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Versammlungsfreiheit in Bedrängnis

Ein neues Versammlungsgesetz für Nordrhein-Westfalen

In NRW gilt bislang das alte Versammlungsgesetz des Bundes. Das möchte die schwarz-gelbe Landesregierung jetzt ändern und hat einen Gesetzesentwurf für ein Versammlungsgesetz (VersG-E) für das Land vorgelegt, der drastische Verschärfungen befürchten lässt. Ein Überblick über die geplanten Änderungen.

In NRW gilt bislang das alte Versammlungsgesetz des Bundes. Das möchte die schwarz-gelbe Landesregierung jetzt ändern und hat einen Gesetzesentwurf für ein Versammlungsgesetz (VersG-E) für das Land vorgelegt, der drastische Verschärfungen befürchten lässt. Ein Überblick über die geplanten Änderungen.

Obwohl die Bundesländer sich seit rund 15 Jahren eigene Versammlungsgesetze geben dürfen, hatte NRW bislang, wie die meisten anderen Bundesländer auch, von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Das bestehende Gesetz ist jedoch nach Auffassung insbesondere konservativer Jurist*innen und Politiker*innen etwas in die Jahre gekommen. So sollen etwa die Regelungen zur Videoüberwachung unzureichend sein. Da der Bund für dieses Gesetz seit den sogenannten Föderalismusreformen keine Gesetzgebungskompetenz mehr besitzt, kann er es inhaltlich nicht mehr ändern. Deswegen gehen die Bundesländer vermehrt dazu über, sich eigene Versammlungsgesetze zu geben, um vermeintlich notwendige Anpassungen vorzunehmen.

Dem Entwurf ist es ein besonderes Anliegen, das Verbot der Störung von Versammlungen „wesentlich präziser als im bisherigen Versammlungsrecht“ zu formulieren. Hierzu dient § 7 VersG-E. Dessen Absatz 1 wiederholt zunächst das allgemeine Verbot, Versammlungen zu stören, was im Kern dem bisherigen § 2 Abs. 2 VersG entspricht. Absatz 2 hingegen stellt einen kleinen, nicht abschließenden Katalog von Handlungen auf, die als Störung einer Versammlung verboten sein sollen. Dort heißt es: „Nach Absatz 1 ist insbesondere verboten, […] in der Absicht, nicht verbotene Versammlungen zu verhindern oder ihre Durchführung zu vereiteln oder wesentlich zu erschweren, Handlungen vorzunehmen, die auf die Förderung von in Nummer 1 beschriebenen Handlungen gegen bevorstehende Versammlungen gerichtet sind.“ In der Gesetzesbegründung wird betont, dass hiermit vor allem „Blockadetrainings“ gemeint sind. Diese seien auch bisher von verschiedenen Gerichten als rechtswidrig angesehen worden; ausgerechnet das Oberverwaltungsgericht NRW hielt sie bislang jedoch für zulässig, wie der Gesetzesbegründung entnommen werden kann. Offenbar will man das Gericht hier an die Kandare nehmen.

Die Gesetzesbegründung nennt zudem weitere Fälle, die als verbotene Störungen von Versammlungen anzusehen seien, auch wenn sie nicht ausdrücklich in jenem Katalog benannt werden: „Aufrufe zur Verhinderung einer Versammlung oder zu deren Blockade […], die gezielte Anmeldung einer Gegenveranstaltung für dieselbe Zeit und denselben Ort einer Versammlung […] und Versuche, die Anreise von Versammlungsteilnehmern zu verhindern […]. Aufrufe zu friedlichen, die Versammlung nicht zielgerichtet behindernden Gegendemonstrationen stellen demgegenüber keinen Verstoß gegen das Störungsverbot dar.“

Erschwerte Anmeldung

Versammlungen müssen nicht genehmigt werden; es reicht, wenn sie angemeldet werden, und auch das ist unter Umständen („Spontanversammlung“) entbehrlich. Das ist eine Vorgabe der Verfassung, und daran kann auch das VersG-E nichts grundsätzlich ändern. Im Detail jedoch werden die entsprechenden Pflichten der Veranstalter*innen durchaus erheblich angehoben. Zunächst soll die Anmeldung in Zukunft „Anzeige“ heißen, weil das juristisch präziser sei. Mag man diese Änderung noch als eine Art von Wortklauberei ohne praktische Auswirkungen verbuchen können, sieht der Entwurf jedoch auch Änderungen an Form und Frist der „Anzeige“ gegenüber der bisherigen Anmeldung vor, die deutlich stärker ins Gewicht fallen: Das aktuell gültige Versammlungsgesetz verlangt in § 14 Abs. 1 lediglich, dass, wer die Absicht hat, eine Versammlung unter freiem Himmel zu veranstalten, dies der zuständigen Behörde 48 Stunden vor deren Bekanntgabe anzuzeigen hat, wobei keine Form vorgegeben ist. Eine telefonische Mitteilung genügt also auch. Diese Frist soll durch § 10 Abs. 1 VersG-E in dem Sinne verlängert werden, dass Wochenend- und Feiertage nicht mehr mitgezählt werden.

