Besucher des Rechtsrock-Konzertes "Rock gegen Überfremdung" 2016.
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In Bewegung

Jugendkulturen in der extremen Rechten

Unter Jugendlichen ist immer mehr ein Sampeln unterschiedlichster jugendkultureller Elemente festzustellen. Klassische Jugendkulturen lösen sich zunehmend auf, klare Zuordnungen sind oftmals nicht möglich. Jugendkulturelle Identitätsentwürfe sind in Bewegung. Dies betrifft auch die extreme Rechte: „Skinhead“, „Autonomer Nationalist“ oder „Stino“ — was funktioniert für die Szene?

Unter Jugendlichen ist immer mehr ein Sampeln unterschiedlichster jugendkultureller Elemente festzustellen. Klassische Jugendkulturen lösen sich zunehmend auf, klare Zuordnungen sind oftmals nicht möglich. Jugendkulturelle Identitätsentwürfe sind in Bewegung. Dies betrifft auch die extreme Rechte: „Skinhead“, „Autonomer Nationalist“ oder „Stino“ — was funktioniert für die Szene?

Zentral für Jugendszenen ist, dass sie nicht nur von der jeweils eigenen Gruppe, sondern auch von Außenstehenden wahrgenommen werden. In den 1990er Jahren, als der Skinhead das role model der jugendkulturellen Ausdrucksform der extremen Rechten war, war das zumindest auf den ersten Blick einfach. Selbstverständlich gab es auch damals andere, nicht-rechte Skinheads, doch in der Öffentlichkeit dominierte die Gleichung Skinhead = Neonazi. Umgedreht funktionierte das auch. Wer sich als Jugendlicher oder junger Erwachsener als Neonazi zu erkennen geben wollte, der wurde einfach Skinhead. Und er oder sie spürten sofort die Folgen der zumindest ästhetischen Zuordnung zu dieser Szene. BürgerInnen, MigrantInnen und teilweise auch Linke wechselten bei ihrem Anblick zumeist die Straßenseite. Allmachtsgefühle und -phantasien stellten sich oftmals ein, vor allem dort, wo Skinhead-Gruppen nicht auf Widerstand stießen.

Brüche und neue Identitäten

Ende der 1990er Jahre wurde der Skinhead nicht mehr mit dem Bild des arischen Kämpfers, sondern immer mehr mit dem des brutalen, aber unglaublich dummen und stumpfen Schlägers verbunden. „Cool“ ging auf jeden Fall anders. Der smarte „Arbeiter-Kult“ der Skinheads hatte sich in einer Zeit, in der die „Proletarier“ den „Dienstleistern“ gewichen waren, zudem als nicht mehr zeitgemäß erwiesen. Auch Jugendliche mit extrem rechten Ideen wollten nicht nur anders, sondern auch cool sein, sie machten sich auf die Suche nach neuen Identitäten. Der aus der radikalen Linken kommende Hardcore bot sich als Alternative an — mit seiner Stilisierung von Härte und Männlichkeit und seiner Eindeutigkeit jenseits der spielerischen, doppeldeutigen Elemente des Punks. Das war weitaus näher an allem, was extrem rechte Jugendliche aus ihrer vom alltäglichen Gegeneinander geprägten Lebenswelt kannten. Sie überführten diese in einen Gang- und Krieger-Style. Inhaltlich konnten Themen wie die Kritik an sozialer Ungleichheit, an Globalisierung und an Drogen mit rechten Deutungen weitergeführt werden. So adaptierten Teile der extremen Rechten die Musik und auch Symbole und Stilelemente der Hardcore-Szene. Andere schauten mehr auf den primär politischen Bereich der radikalen Linken, der Antifa. Auch hier fanden sie Elemente, die sie faszinierten: Mackertum, Gewaltinszenierungen, den schwarzen Block. Auch diese adaptierten sie und luden sie mit neonazistischer Ideologie auf. Das Problem dabei war, dass die Erkennbarkeit als Nazi verlorenging beziehungsweise durch andere Elemente erzeugt werden musste, die wesentlich diffiziler waren.

