Rechte Frei-Räume

Bedeutung, Strategie und Praxis extrem rechter Raumaneignung

Von jeher war die Existenz gesellschaftlicher Freiräume für die Entwicklung politischer Bewegungen entscheidend. Unter Freiräumen versteht die Bewegungsforschung soziale Orte wie Jugendzentren, Wohngemeinschaften oder Treffpunkte, in denen die Utopien politischer Bewegungen als zeitlich oder territorial begrenzte neue Ordnung ohne staatliche Eingriffe ausprobiert und vorweggenommen werden können.

Von jeher war die Existenz gesellschaftlicher Freiräume für die Entwicklung politischer Bewegungen entscheidend. Unter Freiräumen versteht die Bewegungsforschung soziale Orte wie Jugendzentren, Wohngemeinschaften oder Treffpunkte, in denen die Utopien politischer Bewegungen als zeitlich oder territorial begrenzte neue Ordnung ohne staatliche Eingriffe ausprobiert und vorweggenommen werden können.

In einer von ihr als feindlich wahrgenommenen Umwelt sind Frei-Räume für die extreme Rechte Orte der politischen Sozialisation des Nachwuchses und der identitären Selbstvergewisserung. Unter gezielter Ausblendung gesellschaftlicher Widersprüche kann in ihnen die Wirkmächtigkeit extrem rechter Agitation in die Praxis umgesetzt werden. Seit Jahrzehnten gestaltet die extreme Rechte in Verbänden wie der Wiking-Jugend oder später der Heimattreuen Deutschen Jugend diese Frei-Räume in Form neonazistischer Kindererziehung aus. Im Erwachsenenalter erwiesen sich die hier sozialisierten Jugendlichen spektrenübergreifend als zuverlässige weltanschauliche Kader. Auch die Artgemeinschaft stellt einen solchen, nach außen stark abgeschotteten Bereich dar, in dem möglichst störungsfrei Sozialisation, Selbstvergewisserung und Vernetzung ablaufen können.

Zu Beginn der 1990er Jahre führten Neonazis unter dem Motto „Schafft befreite Zonen“ vor dem Hintergrund einer Welle rassistischer Pogrome eine Debatte um die Frage, wie sie ihren gesellschaftlichen Einfluss ausbauen könnten. Im Kern ging es um eine Erweiterung des Handlungsspielraums über das eigene Milieu hinaus. Der partielle Erfolg rassistischer Pogrome sollte das Modell für andere Themen sein, mit denen die extreme Rechte eine „Gegenmacht“ aufzubauen gedachte.

Die Debatte um „befreite Zonen“ nahm ihren Verlauf unter dem Eindruck des Handelns von Justiz und Polizei, aber auch der Präsenz von AntifaschistInnen oder deren Abwesenheit in einer Region. Aus dem Konzept „Befreite Zonen“ wurde ein medial wirksamer Agitationsbegriff der extremen Rechten, der neonazistische Gewalt ebenso umfasste wie Versuche, sich gesellschaftlich zu etablieren.

In der Debatte um extrem rechte Frei-Räume gilt es zwischen Freiräumen und Dominanzräumen zu unterscheiden. Echte Frei-Räume wie szeneeigene Immobilien, Vertriebe und Verlage bilden das strukturelle Rückgrat der extremen Rechten, aus deren Ressourcen sich die Bewegung speist. Dominanzräume sind Orte oder Regionen in denen die öffentliche Repräsentanz und Verankerung der extremen Rechten dafür sorgt, dass ihre soziale Praxis als Normalität legitimiert oder hingenommen wird.

Befreite Zonen – Ursache und Wirkung

Das Konzept „Schafft befreite Zonen“ wurde 1991 von anonymen AutorInnen in der – von der NPD-Studentenorganisation Nationaldemokratischer Hochschulbund herausgegebenen – Zeitschrift Vorderste Front veröffentlicht. Im Text, in dem es darum geht, Freiräume im „vorpolitischen Raum“ zu erobern, heißt es einleitend: „Einmal ist es die Etablierung einer Gegenmacht. Wir müssen Freiräume schaffen, in denen wir faktisch die Macht ausüben, in denen wir sanktionsfähig sind, d.h. wir bestrafen Abweichler und Feinde.“ Das Konzept skizzierte ebenso die Entwicklung eigener ökonomischer Strukturen: „eine Druckerei, eine Werbeagentur, ein Reiseunternehmen für kleine Geldbeutel. Man kann ‚T-Hemden’ oder Schallplatten verkaufen, es gibt tausend und eine Möglichkeit, aus dem System auszubrechen und Kohle zu verdienen“.

