Radio Dryeckland (CC BY-NC-SA 2.0 DE)

Kein Fall für die Statistik

Entpolitisierung rechter Gewalt gegen linke Projekte

Von September 2018 bis Juli 2019 wurden im Rhein-Main-Gebiet zwölf Brandanschläge auf linke Projekte verübt. Dabei wurde der Täter zweimal erwischt und der Polizei übergeben, doch er kam jeweils am nächsten Tag frei. Die Ermittlungen waren geprägt von Versäumnissen und der Unfähigkeit der Behörden, die Taten politisch einzuordnen. Einiges deutet darauf hin, dass sie auch im bevorstehenden Prozess versuchen werden, den Täter und die Taten zu entpolitisieren.

Von September 2018 bis Juli 2019 wurden im Rhein-Main-Gebiet zwölf Brandanschläge auf linke Projekte verübt. Dabei wurde der Täter zweimal erwischt und der Polizei übergeben, doch er kam jeweils am nächsten Tag frei. Die Ermittlungen waren geprägt von Versäumnissen und der Unfähigkeit der Behörden, die Taten politisch einzuordnen. Einiges deutet darauf hin, dass sie auch im bevorstehenden Prozess versuchen werden, den Täter und die Taten zu entpolitisieren.

Die Anschläge waren teilweise lebensgefährlich. Am späten Abend des 3. Dezember 2018 wurde ein Bauwagen auf dem Gelände eines Wohnprojekts in Hanau angezündet und stand sogleich in Flammen. Hätten sich darin Menschen aufgehalten, wären diese in höchster Gefahr gewesen. Am 21. Dezember 2018 wurde in einem Nebenraum des Autonomen Kulturzentrums Metzgerstraße 8 in Hanau während des Publikumsbetriebs brennbare Flüssigkeit vergossen und angezündet. Der Täter fiel auf, als er den Raum verließ. Deshalb wurde das Feuer sofort entdeckt und gelöscht, bevor es sich ausbreiten konnte. Dass bei den Anschlägen niemand körperlich zu Schaden kam, ist nur glücklichen Umständen und in einigen Fällen dem schnellen Eingreifen der Feuerwehr und der Anwesenden zu verdanken. Bei einigen Bränden entstand beträchtlicher Schaden. So am 14. September 2018, dem ersten Anschlag der Serie, als auf dem Gelände des Wohnprojekts Knotenpunkt in Schwalbach (Main-Taunus-Kreis) ein Holzstapel angezündet wurde. Das Feuer griff auf die Scheune und das Wohnhaus, in dem sich eine Person aufhielt, über. Diese konnte ins Freie flüchten, doch das Haus brannte lichterloh, mehrere Menschen verloren ihr Hab und Gut, der Sachschaden betrug über 200.000 Euro.

Der Täter

Bei zwei Anschlägen wurde der heute 47-jährige Frankfurter Joachim S. auf frischer Tat erwischt, so beim Anschlag in der Metzgerstraße und am 27. Juli 2019, als Passant*innen ein Feuer am Wohnprojekt Lila Luftschloss in Frankfurt bemerkten, S. flüchten sahen und ihn stellten. Vermutlich ist er für die gesamte Brandserie verantwortlich, es gibt keine Hinweise auf Komplizen. Ende 2019 kam S. in Untersuchungshaft. Die Polizei hatte ihn über zwei Monate lang observiert und bei einer Brandstiftung ertappt. Zwischen September und Dezember 2019 soll er 19 weitere Taten begangen haben. Linke Räume waren nicht mehr betroffen, stattdessen setzte er offenbar wahllos in seinem Stadtteil Zäune, einen PKW, einen Motorroller, Sonnenschirme und Mülltonnen in Brand. Die Feuerwehr verhinderte in mehreren Fällen, dass die Flammen auf Wohnhäuser übergreifen konnten. Polizeiangaben zufolge soll er auch versucht haben, eine Scheune und ein Wohnhaus anzustecken.

Joachim S. ist aus keiner rechten Szene bekannt. Doch finden sich in seiner Vergangenheit Hinweise darauf, dass er einen Hass auf Linke und besonders auf linke Frauen hegt. In der Anschlagsserie fällt auf, dass gleich drei Anschläge auf das feministische Wohnprojekt Lila Luftschloss zielten. In einem Artikel im Antifaschistischen Infoblatt (AIB) von 2019 heißt es über den Tatverdächtigen: „Die vermeintlich witzigen Bilder, die man bei ihm findet, zielen voller Häme und Gemeinheiten gegen Geflüchtete, Schwule, Frauen und sozial Benachteiligte. Es drängt sich der Eindruck auf, dass S. der Typ ist, der nur nach unten lachen kann bzw. über die, die seiner Meinung nach gefälligst unter ihm zu stehen hätten.“

