„Ins Ghetto getrieben“

Der Erinnerungsort Alter Schlachthof der Hochschule Düsseldorf

Der neue Campus der Hochschule Düsseldorf im Stadtteil Derendorf wurde auf dem Gelände des ehemaligen städtischen Schlachthofes (1899 bis 2002) errichtet. Erhalten sind zwei denkmalgeschützte Gebäude: die Pferdeschlachthalle, die künftig als Studierendenzentrum dienen soll, und die frühere Großviehmarkthalle. Letztere diente während des Zweiten Weltkriegs als Deportationssammelstelle für jüdische Menschen des gesamten Regierungsbezirkes Düsseldorf.

Der neue Campus der Hochschule Düsseldorf im Stadtteil Derendorf wurde auf dem Gelände des ehemaligen städtischen Schlachthofes (1899 bis 2002) errichtet. Erhalten sind zwei denkmalgeschützte Gebäude: die Pferdeschlachthalle, die künftig als Studierendenzentrum dienen soll, und die frühere Großviehmarkthalle. Letztere diente während des Zweiten Weltkriegs als Deportationssammelstelle für jüdische Menschen des gesamten Regierungsbezirkes Düsseldorf.

Fast 6.000 Männer, Frauen und Kinder mussten sich hier auf Anordnung der Gestapo in den Jahren 1941 bis 1944 zu insgesamt sieben Deportationen einfinden. Im Schlachthof angekommen, wurden die Menschen registriert. Ihr Gepäck wurde durchsucht und nicht selten beraubt. Nach einer Nacht in der Halle eskortierten Schutzpolizei, Gestapo und SS oder Wehrmacht die zumeist etwa 1.000 Menschen umfassende Gruppe am folgenden Morgen — vor aller Augen — zum nahe gelegenen Güterbahnhof Derendorf. Von hier aus wurden sie zum vorgeblichen „Arbeitseinsatz im Osten“ verschleppt, tatsächlich in die Ghettos im besetzten Osteuropa: nach Litzmannstadt (Łódź), Minsk, Riga, Izbica und Theresienstadt (Terezín). Die Lebensverhältnisse dort waren katastrophal. Wer zu alt oder zu schwach zur Zwangsarbeit war, wurde „ausgesiedelt“, also ermordet. Nach vorsichtigen Schätzungen haben nur etwa 300 Menschen ihre Deportation überlebt.

Die Deportationen waren das Ergebnis eines geschickt ausgeklügelten, komplexen, bürokratischen Prozesses, an dem neben der Gestapo zahlreiche Akteur*innen aus verschiedenen Behörden und Organisationen beteiligt waren. Alles wurde „ordnungsgemäß“ durch Gesetze und Verordnungen vorbereitet und „durchgeführt“. Die Deportationen blieben auch nicht geheim. Neben den ungezählten Beteiligten und Augenzeug*innen gab es viele Menschen, die von dem geraubten Gut der Verschleppten profitierten, in der Regel wissend, wessen Güter sie da bei Auktionen oder Wohnungsauflösungen erwarben.

Dass die Gestapo ausgerechnet den Schlachthof als Sammelstelle nutzte, hatte vermutlich pragmatische Gründe: die Nähe zum Güterbahnhof, die Verfügbarkeit einer großen, leicht zu überwachenden Halle, zudem in städtischem Besitz. Welche Gefühle die Verfolgten beim Betreten der Halle bewegten, lässt sich erahnen. „Auf dem Schlachthof hat es bei mir ‚klick’ gemacht“, erinnerte sich später Werner Rübsteck, ein Überlebender des Ghettos Riga: „… und dann hat man uns ins Ghetto getrieben.“ Der Schlachthof war für die Deportierten das Tor in eine andere Welt, die geprägt war von Hunger, Zwangsarbeit, Misshandlung und Mord.

In der Stadtgesellschaft gerieten diese Verbrechen schnell in Vergessenheit. Erst 1986 wurde an einer Mauer an der Rather Straße eine Gedenktafel angebracht, die im Laufe der Jahre mehrfach entwendet wurde. In derselben Zeit (1987) entstand auch die Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf, die seitdem an alle NS-Opfer der Stadt erinnert. Der historische Ort der Deportation selbst war die ganze Zeit unzugänglich, da der Schlachthof bis 2002 in Betrieb war.

