KAPPA Foto

Böcke und Gärtner

Konsequenzen aus dem NSU-Skandal?

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte maßgeblichen Anteil am NSU-Skandal. Nun wird es belohnt: mit mehr Personal, mehr Geld, mehr Kompetenzen und einem gesetzlichen Heiligenschein für seine Spitzel.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte maßgeblichen Anteil am NSU-Skandal. Nun wird es belohnt: mit mehr Personal, mehr Geld, mehr Kompetenzen und einem gesetzlichen Heiligenschein für seine Spitzel.

Im Jahre 2014 hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) 2.783 Bedienstete und verfügte über einen Haushalt von rund 206 Millionen Euro. Mit dem Gesetz „zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes“, das der Bundestag am 3. Juli 2015, in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause, verabschiedete, wird das Amt einen beträchtlichen Zuwachs verzeichnen.1 Für die „Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden“ und für die Ausübung seiner neuen „Zentralstellenfunktion“ soll das BfV 261 neue Stellen und damit verbunden zusätzliche 17 Millionen Euro für Personal- und Personalnebenkosten erhalten. Weiterer „Mehrbedarf“, der allerdings noch nicht beziffert wurde, soll sich laut der Begründung des Entwurfs aus der Unterstützung der Landesämter (LfV) „im Bereich besonderer technischer und fachlicher Fähigkeiten“ ergeben.

Das Gesetz muss zwar noch durch den Bundesrat, der in seiner Stellungnahme vom Mai an einigen Punkten Kritik angemeldet hatte. Da es sich jedoch um ein nicht-zustimmungspflichtiges Gesetz handelt und die Große Koalition im Bundestag über eine Zwei-Drittel-Mehrheit verfügt, ist kaum zu erwarten, dass die Länderkammer den Zeitplan aus dem Lot bringt, den die Bundesregierung im März bei der Vorlage des Entwurfs vorgab. Im September dürfte die Novelle des Bundesverfassungsschutzgesetzes wie vorgesehen die letzte parlamentarische Hürde genommen haben.

Zentralisierung

Dass der NSU-Skandal zu einer weiteren Stärkung der zentralen Instanzen der deutschen „Sicherheitsarchitektur“ führen würde, war seit langem absehbar. Schließlich hatten die Innenministerien, die etablierten Parteien und ihre „Sicherheitsbehörden“ den Skandal von Anfang an als eine Art Betriebsunfall interpretiert, der in Zukunft durch mehr Koordination zwischen Polizei und Geheimdiensten und zwischen Bund und Ländern verhindert werden könnte. Getreu diesem Motto wurden 2012 die Rechtsextremismusdatei und die neuen Zentren der Zusammenarbeit (GAR und GETZ) etabliert. Im Dezember 2012 einigte sich die Innenministerkonferenz (IMK) grundsätzlich auf die Stärkung der Rolle des BfV im „Verfassungsschutzverbund“. Die Änderung des Bundesverfassungsschutzgesetzes war damit angesagt und die Bundesregierung hat die Gelegenheit weidlich genutzt. Zentralstelle war das BfV unausgesprochen schon immer. Das neue Gesetz macht das Amt faktisch zu einer Zentrale.

Ausgeweitet werden erstens seine Kompetenzen, ohne Zustimmung, sondern im bloßen „Benehmen“ mit dem jeweiligen Landesamt auf dem Gebiet eines Bundeslandes operativ tätig zu werden. Was bisher (rechtlich) nur möglich war, wenn der Bund oder „auswärtige Belange“ betroffen waren, soll künftig auch in Fällen von „gewaltorientierten Bestrebungen“ gelten – und zwar unabhängig davon, ob diese von überregionaler Bedeutung sind oder nicht. Für die Annahme einer solchen Orientierung reicht nach dem neuen § 5 Abs. 1 schon das „Befürworten“ von Gewalt. Der Bundesrat hat diese Ausweitung kritisiert, Bundesregierung und Koalitionsfraktionen haben die Einwände bisher ignoriert.

Keine Probleme hat die Länderkammer – zweitens – mit der zentralen Auswertung von Informationen durch das BfV. Diese gab es seit 1993 für Spionagefälle, ab 2004 für den „islamistischen Terrorismus“ und ab Dezember 2011 für den „gewaltbereiten Rechtsextremismus“. Was bisher Ausnahme war, wird nun zur gesetzlichen Regel. Der generellen Auswertungskompetenz des BfV entspricht die Verpflichtung der Landesämter, ihre Informationen zu übermitteln (§ 6 Abs. 1 neu). Statt wie bisher nur die für die Aufgabenerfüllung „erforderlichen“ sollen jetzt zudem alle „relevanten“ Informationen übermittelt werden.

