Hochkonjunktur eines Kernthemas

Extrem rechte Agitation gegen Asylsuchende

Seit dem Sommer 2012 wird in Deutschland, zum Teil in polemischem Tonfall, eine „neue Asyldebatte“ geführt. In der Debatte gebräuchliche „Problembeschreibungen“ wie „Asylbewerber-Zustrom“, „überforderte Kommunen“ oder „Missbrauch des Asylrechts“ bieten der extremen Rechten Anknüpfungspunkte für ihre Kampagnen. Zurzeit ist die Agitation gegen Asylsuchende gleichermaßen das Schwerpunktthema von RechtspopulistInnen, NPD und Neonazis. Die Folge ist steigende Gewalt.

Seit dem Sommer 2012 wird in Deutschland, zum Teil in polemischem Tonfall, eine „neue Asyldebatte“ geführt. In der Debatte gebräuchliche „Problembeschreibungen“ wie „Asylbewerber-Zustrom“, „überforderte Kommunen“ oder „Missbrauch des Asylrechts“ bieten der extremen Rechten Anknüpfungspunkte für ihre Kampagnen. Zurzeit ist die Agitation gegen Asylsuchende gleichermaßen das Schwerpunktthema von RechtspopulistInnen, NPD und Neonazis. Die Folge ist steigende Gewalt.

Es ist ein Kernthema der extremen Rechten, das gleichwohl Konjunkturen unterliegt: Den Höhepunkt der Mobilmachung gegen Geflüchtete stellten die ersten Jahre nach der „Wiedervereinigung“ mit zahlreichen Anschlägen und pogromartigen Ausschreitungen dar. Die Mobilisierung von Rechtsaußen stand damals in einem Wechselverhältnis zur Agitation der bürgerlichen Parteien gegen das Grundrecht auf Asyl, das schließlich im Mai 1993 durch eine Gesetzesänderung so massiv eingeschränkt wurde, dass von einer faktischen Abschaffung gesprochen werden kann. Die Kampagnen der extremen Rechten aber hatten ihre Vorläufer in den 1980er Jahren. Bereits damals war auffällig, dass die Themen „Asyl“ und „Überfremdung durch Ausländer“ aufs engste miteinander verwoben waren. Es ging stets nicht bloß gegen Asylsuchende, denen man „Kriminalität“ und „Erschleichen von Sozialleistungen“ vorwarf, sondern zugleich um einen umfassenden „Ausländerstopp“ und die Forderung nach einer „Volksgemeinschaft“ ohne Nicht-Weiße und Zugewanderte. Diese Verschränkung fand ihren brutalen Ausdruck in zahlreichen rassistischen Angriffen. Nach der Änderung des Asylrechts wurde das Thema zunehmend verdrängt durch das Bedrohungsszenario einer angeblichen „Islamisierung“.

Erst 2012 wurden vor dem Hintergrund der medialen Diskussion über steigende Asylantragszahlen und einer befürchteten „Armutszuwanderung“ aus EU-Staaten wieder verstärkt Forderungen gegen „Asylmissbrauch“ erhoben. Diesen alten rechten Kampfbegriff hatte der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich salonfähig gemacht, als er im Oktober 2012 in Hinblick auf Asylsuchende aus Serbien, Mazedonien und Bosnien & Herzegowina von „Asylmissbrauch“ gesprochen und die Wiedereinführung der Visumspflicht gefordert hatte. Die extreme Rechte nahm diese und andere politische Steilvorlagen aus der herrschenden Politik dankbar auf. So verwandte die Bürgerbewegung pro NRW für ihre Kampagne zum Kommunalwahlkampf 2014 einen Ausspruch des CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer: „Wer betrügt, der fliegt“.

Mobilisierungen gegen Unterkünfte

Die pro-Gruppen gehörten mit zu den ersten Rechtsaußen-Gruppen, die das Thema in den Mittelpunkt einer Kampagne stellten. Im Februar 2013 verkündete pro NRW den Start einer „Volksinitiative gegen Asylmissbrauch“, bei der 66.000 Unterschriften gesammelt werden sollten. Die Unterschriften kamen nicht zusammen, aber eine „Kundgebungstour“ machte in 23 nordrhein-westfälischen Städten Station vor Unterkünften von Asylsuchenden und Häusern, die von zugewanderten Roma und Romnja bewohnt wurden. Pro NRW versuchte dann ihre aus den Kampagnen gegen Moscheebauvorhaben bekannten Agitationsmittel – Wortergreifungen, Infostände und Flugblattverteilungen – in der lokalen Auseinandersetzung um geplante Unterkünfte für Asylsuchende zu nutzen. In Duisburg-Neumühl gelang es pro NRW zeitweise, an den Protest von AnwohnerInnen anzudocken, die sich auch an Demonstrationen beteiligten. In Köln hingegen zeigten sich die Grenzen dieser Strategie: trotz zahlreicher Aktionen gelang es hier nicht – anders als vor Jahren beim Bau der Ehrenfelder Zentralmoschee – sich zum „Sprachrohr“ eines Teils der BürgerInnen aufzuschwingen. In Duisburg oder Essen sorgte die Agitation 2014 für neue Ratsmandate.

