„Denkfabrik à la IfS in Schnellroda“?

Ein Schulungszentrum der AfD im Westerwald

Mit der Eröffnung eines Schulungszentrums möchte die AfD ihre Aktivitäten im Westerwald weiter ausbauen. Es soll ein „Knotenpunkt für Patrioten“ in der Region entstehen. Von Ortsansässigen wurde das Zentrum schon „Braunes Haus“ getauft.

Mit der Eröffnung eines Schulungszentrums möchte die AfD ihre Aktivitäten im Westerwald weiter ausbauen. Es soll ein „Knotenpunkt für Patrioten“ in der Region entstehen. Von Ortsansässigen wurde das Zentrum schon „Braunes Haus“ getauft.

Der Westerwald ist ein ländlich geprägtes Gebiet im Dreiländereck Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Im Schnitt sind es 62 Kilometer zu größeren Städten wie Koblenz, Bonn oder Siegen. Der Westerwald blickt auf eine lange Geschichte extrem rechter Aktivitäten und Gewalttaten zurück. 1990 ermordeten Neonazis den jungen Kurden Nihat Yusufoğlu in Hachenburg. In den 2000er Jahren machte die als kriminelle Vereinigung eingestufte Kameradschaft Westerwald mit Angriffen von sich reden. Die elf Demonstrationen des lokalen PEGIDA-Ablegers zwischen 2015 und 2017 mit bis zu 300 Teilnehmer*innen zeigen, wie anschlussfähig Ressentiments in dieser Gegend weiterhin sind und dass es der extremen Rechten gelingt, auch jenseits ihrer eigenen Strukturen zu mobilisieren. Auch die AfD baute in den letzten Jahren ihre Strukturen vor Ort aus.

Die „Fassfabrik“

Am 3. Oktober 2019 eröffnete die AfD Westerwaldkreis die sogenannte Fassfabrik in Hachenburg.

Die Notwendigkeit einer eigenständigen Immobilie wird damit begründet, dass „wir im Westerwald immer wieder unsere Versammlungsorte wechseln mussten, weil Wirte bedroht und Personen eingeschüchtert wurden“, teilte die Partei mit. In der Vergangenheit hatte der Kreisverband, meist unter Angabe falscher Tatsachen, Räumlichkeiten angemietet, um Stammtische oder Vorträge durchzuführen. Beispielsweise wurden Parteiveranstaltungen als private Veranstaltungen deklariert. Das fiel schnell auf. Mehrere Verträge wurden kurzfristig aufgekündigt, als die Eigentümer erfuhren, dass die Anmietung unter falschen Angaben erfolgt war.

Die Finanzierung des neu entstandenen „Knotenpunktes für Patrioten im Westerwald“ scheint kein Problem darzustellen. So betreibt beispielsweise Vorstandsmitglied Andreas Schäfer unter anderem acht Fachgeschäfte für Hörgeräte. Für die nun entstandenen Räumlichkeiten wird insbesondere die Mission „Metapolitik“ angestrebt, womit Strategen der „Neuen Rechten“ wie Alain de Benoist und Götz Kubitschek ihr Vorgehen zur Erringung einer kulturellen Hegemonie bezeichnen. Dies verwundert nicht, betrachtet man das maßgebliche Personal, das hinter der Fassfabrik steckt.

Who is who?

Um einschätzen zu können, welche Gefahren mit der Fassfabrik einhergehen, muss neben den geografischen und historischen Umständen der Region ein Blick auf die Schlüsselpersonen der AfD Westerwald geworfen werden. Eine davon ist Justin Cedric Salka (siehe auch S. 38 f.), der gerne über „Identität“ und „Kultur“ im „neurechten“ Magazin Arcadi schreibt. Als junger Aktivist nimmt Salka einen besonderen Platz im Gefüge der AfD im Westerwald ein. Er vertritt das Idealbild hipp, jung und intellektuell. Sein Name taucht auch im vielzitierten Gutachten des Verfassungsschutzes über die AfD auf. Er besuchte mehrfach das Kyffhäusertreffen des AfD-„Flügels“. Neben den Ämtern, die Salka in der AfD und der Jungen Alternative (JA) auf Landes- und Kommunalebene bekleidet, vertritt er die AfD auch im Hachenburger Stadtrat. Er ist aber nicht nur innerhalb der AfD-Strukturen gut vernetzt. Seine Nähe zur Identitären Bewegung (IB) wurden schon mehrfach dokumentiert. Mit Christian Greeb nahm ein ehemaliger NPD-Kreistagsabgeordneter bereits 2017 an einem Gedenken für gefallene Soldaten und 2018 an einem Fußballturnier der JA teil. Vorsitzender der JA Mittelrhein-Westerwald ist Salka persönlich. Julian Bender, „Gebietsleiter West“ der neonazistischen Kleinstpartei Der III. Weg, fühlte sich sogar berufen, Salka auf Facebook mit Tipps zu versorgen.