Datenspeicherung

Damit das BfV aber nicht mit Daten überflutet wird, braucht es eine „Relevanzabschichtung“. Die Koordination bei der Vereinbarung von „Relevanzkriterien“ wie bei der Erstellung von „einheitlichen Vorschriften zur Gewährung der Zusammenarbeitsfähigkeit“ und bei der „Festlegung der Arbeitsschwerpunkte“ soll – wen wundert’s – erneut das BfV übernehmen (§ 5 Abs. 3 neu).

Gesetzlich festgeschrieben wird nun auch die mit dem neuen „Nachrichtendienstlichen Informationssystem“ (NADIS) verbundene Zentralisierung der Datenspeicherung. Das alte in den 1970er-Jahren konzipierte und 1990 im Bundesverfassungsschutzgesetz rechtlich fixierte NADIS war in erster Linie ein Indexsystem. Es sollte grundsätzlich nur Daten „zum Auffinden von Akten und der dazu notwendigen Identifizierung von Personen“ enthalten. Alle weiteren Informationen und insbesondere die Akte selbst wurden nur bei dem Amt geführt, das sie erhoben hatte, und mussten jeweils angefordert werden. Die zentrale Führung von Dateien mit darüber hinausgehenden Informationen – Text- oder Multimedia-Daten – sollte nur „für eng umgrenzte Anwendungsgebiete“ zulässig sein und das auch nur zur „Aufklärung“ von Spionage oder „gewaltorientierten“ sowie ab 2012 auch von rechtsextremistischen Bestrebungen.

Seit Mitte der 2000er Jahre war klar, dass das neue „NADIS-Wissensnetz“ (NADIS-WN) systematisch darauf ausgelegt sein würde, auch Volltexte und multimediale Daten zentral zu erfassen und recherchierbar zu machen. Im neuen § 6 Abs. 2 fallen denn auch erwartungsgemäß die bisherigen Begrenzungen samt und sonders weg. Begründung: Die „föderale Organisation der einheitlichen Gesamtaufgabe Verfassungsschutz“ dürfe nicht zu einer „Zersplitterung der Informationsbasis“ führen, weswegen auch im „nicht-gewaltorientierten Beobachtungsbereich“ eine „umfassende strukturierte Speicherung vorhandener Erkenntnisse“ zu erfolgen habe.

„Menschliche Quellen“ und lasche Grundsätze

Auch nach dem V-Leute-Debakel rund um den NSU und den Thüringer Heimatschutz sehen der Verfassungsschutz und die Innenministerien (mit Ausnahme Thüringens) keinen Grund zum Verzicht auf die dubiosen Spitzel. Auf Empfehlung der von Bundesregierung und IMK eingesetzten „Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus“ wird stattdessen die bisherige simple Ermächtigung zum „Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen“ zu zwei langfädigen Paragrafen aufgeblasen (§§ 9a und 9b), deren Beschränkungen jederzeit aus Gründen einer angeblichen Effizienz durchbrochen werden können.

Das beginnt beim Einsatzgebiet: Ein „dauerhafter“ Einsatz von V-Leuten und Verdeckten (hauptamtlichen) Mitarbeitern soll „nur bei Bestrebungen von erheblicher Bedeutung zulässig (sein), insbesondere wenn sie darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden oder Gewalt vorzubereiten“ (§ 9a Abs. 1). Diese Einschränkung ist keine, denn erstens ist das Kriterium der „Gewaltorientierung“ butterweich und zweitens sollen laut Begründung auch „legalistische“ Bestrebungen „ausnahmsweise“ unterwandert werden können. Entscheidend sei die „Gesamtwürdigung der Gefährlichkeit der Bestrebung – insbesondere im Hinblick auf Größe, Einfluss und Abschottung“.

