„Im Fußball äußert sich Homophobie platter“
Interview mit der Autorin Nicole Selmer
Zur Bedeutung von Homophobie in Fußball-Fanszenen sprachen wir mit der Hamburger Journalistin und Autorin Nicole Selmer, selbst Fan von Borussia Dortmund. Sie schreibt zu Fankultur, Fußball, Antidiskriminierung und Politik, unter anderem für das österreichische Fußballmagazin ballesterer, und engagiert sich im Netzwerk „F_in Frauen im Fußball“.
Thomas Hitzlsperger sprach kurz nach seinem Karriereende als erster deutscher Profifußballer öffentlich über seine Homosexualität. Von FunktionärInnen, Profis und Medien wurde dieser Schritt mehrheitlich wohlwollend kommentiert. Ist das der Beginn eines anderen, normalisierten Verhältnisses zur Homosexualität im Fußball?
Das möchte ich gern glauben. Ich würde die ersten Reaktionen auch in jedem Fall so werten. Das war ein wichtiger Schritt, für den wir Hitzlsperger danken können. Mich nerven die Negativ-Besserwisser, die dann gleich gesagt haben: „Aber hier, der spielt ja auch nicht mehr, das ist ja einfach …“. Einfach ist es nicht, das merkt man ja auch an anderen Reaktionen, übrigens nicht nur im Fußball. Der homophobste öffentliche Kommentar, den ich dazu wahrgenommen habe, kam vom Journalisten Matthias Matussek, der sich seine „Gedankenfreiheit“ nicht nehmen lassen und schon dafür gelobt werden will, dass er nicht zur öffentlichen Steinigung von Homosexuellen aufruft. Verglichen damit sind die Reaktionen, die aus dem Fußballumfeld gekommen sind, geradezu emanzipativ.
Was es unter Fußballfans ebenso wie unter Nicht-Fußballfans häufiger gab, war die „Mir doch egal“-Reaktion, mit unterschiedlicher Betonung. Zum Teil war das so ein „Ihh, lasst mich doch mit euren Bettgeschichten zufrieden. Müssen sich immer alle outen?“, das ist natürlich homophob, auch wenn es sich anders gibt. Da wird einfach übersehen, dass sich heterosexuelle Fußballer permanent outen, mit dem Torjubel mit Daumen im Mund fürs gerade geborene Baby, mit Kuss auf den Ring für die Ehefrau und mit Home-Storys über die Verlobung. Das wird nur nicht bemerkt, klar, das ist ja die ganz normale Heterobeziehung. Es gibt aber unter Fußballfans auch ein aufrichtiges „Mir doch egal“ zu dem Thema, das wird glaube ich oft übersehen. Ein Redakteur von Zeit Online ist kurz nach dem Coming-out in einem Stuttgart-Trikot mit Hitzlsperger-Schriftzug ins Stadion gegangen, um zu testen, ob er blöd angemacht wird. Das wurde er dann teilweise – aber weil er beim Spiel von Schalke gegen Wolfsburg war und niemand verstanden hat, warum er da mit einem Stuttgart-Trikot herumrennt.
Warum ist Homophobie im Männerfußball so virulent?
Nun ja, ist sie denn das? Homophobie tritt im Fußball – und ich würde hier den Frauenfußball ganz dezidiert einschließen – halt meist deutlich platter auf als im Rest der Gesellschaft. So eine pseudointellektuelle Verbrämung von Hass und Ängsten wie eben bei Matussek gibt es nicht oft, sondern da hast du dann „Schwuler Schiri“-Beschimpfungen, Banner mit „Arschfick“ und „Schwanzlutscher“, um Freundschaften zwischen Fangruppen zu beschreiben und so etwas. Im Frauenfußball sind es dann die „Dreckslesben“ und „Mannweiber“, da funktioniert die Beschimpfungslogik zwar anders, aber ebenso homophob. Dieses Direkte und wie gesagt oft auch total Platte wirkt dann heftig und krass, aber es enthält sehr viel Provokation um der Provokation willen und ist auch leicht angreifbar. Ob man aus dieser größeren Sichtbarkeit auch auf eine dahinter liegende stärkere homophobe Einstellung als in anderen gesellschaftlichen Bereichen schließen kann, das ist für mich nicht unbedingt ausgemacht. Immerhin muss man auch sehen, dass sich gerade im Männerfußball – und hier sage ich auch bewusst Männerfußball – in Deutschland in den vergangenen Jahren wahnsinnig viel getan hat. Ich glaube, es gibt wenig andere gesellschaftliche Bereiche, wo eine homophobe Einstellung so viel herausgefordert worden ist wie im Fußball.