Auch die NPD stellte Slogans wie „Asylflut stoppen“ in den Mittelpunkt ihrer Wahlkämpfe. Bundesweite Aufmerksamkeit erzielten 2013 vor allem die von der NPD unterstützten Proteste gegen Unterkünfte in Berlin-Hellersdorf und im sächsischen Schneeberg, wo sich fast 2000 Menschen an einem „Fackelmarsch“ der NPD beteiligten. Besonders im Osten der Republik mischen Neonazis seitdem kräftig in „Nein zum Heim“-Bürgerinitiativen mit. Deren genaue Zahl ist schwer zu beziffern: Die Sächsische Zeitung zählte im März bundesweit 95, mehr als die Hälfte in Kommunen Brandenburgs und Sachsens. Das apabiz kam im Mai alleine für Brandenburg auf 43 Initiativen, die Amadeu Antonio Stiftung spricht von bis zu 150 Gruppen bundesweit.

Eine direkte Steuerung und Initiierung „breiterer“ Mobilisierungen gegen Asylsuchende durch die NPD ist in den drei „Lotta-Ländern“ nicht zu beobachten. So blieb etwa in Trier-Euren ein „Fackelmarsch“ gegen eine Flüchtlingsunterkunft auf das eigene Spektrum begrenzt. Ähnliches war auch bei den verschiedenen PEGIDA-Ablegern in NRW zu beobachten, in denen die Ablehnung von Geflüchteten eine bedeutende Rolle spielte.

Drohkulisse durch Aktionismus

Auch die Die Rechte beteiligte sich an den PEGIDA-Märschen in NRW, bis sie ab Februar dazu überging, eigenständige „Montagskundgebungen“ in Dortmunder Stadtteilen durchzuführen. Deren Anzahl ist enorm: bis zum 4. Juli fanden 30 angemeldete Kundgebungen statt, an denen sich im Schnitt rund 25 Neonazis beteiligten. Die Neonazis blieben dabei unter sich, auch die Strategie, in Mengede als „Bürgerinitiative Nein zum Heim“ aufzutreten, änderte dies nicht. Die meisten Kundgebungen fanden in Dortmund-Eving statt, wo bereits am 6. Februar eine Gruppe vermummter Neonazis vor eine Unterkunft gezogen war und dort Böller und Fackeln zündete. Ende Juni wurde die „Montagsdemo-Kampagne“ für beendet erklärt, weitere „Aktionstage“ sollen aber folgen. Mit diesen eher kleineren Kundgebungen gelingt es jedoch, ebenso wie durch Besuche städtischer Informationsveranstaltungen, eine Drohkulisse aufzubauen. Verstärkt wird diese durch „Besuche“ in noch nicht bewohnten Unterkünften in Dortmund oder Wuppertal, in denen Aufkleber mit Slogans wie „Ausländer rein? Wir sagen Nein!“ hinterlassen wurden. Im Mai fahndete Die Rechte Dortmund mit einer Art Steckbrief nach einer Familie im Kirchenasyl, aus Vorsicht hatte die evangelische Kirche den Namen der Gemeinde nicht veröffentlicht. Auch die Teilnehmenden eines Protestcamps syrischer Geflüchteter in Dortmund versucht man einzuschüchtern.