Wenn wer also am Dienstag nach Ostern zu einer Versammlung einladen möchte, müsste dies am Mittwoch der vorherigen Woche „angezeigt“ werden, statt wie bisher am Ostersonntag. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass die bisherige Frist von der Polizei vielfach als zu kurz empfunden werde. Insofern muss man den Entwurf wohl als eine Art Kompromiss verstehen: Da eine grundsätzliche Verlängerung der Frist verfassungsrechtlich unzulässig sein dürfte, versucht man hier offenbar, der Polizei zumindest an Wochenenden mehr Zeit einzuräumen. Überzeugend ist das nicht. Die Fristwahrung wird im Vergleich zur bisher geltenden Rechtslage durchaus erheblich erschwert.

Selbst wenn man den Bedürfnissen der Polizei angemessen Rechnung tragen möchte, ist zweifelhaft, ob diese Art der Fristverlängerung hier einen erheblichen Nutzen bringt. Vor allem aber ist zweifelhaft, ob man hier überhaupt auf die Bedürfnisse der Polizei Rücksicht nehmen muss. Schließlich leistet sich das Land NRW, wie alle anderen Länder und auch der Bund, für viel Geld einen großen Polizeiapparat, dessen Aufgabe eben gerade darin besteht, die öffentliche Sicherheit zu schützen und dabei auch kurzfristig auf unvorhergesehene Lagen zu reagieren. Zudem soll die Anmeldung nur noch „schriftlich, elektronisch oder zur Niederschrift“ (persönlich bei der Polizei erscheinen und die „Anzeige“ dort zu Protokoll geben) möglich sein.

§ 10 Abs. 2 VersG-E bestimmt inhaltliche Mindestanforderungen an die Anzeige: Sie „muss den geplanten Ablauf der Versammlung nach erwarteter Teilnehmerzahl, Ort, Zeit und Thema bezeichnen, bei Aufzügen auch den beabsichtigten Streckenverlauf. Sie muss Namen, telefonische Erreichbarkeit und eine für den Schriftverkehr mit der zuständigen Behörde geeignete Anschrift der anzeigenden Person und der Person, die sie leiten soll, enthalten.“ Das ist insofern eine Verschärfung, als nach § 14 Abs. 2 VersG bisher lediglich Angaben zur Person der Versammlungsleitung notwendig waren. In der Praxis relativiert sich dieser Effekt freilich insofern, als die Polizei die entsprechenden Daten auch in der bisherigen Praxis spätestens im sogenannten Kooperationsgespräch abfragt. Dennoch steht zu befürchten, dass alleine die gesetzliche Verpflichtung zur Mitteilung dieser Daten einen abschreckenden Effekt haben könnte.

Eher positiv zu vermerken sind hingegen § 10 Abs. 3 und 4 des Entwurfs: Hier werden jetzt auch Eil- und Spontanversammlungen als Sonderfälle, in denen die Frist zur Anzeige unterschritten werden darf (Eilversammlung, Abs. 3) oder die Anzeige sogar ganz entbehrlich ist (Spontanversammlung, Abs. 4), anerkannt. Bisher waren diese Fälle wegen des Schutzes der Versammlungsfreiheit durch das Grundgesetz anerkannt, standen aber dem Wortlaut des VersG entgegen. Spontanversammlungen auch im Gesetz anzuerkennen, ist eine durchaus sinnvolle Klarstellung. Eine positiv zu vermerkende Klarstellung enthält § 21 VersG-E zu „öffentlichen Flächen im Privateigentum“. Auch dort sind Versammlungen prinzipiell zulässig. Das bedeutet praktisch, dass auch etwa im Terminal des Düsseldorfer Flughafens demonstriert werden darf, obwohl die Räumlichkeiten einer privatrechtlich organisierten Betreibergesellschaft gehören. Auch das ist in der Sache nicht neu, wird jedoch erstmals gesetzlich verankert.

