Streicheleinheiten für Andi

Der NRW-Landtag beschließt ein Gesetz zur Absicherung des Verfassungsschutzes

Man hatte es plötzlich eilig: Am 20. Februar 2013 präsentierte die Landesregierung ihren Entwurf, am 19. Juni segnete der Landtag mit den Stimmen von SPD und Grünen das neue Verfassungsschutzgesetz Nordrhein-Westfalens ab.

Man hatte es plötzlich eilig: Am 20. Februar 2013 präsentierte die Landesregierung ihren Entwurf, am 19. Juni segnete der Landtag mit den Stimmen von SPD und Grünen das neue Verfassungsschutzgesetz Nordrhein-Westfalens ab.

„Die bekannt gewordenen Anschläge des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds haben gezeigt, dass eine wehrhafte Demokratie einen Ver­fassungs­schutz benötigt, der imstande ist, Radikalisierungsbestre­bun­gen und Gewaltorientierung früh­zeitig zu erkennen und ihnen wirksam ent­gegen­zutreten.“ So beginnt die Problem­beschreibung, die die rot-grüne Lan­des­regierung ihrem Entwurf eines „Gesetzes zur Neuausrichtung des Ver­fassungsschutzes“ vorausschickte. Und schon mit diesem Satz war klar, dass von dem Gesetz jedenfalls keine „Neu­aus­richtung“ der Innenpolitik zu er­war­ten war. Der NSU-Skandal sollte beendet werden – und zwar so, wie alle anderen Geheimdienstskandale zuvor: mit ein bisschen mehr parlamentarischer Kon­trolle, mit ein bisschen mehr rechtli­chem Geklappere, aber ohne den Ver­fas­sungs­­schutz und sein rechtlich-ideologisches Fundament – die „wehr­hafte Demokratie“, die „frei­heit­liche demokratische Grundordnung“ (fdGO) – in Frage zu stellen oder auch nur den Versuch zu machen, den In­lands­geheimdienst zu entgeheim­dienst­li­chen, sprich: ihm wenigstens die „nach­richtendienstlichen Mittel“ zu entziehen. Der Geheimdienst soll weiter geheim arbeiten. Gleichzeitig soll seine öffentliche Rolle gestärkt werden: Er wird herausgeputzt als „gesellschaft­liches Frühwarnsystem“, das im „stä­n­digen Dialog mit der Gesellschaft“ über Ge­fahren für die fdGO informiert.

Betriebsunfall NSU

NRW steht mit diesem Vorgehen nicht alleine da. Die Untersuchungsaus­schüs­se des Bundestages und der Landtage in Thüringen, Sachsen und Bayern hatten ihre Arbeit noch nicht einmal begon­nen, als Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und seine Kollegen aus den Ländern bereits mit ihrer Analyse des NSU-Debakels fertig waren. Nicht von institutionellem Rassismus sollte geredet werden, nicht von der Verharm­lo­sung rechter Strömungen und auch nicht davon, dass gerade die Ver­fas­sungs­schutz-Ämter (aber auch die po­li­ti­schen Abteilungen der Polizei) mit ihrem System gut bezahlter und gut in der Szene „verankerter“ V-Leute Neo­­nazi-Gruppen geradezu gepäppelt hatten. Dass die Mordserie und die Anschläge des NSU über Jahre nicht aufgeklärt wur­den, dass das 1998 abgetauchte Trio Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe un­be­helligt blieb – das sei das Ergebnis einer Serie von Pannen, ein schwerer Be­triebs­unfall, ausgelöst durch mangelnde Ko­operation und Koordination von Po­li­zei und Verfassungsschutz, von Bund und Ländern.

Da­mit waren auch die politischen Fol­ge­run­gen klar: noch mehr Zusammenar­beit von Polizei und Geheimdiensten, noch mehr Gewicht für die zentralen Ins­tanzen, insbesondere das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Bereits im Dezember 2011 nahm das Gemeinsame Ab­wehrzentrum gegen Rechtsextremismus (GAR) beim BfV in Köln und bei der BKA-Staatsschutzabteilung in Meckenheim seine Arbeit auf. Der Entwurf eines Gesetzes zur gemeinsam von Polizei und Verfassungsschutz be­triebenen Rechtsextremismusdatei (RED) lag im Februar 2012 vor, im Sept­ember 2012 ging sie ans Netz. Ebenfalls bereits im Dezember 2011 änderte die Innenministerkonferenz (IMK) im Hau-Ruck-Verfahren die „Koordinierungs­richt­linie“, die die Landesämter für Ver­fas­sungsschutz (LfV) nun verpflichtet, wie zuvor im Bereich des Terrorismus auch alle Informationen in Sachen Rechts­extremismus einschließlich der un­ge­filterten „Quellenmeldungen“ an das BfV weiterzuleiten. Mit dem RED-Ge­setz verabschiedete der Bundestag auch erweiterte Speicherungsbefug­nisse: Wie bei der Spionageabwehr und „Be­stre­bungen, die darauf gerichtet sind, Ge­walt anzuwenden oder Ge­walt­an­wen­dung vorzubereiten“ müssen die LfV nun im zentralen Nachrichten­dienst­­lichen Informationssystem (NADIS) des Ver­fassungsschutzes nicht mehr nur Fund­stellen, sondern Voll­text-In­for­ma­tio­nen zum Rechtsextre­mis­mus er­fas­sen.

