Freund oder Feind?
Das ambivalente Verhältnis der Neonazis zur Polizei
Das Verhältnis von Neonazis zur Polizei ist ein ambivalentes: Einerseits wird die Polizei als repressives Organ des „Systems“ wahrgenommen, anderseits wird durchaus zwischen der Polizeiführung und den rangniederen BeamtInnen unterschieden. Letztere sieht man als Teil des Volkes und als zumindest potenzielle Verbündete.
Im Oktober 2016 erschoss ein Anhänger der „Reichsbürgerbewegung“ in Bayern einen SEK-Beamten, als die Polizei sein Haus stürmte. Der Fall erregte bundesweit Aufsehen und wurde auch mit der extrem rechten Ideologie eines großen Teils der diffusen „Reichsbürger“-Szene in Verbindung gebracht. Andere Morde an PolizistInnen durch Neonazis liegen länger zurück. 1997, zehn Jahre vor der — dem NSU zugeschriebenen — Ermordung Michelle Kiesewetters in Heilbronn, erschoss der Berliner Neonazi Kay Diesner einen Polizeibeamten auf einer Autobahn-Raststätte in Schleswig-Holstein. Diesner befand sich auf der Flucht, weil er vier Tage zuvor ein Attentat auf den linken Buchhändler Klaus Baltruschat in Berlin verübt und diesen schwer verletzt hatte. Im Juni 2000 erschoss Michael Berger drei Polizisten in Dortmund und Waltrop (Kreis Recklinghausen), was von der lokalen Szene mit der Parole „3:1 für Deutschland“ bejubelt wurde. Anhand der in der Neonazi-Szene kursierenden Bewertungen dieser beiden Taten lässt sich deren Verhältnis zur Polizei nach-zeichnen.
Die Freie Stimme, die Zeitschrift der damals in NRW führenden Neonazi-Kameradschaft Sauerländer Aktionsfront (SAF), zeigte damals Verständnis für Diesner. Ihm wurde bescheinigt, dass er sich bei der Routinekontrolle durch die Polizei „einwandfrei in einer Notwehrsituation“ befunden habe, weil er nicht „wegen des Kommunisten für Jahre in den Knast gesteckt“ werden wollte. „Daß ein deutscher Familienvater tot ist, bedauern wir. Wer sich aber als Polizist in den Dienst eines Staates stellt, muß immer damit rechnen, von Kriminellen oder Staatsfeinden erschossen zu werden — in jedem Staat! Der Polizist kann-te sein Risiko — wie auch seine zu bedauernde Frau“, hielt die SAF-Postille fest.
Auch die den Rechtsterrorismus propagierende Zeitschrift Reichsruf solidarisierte sich mit Diesner, grenzte dessen Mord aber von der „Amokfahrt“ des „Geisteskranken“ Michael Berger ab, dem keine Solidarität zuteil werden solle. Unter der Überschrift „TOTER BULLE — GUTER BULLE?“ wurde erklärt: „Bulle ist nicht gleich Bulle, hierüber dürfte Einigkeit herrschen, auch wenn jeder einzelne von ihnen Akteur und Diener des Systems ist. Dies ist jedoch noch lange kein Freischein sie für vogelfrei zu erklären und wahllos ab zu knallen.“ Nicht jeder Polizist sei als Feind der „nationalsozialistischen Bewegung“ anzusehen, ausgenommen die „Polit-Cops“ des Staatsschutzes, die „als Kollektiv unser Feind“ seien und um die man sich „speziell kümmern“ müsse. Auch der Reichsruf resümierte, dass in Notwehr-Situationen natürlich geschossen werden dürfe, schließlich befinde man sich im „Krieg mit dem System und somit auch mit allen seinen Dienern, Erhaltern und Beamten“. Der versuchte Mord an dem Buchhändler Baltruschat wird in dem Artikel nicht diskutiert. Die Legitimität der Erschießung eines Linken steht für die unbekannten VerfasserInnen außer Zweifel.