Der Erinnerungsort Alter Schlachthof

In die ehemalige Viehhalle sind nun Campus IT und Hochschulbibliothek eingezogen. Vor dem Eingangsbereich der Halle, wo zwei Viehabstiege ins Untergeschoss der Halle führten, befindet sich seit 2016 die Dauerausstellung des Erinnerungsortes Alter Schlachthof. Mit dessen Einrichtung wurde eine jahrelange Forderung verschiedener Akteure (der Mahn- und Gedenkstätte, der Jüdischen Gemeinde, der Bezirksvertretung und vor allem des AStA der Hochschule Düsseldorf) erfüllt, die die Entwicklung des Erinnerungsortes an einem Runden Tisch jahrelang begleiteten.

Die Lage eines solchen historischen Ortes mitten auf dem Campus einer Hochschule, ist einmalig in der Bundesrepublik Deutschland. Mit der Erarbeitung des inhaltlichen Ausstellungskonzepts waren Mitarbeiter*innen des Forschungsschwerpunktes Rechtsextremismus/Neonazismus (FORENA) betraut. Studierende des exhibition design institute am Fachbereich Design entwickelten das gestalterische Konzept, Studierende des Fachbereichs Medien gestalteten den Web-Auftritt und programmierten das Digitale Archiv, dem in der Dauerausstellung eine wichtige Rolle zukommt.

Neben der Dokumentation der am historischen Ort verübten Verbrechen besteht eine wesentliche Aufgabe des Erinnerungsortes darin, die Erinnerung an die verfolgten und ermordeten Menschen zu bewahren, ihre Namen und Geschichten zu erforschen, soweit sie noch nicht bekannt sind. Sie wurden Opfer einer mörderischen Staatsdoktrin, die bestimmte, wer aus rassistischen, sozialen oder politischen Gründen aus der „Volksgemeinschaft“ ausgeschlossen, wer eingesperrt oder ermordet wurde. Die diesen Ausgrenzungsstrukturen zugrunde liegenden Denkmuster wie Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus sind noch heute virulent und Ursache für Diskriminierung, Gewalt und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Die Erinnerung an die NS-Verbrechen sollte deshalb ein Anstoß zu einer Auseinandersetzung mit der Geschichte, aber ebenso mit Gegenwartsfragen sein. Diese Auseinandersetzung erfolgt in der Dauerausstellung selbst, die explizit die Frage nach den Folgen des Nazismus für die bundesrepublikanische Gesellschaft bis in die Gegenwart erörtert. Darüber hinaus erfolgt sie im Rahmen des Bildungsangebotes der Einrichtung, das sich in gleicher Weise an die Studierenden der Hochschule wie an interessierte Bürger*innen richtet. Die Studierenden sind aber nicht nur Zielgruppe der Bildungsarbeit. Sie sind dazu aufgerufen, an der künftigen aktiven und kreativen Erinnerungsarbeit der Einrichtung mitzuwirken — so wie dies bereits der AStA praktiziert, der regelmäßig eigene Veranstaltungsreihen organisiert. Die Auseinandersetzung mit den Themen des Erinnerungsortes soll zukünftig zu einem festen Bestandteil des Studiums an der Hochschule werden.

Ausstellen und dokumentieren -  innen und außen

Das Ausstellungskonzept trägt der besonderen Raumsituation Rechnung. Die Viehabstiege sind aufgrund ihrer Steigung für Ausstellungszwecke wenig geeignet. Deswegen wurde auf der Höhe des Bodens des Erdgeschosses ein begehbarer Gitterrost montiert. Entstanden sind so zwei gut bespielbare, barrierefreie Galerieflügel. Um einen Rundgang zu ermöglichen, sind auf beiden Seiten im Gitterrost Durchgänge geschaffen, durch die man über eine Treppe auf die historischen Viehabstiege und so in das Untergeschoss gelangt. Auch das Außengelände wird einbezogen: Am Campus-Eingang Münsterstraße verweist eine Informationsstele, auf der die frühere Gedenktafel montiert ist, auf den schon von hier sichtbaren Erinnerungsort. Die Dauerausstellung beginnt vor der Großviehmarkthalle. Ein neun Meter langes Informationspult mit integrierter LED-Beleuchtung liefert historische Hintergründe. Es dokumentiert die Ereignisse am historischen Ort vor 1945: die Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung, den arbeitsteiligen Prozess der Deportation, den weiteren Weg der Verschleppten und ihre Ermordung. Der zweite Abschnitt behandelt die Nachkriegszeit bis zur Gegenwart, erörtert die Folgen und das Erbe des Nazismus, was mit den Überlebenden, mit den Täter*innen und mit der NS-Ideologie geschah.