Ermittlungsversäumnisse

Die Ermittlungen zu den Anschlägen auf die linken Projekte waren von groben Versäumnissen geprägt. So ließ die Polizei nach dem Anschlag am 21. Dezember 2018 in der Metzgerstraße einen vereinbarten Termin zur Spurensicherung kurzfristig platzen. Am 27. Dezember teilte sie mit, dass eine Tatortbesichtigung nicht mehr notwendig sei. Auf Druck der Staatsanwaltschaft kamen im Januar doch noch Brandermittler, die aber keine verwertbaren Spuren mehr fanden. Nach diesem Anschlag war S. von Besucher*innen der Metzgerstraße gestellt und der Polizei übergeben worden. Am nächsten Tag wurde er laufen gelassen. Obwohl der Anschlag in der Metzgerstraße bereits der neunte in zehn Wochen gegen linke Orte gewesen war, vermochte die Polizei keine Serie zu erkennen und keinen Bezug von S. zu den betroffenen Projekten auszumachen. Doch sie hatte dort auch nicht nachgefragt, ob S. bekannt sei. Denn das war er durchaus. Mehrere Anschläge der Serie zielten auf Häuser des Projektverbunds Mietshäuser Syndikat (MHS), das S. seit Jahren zu schädigen versuchte. Seit 2015 hatte er öffentlich einsehbare Bilanzen und Internetseiten von dutzenden MHS-Projekten durchforstet und kleinste Formfehler den Behörden gemeldet. Alleine der Knotenpunkt war dreimal davon betroffen. Über ein weiteres MHS-Projekt in Frankfurt, das Ziel eines Anschlags war, hatte er Erkundigungen angestellt. Auch das Lila Luftschloss, das nicht Mitglied des MHS ist, war von ihm denunziert worden.

Auf Kritik an den Ermittlungen reagierten Polizei und Justiz so, wie man sie (nicht nur) im Rhein-Main-Gebiet kennt: kritikresistent, beleidigt und unehrlich. So schoben sie die Schuld für versäumte Ermittlungen im Fall Metzgerstraße auf die Besucher*innen und behaupteten, diese seien nicht kooperativ gewesen.

Linke Projekte im Fokus

Der Artikel im AIB wirft die Frage auf, was S. bewegt haben könnte, seinen sicheren Platz hinter dem Computer zu verlassen, wo er jahrelang seine Denunziations-Schreiben verfasste. Was könnte ihn zu einem „Mann der Tat“ gemacht haben, der abends loszog, um Feuer in Häusern zu legen? Die Brandanschläge fielen in eine Zeit, in der im Nachhall der Proteste gegen den Hamburger G20-Gipfel linke Projekte öffentlich zur Disposition gestellt wurden. Im Rhein-Main-Gebiet zogen CDU und FDP eine aggressive Kampagne gegen linke Freiräume auf, die von der Tageszeitung Frankfurter Neue Presse (FNP) flankiert wurde. Im Mittelpunkt dieser Kampagne standen die Szene-Treffpunkte ExZess und Au in Frankfurt, auf die jeweils zwei Anschläge verübt wurden. In einem Artikel hatte ein einschlägig bekannter FNP-Schreiber eine viele Jahre zurückliegende Verbindung vom ExZess zu einer Person hergestellt, die heute für das Lila Luftschloss auftritt. Möglicherweise lieferten derartige Artikel S. die Ziele. Am 9. und 10. Dezember 2018 wurden Brände am ExZess gelegt, am 12. Dezember folgte ein Anschlag auf das Lila Luftschloss.

Der rechte Hintergrund

Noch gibt es keinen Hinweis darauf, wie sich S. politisch selbst verortet, ob er sich überhaupt als politisch handelnder Menschen versteht und ob seine Verachtung linker Lebensentwürfe auf einer tief verwurzelten politisch-ideologischen Überzeugung basiert. Doch es ist nicht erheblich, dies zu wissen, um die Taten politisch einzuordnen. Die Angriffe, so schreibt das AIB, „waren geplant, und sie zielten explizit darauf, die Existenzen von Menschen zu zerstören und deren Leben zu gefährden, weil der Täter sie als anders und links ansah. Dieser politische Handlungsrahmen wird nicht unpolitischer, wenn man bei Joachim S. eine Obsession erkennt und ihn pathologisiert. Was kein Widerspruch ist, denn Wahnvorstellungen und rechte Einstellungen bedingen und erzeugen sich oft gegenseitig.“

Die Ermittlungsbehörden hingegen blendeten von Anfang an einen rechten Hintergrund aus. So erzählten Beamte des Polizeilichen Staatsschutzes den Bewohner*innen des Knotenpunkts, dass ein rechtes Motiv „völlig auszuschließen“ sei, da sie „die paar Nazis im Vordertaunus im Griff“ hätten. In dieser Selbsteinschätzung zeigt sich eine Überheblichkeit im Umgang mit Neonazis, die die hiesige Polizei verinnerlicht zu haben scheint. Neonazis seien doch nur Spinner, also nicht ernst zu nehmen. Zudem: Rechte Anschläge werden auch von Personen begangen, die keiner Neonazi-Szene angehören oder nicht aus der Region kommen.