PolizistInnen als Feinde
Die Polizei wird in den Augen der Neonazis vor allem dann zum Feind, wenn sie sich deren Machtansprüchen und Raumnahmen im Zusammenhang mit Konzerten oder Demonstrationen entgegenstellt und polizeiliches Einschreiten zu Gewalt führt. Ein Beispiel dafür sind die Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Neonazis in Dortmund. In dem als „Nazi-Kiez“ reklamierten Stadtteil Dorstfeld lieferten sich Neonazis am Abend ihres Aufmarsches „Tag der deutschen Zukunft“ im Juni 2016 eine Straßenschlacht mit der Polizei, ebenso in der Silvesternacht 2015/2016. Die daraufhin eingeleitete Ermittlungsverfahren beklagte die Szene als „Polizeiwillkür.“
Auf diese reagieren die Dortmunder Neonazis seit Jahren mit der Anmeldung weiterer Kundgebungen, gerne an Terminen wie Heiligabend und Silvester. Unter dem Motto „Euren Feierabend bestimmen wir“ soll die Polizei vor allem genötigt werden, sich im Sinne der Neonazis bei deren Aufmärschen „versammlungsfreundlich“ zu verhalten. Insbesondere nach der Einrichtung einer Sonderkommission gegen „Rechtsextremismus“ bei der Polizei Dortmund, die unter anderem 2012 das Verbot des Nationalen Widerstands Dortmund umsetzte und 2013 ein Rechtsrock-Konzert in Herne auflöste, fuhren die Neonazis eine regelrechte Kampagne gegen den Polizeipräsidenten Norbert Wesseler und dessen Staatsschutz-Leiter Walter Kemper. Die Absetzung Kempers war sogar Thema einer eigenen Demonstration. Bei der Bundestagswahl 2013 wurde dieser Forderung ein eigenes Plakat des Dortmunder Die Rechte-Kreisverbands gewidmet. Als „Stadt Schutz Dortmund“ inszenieren sich Dortmunder Neonazis zudem selbst als quasi-polizeiliche Ordnungsmacht.
Unfähige Freunde?
Diese Janusköpfigkeit in dem Verhältnis der extremen Rechten zur Polizei beschreibt eine Forschungsgruppe unter Leitung des Politikwissenschaftlers Christoph Kopke. „Neben der weiter bestehenden traditionellen positiven Sicht auf die Polizei als Ordnungsfaktor aus einer grundsätzlichen Affinität zum ‚starken Staat‘ heraus“, heißt es in einer Untersuchung aus dem Jahr 2013, sei „die Entwicklung eines spezifischen rechtsextremen ‚Feindbildes Polizei‘ festzustellen“. Am polizeifeindlichsten äußerten sich dabei Neonazis der „Freien Kräfte“ sowie Liedtexte von Rechtsrock-Bands. Polizeiliche Maßnahmen gegen Neonazis würden häufig pauschal als unbegründet, überzogen oder rechtswidrig bewertet. Zugleich werde die Polizei als unfähig oder unwillig beschrieben, Kriminalität, insbesondere angebliche „Ausländerkriminalität“ oder Straftaten von Linken, zu bekämpfen. Diese behauptete Unfähigkeit der Polizei würden die Neonazis zum Anlass nehmen, Selbstjustiz in Form von Bürgerwehren oder erleicht-erten Waffenbesitz zu fordern. „Eine eigentlich gute Polizei wird von einer schlechten Polizeiführung angeleitet. Die Polizei wird missbraucht, um politisch missliebige Jugendliche zu verfolgen“, so die Zusammenfassung der Studienautoren eines in der extremen Rechten weit verbreiteten Narrativs. Handshakes und Bekanntschaften zwischen Neonazis und PolizistInnen, wie sie gelegentlich öffentlich werden, sind des-halb aus Sicht der Neonazis nicht grundsätzlich verwerflich.
Trotz der in den subkulturellen Milieus des Neonazismus zur Schau gestellten Feindschaft gegenüber der Polizei: Abschaffen wollen Neonazis die von ihr als „Repressionsapparat“ bezeichnete Institution nicht. Selbst der Reichsruf, jene Neonazi-Zeitschrift, die sich Gedanken über das legitime Erschießen von PolizistInnen machte, hielt in ihrem Artikel fest, dass jeder Staat, um die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten, eine Polizeibehörde benötige. Und mit Hilfe „ihrer“ Polizei würden Neonazis nach der „nationalen Revolution“ gerne gegen politische GegnerInnen und andere „Volksfeinde“ vorgehen.