Wenige Tage vor den Razzien: Olaf Ogorek (Mitte) am 1. Mai 2015 in Essen.

Inszeniertes Vorgreifen vs. Verharmlosen

"Old School Society" und "Legion 47"

Nach der Selbstenttarnung des NSU ist der Staat darum bemüht, zumindest punktuell Härte gegen rechten Terror zu demonstrieren. Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte werden in der Öffentlichkeit jedoch weniger wahrgenommen – selbst dann, wenn sie von organisierten Neonazis verübt werden.

Nach der Selbstenttarnung des NSU ist der Staat darum bemüht, zumindest punktuell Härte gegen rechten Terror zu demonstrieren. Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte werden in der Öffentlichkeit jedoch weniger wahrgenommen – selbst dann, wenn sie von organisierten Neonazis verübt werden.

„Bundesweite Razzia gegen rechtsextreme Terrorgruppe“ – die Aufmerksamkeit der Medien war den Behörden gewiss, als sie am 6. Mai 2015 durch Spezialkräfte der GSG9 vier Neonazis unter Terrorismusverdacht festnehmen ließen. Sie sollen spätestens im November 2014 eine terroristische Vereinigung mit dem Namen Old School Society (OSS) gebildet und Anschläge auf namhafte Salafisten sowie auf Moscheen und Asylbewerberunterkünfte geplant haben. Die Bundesanwaltschaft betont: „Ausgangspunkt für die Ermittlungen waren aus nachrichtendienstlichen Maßnahmen gewonnene Erkenntnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz sowie der beteiligten Landesämter für Verfassungsschutz.“ NRW-Innenminister Ralf Jäger nennt die Razzia das „Ergebnis der guten Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden“.

War der Schlag gegen die OSS also bloß eine PR-Aktion für die Behörden? Es deutet manches darauf hin. Der Inlandsgeheimdienst steht seit der Selbstenttarnung des NSU in der Kritik, gleichwohl erhebt er selbstbewusst Forderungen etwa nach Straffreiheit für V-Leute oder mehr Internetüberwachung. Die Razzia diente dann auch als „Arbeitsnachweis“ der Geheimen. Anders als suggeriert ist mit „nachrichtendienstlichen Maßnahmen“ aber kaum der Einsatz von V-Leuten gemeint, auf die OSS ist man vermutlich im Zuge der „Koordinierten Internetauswertung“ gestoßen.

Internetkameradschaft oder Terrorzelle?

Denn die Gruppe agierte alles andere als konspirativ. Von September 2014 bis zur Razzia betrieb sie eine Facebook-Seite mit Impressum samt Telefonnummer und E-Mail-Adresse, auf der sie aktiv um neue Mitglieder warb und sogar Fotos von internen Veranstaltungen veröffentlichte. Es hatten rund 3.000 Personen die Meldungen der Seite abonniert – im Netz bedeutet das allerdings nicht viel. Im organisierten Neonazismus spielte die Gruppe nach gegenwärtigem Stand keine Rolle.

Als Rädelsführer gelten der in Augsburg lebende Andreas Hafemann (56), „Präsident“ der OSS, sowie sein aus Düren stammender und nach Borna verzogener „Vize“ Markus Wilms (39). Wilms war Mitglied der Kameradschaft Aachener Land (KAL) und für die NPD aktiv. Seine Mutter betrieb in Düren die als Neonazi-Treffpunkt dienende Kneipe Gütershop. Verhaftet wurden auch Wilms’ 22-jährige Lebensgefährtin Denise Vanessa G. und der 47-jährige Bochumer Olaf Ogorek. Letzterer entstammt dem HoGeSa-Milieu und firmierte als „Pressesprecher“ der OSS. Die Bundesanwaltschaft ermittelt zusätzlich gegen fünf weitere Verdächtige.

Hafemann veröffentlichte bei Facebook neben Fotos, auf denen er mit Schusswaffen hantiert, im Zusammenhang mit der Diskussion um die Aufnahme von Asylsuchenden auch Bilder der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen, die er mit dem Kommentar versah: „Deutschland muss Platz schaffen […] nehmen wir diese Stätten, bauen sie wieder aus […] und schaffen eine Art bewohntes Museum“. So widerwärtig dies ist, es finden sich im Internet viele tausend ähnlich rassistische Kommentare, Aufrufe zur Gewalt inklusive. Ob die OSS über konkrete Anschlagziele verfügte, konnte die Bundesanwaltschaft bislang nicht mitteilen. Es hieß lediglich, bei den Razzien seien „pyrotechnische Gegenstände mit großer Sprengkraft“ sichergestellt worden.