Nach dem neuen § 9b Abs. 2 „dürfen“ künftig keine Minderjährigen, keine Leute in Aussteigerprogrammen, keine Abgeordneten und auch keine MitarbeiterInnen von ParlamentarierInnen als V-Leute angeworben oder eingesetzt werden. Ebenfalls unzulässig soll die Rekrutierung von Personen sein, die „von den Geld- oder Sachzuwendungen für die Tätigkeit auf Dauer als alleinige Lebensgrundlage abhängen würden“. Dieser „persönliche Ausschlussgrund“ sei aber „nicht einschlägig, wenn … aus operativen Gründen zu diesem Vertrauensleute-Einsatz keine Aufklärungsalternative besteht“ – sprich: wenn gerade kein anderer Spitzel zur Hand ist. Denselben Eiertanz vollführt das Gesetz bei der strafrechtlichen Vorgeschichte möglicher V-Personen: Verurteilungen wegen eines Verbrechens oder zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung sollen Anwerbung und Einsatz ausschließen – „grundsätzlich“, hieß es im Entwurf. In der Begründung las man, dass nach einer „Abwägung der konkreten Umstände“ auch Ausnahmen möglich seien. Der Innenausschuss des Bundestags strich das „grundsätzlich“ und erlaubt dem BfV-Präsidenten nun ausdrücklich eine Ausnahme zu machen, wenn die zukünftige V-Person nicht wegen Totschlags oder wegen einer „allein mit lebenslanger Haft bedrohten Straftat“ (Mord, Völkermord) verurteilt wurde. Wer aber nur wegen Körperverletzung mit Todesfolge bestraft wurde, hat durchaus noch die Chance, sich im staatlichen Spitzeldienst zu bewähren.

Keine Änderung beim Spitzelwesen

Wo es um Straftaten während des Einsatzes geht, präsentiert das Gesetz auch nach der Bereinigung durch den Innenausschuss eine Serie von Rechtfertigungsklauseln für die Spitzel selbst und damit gleichzeitig für ihre Führungspersonen im Amt: V-Leute und Verdeckte MitarbeiterInnen sollen zwar selbst keine „extremistischen“ oder „sicherheitsgefährdenden Bestrebungen“ gründen oder eine „steuernde Einflussnahme“ auf sie ausüben dürfen, aber sehr wohl Mitglieder oder UnterstützerInnen solcher Organisationen sein, auch wenn es sich um „strafbare Vereinigungen“ handelt. Vergeblich sucht man irgendeine Einlassung darüber, ob und wie denn die in staatlichem Auftrag handelnden Mitglieder krimineller oder terroristischer Vereinigungen vor Gericht auszusagen hätten, wenn es denn zu einem Verfahren gegen diese Organisationen oder deren AnhängerInnen kommt.

V-Leute und Verdeckte MitarbeiterInnen sollen auch sonst Straftaten begehen dürfen, unter anderem um eine Enttarnung zu vermeiden. In der Begründung ist von verfassungswidrigen Kennzeichen, von Verstößen gegen das Vermummungsverbot und von Sachbeschädigungen bei Demos die Rede. Bei „erheblichen“ Straftaten „soll der Einsatz unverzüglich beendet und die Strafverfolgungsbehörden unterrichtet werden. Über Ausnahmen … entscheidet der Behördenleiter oder dessen Vertreter.“

Selbst wenn die Staatsanwaltschaft informiert wird, heißt das aber noch lange nicht, dass kriminelle V-Leute tatsächlich zur Verantwortung gezogen würden. Eine Einstellung oder der Rückzug der Klage kommen „in jeder Lage des Verfahrens“ in Frage, wenn die Tat zur „Gewinnung und Sicherung der Informationszugänge“ begangen worden ist und zur „Aufklärung“ der extremistischen Bestrebung auch eine Telekommunikationsüberwachung nach § 3 Abs. 1 des G 10-Gesetzes möglich gewesen wäre, d.h. wenn „tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht“ einer Straftat aus dem großen Katalog des politischen Strafrechts behauptet werden. Die Grenze für das Absehen von der Strafverfolgung soll erst dann erreicht sein, wenn eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr und keine Aussetzung zur Bewährung zu erwarten ist.

Die Bundesregierung wird dem Parlamentarischen Kontrollgremium in Zukunft jährlich einen „Lagebericht zum Einsatz von Vertrauensleuten“ vorlegen müssen. Das Gremium tagt aber bekanntlich geheim. Damit bleibt beim Spitzelwesen auch künftig alles beim Alten. Der NSU-Skandal ist gesetzlich erledigt.

Fußnoten

[1] Entwurf: BT-Drs. 18/4654, Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung: Drs. 18/5051, Bericht des Innenausschusses Drs. 18/5451, Plenarprotokoll 18/116

Weiterlesen