Die Opfer: Dagmar Kohlmann, Martin Kemming und Patrica Wright
Faksimile: Der Spiegel 13/1997

Neonazi-Mord in Bergisch Gladbach

Vor 25 Jahren wurde Patricia Wright ermordet

Am 3. Februar 1996 wurde die 23-jährige Patricia Wright durch den seinerzeit per Haftbefehl gesuchten Neonazi Thomas Lemke vergewaltigt und ermordet. Obwohl es sich bei der Tat in Bergisch Gladbach um einen staatlich anerkannten Fall rechter Gewalt handelt, ist er in der lokalen Öffentlichkeit noch kaum präsent.

Am 3. Februar 1996 wurde die 23-jährige Patricia Wright durch den seinerzeit per Haftbefehl gesuchten Neonazi Thomas Lemke vergewaltigt und ermordet. Obwohl es sich bei der Tat in Bergisch Gladbach um einen staatlich anerkannten Fall rechter Gewalt handelt, ist er in der lokalen Öffentlichkeit noch kaum präsent.

Der Tathergang wurde vor Gericht wie folgt rekonstruiert: Am 3. Februar 1996 machte sich der 27-jährige Thomas Lemke zusammen mit seinem 24-jährigen Mittäter Marcel Müthing von Oberhausen aus auf den Weg nach Bergisch Gladbach (Rheinisch-Bergischer-Kreis/NRW). Im Stadtteil Hand angelangt, öffnete Patricia Wright den beiden Männern arglos die Tür zu ihrer Wohnung. Die erst 1993 aus der Nähe von Heilbronn ins Rheinland gezogene Frau hatte Lemke zufällig auf einem Bahnsteig in Hagen kennengelernt, als sie sich auf dem Rückweg von einem Lehrgang befand. Lemke hatte sie auf den „Nazis Raus“-Slogan an ihrer Jacke angesprochen und unter dem Vorwand, Antifaschist zu sein, schließlich ihre Kontaktdaten erhalten. Die beiden Täter blieben über mehrere Stunden in der Wohnung. Lemke vergewaltigte die 23-Jährige, würgte sie mit einem Schnürsenkel, schlug ihr mit einer Gipsbüste auf den Kopf und stach schließlich 91-mal mit einem Messer auf sie ein. Anschließend ließen die beiden Nazis die Leiche ihres Opfers in der Wohnung zurück.

Die Berichterstattung in den lokalen Medien

Der Mord erregte zunächst lokal großes Aufsehen. Die örtliche Berichterstattung im Kölner Stadtanzeiger (KStA) und in der Bergischen Landeszeitung war in den Tagen unmittelbar nach der Tat geprägt von Ratlosigkeit und Mutmaßungen. Die Polizei bat um Hinweise aus der Bevölkerung und setzte eine Belohnung in Höhe von 3.000 DM für sachdienliche Hinweise aus. In der Woche vom 5. bis zum 9. Februar 1996, in der täglich berichtet wurde, zeigten sich bereits Tendenzen und Deutungsmuster, die auch in der prozessbegleitenden Berichterstattung und dem Urteil wirkmächtig wurden: Psychologisierung und damit einhergehend Entpolitisierung sowie das Ignorieren von Misogynie. So kam bereits am 6. Februar ein Psychotherapeut in der Zeitung zu Wort, der zwar treffend analysierte: „Es ging um Vernichtung nach dem Tod“, jedoch verharmlosend eine „Beziehungstat“ vermutete, auch weil Patricia Wrights Telefonnummer nicht im Telefonbuch verzeichnet war und sie den Tätern die Tür geöffnet hatte.

In den Artikeln wurden die Hintergründe für den Mord auch beim Opfer gesucht. So wurde etwa spekuliert, dass die Ermordete einer Sekte angehört haben könnte oder wegen eines defekten Autos Geldprobleme habe. Der KStA stellte in einem Artikel etwa heraus: „Im Kellerraum stapeln sich Pizzaschachteln, daneben ein Karton mit leeren Schnapsflaschen“. Wenn auch zu diesem Zeitpunkt keine Anhaltspunkte für ein rechtes Motiv vorlagen, wurde, anstatt Hass auf Frauen oder mögliche politische Motive mit in Erwägung zu ziehen, implizit „victim blaming“ betrieben, indem das Bild einer jungen, alleinlebenden Frau gezeichnet wurde, die anscheinend nicht für sich sorgen könne.