Legion 47 aus Duisburg

Ihre Planungen bereits in die Tat umgesetzt haben hingegen die Duisburger Neonazis der Legion 47, die unter anderem Anschläge auf eine Flüchtlingsunterkunft und einen türkischen Imbiss verübten. Anfang des Jahres waren acht Wohnungen von der Polizei durchsucht worden, jetzt muss sich mit Patrick K. (35), Manuel M. (27) und Daniel N. (29) der „Führungskreis“ der Gruppe vor dem Duisburger Landgericht verantworten. Bei der Kommunalwahl 2014 fungierten sie als Bezirksratskandidaten für die Duisburger NPD. Die Liste der Vorwürfe ist lang. Unter den 38 Anklagepunkten finden sich fünf Brandstiftungen, zahlreiche Einbrüche, unerlaubter Waffenbesitz, Körperverletzung sowie der Handel mit einem halben Kilogramm Amphetamin. Mit einem Urteil ist frühestens Ende August zu rechnen.

Anders als im Falle der OSS ist im Verfahren von Terrorismus keine Rede. Dabei entgingen am 26. Oktober 2013 120 Geflüchtete nur knapp einer Katastrophe. Ein Behälter mit fünf Litern Lösungsmittel explodierte nicht, als um 2.45 Uhr eine direkt daneben platzierte Rauchbombe entzündet wurde. Von der Staatsanwaltschaft wird die Tat weder als versuchter Mord noch als Brandstiftung gewertet, sondern schlicht als „verbotener Umgang mit pyrotechnischem Brandstoff“ und, bedingt durch die Rauchentwicklung, als versuchte Körperverletzung. Angesichts des Kanisters ist offensichtlich, dass ein Brandanschlag beabsichtigt war. Anzunehmen ist, dass mangelnde Sachkenntnis oder der zu Prozessbeginn thematisierte regelmäßige Drogenkonsum der Angeklagten diesen verhinderte. Der Pressesprecher des Gerichtes erklärte hingegen bei der Eröffnung des Verfahrens, die Staatsanwaltschaft gehe davon aus, Ziel der Angeklagten sei es lediglich gewesen, „die Bewohner zu erschrecken und nicht [sie] in ihrer Gesundheit zu schädigen“.

Was ist Neonazi-Terror?

Gewisse Parallelen zu den Taten der Legion 47 finden sich in Brandenburg. Dort hatte 2003/2004 das Freikorps Havelland mit einer Reihe von Brandanschlägen auf türkische und asiatische Imbisse das Ziel verfolgt, MigrantInnen zunächst aus der Region Havelland, dann auch aus Deutschland zu vertreiben. Elf Mitglieder der Gruppe wurden 2005 unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach §129a StGB verurteilt. Seit 2003 müssen laut §129a Abs. 2 StGB die begangenen Straftaten bestimmt sein, die „Bevölkerung“ auf erhebliche Weise einzuschüchtern. Der Bundesgerichtshof stellte 2006 in einem Urteil zum Freikorps Havelland ausdrücklich fest, dass es dazu ausreicht, wenn nur ein nennenswerter Teil, wie hier die EinwohnerInnen mit Migrationshintergrund, betroffen ist.

Gegen die Legion 47 wurde nie wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt. Im Prozess wurde bislang viel Zeit auf die 24 Fälle von banden- und gewerbsmäßigem Einbruchsdiebstahl sowie den Drogenhandel verwendet. Dabei sind in Duisburg 2013 noch weitere, möglicherweise rechtsmotivierte, Brandanschläge verübt worden, etwa auf eine Flüchtlingsunterkunft in Walsum und auf ein mehrheitlich von Roma und Romnja bewohntes Haus in Homberg. Während Taten wie die Duisburger Anschläge verharmlost werden, soll mit Razzien wie jener gegen die OSS die Handlungsfähigkeit der Behörden demonstriert werden. Zu Verurteilungen kommt es in vielen Fällen dennoch nicht. So erklärte die Bundesregierung im März, dass sich in sämtlichen seit Anfang 2012 durchgeführten §129a-Ermittlungsverfahren ein Verdacht bislang nicht bestätigt habe.

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