Seriositätssimulation gescheitert
AfD musste bei der Bundestagswahl Verluste hinnehmen
So gerne hätte man bei der AfD ein paar Monate lang alle internen Konflikte hinter einer möglichst blickdichten Nebelwand verschwinden lassen. Wenigstens für ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl wollte man ein freundliches Bild abgeben. Freilich: Es sollte nicht gelingen. Am Ende stand ein Wahlergebnis von nur noch 10,3 Prozent, 2,3 Prozentpunkte weniger als bei der Bundestagswahl 2017.
So gerne hätte man bei der AfD ein paar Monate lang alle internen Konflikte hinter einer möglichst blickdichten Nebelwand verschwinden lassen. Wenigstens für ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl wollte man ein freundliches Bild abgeben. Freilich: Es sollte nicht gelingen. Am Ende stand ein Wahlergebnis von nur noch 10,3 Prozent, 2,3 Prozentpunkte weniger als bei der Bundestagswahl 2017.
So schön hatten es sich die Planer:innen des AfD-Wahlkampfs gedacht. „Deutschland. Aber normal“ sollte das Motto sein, das den Wunsch vieler Menschen nach „Normalität“, nach Sicherheit und Geborgenheit widerspiegeln sollte. Dazu gab es einen passenden Imagefilm und anheimelnde Plakatentwürfe mit einem Mädchen auf der Schaukel oder einer Familie — bestehend aus Vater, Mutter, Kind — am blauen Meer. Obendrein legte die Partei einen Programmentwurf vor, der zwar objektiv wenig mit „Normalität“, Sicherheit und Geborgenheit zu tun hatte, der sich jedoch unterschied vom verbalradikalen und völkischen Wortgeklingel, das man zuletzt aus vielen Wahlprogrammen auf Landesebene kannte. Doch die Freundlichkeitsinszenierung scheiterte grandios schon beim Programmparteitag im April. Die Delegierten schrieben ein halbes Dutzend drastische Verschärfungen ins am Ende mehr als 200 Seiten umfassende Papier. Und plötzlich erschien die AfD wieder als die Partei, die sie ja tatsächlich ist. Als eine Partei, die von „Grenzzäunen“ an Deutschlands Grenzen träumt, die es raus aus der EU treibt, die auf den Wert von Familien pfeift, wenn es sich um Flüchtlingsfamilien handelt, die Zuwanderung nur toleriert, wenn sie möglichst nahe null liegt, als Partei, die zwecks „Wiederherstellung der Wehrfähigkeit“ einen „starken Korpsgeist“ und „deutsche Werte“ in der Bundeswehr gefördert sehen will.
Unrunder Wahlkampf
Eher unrund gestaltete sich auch der Wahlkampf, insbesondere im Westen. Auftritte von Spitzenpolitikern der AfD schienen kaum jemanden zu interessieren — außer diejenigen, die sich qua Parteiausweis zur Anwesenheit verpflichtet fühlten oder diejenigen, die in oder dank der AfD Karriereoptionen wittern. Über eine der missratenen Veranstaltungen in NRW spottete die Initiative BürgerInnen gegen Rechts: „Die #AfD hat sich heute in #Lünen für ihre ,Kandidatentour #NRW‘ getroffen. An der Veranstaltung nahmen rund 10 Stehtische und 8 AfDler*Innen teil.“ Es war eine sehr exakte Beschreibung der Kampagne, wie sie sich an vielen Orten in Westdeutschland darstellte.
Sicher hätte einer wie Jörg Meuthen mehr Kundschaft angelockt. Doch der war beileibe nicht überall als Wahlkämpfer willkommen. Zu bestaunen gab es vielmehr, wie die Spitzen der verfeindeten Lager in der AfD einander selbst im Wahlkampf — auch räumlich — aus dem Weg gingen. Und noch mehr Erstaunen erzeugte das in solchen Zeiten sehr seltene Phänomen, dass ein Parteichef — Meuthen war’s — vor einem Millionenpublikum im TV einer Reihe von Kandidat:innen der eigenen Partei öffentlich in den Rücken fiel.
