Robin Dullinge

Flüchtlingsschutz ohne Zukunft?

Der Angriff auf das individuelle Asylrecht

Seit Herbst 2015 gibt es auf europäischer und deutscher Ebene zahlreiche Asylrechtsverschärfungen, die das individuelle Recht auf Asyl im Kern angreifen. Die herrschende Politik versucht damit eine scheinbare Handlungsmacht zu demonstrieren. Dem Aufschwung völkischer und rassistischer Parteien lässt sich mit einer verschärften Asylpolitik jedoch nicht begegnen. Ganz im Gegenteil: Die Wahlerfolge von AfD & Co. demonstrieren, dass eine progressive Flüchtlingspolitik, also die Ausweitung von Rechten sowie der legale Zugang zu Fluchtwegen, bitter nötig wäre.

Seit Herbst 2015 gibt es auf europäischer und deutscher Ebene zahlreiche Asylrechtsverschärfungen, die das individuelle Recht auf Asyl im Kern angreifen. Die herrschende Politik versucht damit eine scheinbare Handlungsmacht zu demonstrieren. Dem Aufschwung völkischer und rassistischer Parteien lässt sich mit einer verschärften Asylpolitik jedoch nicht begegnen. Ganz im Gegenteil: Die Wahlerfolge von AfD & Co. demonstrieren, dass eine progressive Flüchtlingspolitik, also die Ausweitung von Rechten sowie der legale Zugang zu Fluchtwegen, bitter nötig wäre.

Im März 2016 schloss die EU mit der Türkei einen Deal, mit dem die Flucht über die Ägäis-Route faktisch unterbunden wird. Türkische Sicherheitskräfte sorgen nunmehr dafür, Flüchtlinge bereits in türkischen Gewässern an der Abfahrt nach Europa zu hindern. Im Gegenzug hat die EU die Zahlung von drei Milliarden Euro an die Türkei zugesagt. Entgegen den Plänen der EU weigern sich allerdings viele griechische Verwaltungsgerichte, die Türkei als „sicheren Drittstaat für Flüchtlinge“ zu behandeln. Abschiebungen von Asylsuchenden in das Land finden kaum statt. Durch die Schließung der Balkan-Route sind die betroffenen Menschen aber praktisch in Griechenland eingesperrt. Aufgrund der humanitär unhaltbaren Zustände kam es im Herbst 2016 zu Aufständen in den Lagern von Moria oder auf Chios.

Das „EU-Asylpaket“

Die EU-Kommission hält dennoch unbeirrt daran fest, den Flüchtlingsschutz sukzessive auszulagern. Sie hat inzwischen einen Reformentwurf für ein neues „EU-Asylpaket“ vorgelegt und plant, mit einer Änderung der sogenannten Dublin-Verordnung die ohnehin marginalen Rechte von Asylsuchenden in Europa weiter auszuhebeln. Die Dublin-Verordnung regelt die Zuständigkeit für Asylverfahren in der EU und statuiert, dass der Staat der ersten Einreise vorrangig die Asylanträge bearbeiten soll. Am Ersteinreisekriterium will die Kommission festhalten, obschon dessen Unzulänglichkeit nicht zuletzt durch die aktuelle Krise des Flüchtlingsschutzes offensichtlich geworden ist.

Darüber hinaus will sie für alle EU-Mitgliedstaaten verbindlich festlegen, dass die Asylanträge von Personen als unzulässig abgelehnt werden, die aus angeblich sicheren Drittstaaten und angeblich sicheren Herkunftsstaaten eingereist sind. Hierzu verhandelt die EU bereits mit nordafrikanischen Staaten wie Libyen und Ägypten. Außerdem ist geplant, die Türkei trotz der faschistischen Tendenzen, die seit dem gescheiterten Putsch vom Juli 2016 zutage treten, auf die Liste der angeblich sicheren Herkunftsstaaten zu setzen. Das Ziel ist, dass kaum noch Flüchtlinge das Recht haben, in Europa ihre Asylanträge zu stellen. Sollte dieses EU-Asylpaket verabschiedet werden, dürften seine Auswirkungen noch weiter reichen als der „Asylkompromiss“ von 1993.

„Gute“ und “schlechte“ Flüchtlinge

Auch in Deutschland wurden das Aufenthalts- und das Asylgesetz umfassend geändert. Bereits im Oktober 2015 wurde die Liste angeblich sicherer Herkunftsstaaten um Albanien, Kosovo und Montenegro erweitert. Entgegen allen Behauptungen, in diesen Staaten gebe es keine asylrelevante Verfolgung, haben Menschenrechtsorganisationen dokumentiert, dass beispielsweise Roma strukturell aus dem Bildungs- und Sozialsystem ausgeschlossen werden und der Staat ihnen bei rassistisch motivierten Straftaten nicht hilft.