Welche Wirkung misst du Kampagnen wie „Fußballfans gegen Homophobie“ zu, an der sich einige Fanszenen beteiligt haben?
Ich glaube der Punkt ist da wirklich die Herausforderung homophober Haltungen, Äußerungen. Kampagnen wie die der „Fußballfans gegen Homophobie“ nehmen da ja klar Stellung und benennen Missstände. Der Rückhalt variiert von Ort und Ort, von Klub zu Klub und Kurve zu Kurve. Nehmen wir das Beispiel Bayern München, der Verein ist jetzt für ein homophobes Banner, das von ein paar Leuten auf der Gegengeraden gezeigt wurde, von der UEFA bestraft worden. Die Ultras von der Schickeria, Queerpass München und sicher auch noch andere Fans haben aber früher schon ganz klar Stellung gegen Homophobie bezogen. Da muss man also wirklich immer genau hingucken.
Welche Bedeutung haben schwul-lesbische Fanclubs in dieser Auseinandersetzung?
Für die schwul-lesbischen Fanklubs gilt das Gleiche. Das unterscheidet sich von Ort zu Ort und hat auch sehr viel damit zu tun, welche Position die sie tragenden Leute in der Fanszene haben. Es gibt mittlerweile viele Orte, wo die queeren Fanklubs akzeptiert und mit anderen Gruppen gut vernetzt sind. Da ist viel vorangegangen. Ich finde es eher schade, dass das eine fast exklusive schwule Angelegenheit ist.
In vielen Fanszenen haben in der letzten Zeit interne Konflikte zugenommen. Einigen Ultragruppen wird zum Vorwurf gemacht, „politische Inhalte“ in die Fanszenen zu tragen. Rechten Kräften sind Bekenntnisse gegen Diskriminierung ein Dorn im Auge. Geht es ihnen auch darum, ihre „Männerbastion Fußball“ zu verteidigen, wo für sie homophobe und sexistische Verhaltensweisen dazugehören?
Nun ja, da kommen verschiedene Dinge zusammen. Die Mär vom Sport, der frei von Politik sein soll und kann, die wird ja in Fanforen genauso erzählt wie bei der FIFA oder dem IOC. Unsinn bleibt das trotzdem. Bei der Auseinandersetzung um die Politik in der Kurve geht es ganz viel um Macht, darum wer bestimmen kann, was gesungen wird, welche Fahnen geschwenkt und welche Spruchbänder geschrieben werden. Ein großes Problem der internen Konflikte in den vergangenen Jahren ist, dass es sich dabei um politische Konflikte handelt, aber eben nicht nur. Rechten Fans oder Fangruppen sind Aktionen gegen Sexismus oder Homophobie ideologisch ein Dorn im Auge, ganz klar. Das ist eine Auseinandersetzung, die zu führen ist, auch hart und deutlich. In anderen Fällen trifft der Antifa-Holzhammer, bei dem es nur „Entweder für uns oder gegen uns“ gibt, meiner Meinung nach zu ungenau. Das Freund/Feind-Denken ist im Fußball halt grundsätzlich angelegt, das funktioniert dann auch in der Kurve sehr gut, überdeckt aber die Komplexität der Verhältnisse. Die Auseinandersetzung darüber, wann aus Beleidigung Diskriminierung wird, wer sich wie von welchem Spruch verletzt fühlt und welche Konsequenzen das haben soll, muss von allen Seiten mit mehr Fingerspitzengefühl und Sorgfalt geführt werden. Aber das ist leichter gesagt als getan.
Vielen Dank für das Interview!