Tatsächlich ist festzustellen, dass es der extremen Rechten in den 1990er Jahren gelang, durch Gewalttaten und Drohungen Dominanzräume zu etablieren. „Ich persönlich bin seit 1990 in der Szene. Um diese Zeit war es der Polizei nicht möglich uns zu kontrollieren. Nach der Wiedervereinigung gab es hier [auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, Anm. d. A.] viele neue Gesetze welche die Polizei noch nicht alle kannte. Zudem waren sie über die Menge der Neonazis sehr überrascht“, schwärmt ein Mitglied der Brandenburger Band Frontalkraft über die frühen 1990er Jahre. Dieser Zeitraum wird in der extremen Rechten als Zeit des Aufbruchs und Phase der unbegrenzten Möglichkeiten beschrieben. Rassistische Pogrome und eine Welle sanktionsfreier rechter Gewalt vermittelte der Szene den für die damalige Zeit nicht unzutreffenden Eindruck, ihrem Agieren seien keinerlei Grenzen gesetzt. Ausgehend von den neuen Bundesländern konnte die Szene eine Praxis etablieren, die ihr über Konzerte, Gewalttaten und Wahlerfolge Bewegungscharakter verlieh. Staat und Gesellschaft traten dem mit unsteter Aufmerksamkeit entgegen. Auf Phasen intensiver gesellschaftlicher Debatten und hohen behördlichen Verfolgungsdrucks folgten Zeiträume, in denen das gesellschaftliche Interesse an Neonazis fast völlig erstarb.

Im Verlauf der 1990er Jahre entstanden tragfähige ökonomische Strukturen in Form von Labeln, Läden und Versänden, die Tonträger und einschlägige Szenebekleidung produzieren und vertreiben. Die Entwicklung einer extrem rechten Binnenökonomie geht jedoch ebenso wenig auf strategische Planungen der extremen Rechten zurück, wie die sich in den 1990er Jahren zunächst in den neuen Bundesländern herausbildende Hegemoniefähigkeit extrem rechter Jugendkultur. Vielmehr führte ein Zusammenspiel gesellschaftlicher Diskurse zu Themen wie Asyl und Nation zu einer Normalisierung rechter Positionen. Die Existenz rechter Freiräume führte dazu, dass die Akteure des Neonazismus ihren Handlungsspielraum ausweiten konnten. Maßgeblich für die Frage nach Kriterien des Erfolgs für die Umsetzung des Konzepts „befreite Zonen“ ist somit nicht, ob und wie alle aufgeführten Aspekte von „Gegenmacht“ real wurden. Relevant für die heutige Debatte ist die Tatsache, dass Elemente des Konzepts dadurch eine Umsetzung erfuhren, dass die extreme Rechte heute in einigen Regionen nicht mehr die Existenz einer geächteten Subkultur führt, sondern als „normal“ gilt.

„Hardware“ der Bewegung

„Nationale Zentren und Objekte“ sind das Leitthema einer im Herbst 2012 erschienenen Ausgabe der JN-Zeitschrift Der Aktivist. Darin betonen die Autoren, „dass ein Zentrum in vielfacher Hinsicht strukturelle und taktische Vorteile für Aktivisten liefert – etwa als Materiallager, Treffpunkt, Veranstaltungsort, kulturelle Begegnungsstätte oder Anlaufstelle für Sympathisanten“. Der Aufbau solcher Zentren steht für die JN in der Tradition des „Befreite Zonen“-Konzeptes. Für Veranstaltungen nicht auf externe VermieterInnen angewiesen zu sein, sei eine wesentliche Voraussetzung für politisch-organisatorische Arbeit.

Lang ist die Geschichte extrem rechter Versuche, über die Nutzung von Immobilien den Prozess politischer Organisation voranzutreiben. Schon 1970 bauten Aktivisten der „neurechten“ Außerparlamentarischen Mitarbeit in der Berliner Panierstraße ein „Nationales Zentrum“ auf. Im Jahr 1990 besetzten Neonazis in Berlin-Lichtenberg ein leerstehendes Haus in der Weitlingstraße, gründeten dort eine Wohngemeinschaft und terrorisierten einen ganzen Stadtteil.

In einer Antwort der Bundesregierung vom 27.08.2013 auf eine parlamentarische Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion zu „Rechtsextremismus im ländlichen Raum“ werden auch Immobilien der extremen Rechten thematisiert, bundesweit seien 260 solche Orte existent. Einen Schwerpunkt bildet dabei Sachsen (48 Objekte) aber auch in Rheinland-Pfalz (24), Baden-Württemberg (14), Hessen (12) und Nordrhein-Westfalen (9) verfügt die Szene über eine größere Anzahl von Objekten. Die Mehrzahl der aufgeführten Objekte werden vor allem für Treffen und Zusammenkünfte genutzt, zirka ein Viertel für Vorträge und Schulungen, ein weiteres Viertel für Konzerte und fast zehn Prozent für kommerzielle Aktivitäten.

