In die falsche Richtung
„Law & Order“-Parolen prägen die Debatte über gewaltorientierten Islamismus
Nachdem im März vier Salafisten zur vorbeugenden Verhinderung möglicher Straftaten inhaftiert wurden, droht die Auseinandersetzung mit dem Problem des gewaltorientierten Islamismus erneut in einen populistischen „Sicherheits“-Diskurs zu münden.Mit dem angeblich geplanten Attentat auf den pro-NRW-Chef Markus Beisicht ist das Thema Rassismus in den Hintergrund gerückt. Die Union scheint das Thema Islamismus offensichtlich zu nutzen, um weitere Verschärfungen des Zuwanderungsgesetzes zu erwirken. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach kündigten an, auf der Innenministerkonferenz im Mai einen Gesetzesentwurf zur schnelleren Ausweisung von „Salafisten und Hasspredigern“ vorzulegen. Hierzu solle die im § 54 des Zuwanderungsgesetzes festgelegte „Ausweisung im Regelfall“ bei erfolgter gewalttätiger politischer Aktivität ausgeweitet werden auf „fanatisch religiöse Ausländer“: offensichtlich purer Populismus. Denn laut Angaben des Inlandsgeheimdienstes Verfassungsschutz besitzen mehr als 70 Prozent der zirka 4.500 hier lebenden Salafisten die deutsche Staatsbürgerschaft. So sind auch drei der vier im März festgenommenen Salafisten Deutsche und fallen damit nicht unter die angeblich dringend erforderlichen Gesetzesverschärfungen. Durch derartige Zuschreibungen wird das Problem des gewaltoriertierten Islamismus umgedichtet in ein „Ausländer-Problem“. Die Politik des Pauschalverdachts ersetzt hier wieder einmal die differenzierte Analyse.
Law & Order statt Analyse
NRW-Innenminister Ralf Jäger positioniert sich in diesem Kontext als Macher, der mit Repression und „zero tolerance“ gegen „Extremismus in jeder Form“ in Erscheinung tritt. Sowohl die jüngsten Verhaftungen der Salafisten als auch die Beobachtung der extrem rechten und muslimfeindlichen Partei pro NRW werden als Beispiele für ein erfolgreiches Vorgehen zu verkaufen versucht. Im Hinblick auf die reale Entwicklung politischer Radikalisierungs- und Eskalationsdynamik bei IslamistInnen und muslimfeindlichen RassistInnen relativieren sich solche Erfolgsmeldungen. Doch ein lediglich repressives staatliches Vorgehen führt nicht zur Unterbindung, sondern lediglich zur Verlagerung von islamistischer und extrem rechter Demokratiefeindlichkeit. Zudem verstärkt ein einseitig repressives Vorgehen die in diesen Kreisen trotz unterschiedlicher Ausrichtung ritualisiert gepflegten Verschwörungstheorien und den dort ebenso gepflegten Opferstatus. Eine Folgeerscheinung daraus zeigt sich in der Verfestigung gleichfalls existenter Untergangs- und „Endkampf“-Szenarien.