Weitere Morde, Verhaftung …

Ein Jahr nach dem Mord wurde Thomas Lemke am 17. Februar 1997 verhaftet, nachdem das Bundesamt für Verfassungsschutz dem Bundeskriminalamt seinen Aufenthaltsort mitgeteilt hatte. Thomas Lemke hatte neben Patricia Wright noch zwei weitere Menschen getötet: Am 16. Juli 1995 ermordete er in Altena Dagmar Kohlmann, deren entkleidete Leiche er im Wald verscharrte. Als Motiv für den gemeinsam mit seiner Freundin Bianca Weidemann begangenen Mord gab er vor Gericht an, er habe Weidemann erpressbar machen wollen, so dass sie ihn nicht verraten könne. Er habe seine Freundin, der er häufig Gewalt antat, „vollständig in seine Hand bringen“ wollen, hielt das Urteil fest. Das zufällig ausgewählte Opfer war eine gemeinsame Bekannte. Lemke hatte auch in diesem Fall versucht, sein Opfer zu vergewaltigen.

Am 15. März 1996 erschoss Lemke in Dorsten Martin Kemming, den er unter einem Vorwand aus dem Haus von dessen Freundin gelockt hatte. Kemming, der sich früher in der Neonazi-Skinhead-Szene bewegte, hatte Lemke vor Jahren angezeigt, weil er 1989 von ihm gefesselt und mit einer Schrotflinte bedroht worden war. Wegen dieser und weiterer Straftaten, unter anderem hatte Lemke seine damalige Freundin geschlagen und illegal Waffen besessen, wurde Lemke im Juni 1991 zu einer Haftstrafe verurteilt. Aus der Haft entlassen bedrohte er 1994 erneut Kemming. Lemke wurde angeklagt, blieb dem Gerichtsprozess im April 1995 aber fern, so dass ein Haftbefehl auf ihn ausgestellt wurde. Aufgrund dieser Vorgeschichte geriet Lemke nach der Ermordung von Martin Kemming schnell als dringend Tatverdächtiger ins Visier der Ermittler*innen. Medienberichten zufolge soll der Verfassungsschutz Lemke während des Untertauchens über einen längeren Zeitraum observiert haben, was das Innenministerium auf eine Kleine Anfrage der PDS im Bundestag hin jedoch negierte. Als Lemke am 20. März 1996 verhaftet wurde, gestand er auch die Morde an den beiden Frauen.

… und Prozess

Vom 14. bis 18. März 1997 wurde Lemke und den Mitangeklagten Weidemann und Müthing vor dem Landgericht Essen der Prozess gemacht. Das Urteil lautete auf lebenslange Haft und anschließende Sicherheitsverwahrung für den Hauptangeklagten Lemke. Weidemann wurde zu sechs, Müthing zu fünf Jahren Haft verurteilt. Auch der Prozess war geprägt von einer Psychologisierung der Taten. Öffentlich wurde Lemke zum Teil als wahnsinniger Serienkiller dargestellt, politische Motive rückten in den Hintergrund. So berichtete der Spiegel, der als Sachverständige im Prozess geladene Psychologe habe die „offensive Darstellung […] rechtsradikale[r] Ideologie“ durch Lemke als Mittel aufgefasst und beschrieben, dass Lemke so seine persönlichen Defizite verdecken wollte. Selbst der wegen Beihilfe verurteilte Müthing wurde vom Essener Gericht eher als Mitläufer oder Opfer wahrgenommen.

In den Mitschriften der Prozessbeobachtung des Hertener Aktionsbündnis liest sich das Geschehen im Gericht rückblickend wie ein Spektakel: Lemke nutzte den Prozess zur Selbstinszenierung, gab etwa an, noch weitere rassistische Morde begangen zu haben, für die es sonst keinerlei Indizien gab. Nach der Urteilsverkündung schrie er ins Mikro: „Somit haben die Juden ihren Willen bekommen!“ Zahlreiche anwesende Neonazis applaudieren daraufhin. Ernst Tag (Aktion Sauberes Deutschland), Markus Walter (aktuell Landesvorsitzender der NPD Rheinland-Pfalz) und Ralf Panek (ehemals FAP, 2020 Kommunalwahl-Kandidat der NPD in Duisburg) brachte dies jeweils drei Tage Ordnungshaft ein.