Ordnung muss sein

Bisher hatte die Polizei lediglich das Recht, die Anzahl der Ordner*innen bei der Versammlungsleitung zu erfragen und sie zu beschränken (§ 9 Abs. 2 VersG). Die praktische Bedeutung dieser Vorschrift hielt sich eher in Grenzen, weil Ordner*innen ja häufig überhaupt erst auf Verlangen der Behörde eingesetzt werden und die Behörde dabei regelmäßig auch die Anzahl bestimmt, so dass es praktisch eher andersherum läuft. Auch kommt es gelegentlich durchaus vor, dass die Polizei nach Namenslisten der Ordner*innen fragt.

Gegen ein solches Ansinnen kann man sich bislang jedoch recht gut zur Wehr setzen, da es einer gesetzlichen Grundlage entbehrt. Nun ist der Datenschutz Polizeibehörden bekanntlich häufig ein Dorn im Auge. § 12 Abs. 2 VersG-E soll daher eine gesetzliche Grundlage schaffen, aufgrund derer Namen und Adressen der vorgesehenen Ordner*innen mitgeteilt werden müssen. Weiter soll die Polizei unter Umständen auch befugt sein, Ordner*innen als ungeeignet abzulehnen.

§ 6 Abs. 4 VersG-E gestattet der Versammlungsleitung, Personen von der Versammlung auszuschließen. Dies durfte bei Versammlungen unter freiem Himmel bislang nur die Polizei (vgl. LOTTA #54, S. 62 f). Da hier weiterhin die Zustimmung der Polizei erforderlich sein wird, wird sich letztlich wahrscheinlich nicht viel ändern.

Aufnahme und Aufzeichnung

Ein schon bisher heftig umstrittenes, im VersG nicht klar geregeltes Thema war die Frage nach polizeilichen Video- und Audioaufnahmen bei Versammlungen. Der Entwurf versteht unter einer Aufnahme eine Übertragung von einer Kamera zu einem Monitor. Wird die Aufnahme gespeichert, wird sie zu einer Aufzeichnung. Der Entwurf setzt die Hürden für eine Aufnahme denkbar niedrig an. Sie soll zur „Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes“ möglich sein, sobald „dies wegen der Größe oder Unübersichtlichkeit der Versammlung im Einzelfall erforderlich ist“. Da sich diese Erfordernis wahrscheinlich bei nahezu jeder nicht nur ganz kleinen Versammlung begründen lassen wird, steht die Befürchtung im Raum, dass Aufnahmen von Versammlungen unter freiem Himmel nahezu schrankenlos möglich sein werden. Zwar geht damit noch keine Befugnis zu einer Aufzeichnung einher, allerdings ist für die Teilnehmer*innen der Versammlung nicht ohne Weiteres zu erkennen, ob sie „nur“ aufgenommen oder auch aufgezeichnet werden. Daher können auch derartige Aufnahmen abschreckend wirken und sind daher bedenklich. Zumindest ergibt sich aus dem Entwurf, dass die Versammlungsleitung über derartige Aufnahmen informiert werden muss.

Militanzverbot

Ein besonderes Anliegen ist dem Gesetzgeber das Militanzverbot in § 18 VersG-E, das als Weiterentwicklung des Uniformverbotes in § 3 VersG verstanden wird. Die Frage, was als „Uniform“ in diesem Sinne zu verstehen ist, gehört seit Jahren zu den umstrittensten Fragen im Versammlungsrecht (vgl. LOTTA #55, S. 62 f). In einem Beschluss vom April 2020 hatte der Bundesgerichtshof etwa das Tragen oranger Warnwesten mit der Aufschrift „Shariah Police“ als Verletzung des Uniformverbots angesehen, da dies im konkreten Fall einschüchternd gewirkt habe.

Nach der Gesetzesbegründung sollten Demonstrationen mit „suggestiv-militante[r] Einschüchterungswirkung“ unterbunden werden. In diesem Zusammenhang verweist sie ausdrücklich auf den „Schwarze[n] Block“ und die Overalls, die bei „Garzweiler-Demonstrationen“ getragen worden seien. Schon diese Auswahl an Beispielen lässt nichts Gutes befürchten. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass hier eine Grundlage geschaffen werden soll, um gerade auch linke und antifaschistische Demonstrationen kriminalisieren zu können.

Ausblick

Der nordrhein-westfälische Landtag hat den Gesetzesentwurf zunächst zur weiteren Beratung in seine Ausschüsse verwiesen. Es wird voraussichtlich noch einige Monate dauern, bis endgültig über den Entwurf entschieden wird. Vielerorts in NRW formiert sich bereits Widerstand gegen das Vorhaben. Wer sich gegen Einschränkungen des Versammlungsrechts zur Wehr setzen möchte, findet sicher auch in der Nähe ein geeignetes Bündnis.

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