Hatte sich noch ein Jahr zuvor bei den Landesregierungen mit grüner Beteiligung erhebliche Kritik am Alleingang des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann bei der damaligen Einstufung der Westbalkan-Staaten als „sichere Herkunftsländer“ geregt, so stimmten unter dem Druck der politischen Stimmung fast alle Landesregierungen den Verschärfungen beim Asylpaket I zu. Kommt jemand aus einem „sicheren Herkunftsstaat“, so ist der Begründungsaufwand im Asylverfahren deutlich höher. Asylsuchende müssen dann beweisen, dass sie ganz speziell verfolgt sind, obschon das Land per Gesetz als sicher gilt. Die Erfahrung zeigt, dass solche Asylverfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sehr schnell durchgeführt werden und sich in den Entscheidungen oft nur Textbausteine finden, ohne auf die individuelle Situation der Betroffenen einzugehen. Eine Rechtsberatung durch Anwält*innen findet ebenfalls kaum statt.

Asylsuchende aus sicheren Herkunftsstaaten sind zudem vielfältigen Sonderregelungen unterworfen, die mit dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes kaum vereinbar sind: Sie unterliegen einem unbeschränkten Arbeitsverbot, sind zu Integrationskursen nicht zugelassen und müssen bis zur Abschiebung in den Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben. Ihnen drohen zudem Wiedereinreisesperren, wenn sie abgeschoben werden. Mit einem rechtsstaatlichen Asylverfahren hat dies kaum etwas zu tun.

Abschieben um jeden Preis

Ganz auf der Linie der aktuellen Abschiebepropaganda hat der Gesetzgeber zahlreiche Verschärfungen verabschiedet, um die Ausreise abgelehnter Asylsuchender durchzusetzen. Sehr schwerwiegend ist die nun bundeseinheitlich verpflichtende Norm, dass Abschiebungen nicht mehr angekündigt werden dürfen. Damit werden Überraschungsabschiebungen in der Nacht zur polizeilichen Regel.

Im Gesetz findet sich überdies die neue Vermutung, dass gesundheitliche Gründe der Abschiebung nicht entgegenstünden. Die Betroffenen können die Vermutung nur widerlegen, wenn sie innerhalb kurzer Zeit eine qualitativ ausreichende Bescheinigung vorlegen können. Da Asylsuchende oft nur unzureichende Möglichkeiten haben, Ärzt*innen zeitnah aufzusuchen, hat dies in der Praxis verheerende Wirkungen. Denn sollte das Attest nicht vorliegen, kann die Ausländerbehörde die Abschiebung anordnen, selbst wenn ihr offensichtlich ernsthafte gesundheitliche Gründe entgegenstehen. Die Abschiebung darf nur dann ausgesetzt werden, wenn schwerwiegende oder lebensbedrohliche Erkrankungen vorliegen. Laut Gesetzgeber zählen posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) nicht dazu. Doch gerade traumatische Erlebnisse führen bei Flüchtlingen oft zu Suizid-Versuchen. Wer PTBS per Gesetz bagatellisiert, spielt bewusst mit dem Leben der Betroffenen.

Weniger Bewegungsfreiheit

Auch die Freizügigkeit von Asylsuchenden und Flüchtlingen wurde durch die jüngsten Gesetzesänderungen erheblich eingeschränkt. Asylsuchende können jetzt bis zu sechs Monate lang in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht werden, in denen sie oft mit Sachleistungen abgespeist werden. Entsprechend wird auch die Residenzpflicht verlängert.

Eine ganz neue Einschränkung müssen selbst anerkannte Flüchtlinge über sich ergehen lassen: Durften sie nach dem erfolgreichen Abschluss ihres Asylverfahrens frei entscheiden, wo sie wohnen wollen, unterliegen sie seit Juli 2016 einer Wohnsitzauflage. Sie müssen dort bleiben, wohin sie der Staat im Asylverfahren verteilt hatte. Ein Umzug ist nur möglich, wenn sie einen Arbeits- oder einen Ausbildungsplatz erhalten oder ein Studium aufnehmen. Klar ist aber auch: Für Flüchtlinge ist es besonders schwierig, eine Beschäftigung zu finden, wenn sie fernab der Ballungszentren zwangsweise festgesetzt werden.