Augenscheinlich ist der Unwille und die Unfähigkeit der Behörden, die politische Substanz der Taten zu begreifen. Ihr antiquiertes Verständnis dessen, was eine rechte politische Tat ist, geht davon aus, dass der Täter oder die Täterin einer entsprechenden Organisation angehört und ein eindeutiges politisches Bekenntnis ablegt. In den Gesprächen mit Betroffenen und deren Anwält*innen insistierten Polizist*innen und Staatsanwälte, dass bestimmt keine politischen, sondern persönliche Motive den Anschlägen zugrunde lägen — ganz so, als ob vorausgegangene Streits und persönlicher Groll eine politische Motivation ausschließen würden.

Den negativen Höhepunkt setzte einmal mehr der hessische Verfassungsschutz. In seinem Bericht über das Jahr 2018 echauffiert er sich darüber, dass die „linksextremistische Szene“ Politiker*innen, die gegen linke Treffpunkte in Frankfurt gehetzt hatten, als „geistige Brandstifter“ der Anschlagsserie bezeichnet habe. Auch führt die Behörde in ihrem Bericht auf, dass S. von Linken „geoutet“ und dass sein Wohnhaus beschmiert und mit Steinen beworfen worden sei. Auf die Anschläge wird indes nicht eingegangen. Für das Jahr 2018 zählte der VS in Hessen nicht eine einzige Brandstiftung, die von rechts begangen wurde. Daraus lässt sich schließen: Das Outing eines rechten Brandstifters bewertet der hessische VS als „verfassungsfeindliche Bestrebung“, die Anschlagsserie auf linke Häuser hingegen nicht. Sie soll in keiner behördlichen Statistik rechter Gewalt auftauchen.

Bis heute sind Polizei und Staatsanwaltschaften, die mit dem Fall S. befasst sind, darauf bedacht, bloß kein „politisches Fass“ aufzumachen. Im Vorfeld des Prozesses gegen S. gibt es keine Anzeichen, dass die Staatsanwaltschaft die Anschlagsserie gegen die linken Projekte verhandeln oder zumindest thematisieren wird. Ihre Strategie scheint zu sein, lediglich die 19 Brandstiftungen anzuklagen, die Ende 2019 begangen wurden und bei denen sich kein politischer Bezug findet — und alles andere auszuklammern. Es läuft daraus hinaus, dass S. am Ende als Pyromane in einer psychiatrischen Einrichtung landen und die Anschlagsserie gegen links im unpolitischen Raum verschwinden wird.

Eine Facette rechten Terrors

Rechter Terror hat unterschiedliche Ausdrucksformen und Ziele. Man kann die Serie der Brandanschläge auf die linken Projekte nicht mit den Morden in Hanau oder den Morden des NSU gleichsetzen, denen ein rassistischer Vernichtungswillen zugrunde lag. Doch auch wenn bei den Bränden niemand körperlich zu Schaden kam, so darf man sie nicht bagatellisieren. Mehrfach wurde an Gebäuden, in Hauseingängen und in einem Fall auch in einem Haus Feuer gelegt. In fast allen Fällen wurde Brandbeschleuniger benutzt, bei mindestens zwei Tatorten ist davon auszugehen, dass diese vorher ausgekundschaftet worden waren. Und der gesamte Schaden lag im sechsstelligen Euro-Bereich. Dass die Angriffe nicht dazu führten, dass Existenzen dauerhaft zerstört wurden, ist einzig dem solidarischen Zusammenhalt der Linken zu verdanken.

Das Nichterkennen, Bagatellisieren und Entpolitisieren rechter Gewalt hat in den hessischen Behörden eine lange unheilvolle Tradition, die sich im Fall Joachim S. fortsetzt. Die betroffenen Projekte und ihre Unterstützer*innen haben angekündigt, den Prozess gegen S. zu beobachten, mit Aktionen zu begleiten und weiterhin Gegenöffentlichkeit herzustellen.

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Der Artikel basiert in Teilen auf dem Artikel „Der unauffällige Durchschnitts-Typ“, der im Frühjahr 2019 in der Ausgabe 122 des Antifaschistischen Infoblatts erschienen ist. Weitere Informationen siehe unter: https://www.rheinmain-doku.org/

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