„Wir gehen los und kommen nie wieder zurück“

Die rechtsterroristische „Gruppe S“ vor Gericht — Teil II

Seit April 2021 sitzen in Stuttgart zwölf Männer auf der Anklagebank, die beschuldigt werden, die rechtsterroristische „Gruppe S“ gegründet, in dieser aktiv gewesen oder sie unterstützt zu haben. Geplant gewesen seien laut Anklage Anschläge auf Muslime*Musliminnen in Moscheen. Doch bevor die Gruppe losschlagen konnte, wurde sie am 14. Februar 2020 festgesetzt. In LOTTA #83 wurde bereits über die Anklagepunkte berichtet — und was in den ersten drei Monaten des Prozesses geschah. Doch wie ging es weiter?

Seit April 2021 sitzen in Stuttgart zwölf Männer auf der Anklagebank, die beschuldigt werden, die rechtsterroristische „Gruppe S“ gegründet, in dieser aktiv gewesen oder sie unterstützt zu haben. Geplant gewesen seien laut Anklage Anschläge auf Muslime*Musliminnen in Moscheen. Doch bevor die Gruppe losschlagen konnte, wurde sie am 14. Februar 2020 festgesetzt. In LOTTA #83 wurde bereits über die Anklagepunkte berichtet — und was in den ersten drei Monaten des Prozesses geschah. Doch wie ging es weiter?

Werfen wir zuerst ein Schlaglicht auf das Führungsduo der „Gruppe S“: Namensgeber und Chef Werner Somogyi und seine rechte Hand Tony Ebel, die sich nicht nur als „Kameraden“ und „Kampfgefährten“ verstanden, sondern auch enge Freunde zu sein schienen. Schon im Oktober 2019 sprachen sie in abgehörten Telefonaten — obwohl erst kurze Zeit miteinander bekannt — vertraut miteinander und betonten immer wieder ihre gegenseitige Zuneigung. Ebels Söhne und Ehefrau kannten und schätzten Somogyi. Geradezu schwärmerisch bat Ebel Somogyi, früher als die anderen zu einem Treffen anzureisen: „Ich möchte ein paar Stunden mit dir allein verbringen.“ Ebel plante zudem, 2020 seinen Sommerurlaub mit Somogyi in dessen Berghütte zwischen Genua und Turin zu verbringen. In einem Telefonat vom Oktober 2019 bot Somogyi Ebel eine Schusswaffe und 2.000 Schuss Munition an.

Nachtträume, Tagträume…

Ebenfalls im Oktober 2019 wurde bei Ebel ein Gehirntumor diagnostiziert. Später sollte sich zwar herausstellen, dass dieser gutartig war, zum Zeitpunkt des Telefonats kam aber noch Krebs als Ursache infrage. Ebel träumte Somogyi gegenüber von einer Märtyrer-Aktion, wenn sich das bestätigen sollte. Das würde „Türen für viele Möglichkeiten öffnen, […] wenn du weißt, was ich meine. […] Als Ultima Ratio.“ Doch auch psychisch ist Ebel offenbar nicht gesund. Er erging sich am Telefon in rassistischen Wahnvorstellungen: „Ich wache manchmal nachts auf, wo Schwarze vor mir stehen mit einer Machete. Das klingt vielleicht schizophren oder krank oder pervers, aber in meinen Augen sind das realitätsnahe Szenarien.“ „Ja, das kann jeden von uns treffen“, stimmte Somogyi ihm zu. Doch was Ebel anschließend beschrieb, gefiel ihm nicht: „Es ist nicht so, dass ich Angst habe vor Aua oder Tod oder wie auch immer. […] Ich bin heute um ein viel, vielfaches weiter als vor fünf, sechs Jahren, als ich in jedem Restaurant eine Gefahr gesehen hab. Ich hab überall eine Waffe drin gesehen.“ Somogyis Antwort „Behalt‘ das mal für dich“ beinhaltete Warnung und Sorge, man könnte Ebel als verrückt abstempeln, zugleich.

In endlosen und redundanten Jammerorgien ließ sich Somogyi Ebel gegenüber über eine konstatierte Lethargie des „deutschen Volkes“, aber auch immer wieder des eigenen politischen Umfelds aus: „Wir reiten immer tiefer in die Scheiße! […] Die schauen mit geschlossenen Augen zu, das sind Feiglinge. Keiner nimmt das Zepter in die Hand. Die warten darauf, dass Leute wie du und ich auf die Straße gehen und was unternehmen. Und dann schreien die: Endlich tut mal einer was. Anstatt dass die sich selber mal bewegen.“ Demonstrative Aktionen, Aufklärungsarbeit und Vernetzung würden nicht mehr ausreichen. „Wir müssen jetzt langsam hinlangen, sonst wird das nix mehr.“ Diejenigen, die endlich mal „hinlangen“ würden — und die er offenbar gerade um sich zu scharen versuchte — würden „in die Geschichtsbücher eingehen mit Rang und Namen“.

