Die „First Class Crew“ / „Steeler Jungs
Zwischen „Bürgerwehr“ und Neonazi-Szene
Die Essener „First Class Crew“ (FCC), zumeist aufgrund deren Führungsrolle innerhalb der FCC auch „Steeler Jungs“ (SJ) genannt, ist eine selbsternannte „Bürgerwehr“ mit Vorbildfunktion für Gleichgesinnte. Ab 2018 führte sie — martialisch und in einheitlichem Look auftretend — wöchentlich sogenannte „Spaziergänge“ durch den Essener Stadtteil Steele durch. Immer wieder fällt die Gruppe durch Pöbeleien und Übergriffe auf. Über Steele hinaus haben sich Ableger der SJ in den Essener Stadtteilen Huttrop, Borbeck und Altenessen gebildet.Die Mitglieder der Steeler Jungs kommen aus gewaltaffinen Milieus: Hooligans, Rocker und Kampfsportler. Maskulinität, Sportaffinität und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit vereinen die Gruppe. Wegen ihrer Herkunft aus dem Stadtteil bestehen enge Bindungen innerhalb Steeles, in weitere Essener Stadtteile sind sie gut vernetzt. Ihr Auftreten als SJ, zumeist gemeinsam mit den Huttroper Jungs, ist das einer geschlossenen Gruppe mit einem großen, sich um sie scharenden Sympathisierendenumfeld. Die Steeler Jungs inszenieren sich als Beschützer des Stadtteils und seiner Bewohner_innen. Sie begründen ihre Märsche mit angeblich mangelnder Wehrhaftigkeit des Staates gegenüber Asylsuchenden, die weiße Frauen angreifen würden.
Der Rassismus gegenüber Geflüchteten wird hier verbunden mit sexistischen Zuschreibungen. Frauen werden als schwache Subjekte wahrgenommen, die Schutz vor (nicht-weißen) Männern benötigten. Geflüchteten wird Übergriffigkeit zugeschrieben, um das eigene Auftreten zu rechtfertigen. Gleichzeitig griffen Mitglieder der Gruppe mehrfach Gegendemonstrant_innen und Andersdenkende an oder versuchten diese einzuschüchtern. Bei ihren Veranstaltungen präsentieren sie sich als geschlossene Gruppe, einheitlich mit T-Shirts und Jacken mit ihrem Gruppenlogo gekleidet. Auch außerhalb von Veranstaltungen gibt man sich als „Gang“ und stellt gemeinsame Stärke und Zusammenhalt zur Schau.
RWE-Hoolszene
Die Entstehungsgeschichte der Steeler Jungs ist eng mit Hooligan-Strukturen in der Fanszene des Regionalliga-Fußballvereins Rot-Weiss-Essen (RWE) verknüpft. Der Ursprung ihres Bürgerwehrkonzepts kann in den HoGeSa-Aufmärschen beziehungsweise -Kundgebungen von 2014 in Köln, Dortmund und auch Essen gesehen werden, wo es teilweise zu Eskalationen von Hooligan-Seite kam. Diese Auftritte resultierten aus einer zunehmenden Vernetzung gewaltaffiner Milieus und einer politischen Organisierung der Hooligan-Szene — und verstärkten diese Entwicklung. Bei ihren lokalen „Spaziergängen“ verzichten die Steeler Jungs allerdings auf Transparente, Plakate, Reden oder sonstige Bekundungen, die das Anliegen ihrer Anwesenheit verdeutlichen würden. Die Demonstrationen endeten bisher an der RWE-Kneipe Sportsbar 300, die nahe der Steeler Innenstadt als eine Art Clubheim fungiert. Die Steeler Jungs treten auch im RWE-Stadion mit Gruppentracht in Erscheinung und sind fest in die Fanszene des Vereins integriert.
Als Kopf der Gruppe gilt Christian „Bifi“ Willing, Präsident des 2020 gegründeten Bandidos-Chapters „Essen East“ und zuvor in gleicher Funktion beim derzeit nicht mehr aktiven Bandidos-Chapter in Bottrop. Gleichzeitig ist er führendes Mitglied der RWE-Althool-Gruppierung Alte Garde Essen, Kampfsportler und ehemaliger MMA-Kämpfer. In Steele betreibt er zudem ein Umzugsunternehmen und die bereits erwähnte Kneipe Sportsbar 300.
Wahrnehmung und Selbstdarstellung
Die Steeler Jungs und ihre Auftritte wurden in der Öffentlichkeit lange verharmlost, ihre Rechtsaußen-Orientierung wurde beispielsweise von der WAZ beschwiegen. Die Demonstrationen fanden bis November 2018 sogar unangemeldet statt, wurden also polizeilicherseits lange Zeit nicht als politische Versammlungen gewertet. Erst nachdem die Steeler Jungs Anfang 2019 mit wehrmachtsartigen Helmen und der Botschaft „Schützt euch vor den Zecken“ am Karnevalsumzug in Essen-Freisenbruch teilgenommen hatten, änderte sich dies.
Mit der Presse sprechen nur Christian Willing und die Essener Rotlichtgröße „Coca“. „Wir sind Leute aus Steele und zum Teil schon seit Jahrzehnten miteinander befreundet, außerdem gehen bei uns auch Menschen anderer Nationalitäten mit“, so Willing gegenüber der WAZ. „Coca“ äußerte sich gegenüber dem WDR zum Grund der Demonstrationen: „Wir zeigen nur Präsenz, damit unsere Frauen und Kinder keiner anpackt.“ Die Steeler Jungs sind sehr auf ein geschlossenes und kontrolliertes Erscheinungsbild bei ihren Märschen bedacht. Wie Interview-Versuche des WDR zeigten, herrscht eine Art Schweigegebot für Unbefugte, das zu brechen zu Maßregelungen durch die Gruppe führt. Individuelle Äußerungen sind offensichtlich nicht erwünscht. Immer wieder betont Willing auch gegenüber der Presse , dass zwischen seinem Engagement als „Steeler Jung“, Rocker, Hooligan und Kampfsportler kein Zusammenhang bestehe. Trotz kontinuierlicher Übergriffe und Aktionen, die auf die Steeler Jungs zurückfallen, bemüht er sich weiterhin in der Öffentlichkeit um ein Saubermann-Image als „Geschäftsmann“.
Angstklima
Eine Langzeitrecherche des WDR, aufgearbeitet in der Dokumentation „Rechte Bürgerwehr — wer ist hier gefährlich?“, zeigt, dass ein Angstklima im Stadtteil geschaffen wurde. Dieses wird durch die regelmäßigen Demonstrationen, gezielte Einschüchterung und Übergriffe auf Gegendemonstrant_innen abseits der öffentlichen Veranstaltungen aufrecht erhalten. Zwar ergeben sich auch direkt aus den Demonstrationen heraus aggressive Pöbeleien; Übergriffe werden aber nicht aus diesen heraus begangen, sondern finden zu anderen Gelegenheiten statt. Angriffe als Pulk, wie 2018 auf die Kneipe Freak-Show oder 2019 auf Jugendliche direkt vor der Sportsbar 300, die klar den Steeler Jungs zugeordnet werden können, verstärken das Angstklima, ebenso wie die unaufgeklärten Schüsse auf das Steeler Kulturzentrum Grend im März 2019 und der ebenfalls bisher ungeklärte Angriff auf einen ehemaligen Sprecher des antifaschistischen Bündnisses Essen stellt sich quer (ESSQ), der im Dezember 2019 nach einem politischen Treffen von einem Maskierten niedergeschlagen wurde.
Wie viel Neonazi steckt in der Gruppe?
Auch wenn die Steeler Jungs öffentlich stets ihre angebliche Harmlosigkeit und Nichtzugehörigkeit zur Neonazi-Szene betonen, wird durch das Auftreten diverser Mitglieder, deren Verbindungen und Äußerungen deutlich, dass es sich um eine Gruppierung mit und auch von Neonazis handelt. Auf der ESSQ-Page sind zahlreiche Beispiele für ihre Verharmlosung oder gar Verherrlichung des NS zu finden. Eindeutig vor diesem Hintergrund war auch ein Lunikoff-Konzert im 300 und die Teilnahme führender Aktivisten der Die Rechte auf einem von den Steeler Jungs im Mai 2019 veranstalteten „Trauermarsch“, der Gewalt von Migrant*innen thematisierte. Gleichzeitig wird aber weiterhin versucht, sich unpolitisch zu geben. Dazu passt auch die Beobachtung, dass Anfang 2020 ein Mitglied der Steeler Jungs unter der Bezeichnung Junge Patrioten Essen mit Aktionen im Stil der „Identitären“ agierte, was aber aufgrund seiner ungeschickten Social-Media-Nutzung auffiel. Offenbar war ein solches Auftreten unter SJ-Label nicht erwünscht.
Die Steeler Jungs stehen auch in engem Kontakt zu Gruppen, die offen extrem rechts auftreten. Beispielsweise zur Bruderschaft Deutschland mit Schwerpunkt in Düsseldorf und zu Stark für Herne. Mitglieder aller drei Gruppierungen besuchen und unterstützen einander. Gemeinsam nimmt man an extrem rechten Demonstrationen teil. Kooperiert wird auch mit dem extrem rechten Verein Mönchengladbach steht auf um den ehemaligen HoGeSa-Funktionsträger und pro NRW-Funktionär Dominik Roeseler. Dieser meldete auch für den 1. März 2020 eine Demonstration unter dem Motto „Gegen Linksextremismus und Medienhetze“ in der Essener Innenstadt an, an dem diverse Mitglieder der Steeler Jungs teilnahmen.
Aktuelles
Aktuelle Recherchen von ESSQ zeigen, dass seit Anfang des Jahres 2020 das Fitnessstudio Stahlwerk in Gelsenkirchen-Ückendorf von den Steeler Jungs genutzt wird, um Kampfsport zu trainieren. „Christian Willing, einer der Köpfe der Steeler Jungs sowie führendes Bandidos-Mitglied, gründete dort sogar einen Kampfsport Club namens ,Guerreros‘”, so ein ESSQ-Sprecher.
Am 18. Mai 2020 fand dann eine angemeldete Demonstration mit Corona-Bezug der Steeler Jungs in Steele statt. Das Motto lautete „Schütze dein Grundgesetz“. Man spreche sich „gegen Verbote“, „gegen Zwangsimpfung“ und „gegen Bargeldabschaffung“ aus. Das Bündnis Mut machen — Steele bleibt bunt berichtete auf seiner Facebook-Seite: „Auf dem Dreiringplatz versammelten sich die gleichen 50-80 Männer, die sonst auch vor der Corona-Krise zu den Aufmärschen der rechtsextremen Bürgerwehr kamen.“ Zudem wurde von ESSQ ein Mitglied der Steeler Jungs bei einer größeren Corona-Demonstration im Innenstadtbereich erkannt. Organisiert worden war diese vom rechten Essener Bündnis Essen — nicht ohne uns. In dessen Telegram-Gruppe finden sich auch weitere Steeler Jungs. Auch auf den Düsseldorfer Corona Rebellen-Demos sind Mitglieder der SJ beziehungsweise FCC anzutreffen.
Im März 2020 recherchierte ESSQ zu den neonazistischen Aktivitäten der Steeler Jungs auf der russischen sozialen Plattform VK. VK unterscheidet sich von anderen sozialen Plattformen wie Facebook besonders durch komplett fehlendes Vorgehen gegen Rassismus und Antisemitismus. „Der Landesregierung liegen Erkenntnisse zu einzelnen Vernetzungsbestrebungen und Aktivitäten von Mitgliedern der ‚Steeler Jungs‘ auf der Plattform ‚VK‘ vor. Die rechtsextreme Einstellung tritt dabei deutlicher in Erscheinung als auf anderen Plattformen”, äußerte das Innenministerium am 1. Juni 2020 in seiner Antwort auf eine „Kleine Anfrage“ eines SPD-Landtagsabgeordneten.
Fazit
Die Steeler Jungs sind eine extrem rechte Gruppierung, wenngleich ihr Verhältnis zur Neonazi-Szene ambivalent ist. Teile der Gruppe sind dieser jedoch angehörig. Ihre Demonstrationen sprechen neben „Wutbürgern“ auch organisierte neonazistische Strukturen an und werden von diesen unterstützt. Gleichzeitig sind die Steeler Jungs um eine nicht neonazistische Außendarstellung bemüht. Diese Maskerade wird aber immer wieder durch einschlägige Aktionen, Übergriffe und Äußerungen selbst torpediert. Um bei den Steeler Jungs mitzumachen, braucht es jedoch keine weiße Hautfarbe oder einen deutschen Namen. So präsentieren sich beispielsweise auf Gruppenfotos auch nicht-weiße Personen als Teil des inneren Kreises der Gruppe, was ihre Anschlussfähigkeit im migrantisch geprägten Essen erhöht.
Von der Gruppe geht eine massive Gewaltbereitschaft aus. Niedrigschwellige Übergriffe werden offen als Steeler Jungs vorgetragen, bei drastischeren bemüht man sich offenbar darum, dass diese nicht der Gruppe zugerechnet werden können.