Lemke und die Neonazi-Szene

Im Urteil wurde die politische Dimension der Morde an Wright und Kemming ausdrücklich erwähnt. Patrica Wright habe sterben müssen, weil der Täter in ihr eine Linke gesehen habe. „Aus diesem Grund sprach er ihr das Lebensrecht ab. Es ist verachtenswert und steht auf niedrigster Stufe, wenn ein Täter sein Opfer wegen dessen politischer Einstellung tötet“, hielt das Gericht fest. Damalige Beobachter*innen wiesen darauf hin, dass viele Details zum Tathergang ausschließlich auf den Aussagen der Täter*innen basierten. Ob das Treffen am Hagener Bahnhof wirklich stattgefunden hat oder es noch weitere Verbindungen zwischen Tätern und Opfer gab, ist letztlich unklar, genauso wie die Frage, ob Lemke möglicherweise über Feindeslisten neonazistischer Gruppen auf Patricia Wright aufmerksam wurde. In einer Anfrage der PDS im Bundestag von April 1996 wurde vermutet, dass Wright auf einer solchen Todesliste gestanden haben könnte. Das Bundesamt für Verfassungsschutz verneinte dies. Das Gerichtsurteil hielt weiter fest, dass Lemke sein Opfer Kemming als „Verräter an sich und an der Sache, dem nationalsozialistischen Gedankengut“ gesehen habe. Dafür habe er ihn „mit dem Tode bestrafen“ wollen. Nur der Mord an Dagmar Kohlmann wurde nicht als politisch motiviert gewertet. Sie ist auch heute noch nicht als Todesopfer rechter Gewalt „anerkannt“.

Lemke wies eine Sozialisation in der Neonazi-Szene des Ruhrgebiets auf, seit Mitte der 1980er Jahre war er dort aktiv. Bereits mit 14 Jahren war er Mitglied der Wiking Jugend. In seinem Heimatort Gladbeck wurde er zum Anführer einer Nazi-Gang, die sich „Bomber“ nannte. Bereits als Jugendlicher war er äußerst gewalttätig. Da die „Bomber“ zahlreiche politisch motivierte Gewalttaten verübten, wurde Lemke 1987 zu einer Jugendhaftstrafe verurteilt. Die Gewalt richtete sich unter anderem gegen eine antifaschistische Pastorin und eine ehemalige Lehrerin, deren Wohnungen er mit Steinen bewarf. Lemke und Mittäter verübten 1985 aber auch einen Brandanschlag auf die örtliche Polizeiwache und warfen eine selbstgebaute Nagelbombe in die Wohnung eines in Gladbeck lebenden Türken.

Aktuelle Perspektiven

Aus heutiger Perspektive sind die Berichterstattung und der Prozess zum Mord an Patricia Wright symptomatisch für noch immer bestehende Probleme: die Psychologisierung und Entpolitisierung der Tat sowie die Ausblendung von Lemkes Einbindung in die Neonazi-Szene und nicht zuletzt lückenhafte Informationen des Verfassungsschutzes. Außerdem wurde Hass gegen FLINT* (Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre und trans Personen), Mysogynie und „Male Supremacy“ nicht als eigenständiges Tatmotiv wahrgenommen, sondern die Gewalt als „Trieb-“ oder „mögliche Beziehungstat“ abgetan, was sich in der aktuellen Debatte um Femizide noch immer zeigt (vgl. LOTTA #78, S. 56 ff). Fest steht, dass Patricia Wright explizit als Frau ermordet wurde, die sich offen links positioniert hatte.

Schließlich ist der Fall ein Beispiel dafür, wie schnell ein faschistischer Mord in Vergessenheit geraten kann, sofern die betroffene Person, wie hier durch die kurze Lebensdauer in Bergisch Gladbach, wenig in soziale Netzwerke vor Ort eingebunden ist und es keine aktive Erinnerungskultur gibt. Letzteres könnte sich nun ändern. Anlässlich des 25. Todestags formierte sich jüngst die Gruppe Erinnerungspolitische Initiative Bergisch Gladbach. Diese intervenierte durch die nächtliche Umbenennung des „Hindenburgplatzes“ in „Patricia-Wright-Straße“ in doppelter Weise in die lokalpolitische Debatte: einerseits für die Erinnerung an Patricia Wright und andererseits für eine Umgestaltung des nach dem Steigbügelhalter Hitlers benannten Platzes. Da die seit den 1990er Jahren schwelende Debatte um den Platz und seinen Namensgeber derzeit wieder verstärkt geführt wird und die Aktionsform in der Kreisstadt nicht alltäglich ist, wurde die Aktion medial verhältnismäßig breit rezipiert.

Die Erinnerungspolitische Initiative schrieb: „Unseren Vorschlag für den Hindenburgplatz haben wir schonmal in die Tat umgesetzt […]. Patricia Wright, die in Zukunft die Namensstifterin des Areals sein wird, wurde am 03.02.1996, also vor 25 Jahren, in Bergisch Gladbach durch den Neonazi Thomas Lemke vergewaltigt und ermordet, weil sie eine offen links positionierte Frau war. Jegliches öffentliches Gedenken an diesen von der Bundesregierung anerkannten faschistischen Mord fehlt in Bergisch Gladbach.“

Weiterlesen