Manic Monday
Eine Kritik der „Montagsdemos für den Frieden“
Ein Montagnachmittag in einer von rund 60 deutschen Städten: Eine bunte Gruppe ist zusammengekommen, teils jung und alternativ aussehend, teils bürgerlich und in der Mitte des Lebens stehend. Parolen für Frieden, gegen die Mainstream-Medien und zur Kritik des Neoliberalismus werden gerufen. Wer genauer hinhört, merkt jedoch rasch: Hier bricht sich nicht nur Gesellschaftskritik Bahn, sondern auch verschwörungstheoretische, antisemitische und völkische Ideologie.
In Koblenz pries ein Redner die antisemitischen „Protokolle der Weisen von Zion“, in Herford bekannte sich eine Rednerin zur extremen Rechten, in Magdeburg griff ein Vertreter der „Reichsbürgerbewegung“ zum Mikrofon, in Düsseldorf eine Aktivistin der German Defence League und in Erfurt posierten militante Neonazis bei den Kundgebungen auf dem Anger. Die extreme Rechte ist auf den Montagsmahnwachen bundesweit facettenreich vertreten.
„Halt Stop – jetzt redet das Volk“ steht auf dem Schild. In Koblenz heißt die lokale Montagsdemonstration zwar „Friedensparty“, die Gemengelage der RednerInnen und TeilnehmerInnen ist jedoch ähnlich wie an anderen Orten. Am 9. Juni legte ein Redner los: „Mir geht es ja nicht darum, die Familien Rockefeller und Rothschild [zu] diskreditieren“, um dann mit offenem Bezug auf die antisemitischen „Protokolle der Weisen von Zion“ zu verkünden: „Wenn ihr euch diese Texte mal durchlest, dann wird euch angst und bange, das ist ein Plan zur Versklavung der Menschheit [...] der wird genau so, wie er da beschrieben wird, angewandt.“ Es folgt der Verweis auf Staatsverschuldung, hohe Kredite, Pressekontrolle und Bildungsnotstand. Widerspruch war nicht zu vernehmen.
Der spirituelle Revolutionär
Begonnen haben die bundesweiten montäglichen Kundgebungen „für den Frieden“ in Berlin. Seit März finden dort auf dem Potsdamer Platz und vor dem Brandenburger Tor „Mahnwachen für den Frieden“ statt. Ihr Auslöser, das werden die InitiatorInnen nicht müde zu betonen, sei die einseitige Berichterstattung vor allem der öffentlich-rechtlichen Medien im Kontext der Ukraine-Krise gewesen. Schon seit Februar hatte sich in Social-Media-Formaten eine Debatte formiert, welche die in der Tat zum damaligen Zeitpunkt sehr selektive und einseitige Berichterstattung von ARD, ZDF und Deutschlandradio zum Ukraine-Russland-Konflikt massiv kritisierte.
Doch die Medienkritik nahm selbst rasch einseitige Züge an. User warfen den Sendern in Shitstorm-Attacken eine gelenkte Kampagne zur Desinformation vor und behaupteten, in deutschsprachigen Medien seien keine alternativen Informationsangebote verfügbar. Um diese These zu belegen, zitierten Facebook-Seiten aus dem Milieu der Montagsmahnwachen ausgerechnet aus dem Spiegel. Einer der maßgeblichen Sprecher der Montagsmahnwachen in Berlin ist der ehemalige rbb-Moderator Ken Jebsen. Der begnadete Selbstdarsteller verlor seinen Job beim rbb-Jugendradio Fritz, weil er in seinen Sendungen mit antisemitischen Schmähungen auffiel. Seitdem ist Jebsen mit seinem Internet- Media-Projekt Ken FM in der Blogosphäre unterwegs.
Was bei Jebsen als Non-Konformismus firmiert, ist tatsächlich ein Konglomerat aus Establishment-Kritik, Medienschelte und antisemitisch konnotierten Verschwörungsthesen zum Funktionsmechanismus des Finanzmarktes und des politischen Systems der USA. Diese und andere Argumentationsmuster weisen eine breite Anschlussfähigkeit zu extrem rechter Kritik am Neoliberalismus und am westlichen Demokratiemodell auf. Jebsens politisches Programm wirbt für eine „spirituelle Revolution“. Auf den Rückgang der Zahl der Teilnehmenden bei den Friedensmahnwachen in Berlin rief er im Juni eine „Phase 2“ seiner Bewegung aus, die auf einen Bewusstseinswandel der TeilnehmerInnen zielt. Für Mitte Juli lädt Jebsen zu einem bundesweiten Treffen der „Montagsmahnwachen“ nach Berlin ein.