Weniger Familiennachzug

In der Öffentlichkeit wurde sehr intensiv über die Aussetzung des Familiennachzugs für sogenannte subsidiär Schutzberechtigte diskutiert. Subsidiären Schutz erhalten jene, die nicht als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt werden, denen aber in ihrem Herkunftsland Folter, Misshandlung oder eine unmenschliche Behandlung drohen.

Entschied das BAMF im Jahr 2015 noch in sehr wenigen Fällen auf subsidiären Schutz, so änderte das Amt nach der Verabschiedung des Asylpakets II vom März 2016 seine Anerkennungspraxis. Mittlerweile bekommt zum Beispiel ein Großteil der syrischen Flüchtlinge nur noch subsidiären Schutz - und damit sind sie vom Recht auf Familiennachzug ausgeschlossen. Die Angehörigen müssen dann schutzlos in den Kriegs- und Krisengebieten zurückbleiben.

Neoliberales Flüchtlingsrecht

Durch die jüngste, euphemistisch als „Integrationsgesetz“ betitelte Asylrechtsverschärfung vom Juli 2016 wird faktisch die „Agenda 2010“-Politik auf den Bereich des Flüchtlingsschutzes angewandt. Asylsuchende können jetzt verpflichtet werden, Arbeitsgelegenheiten aufzunehmen, die mit 0,80 Euro pro Stunde vergütet werden. Weigern sich die Betroffenen, so drohen ihnen Leistungskürzungen bei der sozialen Grundversorgung. Ohnehin wird der Arbeitsmarkt immer stärker mit dem Asylverfahren verzahnt. Hierfür stand schon die Ende 2015 getroffene Personalentscheidung, Frank-Jürgen Weise in Personalunion die Leitung sowohl des BAMF als auch der Bundesagentur für Arbeit zu übertragen.

Die Angaben der Flüchtlinge über ihre berufliche Qualifikation werden nunmehr von Anfang an zwischen den Ausländerbehörden und den Arbeitsagenturen ausgetauscht, um geeignete Fachkräfte zu identifizieren. Im BAMF selbst wird das Rechtsstaatsprinzip immer stärker vom Effektivitätsprinzip abgelöst. Die Unternehmensberatung McKinsey wurde verpflichtet, die Verfahrensabläufe zu „optimieren“. Die Agentur sorgt aber vor allem dafür, dass Asylverfahren schneller abgearbeitet werden - zu Lasten der Qualität.

Von Leistungskürzungen bei der sozialen Grundversorgung sind auch Personen betroffen, bei denen vermutet wird, die Abschiebung könne aus „von ihnen selbst zu vertretenden Gründen“ nicht durchgeführt werden. In der Praxis trifft dies einen Großteil der Geduldeten, denn die Ausländerbehörden unterstellen ihnen, mutwillig Identitätsdokumente nicht vorgelegt zu haben. Den Betroffenen wird dann vollständig die Zahlung von Bargeld gekürzt.

Dies steht im krassen Widerspruch zu einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 2012. Das oberste Gericht hatte damals klar entschieden, dass die Würde des Menschen auch bei Flüchtlingen nicht relativiert werden darf. Zur Menschenwürde zählt das Verfassungsgericht insbesondere ein menschenwürdiges Leben, das sozialstaatlich durch die Gewährung eines sozio-kulturellen Existenzminimums sichergestellt wird. Die Menschen sollen nicht nur mit Nahrung und Unterkunft versorgt werden, sondern auch über die finanziellen Mittel verfügen, um am kulturellen und gesellschaftlichen Alltagsleben teilzunehmen. Wieder einmal zeigt sich, dass der Gesetzgeber verfassungswidrige Gesetze auf Zeit verabschiedet, bis irgendwann einmal ein Fall erneut das Bundesverfassungsgericht erreicht.

Das Asylrecht unter Druck

Das individuelle Recht auf Asyl steht massiv unter Druck. Die pauschale Einstufung von immer mehr Staaten zu sicheren Herkunftsländern, die Neoliberalisierung des Asylrechts, härtere Abschieberegeln und die Auslagerung des Flüchtlingsschutzes an autoritäre Regime außerhalb der EU sind zugleich ein genereller Angriff auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Auf eine emanzipatorische Trendwende ist leider kaum zu hoffen. Sollten Faschisten und völkische Nationalisten bei den kommenden Wahlen in Frankreich, den Niederlanden und Deutschland ihre jüngsten Erfolge wiederholen, dürfte sich die Frage stellen, ob das Asylrecht überhaupt noch eine Zukunft hat.

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