Leitfaden für die Hetze vor Ort

Die rassistische Hetze gegen Asylsuchende ist seit Gründung im Jahr 2013 ein zentrales Aktionsfeld der Neonazi-Partei Der III. Weg (vgl. Lotta # 54, S. 32). Anfang 2015 startete Der III. Weg die Kampagne „Kein Asylantenheim in meiner Nachbarschaft“. Diese beinhaltet eine Onlinekarte bei „Google Maps“, in der bundesweit bestehende und geplante Unterkünfte für Asylsuchende markiert sind. Darüber hinaus werden Orte, in denen selbsternannte „Bürgerinitiativen“ aktiv sind, vermerkt. Begleitend zu der Karte veröffentlichte Der III. Weg einen 23-seitigen Leitfaden „Wie be- bzw. verhindere ich die Errichtung eines Asylantenheims in meiner Nachbarschaft“, welcher „Anwohnern, in deren Umfeld ein Asylantenheim errichtet werden soll, eine Hilfestellung“ geben will. So enthält die Broschüre unter anderem Informationen zur Gründung einer „Bürgerinitiative“, Praxistipps zur Durchführung von Infoständen, Verteil-aktionen oder dem konkreten Verhalten auf Bürgerversammlungen. Auch juristische Hinweise, Formulierungshilfen, Vordrucke für Versammlungsanmeldungen und die Darstellung von Klagemöglichkeiten gegen geplante Unterkünfte sind Bestandteil des Leitfadens. Auffällig ist, dass die Publikation versucht, einen eher sachlichen Ton anzuschlagen. Dies steht im Gegensatz zu anderen Veröffentlichungen der Partei, die von einer aggressiv völkisch-rassistischen Wortwahl geprägt sind. Diese Diskrepanz spiegelt sich auch in der lokalen Praxis wider. So versucht Der III. Weg zwar in verschiedenen Regionen, an bestehende lokalpolitische Auseinandersetzungen um die Unterbringung von Asylsuchenden anzuknüpfen, schafft es aber nicht, die Struktur zu sein, die einen rassistischen „Bürgerprotest“ jenseits des explizit neonazistischen Spektrums mobilisiert und organisiert.

Auf Agitation folgt Anschlag

Aber die Agitation hat andere Folgen: So machte Der III. Weg in der rheinland-pfälzischen Gemeinde Limburgerhof in der Nähe von Ludwigshafen gegen eine geplante Unterkunft und den „drohenden Volkstod der heimischen Bevölkerung“ mobil. Neben Kundgebungen, Flugblattverteilaktionen und Infoständen versuchten die Neonazis auch, in Gestalt einer Bürgerbewegung Limburgerhof aufzutreten. In der Nacht vom 5. auf den 6. Mai 2015 wurde schließlich ein Brand in einem noch unbewohnten Gebäude gelegt, welches als Unterkunft geplant war. Es entstand ein Sachschaden von rund 50.000 Euro. Wenig überraschend wurde in der Öffentlichkeit schnell ein Zusammenhang zum III. Weg hergestellt. Dieser beschwerte sich, dass es zu „wilden Zeugenvorladungen von ortsansässigen Nationalisten“ durch die Polizei gekommen sei. Als Reaktion führte die Partei am 23. Mai mit 30 Personen eine Doppeldemonstration in Limburgerhof und Ludwigshafen unter dem Motto „Patriotischer Widerstand lässt sich nicht kriminalisieren! Wir bleiben dabei: Asylflut stoppen – Deutschlands Zukunft schützen!“ durch. Dass Der III. Weg einen grundsätzlichen Nutzen in Anschlägen auf unbewohnte Unterkünfte sieht, zeigt ein Artikel auf der Webseite der Partei. Nach einem Brand einer geplanten Unterkunft im sächsischen Meißen im Mai hieß es: „Viele Anwohner dürfte das freuen, da ihnen somit erst einmal die weitere Überfremdung ihrer Heimatstadt erspart bleibt“.

Gewalt steigt an

Gewalt ist eine Option, die gewählt wird. Der Anschlag in Limburgerhof steht im Kontext einer bundesweiten Zunahme von Angriffen auf Asylsuchende und deren Unterkünfte, die sich auch in den offiziellen Statistiken widerspiegelt. Das Bundesinnenministerium teilte jüngst mit, 2014 habe es 170 Angriffe auf Asylunterkünfte gezählt, im ersten Halbjahr 2015 bereits 150. Auch für NRW lässt sich dieser Anstieg nachweisen. Zwar könne die polizeiliche Kriminalstatistik „Straftaten gegen Geflüchtete“ nicht gesondert abbilden, so die Landesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Piraten-Fraktion, das verwandte Themenfeld „Ausländer-/Asylthematik“ verzeichne aber einen sprunghaften Anstieg der zugeordneten Straftaten: von 44 (2012) und 52 (2013) auf 120 im Jahr 2014 (darunter sechs Gewalttaten). In den Jahren 2005 bis 2010 – also vor der „neuen Asyldebatte“ – betrug die durchschnittliche Zahl der Straftaten pro Jahr noch 15.

Seit 2014 registriert die Polizei NRW gesondert Straftaten, die sich direkt gegen Flüchtlingsunterkünfte richten. Unter den 29 Taten des letzten Jahres waren ein Branddelikt und acht Sachbeschädigungen. Hinzu kommt die Dunkelziffer. Denn vielfach bleiben die Hintergründe unklar, wie bei den vorsätzlich gelegten Bränden in den Kellern von Unterkünften am 2. Juni in Neunkirchen bei Siegen und am 5. Juni im bergischen Lindlar. Tatverdächtige konnten nicht ermittelt werden, die Polizei erklärte dennoch einen „fremdenfeindlicher Hintergrund“ für ausgeschlossen.