Natürlich freuten sich die in Schwarz gekleideten Autonomen Nationalisten, sich auch in links-alternativen Szenevierteln weitestgehend unerkannt bewegen zu können. Sie konnten sich fühlen wie Fische im Wasser, allerdings auch nicht mehr wie Haie, vor denen alle Angst haben. Denn im Alltag funktionierte die „Wir“-Bildung nicht mehr. Im Gegensatz zu den 1990ern, als ein Skinhead, von wenigen Ausnahmen abgesehen, eben noch ein Nazi war, konnten die schwarz gekleideten jungen Menschen Autonome Nationalisten, aber ebensogut auch Antifas oder Ultras sein. Das Outfit brachte keine Exklusivität mehr.

Unsichtbar

Während viele jugendliche Nazis sich im neuen Outfit cool fühlten, wurden sie für die breite Öffentlichkeit unsichtbar; es gab ihn nicht mehr, den typischen jugendlichen Neonazi. Die Verfassungsschutzbehörden schrieben damals sogar, Nazis tarnten sich mit ihrem neuen Outfit. Teile der Linken sorgten sich, es könne den Neonazis gelingen, die Deutungshoheit über das role model des Autonomen zu übernehmen. Glücklicherweise gelang das nicht — vielleicht, weil letztendlich von außen die Zugehörigkeit zu einer der Szenen nur sehr schwer oder gar nicht zu erkennen war. Die Vergemeinschaftung fand bei den Autonomen Nationalisten zunächst auch nicht im Alltag statt, sondern im Rahmen von Aufmärschen und Demonstrationen, auf denen sie sich als schwarzer Block formierten. Erst hier entstand nach innen und außen auch Identität.

Feindbild

Bei Jugendkulturen bilden Momente des „Angefeindetwerdens“ einen wichtigen Punkt der Gemeinschaftskonstruktion. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, von wem Kritik oder Anfeindungen kommen. War es bei den Skinheads der politische Gegner, so kam Kritik an den Autonomen Nationalisten auch aus der extremen Rechten. Dieser galt deren Auftreten als Mummenschanz; die Orientierung an der radikalen Linken war vielen suspekt. Auch das Aufkommen der ersten Nazi-Rapper war stark umstritten. Ein positiver Bezug auf HipHop als Jugendkultur erfolgt in der extremen Rechten bis heute fast nicht. Kaum kritisiert wurde hingegen die Adaption des Hardcore. Auch die in den vergangenen Jahren verstärkte Orientierung an den rockerähnlich auftretenden männerbündischen Bruderschaften steht szeneintern kaum in der Kritik.

Weitere Ausdifferenzierung

In den letzten Jahren hat sich das Erscheinungsbild und der Ausdruck extrem rechter Jugendkultur immer weiter ausdifferenziert. Nazi-Rap gehört heute ebenso dazu wie einige seltene Exemplare des „Nipsters“, der sich in einem Sampling aus Elementen aktuell angesagter Jugendkultur und Bekenntnissen zum Nationalsozialismus versucht. Betrachtet man die social media-Auftritte oder Modeaccessoires dieser jungen Neonazis, dann fällt auf, dass insbesondere aus ihrem Spektrum heraus eine sehr offene und plumpe NS-Verherrlichung betrieben wird. Man könnte meinen, dass sie gerade wegen ihrer ästhetisch hippen und jugendkulturell zeitgemäßen Auftritte und Kleidungsstücke der eigenen Szene beweisen müssen, dass sie „hundertprozentig NS“ sind. Das HKN-KRZ-T-Shirt und der „I love NS“-Jutebeutel erfüllen dafür sicherlich ihren Zweck.

Liegt in der Ausdifferenzierung eine neue Gefahr? Die extrem rechten Inhalte erreichen sicherlich auch weiterhin Jugendliche und junge Erwachsene; aber kann sich um diese auch eine eigene Jugendszene herausbilden, eine Szene, die eine kollektive Identität zu bieten hat und die eine Sogwirkung entwickelt? Mit der zunehmenden Unsichtbarkeit der jugendkulturellen Neonazis und der damit verbundenen geringeren öffentlichen Aufmerksamkeit könnte eventuell eine Abnahme der Repression einhergehen. Offen bleibt ebenfalls die Frage, ob die Identitäre Bewegung sich einen eigenen jugendkulturellen Stil gibt oder ob die Inhalte ihre große Klammer bilden.

Abzuwarten ist auch, ob andere Aspekte wie geschaffene (Frei-)Räume und die Selbstvergewisserung im Rahmen von Events eine größere Bedeutung erlangen — ob der Identitätsverlust also aufgefangen werden kann. Eventuell könnte das durch eine verstärkte Fokussierung auf Inhalte geschehen. Man wird sehen.