Geheimcliquen an der Macht
Die OrganisatorInnen und RednerInnen der Montagsmahnwachen versuchen sich eindeutigen politischen Zuordnungen zu entziehen. Vielfach ist in ihren Statements zu hören, politisch sei das Links-Rechts-Schema überholt. Auf diese argumentative Karte setzt auch die extreme Rechte bei Themen, von denen sie sich eine breitere gesellschaftliche Resonanz erwartet. Diese politische Diffusität setzt sich beim Publikum fort. Eine Untersuchung der Protestforscher Peter Ulrich und Simon Teune von der TU Berlin bestätigte den Eindruck politischer Unübersichtlichkeit. Obwohl die Studie im Hinblick auf Repräsentativität durchaus Anlass zu Zweifeln liefert, bietet sie einen wichtigen Einblick in Sozialstruktur und Einstellungsmuster der TeilnehmerInnen der Montagsdemonstrationen.
Was die soziologischen Merkmale betrifft, so stellen Ulrich und Teune fest, dass die TeilnehmerInnen jünger als bei anderen Protesten sind; die Hälfte ist nicht älter als 35 Jahre. Auch haben sie sich zuvor kaum an Protesten beteiligt, 42 Prozent der Befragten nahmen das erste Mal an Demonstrationen teil, sind also vermutlich auch politisch wenig gefestigt. Befragt man sie nach klassischen Einstellungsmerkmalen der extremen Rechten, dann zeigt sich, dass nur einer von 330 Befragten ein geschlossen rechtes Weltbild aufweist; in der Allgemeinbevölkerung sind es 6 Prozent. Doch finden sich hohe Zustimmungswerte zu einzelnen rechten Aussagen. So sind 62 Prozent der Meinung, Deutschland sei kein souveräner Staat; 52 Prozent vertreten die Auffassung, dass „das amerikanische Militär nur ein Knüppel der FED“ (Federal Reserve, US-Notenbank) sei. 86 Prozent stimmen der Aussage zu, dass „nahezu gleichgeschaltete Medien“ die Mahnwachen in eine rechte Ecke stellen würden, und 71 Prozent glauben, dahinter stünden „geheime Gruppen und Absprachen“. Obwohl 34 Prozent befinden, „Deutschland brauche einen starken Führer“, verorten sich 39 Prozent als „weder links noch rechts“; nur 2 Prozent sehen sich selbst „rechts der Mitte“.
Postdemokratie
Neben den beschriebenen rechten Ideologiefragmenten ist eines der wiederkehrenden Argumente des Protests, man sähe sich mit seinen Auffassungen weder im Parteienspektrum noch in den etablierten Medien vertreten. Diese Wahrnehmung, nicht repräsentiert zu sein, wird in der Politikwissenschaft seit langem unter dem Stichwort „Postdemokratie“ diskutiert. Colin Croachs Theorie, die den Begriff „Postdemokratie“ geprägt und verbreitet hat, geht in ihrem Kern vom formalen Fortbestand demokratischer Institutionen bei gleichzeitigem Verlust ihrer realen Gestaltungsmacht und kulturellen Hegemonie aus. In allen gesellschaftlichen Bereichen hat sich demnach in den letzten zwanzig Jahren die Balance der Macht zu Gunsten ökonomischer Effizienz verschoben. Diese Konsequenz neoliberaler Ideologie führt zu einer Entkernung demokratischer Aushandlungsprozesse.
Die Kritik und Ablehnung bisheriger politischer Artikulationsformen und die Forderung nach neuen Formen politischer Selbstverständigung scheint Ausdruck dieser Repräsentationskrise zu sein. Die verkürzte Kapitalismuskritik gipfelt in dem vielfach geäußerten Wunsch nach einem alternativen, menschlichen Kapitalismus mit selbstbewusst handelnden Konsumenten und spiegelt das Krisenbewusstsein und die Abstiegsängste der bei den Protesten überproportional vertretenen, weiß und männlich dominierten Mittelschicht.
Intervenieren oder ausgrenzen?