Und die Innenminister diskutierten wei­ter über die Zentralisierung des In­lands­ge­heimdienstes. Das Wort von der „Neu­aus­richtung“ des Verfassungsschutzes tauchte erstmals im August 2012 auf, in einem „Eckpunktepapier“ der Län­der­in­nen­minister, das wohl aus den Federn von NRW-Innenminister Ralf Jäger und sei­nem damaligen niedersächsischen Kol­legen Uwe Schünemann stammte. Die Länder verteidigten darin ihre Ver­fas­sungsschutzämter nur halbherzig ge­gen das forsche Drängen Friedrichs. Statt von Zentralisierung redeten sie von einer Verstärkung des „Verfas­sungs­schutzverbundes“.

Im Dezember 2012 akzeptierte die In­nenministerkonferenz nicht nur die Ein­gliederung des GAR in das neue Gemeinsame Extremismus- und Terroris­mus­abwehrzentrum (GETZ), dessen Einrichtung der Bund einen Mo­nat zuvor im Alleingang beschlossen hatte und das sich nun nicht mehr nur mit den rechten, sondern mit allen Formen des „Extremismus“ und Ter­roris­mus befassen soll – mit Ausnahme des islamistischen, dafür gibt es seit län­ge­rem das Gemeinsame Terrorismus-Ab­weh­r­zentrum in Berlin-Treptow.

Darüber hinaus machte die IMK aus der Koordinierungsrichtlinie eine der „Zusammenarbeit“. Deren genauer In­halt ist zwar nicht bekannt, aber aus Vor­papieren des IMK-Arbeitskreises IV (Verfassungsschutz) ist deutlich, dass das BfV erheblich mehr Macht im Ver­bund erhalten soll. Die Landesämter für Ver­fassungsschutz sollen nun zu allen „Phä­nomenbereichen“ alle relevanten Da­ten ans BfV liefern, das diese zentral aus­werten soll. Das BfV erhält die führende Rolle bei den „gewalt­orien­tier­ten Bestrebungen“. Das neue NADIS-Wis­sensnetz sieht eine generelle Voll­text­speicherung vor. In der Pres­se­er­klä­rung der IMK tauchte der NSU übrigens nur noch als „aktuelle Ereignisse“ auf.

Neues Gesetz – neuer Glanz?

Das neue NRW-Verfassungsschutzgesetz nimmt die Zentralisierungsdebatte nur an einem Punkt auf. In § 18 wird die Übermittlung ans BfV pauschal abge­seg­net. Die Zentralstellenfunktion des Bun­desamtes, seine „zentrale koordi­nierende Rolle“ im Verbund, solle gestärkt werden, heißt es lapidar in der Begründung. Der Rest der „Neu­aus­rich­tung“ spielt sich unterhalb der Ebene des Verbunds ab. Zum Beispiel die halbgare und völlig unverbindliche Kon­zen­tration auf „ge­waltorientierte Be­stre­bungen“. Bei ihnen sollen gemäß dem neuen § 1 des Gesetzes die „Schwer­punkte“ des Einsatzes nach­rich-ten­dienstlicher Mittel liegen. Aber erstens erklärt die Landesregierung in ihrer Begründung klipp und klar, dass die Überwachungs­tätigkeit ihres Ge­heim­dienstes sich natürlich „nicht ausschließlich auf diesen Bereich be­schränkt“, denn sonst könnte die „Ra­di­ka­lisierung“ noch nicht „gewalt­orien­tierter“ Bestrebungen ja nicht erkannt werden. Und zweitens ist der Begriff „gewaltorientiert“ so weich wie Butter in der Sonne. Ob eine Person oder Orga­ni­sation eine solche Orien­tierung ver­folgt, ob eine „Bestrebung“ überhaupt „gegen die freiheitliche demokratische Grund­ordnung ge­richtet“ ist, ent­scheidet letzten Endes der Verfassungs­schutz selbst. Das Kennzeichen des Geheim­dienstrechtes ist, dass es keine Rechts­sicherheit bietet.