… und Lügen

Nach und nach wurde im Prozess klar, dass Somogyi ein Hochstapler ist und seinen „Kameraden“ inklusive Ebel etwas vormachte. Er stellte sich als erfolgreichen Geschäftsmann und Besitzer von Immobilien und Grundstücken dar. Ebel überlegte sogar laut, in Somogyis angeblich einträglichen Antiquitäten- und Restaurierungsbetrieb einzusteigen. Somogyi reagierte zurückhaltend. Mit Grund: Tatsächlich liefen seine Geschäfte äußert schlecht, er beantragte sogar „Sozialhilfe“ und lebte offenbar nicht unwesentlich auf Pump. An jenem Prozesstag im Juli, als Somogyis Lügen aus den präsentierten abgehörten Telefonaten offenbar wurden, meldete sich Ebels Verteidigung zu Wort und kündigte an, ihr Mandant wolle nach der Sommerpause sein Schweigen brechen und umfassend aussagen. Bisher taten das im Gerichtssaal in Stuttgart-Stammheim nur zwei Angeklagte. Möglicherweise trieb die Enttäuschung über Somogyis Lügen Ebel zu diesem Schritt. Auf die Ankündigung reagierten die anderen Angeklagten sichtlich schockiert. Bis zur Drucklegung dieser LOTTA-Ausgabe am 25. Oktober 2021 ist Ebels Aussage aber noch nicht erfolgt.

Neubewertung der Anklagepunkte

Der Strafsenat widersprach Ende Juli der Einschätzung der Bundesanwaltschaft in deren Anklageschrift in einigen wesentlichen Punkten. Der Senat betrachtet als Gründungszeitpunkt und -ort der „Gruppe S“ nicht das Treffen am 28. September 2019 im baden-württembergischen Alfdorf, sondern das am 8. Februar 2020 im nordrhein-westfälischen Minden. Damit hätte die Gruppe weniger als sechs Tage bestanden. Zudem schwächte der Senat die Vorwürfe gegen vier Angeklagte ab: Michael B., Stefan K., Markus K. und Marcel W. hält der Senat für Unterstützer der Gruppe, nicht wie die Anklage für Mitglieder und bei Michael B. und Marcel W. sogar Mitgründer. Von der Verschiebung des Gründungszeitpunkts profitierte insbesondere Michael B. aus dem schwäbischen Kirchheim, der als einziger Angeklagter zwar am Treffen in Alfdorf, nicht aber am Mindener Treffen teilgenommen hatte. Er ist mittlerweile wieder auf freiem Fuß, offenbar reichten die Vorwürfe und das zu erwartende Strafmaß nicht mehr aus, um ihn weiterhin in U-Haft zu belassen. Um zu erklären, wie B. die Gruppe unterstützt haben soll, ohne je bei einem Treffen gewesen zu sein, bezog sich der Strafsenat ausführlich auf abgehörte Telefonate zwischen ihm und Somogyi. Am 5. Oktober 2019 unterhielten sich die beiden am Telefon über Waffen. Somogyi berichte, dass er „für unsere Leute“ zehn „Slam Guns“ bestellt habe — improvisierte Waffen, die Schrot verschießen. Eine davon bot er Michael B. zum Kauf an. Der Senat folgert aus dem Gehörten, dass Michael B. spätestens zu diesem Zeitpunkt erkannt habe, dass Werner S. eine Gruppe gründen, sie mit Schusswaffen ausstatten und auch einsetzen würde. Somogyi war offensichtlich überzeugt von Michael B., über den er zu Ebel in einem Telefonat sagte, er sei „zwar ein Vorsichtiger, aber […] zu allem bereit“. Auch Ebel hielt B. für einen „guten Mann“, der „schlimmer“ sei „als wir alle zusammen“ — und eben nicht nur ein „Schwätzerpatriot“. Nach Ansicht des Senats bestärkte Michael B. Somogyi in seinem Vorhaben, „indem er ihm seine Unterstützung zusagte und ihm sagte, dass er seine Einstellung teile“. So bot er in dem genannten Telefonat an, er könne mit seinen handwerklichen Kenntnissen die „Slam Guns“ modifizieren.

Ein weiterer Angeklagter, den der Senat „nur“ für einen Unterstützer hält, ist der Pfaffenhofener Marcel W., „Sergeant at Arms“, also eine Art Sicherheitsbeauftragter von Wodans Erben Germanien in Bayern. Der Mindener Angeklagte Thomas N. hatte ihn im Dezember 2019 für die „Gruppe S“ rekrutiert. Auf Somogyis Frage an N., ob Marcel W. wisse, was die Gruppe plane, sagte Thomas N.: „Ich habe zu ihm gesagt, wir gehen los und kommen nie wieder zurück.“ Marcel W. machte am Telefon deutlich, warum er bereit sei, einer solchen Gruppe beizutreten: „Aktuell sind wir die Ausländer.“ Wenn er vor die Tür gehe, fühle er sich wie im Türkei-Urlaub. Einmal aufgenommen wurde Marcel W. zum Administrator der Chatgruppe „Heimat“, in der die „Gruppe S“-Aktivisten und ihr nahes Umfeld kommunizierten. Darin achtete W. auf konspirative Kommunikation der Mitglieder und setzte Regeln durch wie die, dass keine Bilder von Waffen gepostet werden dürften. Wer sich daran nicht hielt, wurde von Marcel W. abgemahnt oder entfernt. All das reicht in den Augen des Strafsenats aus, um W.s Unterstützung der Gruppe zu belegen, trotz Teilnahme am Mindener Treffen aber nicht eine Mitgliedschaft, und den Haftbefehl zu erneuern.