Der Blick auf die Geschichte der Montagsdemonstrationen und ihre Einbindung in ein verschwörungstheoretisches, punktuell extrem rechtes Milieu einerseits, andererseits aber die Anwesenheit von TeilnehmerInnen, die sich tatsächlich für Frieden und eine gerechtere Gesellschaft einsetzen, ohne auf rechte Kontexte Bezug zu nehmen – dieser Widerspruch prägt die Diskussion um den Umgang mit den aktuellen Kundgebungen und Demonstrationen. In der Zeitschrift analyse & kritik (ak Nr. 595) wurden idealtypisch zwei konträre Positionen formuliert. Für die Einbindung der Proteste und die Durchsetzung linker Standpunkte bei ihnen spricht sich ein Teil der Linken aus. So werben namhafte Akteure von Die Linke, Attac und Interventionistische Linke „für eine solidarische Auseinandersetzung mit den Montagsmahnwachen“. Ihre Analyse lautet: „Wir teilen nicht die Einschätzung, dass es sich bei den Montagsmahnwachen im Kern um eine neurechte Bewegung handelt.“
Aus dieser Einschätzung wird die Forderung abgeleitet: „Artikulieren sich Teile dieser Bewegung in einer Weise, die mit rechten Ideologien kompatibel ist oder ihnen direkt entstammt, kann und muss das zurückgewiesen werden. In verschiedenen Städten hat die Bewegung mittlerweile einen klaren Trennstrich nach rechts gezogen. Deshalb rufen wir alle linken Kräfte und die klassische Friedensbewegung auf […], genau hinzuschauen und wenn möglich […] die Debatte und Kooperation mit allen Leuten zu suchen, die sich aus oben genannter Motivation an den Mahnwachen beteiligen“. Ellen Koester als Vertreterin dieser Position fordert in ihrem Debattenbeitrag in analyse & kritik: „Knüpfen wir an, auf den Plätzen wie auf Facebook. Sprechen wir mehr über Kapitalismus als über Zinsen, mehr über die Troika als über die FED, mehr über die EU als über Obama. Wer das gemacht hat, hat schnell gemerkt: Das funktioniert.“
Dieser Position widerspricht in analyse & kritik Christoph Kleine vom Projekt Avanti. Er resümiert, dass trotz Abgrenzungsreden gegen rechts und inhaltlicher Intervention „nichts darauf hindeutet, dass dort [also bei den Montagsmahnwachen] der Keim für eine ‘kraftvolle und emanzipatorische Bewegung’ zu finden wäre“. Kleine interpretiert die Abgrenzung der Mahnwachen nach rechts als taktisch-rhetorischen Ausfallschritt; verschwörungstheoretische und antisemitische Inhalte seien immer noch sehr präsent. Anders als die Harz IV-Proteste oder die ersten Montagsdemos seien diese eben „keine spontane Bewegung gegen ein zentrales Projekt der staatlichen und wirtschaftlichen Eliten“.
Von Fall zu Fall
In der Praxis vor Ort herrscht ein unterschiedlicher Umgang mit den Mahnwachen. So formulierten AntifaschistInnen in Herford Kritik an den dort im Rahmen der Kundgebungen geäußerten rechten Inhalten. Da die Organisation der dortigen Mahnwache jedoch fest in der Hand antiemanzipatorischer, teils der „Reichsbürgerbewegung“ nahestehender Verschwörungsideologen ist, stieß die Kritik nicht auf Resonanz. Daraufhin organisierte ein antifaschistisches Bündnis Gegendemonstrationen.
Wie vor Ort ein sinnvoller Umgang mit den Mahnwachen aussehen kann, hängt von den lokalen Gegebenheiten ab. Also etwa davon, welche AkteurInnen in die Organisation der Veranstaltungen eingebunden sind. Nur lokale Initiativen können dies beurteilen. Christoph Kleine hält fest „Vieles spricht dafür, dass die Montagsmahnwachen eine Episode bleiben. Die Debatte […] ist dann nicht müßig, wenn wir sie als Weckruf für die überfällige grundsätzliche Erneuerung der Antikriegsbewegung verstehen.“ Die Unsicherheit im Umgang mit den Inhalten und den AkteurInnen des verschwörungstheoretischen Milieus, die es auch bei antifaschistischen Gruppen gibt, zeigt, dass dies nicht nur für die Antikriegsbewegung gilt.