Fragen statt vorschneller Antworten
Nach der Festnahme der zwei tatverdächtigen Angehörigen der nordrhein-westfälischen Salafistenszene in der Nähe des Wohnortes des pro-NRW-Chefs Beisicht waren die Medien in ihren Wertungen vorschnell bei der Sache: „Mordanschlag in letzter Sekunde verhindert“, so der Tenor in den Tagen nach der nächtlichen Festnahme und der Verkündung erster polizeilicher Ermittlungsergebnisse. In Anbetracht der bekannten Fakten relativieren sich nicht nur solche Wertungen, sondern es ergeben sich weitere Fragen, deren Beantwortung erst eine klare Einschätzung des salafistischen Gefährdungspotenzials ermöglichen. Zentral hierfür erscheinen nach dem aktuellen Kenntnisstand die Frage nach der Konkretisierbarkeit der Mordabsichten sowie die Frage nach einem möglichen Zusammenhang mit der Deponierung eines nicht zündfähigen Sprengsatzes auf dem Bonner Hauptbahnhof im Dezember des letzten Jahres. Sollten sich hierbei personelle Überschneidungen in der Täterschaft nachweisen lassen, ist zu klären, in welcher Form und in welchem Ausmaß durch verdeckte Ermittlungen seitens der Überwachungs- und Verfolgungsbehörden Kenntnisse über die Aktivitäten der Festgenommenen und deren Umfeld bestanden haben. Laut Presseberichten liefen solche verdeckten Ermittlungen gegen das nordrhein-westfälische salafistische Netzwerk seit November 2012. In diesem Kontext ist zudem ungeklärt, welches Ausmaß die geheimgehaltenen verdeckten Maßnahmen erreicht haben. Im bekannt gewordenen Fall der sogenannten Sauerland-Gruppe gewaltorientierter Salafisten gingen diese Maßnahmen so weit, dass den Fanatikern von den Behörden nicht funktionsfähiger Sprengstoff geliefert wurde. Um die reale Stärke des aktuellen salafistischen Gewaltpotenzials beurteilen zu können, müsste auch diese Frage geklärt werden.
Keine Auseinandersetzung mit Rassismus
In den Kommentarspalten der Zeitungen häuften sich nach den Festnahmen im März die Aussagen mit dem Tenor, dass mit dem Salafismus nun eine neue Qualität von gewalttätigem Fanatismus in Erscheinung trete, die eine Veränderung der angeblich vorherrschenden Verengung des Blick auf den „Rechtsextremismus“ nach sich ziehen müsse. Hierbei kommt ein bekannter Reflex zum Ausdruck, durch den das Thema „Ausländergewalt“ die notwendige Auseinandersetzung mit dem Problem des gewalttätigen Rassismus zu überlagern droht. Selbstverständlich stellt der gewaltorientierte Islamismus ein schwerwiegendes Problem und eine große Herausforderung auch hierzulande dar. Damit darf jedoch nicht das Ausmaß rassistisch motivierter Gewalt in Deutschland relativiert werden, das hinsichtlich der real erfassten Straftaten das Potenzial islamistischer Gewalt quantitativ um ein Vielfaches überragt. Zudem stärkt eine so begründete Relativierung extrem rechter Gefahr die extrem rechten Akteure in ihrem Bestreben, sich selbst als Opfer zu stilisieren.
Ursachenforschung und Prävention
In der öffentlichen Debatte um dieSchlussfolgerungen aus der Gefahr des gewaltorientierten Salafismus bestimmen Alarmismus und Law & Order-Parolen den vorherrschenden Tenor. Dabei bleibt außen vor, dass das Wissen über den salafistischen Islamismus im Allgemeinen wie über die Ursachen und Entwicklungen von gewaltorientierten Radikalisierungstendenzen im Besonderen wenig bis gar nicht vorhanden ist. Trotz der Tatsache, dass sich das salafistische Gefährdungspotenzial hierzulande meist auf Fanatiker mit deutschem Pass und oftmals auch auf deutsche Konvertiten ohne Migrationsbiografie konzentriert, artikuliert sich politisch mehrheitlich eine Verknüpfung der „Extremismusdebatte“ mit der sogenannten Ausländerfrage. Ebenso wird hinsichtlich des muslimfeindlichen Rassismus oft lediglich die Verfassungsfeindlichkeit der dort hervortretenden Akteure in den Blick genommen, anstatt sich mit der Eskalationsspirale rechtspopulistischer Muslimfeindlichkeit zu beschäftigen. Ebenso wie im salafistischen Spektrum zeigen sich auch in der muslimfeindlichen Rechten gefährliche Tendenzen zu apokalyptischen Endzeitprophezeiungen und zunehmende Gewaltandrohungen: Die Dimension möglicher Folgen solcher Entwicklungen hat der Massenmord des muslimfeindlichen Rassisten Anders Behring Breivik in erschreckender Form veranschaulicht.