Welche Rolle spielt(e) Paul-Ludwig U.?

Für hitzige Debatten sorgt weiterhin die Rolle des Angeklagten Paul-Ludwig U. Er machte die Ermittlungsbehörden bereits vor dem Alfdorf-Treffen auf Somogyis Treiben und Pläne aufmerksam. U. versorgte das LKA BaWü ein halbes Jahr lang mit Informationen und nahm zugleich in der Gruppe eine aktive Rolle ein, weswegen ihn Anwält*innen der anderen Angeklagten als „agent provocateur“ bezeichnen. In überwachten Telefonaten mit seinen Bewährungs­hel­fer*innen hatte U. auch berichtet, er werde offiziell zwar nicht als LKA-Quelle, sondern als Beschuldigter geführt, inoffiziell jedoch sei er schon so etwas wie ein V-Mann. Außerdem hätten ihm LKA und Bundesanwaltschaft Straferlass in dem Verfahren zugesichert. Auch nachdem er Anfang Oktober 2019 im Hauptbahnhof Heidelberg bei einer Routinekontrolle mit einer genehmigungspflichtigen CO2-Schusswaffe im Rucksack erwischt worden war, machte er sich offenbar keine große Sorgen: Oberstaatsanwältin Cornelia Zacharias von der Bundesanwaltschaft habe ihm versprochen, er habe nichts zu befürchten. Tatsächlich wurde U. für diesen Waffenfund bisher nicht belangt. Zum Zeitpunkt des Fundes war er sogar auf Bewährung, blieb jedoch auf freiem Fuß. Der Zeugenschutz schien für U. verlockend zu sein. Insgesamt hat er bereits 21 Jahre in Haft verbracht, wurde seit seiner Jugend immer wieder straffällig. Sein Leben war geprägt von Haftstrafen und Geldproblemen. Ein Leben im Zeugenschutz schien ihm, so sagte er es selbst in abgehörten Telefonaten, wie die ultimative Möglichkeit zum Neuanfang mit neuer Identität, einer vom Staat bezahlten Wohnung und neuer Biografie: „Für mich ist das wie eine Art zweite Chance. Ich fang dann bei Null an mit allem. Ich habe keine Schulden, keine Vorstrafen, kein gar nichts.“

Wesentliche Punkte der Anklage erfüllt

Auch wenn seitens der Generalbundesanwaltschaft und des LKA derartige Deals und eine Führung von U. als V-Mann deutlichst in Abrede gestellt werden, ist all das natürlich ein gefundenes Fressen für die Verteidiger*innen von U.s Mitangeklagten. Und diese legen nach. U. habe 100 Euro pro Monat vom LKA bekommen [vermutlich im Zeugenschutzprogramm als Ausgleich für die nunmehr entfallenen Hartz-4-Zahlungen] und sei sogar der erste gewesen, der die Idee in die Gruppe eingebracht hätte, Moscheen anzugreifen. Zumindest dieser Vorwurf dürfte inzwischen widerlegt sein durch gegenteilige Erkenntnisse aus den LKA-Vernehmungen der Mitangeklagten. Zudem wurde während des laufenden Prozesses immer wieder klar, dass U. sich gerne wichtiger macht, als er tatsächlich ist, dass er gerne ausschmückt und übertreibt. Doch ist es möglich, dass er sich das Ganze komplett ausgedacht hat? Wohl kaum, dafür gibt es zu viele Erkenntnisse aus der LKA-Überwachung und den Aussagen anderer Angeklagter, die das von U. Berichtete in wesentlichen Punkten bestätigen. Nämlich dass in Minden über Angriffe auf Moscheen gesprochen worden sei, dass der Vorschlag von Somogyi gekommen sei, dass die Frage aufgeworfen worden sei, wer „offensiv“ und wer „defensiv“ dabei wäre, dass Geldzusagen für den Waffenkauf abgefragt und auch gemacht worden seien und dass einzelne Personen beauftragt worden seien, Schusswaffen zu besorgen. Damit wären die wesentlichen Punkte der Anklage erfüllt, selbst wenn U. an nicht wenigen Stellen übertrieben oder gar gelogen haben sollte. Abseits dessen muss aber auch der Frage, welche Rolle Polizei und gegebenenfalls auch Verfassungsschutz gespielt haben, unbedingt nachgegangen werden.

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Foto des Tatort-Hauses