Schlagzeilen über mutmaßlich unsaubere Finanzgeschäfte der AfD, über ihre Verbindungen zu Ex-Mitgliedern extrem rechter Organisationen oder über Austritte bekannter Funktionäre störten die insbesondere von Meuthen betriebene Seriositätssimulation der Partei. In Hessen nahm der Landtagsabgeordnete und frühere AfD-Landesvorsitzende Rolf Kahnt den Hut und beklagte die „zunehmend rechtsextremen Entwicklungen der AfD auf Bundes- und Länderebene“. Der „Flügel“, so Kahnt, habe im Hintergrund nach wie vor das Heft des Handelns in der Hand.
„Blökende Stammtischproleten“
Mit lautem Getöse verließ Uwe Junge, viele Jahre Landes- und Fraktionschef in Rheinland-Pfalz, vier Wochen vor dem Wahltag die AfD. In seiner Austrittserklärung rechnete er scharf mit Alexander Gauland ab, „der mit seiner schützenden Hand einen völlig überschätzten [Björn] Höcke am viel zu rechten Rand gewähren ließ und einen [Andreas] Kalbitz in Brandenburg bis in die höchsten Parteiämter förderte“. Junge fragte, wen es wundere, „dass die Parteijugend gerne dem radikalen Flügel an den Lippen hängt und sich als ,Höckejugend‘ versteht, Kalbitz bis heute die Treue hält und jüngst dem bekennenden NS-Sympathisanten Helferich zur Seite stand“. Und einmal in Fahrt geraten, wetterte Junge weiter: „Opportunistische Mandatsjäger und politische Glücksritter“ würden „den schleichenden Austritt von kompetenten Fähigkeitsträgern ignorieren und den Eintritt von emotionalisierten Stammtischstrategen gerne fördern, um mit primitiven Parolen deren Gefolgschaft letztlich nur für sich selbst zu generieren“. Aus seiner Sicht „vernünftige und gebildete Menschen“ würden „schon bei dem ersten Veranstaltungsbesuch von der überreizten Stimmung, gepaart mit wilden Verschwörungstheorien und teilweise unflätigem Benehmen abgeschreckt werden, während sich der blökende Stammtischprolet wie zu Hause fühlt“.
Junge, dessen Entfremdung von der AfD begann, nachdem ihn ein Parteitag partout nicht zum Bundesvize wählen wollte, attackierte auch das AfD-Spitzenduo für die Bundestagswahl, Alice Weidel und Tino Chrupalla, sowie die rheinland-pfälzischen AfD-Politiker Sebastian Münzenmeier und Damian Lohr. Sie würden die Entwicklung der AfD personifizieren: „Kaum Inhalte, immer mehr Polemik, gefühlte Fundamentalopposition und die ausschließliche Bedienung der eigenen Blase.“ Der rheinland-pfälzische Landtagsabgeordnete Matthias Joa folgte Junge eine Woche später. Die ostdeutschen AfD-Landesverbände würden „offensichtlich kein Problem mit tatsächlichen Rechtsradikalen haben und diese nicht nur dulden, sondern diese bewusst integrieren“ wollen, befand er bei seinem Abgang. Für Rheinland-Pfalz konstatierte Joa: „Im AfD-Landesvorstand haben wir mittlerweile Personen sitzen, die definitiv nichts in einer demokratischen Partei zu suchen haben.“
Die „Omertà“ im Landesvorstand
In NRW trat im Mai Martin Schiller, einer der stellvertretenden Landesvorsitzenden, aus der Partei aus. Ein paar Tage vorher hatte er noch für einen aussichtsreichen Platz auf der Landesliste kandidiert. Erfolglos. Hernach befand er: „Die tiefen Gräben innerhalb der Partei haben sich vertieft, und die hoffnungslose Zerstrittenheit hat sich zudem verstärkt.“ Das „bürgerliche Lager“ spiele nur noch eine untergeordnete Rolle. Mit seiner mittelstands- und wirtschaftspolitischen Schwerpunktsetzung habe er nicht punkten können — im Gegensatz zur innerparteilichen Konkurrenz mit ihren „völkischen Maximalforderungen“, so Schiller. Den Delegierten des Landesparteitags, der seinem Karrierewunsch ein Ende machte, attestierte er, sie seien „fast nur noch mit völkischen Themen, Zuwanderungskritik und überzogenen Maximalforderungen abzuholen“ gewesen.