Trotz dieser hohen Zahl blickt die deutsche Szene neidvoll nach Italien. Dort gelang es der Casa-Pound-Bewegung seit 2003, eine Vielzahl an Häusern zu besetzen und dort Wohnungen oder gar „Nationale Zentren“ zu etablieren. Kein Wunder, dass die Kameraden der JN, wie sie in Der Aktivist berichten, nach Italien fuhren, um sich dort mit dem „Chef der Casa Pound“, Gianluca Iannone, zu treffen. Sie interviewten ihn, um Anregungen der italienischen Faschisten zu bekommen und sich an deren Erfolgen zu berauschen. Die „Militanten“ der Casa Pound kümmern sich laut Iannone aus sozialer Verantwortung um die Gründung von Läden, in denen „Brot zum Selbstkostenpreis verkauft wird“, um „zensierte Kultur“, aber auch um Proberäume und Auftrittsmöglichkeiten für Untergrundbands. Anders als in Italien ist es der extremen Rechten in Deutschland meist nicht gelungen, ihre Räume sozial zu verankern.

Erlebnisräume

Konzerträume sind wichtige Räume für das Gemeinschaftserlebnis neonazistischer Jugendkultur. Recherchen des Journalisten Thomas Kuban, der über Jahre hinweg diese Konzerte verdeckt besuchte, zeigen, wie selbstverständlich hier das Zeigen des Hitlergrußes und das gemeinsame „Sieg Heil“-Gegröle sind. Diese temporären Räume des straffrei ausgelebten Neonazismus geraten jedoch seit Jahren unter Druck – nicht zuletzt bedingt durch die kontinuierliche Berichterstattung antifaschistischer Medien und das Material Kubans. Häufiger kommt es zu Absagen und Auflösungen von Konzerten. Teils dadurch, dass die VermieterInnen der Räume – Gaststätten, Hallen oder auch nur eine Wiese – auf den extrem rechten Charakter der geplanten Veranstaltungen hingewiesen werden und dann die Verträge kündigen, teils durch die Auflösung der Konzerte aufgrund von fehlenden Anmeldungen oder mangelhaftem Brandschutz. In den letzten Jahren hat eine deutliche Konzentration der Nazi-Konzerte auf wenige Orte stattgefunden. So fanden 57 von 131 Konzerten laut Informationen des VS in 2011 in nur sieben Objekten statt. Über 90 Prozent der extrem rechten Konzerte waren 2012 in „Szeneobjekten“ geplant.

Frei-Raum durch Kommerz

Fast 10 Prozent aller Räume, über welche AkteurInnen der extremen Rechten verfügen, werden für kommerzielle Aktivitäten genutzt. Zu nennen sind Gebäude von Buchverlagen und Vertrieben, wie das des Deutsche-Stimme-Verlages. Vor allem handelt es sich jedoch um die Räumlichkeiten von Geschäften und Versänden, die Tonträger und Szenebekleidung verkaufen. Sie stellen Informations-, Anlauf- und Treffpunkte lokaler Szenen dar. Jenseits der tatsächlichen Örtlichkeiten etablierten sich hier „Freiräume“ in Form von bezahlter Arbeit. Die BetreiberInnen sind nur noch von ihrer Szene abhängig, ihnen wird kein/e ArbeitgeberIn aufgrund antifaschistischer Intervention kündigen. Sie ermöglichen der Szene die Herstellung von Produkten, die auf dem „freien Markt“ schwierig zu bekommen wären. Der Besitz von eigener Infrastruktur, von Tonstudios, T-Shirt-Druckmaschinen oder anderer Produktionsmöglichkeiten erhöht die Handlungsoptionen der extremen Rechten.

Räume eng machen

Über das Konzept zur Schaffung von „Befreiten Zonen“ wurden in den 1990er Jahren Strategiediskussionen geführt. Damals erschienen in der Folge des ersten Papiers allein in der NPD-Parteizeitung Deutsche Stimme 14 Artikel, welche die Frage erörterten, mit welcher Strategie „Freiräume“ zu erlangen seien. Eine solche Diskussion ist heute nur noch in Ansätzen zu erkennen. Ob der interessierte Blick auf die erfolgreichere Casa-Pound-Bewegung in Italien tatsächlich dazu führt, dass die Kader in Deutschland ihr Agieren erfolgreicher gestalten können, erscheint dennoch fraglich. Das ändert jedoch nichts an der Wichtigkeit und Notwendigkeit, die Bedeutung materialisierter Frei-Räume der extremen Rechte zu erkennen und ihr jene Orte des Experimentierens und des Rückzugs zu nehmen.