Aus­drücklich festgeschrieben hat der Gesetzgeber, dass beim Einsatz nach­rich­tendienstlicher Mittel der Schutz von BerufsgeheimnisträgerInnen und der des „Kernbereichs privater Lebens­gestaltung“ zu berücksichtigen ist. Dass sie den durchaus auch wollen, mag man den VerfassungsschützerInnen sogar abnehmen. Schließlich sind und waren sie nicht an Ehestreitigkeiten oder Bettgeflüster, sondern an politischen Gesin­nungen interessiert.

Das Repertoire der geheimen Über­wachungs­methoden wird jedoch nicht ausgedünnt. Der Verfassungsschutz muss weder auf Observationen und die dazu tauglichen Mittel, noch auf V-Leute und Verdeckte Ermittler noch auf die Telekommunikationsüberwachung, den IMSI-Catcher, auf Verbindungs­daten der Telekommunikation oder auf Kontendaten verzichten. Genommen wird ihm nur der Lauschangriff in Wohnungen, den er bisher noch nie anwandte. Eine Befugnis zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung, also zum Einsatz von Trojanern, will sich die Landesregierung vom Landtag später holen, wenn sie eine zertifizierte Software hat.

Hinsichtlich der V-Leute haben Regie­rung und Parlament nur Regelungen ins Gesetz aufgenommen, die in ähnlicher Form schon bisher in der Beschaffungs­dienstvorschrift des BfV enthalten wa­ren – u.a. dass anzuwerbende Personen keine schweren Straftaten begangen haben und begehen, dass sie in der zu bespitzelnden Organisation keine Führungsrolle haben und dass ihr Honorar „nicht auf Dauer die alleinige Lebensgrundlage“ sein darf. Dass in Zukunft nur noch Saubermänner und

-frauen als Spitzel rekrutiert würden, ist jedoch kaum zu erwarten. Denn schließlich will der Verfassungsschutz möglichst interne Informationen, und die erhält er nur von Leuten, die in der überwachten Gruppierung glaubwürdig und bereit sind, sich an innere Zirkel heranzuarbeiten.

Wo liegt die „Neuausrichtung“?

Wo liegt also die „Neuausrichtung“? In der besseren parlamentarischen Kon­trolle durch ein Gremium, das nun auch mal öffentlich tagen darf, wenn nichts geheim zu halten ist, und das sich jetzt endlich durch ein paar MitarbeiterInnen des Landtages helfen lassen kann? Der Verfassungsschutz-Ausschuss des Ber­liner Abgeordnetenhauses kann das seit 1989 und war dennoch nicht in der Lage, der Öffentlichkeit und den Be­troffenen reinen Wein über die Be­spit­zelung des Berliner Sozialforums Mitte der Nullerjahre einzuschenken. Sicher, der NRW-Verfassungsschutz soll das Gre­mium nun regelmäßig über seine Arbeit unterrichten. Letzten Endes bleiben die KontrolleurInnen aber davon abhängig, dass ihnen ihr ge­heimes Kontrollobjekt die relevanten Informationen auch wirklich mitteilt.

Bevor wir’s vergessen: Der NRW-Ver­fas­sungsschutz hat nun auch gesetzlich die Aufgabe, die Öffentlichkeit über Ge­fahren, die der fdGO drohen, zu infor­mie­ren. Das hat er bereits in der Ver­gangenheit getan, insbesondere mit jenen Bildergeschichten vom tapferen Andi, der sämtlichen extremistischen Versuchungen trotzt. In Zukunft dürfte man die Damen und Herren vom Geheim­dienst öfter an Schulen, in Vereinen und allerlei Veranstaltungen antreffen, wo sie unser „gesellschaft­liches Bewusstsein“ stärken und uns das alte Extremismusmärchen in immer neuer Form erzählen. Sie werden sich uns sogar als BündnispartnerInnen im Kampf gegen die extreme Rechte anbieten, den sie ja – siehe NSU – so hervorragend beherrschen. Na Dankeschön.

Wäre es da nicht besser, wir würden uns wie „mündige BürgerInnen“ benehmen, die Geschicke unserer Gesellschaft selbst in die Hand nehmen und die politische Auseinandersetzung mit Rassismus und anderen antidemokratischen Ideo­logien offen führen? Den nötigen Grips und die Fähigkeit zu recherchieren haben wir allemal. Wir brauchen weder die neue Pädagogik noch die alte Schnüffelei des Verfassungsschutzes.

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