Weit massiver wurde der Bundestagswahlkampf der NRW-AfD durch den „Fall Helferich“ gestört. Der AfD-Landesvize, der auf dem siebten Platz der Landesliste in den Bundestag gewählt wurde, hatte vor Jahren in einem Chat mit einem „Flügel“-Politiker aus NRW unter anderem ein Foto von sich gepostet und darunter geschrieben: „das freundliche gesicht des ns“. Über einen Landeskongress der Jungen Alternative schrieb Helferich, er habe dort „den ‚demokratischen Freisler‘ geben“ wollen. Meuthen forderte ein Parteiausschlussverfahren. Doch der Bundesvorstand lehnte seinen Wunsch mit acht gegen sechs Stimmen ab. Geht es nach der Mehrheit der Parteispitze, so soll Helferich lediglich sein Amt verlieren und zwei Jahre lang nicht mehr in Parteifunktionen gewählt werden können. Erstmals in einer wichtigen Frage verweigerte ein Teil seiner sonst treu zu ihm stehenden Anhänger im Bundesvorstand Meuthen die Gefolgschaft. Der neuen AfD-Bundestagsfraktion gehört Helferich nicht an. Er entschied sich dazu, vorerst als Einzelparlamentarier zu agieren, hofft aber, künftig zumindest einen Gast-Status von der Fraktion, in der er weiterhin Unterstützer:innen hat, zugebilligt zu bekommen. Auch in der Landesspitze hinterließ der Fall tiefe Spuren. Michael Schild, ebenfalls stellvertretender Landessprecher, warf dem mit Helferich verbündeten AfD-Landeschef Rüdiger Lucassen quasi vor, bei der Mafia in die Lehre gegangen zu sein: Lucassen habe im NRW-Vorstand in der Angelegenheit Helferich „das Gesetz der ‚Omertà‘“ befohlen.
Machtkampf wieder offen ausgebrochen
Nach der Bundestagswahl ist der Machtkampf in der AfD wieder offen ausgebrochen. Das Wahlergebnis und seine Ursachen werden in den beiden großen Lagern der Partei höchst unterschiedlich bewertet. Bundessprecher Tino Chrupalla und Fraktionschefin Alice Weidel sprachen von einem „stabilen Ergebnis“. Chrupalla räumte zwar ein, dass er nicht zu 100 Prozent zufrieden sei, zeigte sich jedoch „stolz auf das Ergebnis“. Weidel betonte, sie wolle sich das Ergebnis nicht schlechtreden lassen. Ihr Widerspruch richtete sich gegen den zweiten Bundessprecher Jörg Meuthen. Der hatte gewarnt, man dürfe sich „die Dinge nicht schönreden“. Zufriedenheit halte er für unangebracht, wenn die AfD ein Fünftel ihrer Stimmen verliere, so Meuthen. Im Westen habe die Partei nie über 10 Prozent gelegen, im Osten nur zwei Mal über 20 Prozent. Mit Forderungen wie der nach einem „Dexit“ — dem deutschen Austritt aus der Europäischen Union — habe man nur „sehr stark die eigene Blase bedient“. Es sei der AfD aber nicht gelungen, neue Wählerschichten zu erschließen, kritisierte Meuthen, der sich für „klare Signale in die bürgerliche Mitte“ aussprach.
Meuthens „klare Signale“ sind Björn Höckes Sache nicht. „Dort, wo die AfD sich glaubhaft als echte Alternative zu den anderen Parteien präsentieren konnte, war sie überaus erfolgreich; doch dort, wo man bemüht war, sich den Altparteien anzugleichen, wurde das Vorschußvertrauen unserer Wähler verspielt“, meinte der ehemalige Vormann des offiziell für aufgelöst erklärten „Flügels“. Und auch für Meuthen hatte er eine ganz persönliche Spitze parat. Dass es für die AfD nicht weiter aufwärts gehe, liege auch daran, „daß wir unter anderem einen Spitzenfunktionär haben, der mit der eigenen Partei nicht nur fremdelt, sondern sogar darum bemüht ist, nicht mit ihr verwechselt zu werden“.
Zum Showdown kommt es spätestens im Dezember, wenn ein Bundesparteitag den neuen Vorstand zu wählen hat.