
Die Aufdeckung des NSU hat Projekte, die sehr nah an der Neonazi-Szene recherchieren, vor Fragen gestellt. Haben wir unsere eigenen Analysen nicht ernst genug genommen? Warum wurde die Deutung der Ermittlungsbehörden nicht hinterfragt? Oder überfordern solche konspirativ begangenen Taten schlichtweg unsere Fähigkeiten, sind die an uns gestellten Ansprüche zu hoch?
AIB: Wir hoffen nicht, dass die an uns gestellten Ansprüche zu hoch sind, müssen uns aber eingestehen, dass auch wir nicht aus allen Fehlern der letzten Jahrzehnte gelernt haben. Bezogen auf die Neonaziszene war und ist nicht nur uns bewusst, dass rechte Ideologien menschenverachtend und gewalttätig sind sowie in letzter Konsequenz auf Vernichtung abzielen. Dies immer wieder klar zu benennen ist Teil unserer Arbeit. Die Verstrickungen der Sicherheitsbehörden in den NSU bestärken uns zwar in unserem Fokus auf unabhängige Recherchen, dennoch haben wir die Möglichkeiten verdeckter und bewaffnet agierender Neonazi-Strukturen augenscheinlich nicht erkannt.
Dies bringt uns zu dem zweiten Punkt. Wären die vom NSU Ermordeten weiß-deutsche Antifas gewesen, wäre mit Sicherheit nicht nur die Empörung innerhalb der antifaschistischen Bewegung eine andere gewesen, sondern auch wir hätten eventuell einen stärkeren Fokus auf die Morde gelegt. So gesehen konnten wir unseren in der erwähnten Ausgabe 50 formulierten Anspruch nicht erfüllen. Eine zu Recht an die mehrheitlich weiße Antifaszene gerichtete Kritik, den Taten des NSU zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt zu haben, da die Betroffenen einen „Migrationshintergrund“ besaßen, muss nicht nur angenommen, sondern ebenso Teil unserer Arbeit und Analyse werden. Das setzt eine notwendige Reflexion unserer bisherigen Praxis voraus, um nicht im eigenen „Szenesumpf“ stecken zu bleiben, sondern gemeinsame Kämpfe mit negativ von Rassismus Betroffenen zu führen, die nicht nur Lippenbekenntnisse bleiben.
GAMMA: Klar, unsere eigenen Ansprüche sind so hoch, weil wir antifaschistische Politik ernst nehmen. Das bedeutet aber nicht, dass diese Ansprüche sich immer bewähren: Unsere Möglichkeiten, Nazistrukturen aufzudecken, sind begrenzt; und noch begrenzter ist der Handlungsspielraum, diese Strukturen dann auch wirklich aus dem Rennen zu nehmen. Das ist banal und war lange vor dem Auffliegen des NSU bekannt – dass jetzt Selbstkritik wichtig ist, versteht sich freilich von selbst.
Es verstand sich aber – zumindest bei uns – auch immer von selbst, dass wir kein alternativer Verfassungsschutz sein wollen und dass antifaschistische Politik etwas anderes zu bedeuten hat als das Aufziehen einer Privatdetektei. Insofern denken wir, dass Antifa-Initiativen wenn, dann nicht auf einer „handwerklichen“, sondern einer politischen Ebene „versagt“ haben. Eine Kritik an Ermittlungsbehörden setzt doch voraus, dass antifaschistische Initiativen auch in einem kritischen Verhältnis zu diesem Staat und dessen Institutionen stehen. Aber was bleibt von so einer Kritik übrig, wie soll ein „Hinterfragen“ des Behördenhandelns noch aussehen, wenn sich manche Mitverantwortliche in oft zitierten antifaschistischen Publikationen verewigen dürfen? Der kritische Antifaschismus, für den wir streiten, läuft ohne Staat. Wir wollen einen Antifaschismus ohne einen Extremismus-Theoretiker wie Armin Pfahl-Traughber, um nur einen zu nennen.
Diese politische Grenzziehung einzufordern wäre eine Konsequenz insbesondere aus dem Behördenhandeln, das gegen den Rechtsterrorismus des NSU nichts ausgerichtet hat. Der Rechtsterrorismus in dieser Republik war, ist und bleibt eine Verschlusssache – das ist ein Teil des Problems. Noch vor der Frage, wie triftig dagegen unsere eigenen Analysen sind, steht daher die politische Frage: Steht „unser“ Antifaschismus wirklich im Gegensatz zu den Erzählungen staatlicher Institutionen, oder will er sich ihnen andienen? Das macht einen Riesenunterschied.