Eine weitere Schlüsselfigur für die Fassfabrik stellt erwähnter Andreas Schäfer dar. Neben seiner unternehmerischen Tätigkeit ist er Mandatsträger der AfD im Kreistag. Der Hachenburger war bereits in den lokalen Schlagzeilen, als er versuchte, die Berichterstattung des DEMOS e.V. — Verein für Demokratie, Menschenrechte, Offenheit und Solidarität über seine Teilnahme am Kyffhäusertreffen gerichtlich zu unterbinden. Es wurde sichtbar, dass Schäfer in sozialen Netzwerken unter Pseudonym geschichtsrevisionistische und volksverhetzende Beiträge veröffentlicht (siehe LOTTA #73, S. 26 f). Eines dieser Pseudonyme stellte bereits vor einigen Jahren einen offenen Bezug zur „Neuen Rechten“ her: „Der AfD fehlt eine Denkfabrik a la IfS in Schnellroda!“

Sowohl Salka als auch Schäfer werden vom stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der AfD im Mainzer Landtag, Joachim Paul, besonders viel Leidenschaft beim Aufbau der Fassfabrik bescheinigt. Denkbar, dass Paul seinen Einfluss auf Bundesebene dazu nutzen wird, das Schulungszentrum im Westerwald zu unterstützen. Der „Alte Herr“ der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn und selber in den Schlagzeilen wegen eventueller Verflechtungen mit der neonazistischen Szene, wurde beim Bundesparteitag im November 2019 in den Bundesvorstand gewählt.

Ausrichtung und Ausblick

Mit der Fassfabrik eröffnet die AfD einer breiten rechten Klientel ein enormes Veranstaltungspotenzial. Neben Pauls angekündigten parteiinternen Schulungen lassen die bisherigen Gäste auf die politische Ausrichtung der Fassfabrik schließen. Neben Stammgästen wie

Andreas Bleck (MdB) und Joachim Paul warben die Westerwälder bislang für mehrere Veranstaltungen mit Vertretern des „Flügels“, wie Andreas Kalbitz und Hansjörg Müller, Bundestagsabgeordneter aus Thüringen. Denkbar wäre auch eine Nutzung durch die IB. Ein internes Schulungszentrum böte die Gelegenheit, Szenestars einzuladen und damit auch jüngeres Klientel anzusprechen.

Gegen rechts aktive Menschen vor Ort warnen ausdrücklich davor, die aktuelle Entwicklung zu unterschätzen. Bisher hatten antifaschistische Recherchen, eine kritische Öffentlichkeit und ein kontinuierlicher Widerstand dafür Sorge getragen, dass sich die AfD in den eigenen Sumpf der Selbstbestätigung zurückziehen musste. Aktuell aber besteht Gefahr, dass es hierbei nicht bleibt.

Ein derartiges Schulungszentrum könnte zu einem Anlaufpunkt für „Identitäre“, „Neue Rechte“ und Akteure des ehemaligen „Flügels“ aus dem ganzen Bundesgebiet werden — eingebettet in eine ländliche Struktur, in der konservative Einstellungen ohnehin seit jeher stark präsent sind. Die finanziellen Mittel und parlamentarischen Zugänge sind bereits vorhanden, um das Projekt zu realisieren. Ob Salkas Vernetzung ausreicht, um Stars der „identitären“ Szene in den Westerwald zu locken, muss sich allerdings noch zeigen. Die AfD jedoch hält schon jetzt mit ihrer Freude nicht hinter dem Berg. War schon der 3. Oktober 2019 als Eröffnungsdatum sicherlich nicht zufällig gewählt, so wurde am Jahrestag der Reichspogromnacht am 9. November noch einmal nachgelegt:  mit einem „Schlachtfest“.

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Jan Maximilian Gerlach