Im Innenbereich verfolgt die Dauerausstellung „Gesichter und Geschichten“ einen biographischen Zugang. Sie porträtiert Menschen, deren Lebensgeschichten mit dem Schlachthof beziehungsweise mit den Deportationen verbunden sind. Die im linken Galerieflügel Porträtierten stammen aus dem gesamten Regierungsbezirk und sind nach den sieben Deportationen chronologisch angeordnet. Exemplarisch werden Kurzbiographien vorgestellt, Zitate aus Erinnerungen oder historischen Dokumenten vermitteln O-Töne. Im rechten Galerieflügel werden Menschen porträtiert, die auf andere Weise Opfer der Shoah wurden, denn (es gab noch weitere Deportationen aus dem Regierungsbezirk), auch solche, die vor 1941 das Land verlassen konnten, „legal“ oder „illegal“, wobei einigen die Flucht glückte, anderen nicht — oder solche, denen es gelang, unterzutauchen. Dies war nur möglich, wenn mutige nichtjüdische Menschen halfen — auch solche Helfer*innen, wie zum Beispiel Otto Pankok, Hulda Pankok und Bernt Engelmann, werden porträtiert. Von diesen Biographien gestalterisch getrennt, werden auch Täter*innen, Profiteur*innen und Mitläufer*innen aus Schlachthofverwaltung, Stadt- und Finanzverwaltung, Polizei und Gestapo vorgestellt — denn auch sie haben „Gesichter und Geschichten“. Sämtliche Biographien können und sollen bei Gelegenheit ausgetauscht werden. Die Bilderrahmen-Wand bietet temporär auch Raum für andere Ausstellungsprojekte.

Über den Viehabstieg gelangt man in das Untergeschoss. Es ist zurückhaltend bespielt, so dass der Eindruck des Raums, durch den viele Deportierte gehen mussten, nur wenig gestört wird. An den Wänden geben Zitate von Überlebenden ihre Eindrücke wieder, an zwei Hörstationen finden sich Interviews. Im Zentrum des Untergeschosses steht das Digitale Archiv, das als Vertiefungsbereich mehrere wichtige Funktionen erfüllt. Es enthält:

1.) Sämtliche Ausstellungsinhalte des Außenausstellungsbereiches.

2.) Verschiedene Dokumentensammlungen, vor allem Informationen über die Zielorte der Deportationen und die fast vollständig überlieferten Deportationslisten. Damit wird der Großteil der Namen der Deportierten dokumentiert.

3.) Die biographische Datenbank: Hier finden sich weitergehende Informationen über alle in der Dauerausstellung portraitierten Menschen, aber auch darüber hinaus. Sie soll zukünftig, im Sinne einer aktiven Erinnerungsarbeit, ständig erweitert werden, um möglichst vielen Verfolgten und Ermordeten Namen und Gesicht wiederzugeben.

In der Hochschulbibliothek selbst wird schließlich das einzige originale Exponat der Dauerausstellung gezeigt: eine Reihe erhaltener Steintröge. Sie verweisen auf die frühere Funktion der Halle und sind mit einer Erinnerung der Holocaust-Überlebenden Hilde Sherman-Zander verknüpft. Sie berichtete, wie in den Nächten vor einer Deportation die Eltern ihre Kleinkinder in die Tröge legten, um sie vor Kälte und Schmutz zu schützen.

Ausblick

Die Erinnerungskultur wird durch unterschiedlichste Akteure geprägt, in Zukunft auch durch Angehörige und Studierende der Hochschule Düsseldorf. Sie wird umso vielfältiger, je mehr Menschen sich an ihr aktiv beteiligen. Der neue Erinnerungsort Alter Schlachthof schließt eine Lücke in der „Erinnerungslandschaft“ der Landeshauptstadt. Er versteht sich als eine Ergänzung zur Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf, mit der er in regem Austausch steht, und als Bestandteil des Netzwerks regionaler wie überregionaler Erinnerungsorte und Einrichtungen der historisch-politischen Bildung.

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Studentisches Teach-in 1968.
Bundesarchiv
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