Sechs Tage im September

Die Belagerung der NPD-Landesgeschäftsstelle NRW

Im September 1982 blockierten Aktivist\*innen aus Gewerkschaften, antirassistischen und antifaschistischen Initiativen sowie linken Jugendgruppen fast eine Woche lang die Landesgeschäftsstelle der NPD im Bochumer Stadtteil Wattenscheid.

Mehrere Hundert Menschen tummelten sich am 24. September 1982 in der Kruppstraße im Bochumer Stadtteil Wattenscheid und feierten dort in Sichtweite der teilweise mit Eisenträgern verbarrikadierten Landesgeschäftsstelle der nordrhein-westfälischen NPD ein „Fest gegen Völkerhass“. Neben antifaschistischen Aktivist*innen waren auch zahlreiche Anwohner*innen zu dem Straßenfest gekommen. Auf einer Bühne traten neben Schauspieler*innen der Ruhrfestspiele und aus Laientheatergruppen auch kurdische und türkische Bands und andere Musiker*innen auf, so etwa Melike Demirağ, die seit dem Militärputsch in der Türkei im September 1980 im Exil in der Bundesrepublik lebte. Das Straßenfest bildete den Abschluss und den Höhepunkt einer bis dahin einmaligen antifaschistischen Protestaktion. Der Protest unter dem Motto „Keine Freiheit für die Volksverhetzer“ richtete sich vor allem gegen die Bürgerinitiative Ausländerstopp, die mit ihrer rassistischen Propaganda über die NRW-Grenzen hinaus in Erscheinung getreten war.

Die „Bürgerinitiative Ausländerstopp“

Die Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA) konstituierte sich Anfang 1980. Als treibende Kraft und presserechtlich Verantwortlicher für die zahlreichen Pamphlete, die in der Folgezeit veröffentlicht werden sollten, firmierte der NPD-Funktionär Hagen Prehl, der als Professor für Bauingenieurswesen an der Fachhochschule Hagen beschäftigt war. