„Extremisten“ und „Terroristen“?
Aktualität, Bedeutung, Ausprägungen und Reichweite eines zentralen rechten Feindbildes
Ende Mai 2020 ließ der US-amerikanische Präsident Donald Trump einmal mehr öffentlich verlauten, er wolle „die Antifa“ als terroristische Organisation verbieten lassen. Die deutsche Rechte feierte, die AfD for- derte im Bundestag ebenfalls ein Verbot „der Antifa“. Antifaschismus als Feindbild und Angriffe gegen Antifaschist*innen sind kein neues Phänomen, doch beides gewinnt angesichts des Erstarkens extrem rechter politischer Akteur*innen an Aktualität.
Schon im August 2019 hatte Donald Trump auch in Deutschland für Aufmerk- samkeit und durchaus auch Empörung gesorgt, als er ankündigte, „die Antifa“ als Terrororganisation behandeln und ver- bieten lassen zu wollen. Zum Anlass nahm er damals die Proteste gegen Neonazi-Aufmärsche in der Stadt Portland (Oregon). Auch im Frühjahr 2020 begründete er die Einordnung der „Antifa“ als inlän- dische Terrororganisation damit, dass antifaschistische Gruppen für die Riots im Kontext der Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt verantwortlich gewe- sen seien. Das Ganze ist jedoch nicht viel mehr als laute Wahlkampfrhetorik und natürlich eine Geste an seine rechten An- hänger*innen. Weder ist „die Antifa“ — und das gilt für die USA wie für Deutschland — als einheitliche Organisation zu fassen, noch gibt es in den USA eine juristische Grundlage für ein solches Verbot: Es gibt schlicht und ergreifend kein Gesetz „inländischen Terrorismus“ betreffend.
Antifa-Verbot?
Sein lauter Wink in die eigenen Reihen kam auch bei Trumps deutschen Fans und ideologischen Geistesgeschwistern an, die sich durch die Gehaltslosigkeit der Forderungen nicht irritieren ließen. Der AfD- Landesverband NRW forderte: „Antifa- Verbot auch in Deutschland“. Mitte Juni 2020 nahm die AfD die von Trump losgetretene Kampagne gegen Antifaschismus zum Anlass, im Bundestag einen Antrag mit dem Titel „Demokratie erhalten — Bundesweites Verbot der Antifa prüfen“ zu stellen. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier dankte in seiner Rede im Bundestag Trump dafür, dass er die „Initiative ergriffen“ und der Antifa „den Krieg erklärt“ habe. Solch eine Entschlossenheit wünsche er sich auch von der deutschen Regierung. Eine breite Mehrheit im Bundestag stimmte gegen den An- trag.
Bereits am 25. November 2019 war die Partei mit einem ähnlichen Antrag gescheitert, mit dem sie an den „antiextremistischen Grundkonsens in Politik und Gesellschaft“ zu appellieren versucht hatte. Dass es für solche Verbote keine Grundlage gibt, zeigt ein Blick in einen Bericht der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags aus dem Jahr 2018. Dort heißt es im Fazit, bei der „sogenannten Antifa“ handle es sich „nicht um eine bestimmte, klar umgrenzte Organisation oder Vereinigung“. Woraus sich schließen lässt, dass es da auch nichts zu verbieten gibt. Es gebe lediglich, so der Bericht, eine nicht scharf umrissene Szene und in der Regel lokal agierende Gruppierungen.
Antifaschismus als historisches Feindbild
Dass extrem rechte Akteur*innen mit unterschiedlichen Strategien gegen politische Gegner*innen zu Felde ziehen und das Feindbild Antifaschismus bedienen, ist weder neu noch überraschend und hat zudem historische Vorbilder. Die Markierung des Feindes von links mit dem Ziel, diesen persönlich anzugreifen, einzuschüchtern und auch zu vernichten, steht in faschistischer Tradition: In Italien wa- ren es die faschistischen „Schwarzhemden“, die als paramilitärische Schlägertruppen linke Aktivist*innen terrorisierten und sich dadurch für die reaktionären Großgrundbesitzer und Industriellen zu einer unterstützenswerten Kraft zur Unterdrückung gewerkschaftlicher und sozialistischer Bestrebungen anboten. Der gewalttätige faschistische Squadrismus in Italien war Vorbild für die nationalsozialistische SA in der Spätphase der Weimarer Republik. Vorher schon erstellten Paramilitärs wie das Freikorps Oberland sogenannte Feindeslisten zur Identifizierung, Einschüchterung und Vernichtung ihrer linken Opponent*innen: Hier hat die Anti-Antifa-Arbeit ihren historischen Ursprung.
Ihr Feindbild erwies sich dabei weniger als ein organisationspolitisch klar eingrenzbarer Gegner, sondern vielmehr als eine Sammelbezeichnung für alle, die sich gegen faschistische Bestrebungen wendeten. Antifaschist*innen der ersten Stunde; das waren neben den kommunistischen, sozialistischen und anarchistischen Gruppen auch die Gewerkschaftsaktivist*innen und liberale Persönlichkeiten, die sich gegen das Aufkommen des (italienischen) Faschismus zur Wehr zu setzen versuchten. In Deutschland rief die KPD am 24. Mai 1932 nach einem Nazi- Angriff auf kommunistische Abgeordnete zur Bildung einer „Antifaschistischen Aktion“: Als Emblem für diesen Zusammenschluss wurden zwei nach links wehende rote Fahnen in einem Kreis genutzt — die Fahnen symbolisierten die KPD und die SPD, der Kreis symbolisierte einen Rettungsring. Die „Antifaschistische Aktion“ diente dem Selbstschutz und dem organisierten Widerstand gegen den Nazi-Faschismus.
Gegenwärtige rechte Strate- gien gegen Antifaschismus
Die Pflege des Feindbildes Antifa erfüllt für die extreme Rechte die Funktion, politische Gegner*innen mundtot zu machen und gesellschaftlichen Widerspruch ge- gen die eigene Ideologie zu unterbinden. Ziel ist nicht nur, Antifa-Strukturen im engeren Sinne anzugreifen und zu kriminalisieren. Sämtliches Engagement gegen Rassismus und extrem rechte Einstellungen, und sei es noch so bürgerlich oder staatlich gefördert, wird in der Erzählung unter das Feindbild Antifa subsumiert und soll so als unzulässig delegitimiert werden.
Klassische Anti-Antifa-Strategien aus der militanten Neonaziszene zielen darauf ab, politische Gegner*innen durch Einschüchterung und Gewalt möglichst handlungsunfähig zu machen, um die ei- gene Dominanz zu sichern (siehe S. 12 ff.). Anti-Antifa-Arbeit im weitesten Sinne betreiben jedoch auch andere Spektren der extremen Rechten. In einer Rede vor Burschenschaftern im Jahr 1997 führte bei- spielsweise Hans-Helmuth Knütter aus, dass das burschenschaftliche Spektrum „den kriminellen Antifaschismus“ bekämpfen müsse: „Gehen Sie offensiv, nicht defensiv, gegen die Feinde der Bur- schenschaften, […] also den linksextreme Feind vor. Haben Sie keine Scheu, von den Methoden des Feindes zu lernen“, so der Bonner Professor. Knütter war bis 1990 Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) und publizierte unter anderem in der extrem rechten Jungen Freiheit (JF).
Aktuell sind es die AfD und ihr publizistisches und aktivistisches Umfeld, die ge- zielt versuchen, politische Gegner*innen verächtlich zu machen und sie und ihre antifaschistische Haltung im öffentlichen Diskurs zu diffamieren (siehe S. 15 ff.). Dies geschieht in aller Regel über die Gleichsetzung von Antifaschismus mit „Linksextremismus“, Gewalttätigkeit und Verfassungs- und Demokratiefeindlich keit. In Publikationen wie der JF, die sich gern bieder und anschlussfähig an den Konservatismus darstellt und von allzu bewegungsorientierten extrem rechten Akteur*innen gern Abstand hält, ist der Verweis auf die „immensen“ Gefahren des „Linksextremismus“ ein Dauerbrenner. Die Kampagnenplattform „Ein Prozent für unser Land“ fährt ebenfalls eine Dauerkampagne gegen Antifaschismus. Die Dämonisierung und die Empörung über „die Antifa“ als „Gewalttäter“ ist hier quasi eine feste Rubrik. Zudem werden Kollaborationen zwischen Antifa und Medien, Antifa und Bundesregierung oder sogar Antifa und Verfassungsschutz herbeifantasiert. Auf der Seite werden regelmäßig auch als„Recherchen“ bezeichnete Diffamierungskampagnen gegen Akteur*innen lanciert, die sich gegen extrem rechte gesellschaftliche Entwicklungen engagieren. Ein Beispiel ist hier die seit 2017 maßgeblich durch die AfD-Landtagsfraktion durchgeführte Kampagne gegen den Verein Mitei- nander e.V. in Sachsen-Anhalt (siehe S. 17).
Der gute alte Antitotalitarismus
„Wir waren mal antitotalitär“, betitelte die JF einen Artikel zu den Reaktionen auf Trumps Verbots-Forderung. Es sei der Linken gelungen, „den Antitotalitarismus gegen einen einseitigen ‚Kampf gegen rechts‘ zu ersetzen“. Nur so sei zu erklären, dass sich „bürgerliche Politiker“ „unreflektiert zum Begriff des Antifaschismus (Antifa) bekennen“. Die JF bezieht sich damit etwa auf Saskia Esken (SPD), die eine antifaschistische Haltung in einem Tweet für „selbstverständlich“ erklärte. Die wehleidige Verlustmeldung des antitotalitären Konsenses ist allerdings kein neues Phänomen, die Autor*innenriege der JF beklagt dies schon seit Bestehen der Zeitung.
Ein historischer Blick auf den „antitotalitären Grundkonsens“ offenbart, dass damit in der Regel ein strammer Antikommunismus gemeint ist, der für das Nachkriegsdeutschland die willkommene Funktion übernahm, sich nicht mit den eigenen Verstrickungen in die Verbrechen des Nationalsozialismus befassen zu müssen. Denn dort, wo gegenwärtig ein Feind steht, der moralisch mindestens genauso schlimm ist, wie es die NS-Gesell- schaft war, da muss eine Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit mindestens warten, wenn nicht sogar in Gänze abgesagt werden.
Feindbild Antifaschismus als historische Kontinuität
Das Feindbild Antifa ist somit ein Kernmerkmal extrem rechter Weltanschauung. Es ist aber gleichzeitig durchaus gesellschaftlich anschlussfähig. Das hat auch historische Gründe, die bis heute nachwirken. Von den wenigen Widerstandskämpfer*innen, die den nazistischen Terror überlebten, schlossen sich einige nach der Niederschlagung des NS-Regimes zur Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) zusammen, die damals etwa 300.000 Mitglieder hatte. Zentrale Ziele waren die Entnazifizierung Nachkriegsdeutschlands und die Entschädigung der NS-Verfolgten. Durch ihr weite- res Engagement gegen die Wiederbewaffnung und ihre inhaltliche Nähe zur KPD war die VVN in den 1950er Jahren in zunehmendem Maße staatlichen Kriminalisierungsversuchen ausgesetzt und wurde wiederkehrend als „linksradikale Organisation“ eingestuft. Ihr Verständnis von Antifaschismus, das Staats- und Kapitalismuskritik einbezog, galt als Bedrohung der verfassungsmäßigen Ordnung.
Linker Antifaschismus wurde mit Verfassungsfeindlichkeit gleichgesetzt. Diesen extremismustheoretischen Zuschreibungen war auch die 68er-Bewegung ausgesetzt. Dies galt auch für die sich in den 1980er Jahren aus dem Umfeld des Kommunistischen Bundes und der „Autonomen Bewegung“ neu herausbildenden unterschiedlichen antifaschistischen Gruppierungen, die in der Folgezeit unter dem Label Antifa firmierten. Fortan und bis heute umfasst der Begriff Antifa unterschiedliche und zum Teil auch sich in gewissen Fragen widersprechende Formen politischer Praxis, die Widerstand gegen neofaschistische Erscheinungsformen und eine staats- und kapitalismuskritische Grundhaltung eint. Die Antifa ist demnach weniger als politisch-programmatisch einheitlich handelnder Akteur denn vielmehr als heterogene soziale Bewegung zu verstehen, die durch verschiedene Handlungsmöglichkeiten gegen extrem rechte Erscheinungsformen kollektive Wirkungsmacht erzielt.
Bloß kein antiextremistischer Konsens
Die Diffamierung von Antifaschismus funktioniert dann besonders gut, wenn der gesellschaftliche Konsens ein „antiextremistischer“ ist — ganz so, wie die AfD dies in ihrem Antrag fordert. Wenngleich die Extremismustheorie wissenschaftlich sehr umstritten ist, bleibt sie gesamtgesellschaftlich ungeheuer wirkmächtig (vgl. Schwerpunkt der LOTTA #33). Zum einen, weil komplexe Phänomene in ein handliches Schema verpackt werden, das jede*r verstehen kann. Zum anderen, weil die Diskursmacht der sie vertretenden Akteur*innen — allen voran die Polizei — so groß ist, dass man daran kaum vorbei kommt.
Das öffentliche Bild von Antifa als gewalttätig und „linksextremistisch“ wird maßgeblich von Polizei und Verfassungsschutz und deren Perspektiven, Handlungslogiken und eben Feindbildern (siehe S. 18) geprägt. So scheint es großen Teilen der Gesellschaft plausibel, dass es einen „Linksextremismus“ gebe, den man mit „Rechtsextremismus“ gleichsetzen könne, und dass diese Extremismen sich gleichermaßen durch Gewalttätigkeit, Verfassungs- und Demokratiefeindschaft auszeichneten. Assoziationen von brennenden Autos und schwarz vermummten Steinewerfern sind dank medial verbreiteter Bilder schnell abzurufen. Und so folgt man auch jenseits der Sicherheitsbehörden dieser Logik und bekämpft „Extremismus“ und seine „Phänomenbereiche“ anstatt an einem Konsens gegen men- schenverachtende Ideologien zu arbeiten.
Corona-Proteste und Antifa
Auch im Zusammenhang mit den aktuellen Protesten extrem rechter und verchwörungsideologischer Personen und Gruppierungen gegen die staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen spielt die Feindbildkonstruktion Antifa eine Rolle. Immer wieder werden Gegenprotestierende oder auch als links wahrgenommene Journalist*innen als diejenigen beschrieben, die nur im Interesse der Regierung handeln und in Kooperation mit den Medien die „Wahrheit“ um die Covid-19-Pandemie verschleiern würden. Sich selbst stellen die „Corona-Rebellen“ gern in die Tradition von Widerstandskämpfer*innen gegen das Naziregime oder setzen sich mit dessen Opfern gleich, während „die Antifa“,so die Erzählung, die Proteste diffamiere und dazu beitrage, die Entscheidungen der Regierung durchzusetzen.
Der Antifa wird in diesen Kreisen mit der Begrün dung, sie sei eine Art von Bespitzelungsagentur „des Systems“ sowie zugleich dessen gewalttätig auftretender verlängerter Arm, eine besondere Handlungs- macht zugeschrieben — eine Verschwörungserzählung, die vor dem Hintergrund der Radikalisierung in einigen dieser Gruppen gefährliche Schlussfolgerungen nach sich ziehen kann.
„Die Mitte“ gegen „Extremismus“
Weil antifaschistische Gruppen nicht selten als die „Schmuddelkinder“ des Engagements „gegen rechts“ gelten, zeigen sich rechte Kampagnen gegen Antifaschismus an einigen Stellen anschlussfähig an breitere gesellschaftliche Diskurse. Nazis findet niemand gut — aber ist nicht vielleicht schwarz vermummte Gewalt, mit der Antifa landläufig gleichgesetzt wird, genauso schlimm? So oder so ähn- lich wabert es zuweilen durch die Kommentarspalten. Antifaschismus wird zwar mitunter zu einer Art anständiger Grundhaltung erklärt und aus dieser Logik heraus für positiv befunden, doch im selben Atemzug wird sich reflexhaft von „Ge walt“ distanziert. Was Gewalt ist, welche Rolle sie in der Auseinandersetzung mit Neonazis spielt oder gegen wen sie sich im Kontext antifaschistischen Engagements richtet, solche Fragen sind hier in der Regel nicht von Interesse.
Wenn es gelingt, Antifaschist*innen im öffentlichen Diskurs als linksextrem und kriminell abzustempeln, dann ist es einfach, diejenigen, die sich ähnlichen Zielen und Inhalten verschreiben und gegen extrem rechte Ideologie engagieren, zu diskreditieren. So kann allem Engagement, das der Wirkmacht rechter Erzählungen etwas entgegenzusetzen versucht, die Redlichkeit und Legitimation abgesprochen werden. Das bedeutet auch: Wer gegen „die Antifa“ polemisiert, macht sich schnell zum*zur Kompliz*in extrem rechter Propaganda. Was es braucht, ist nicht Distanzierung von „Gewalt“ und „Extremismus“, sondern Solidarität und das gemeinsame Ziel, extrem rechter Ideologie in dieser Gesellschaft keinen Raum zu geben.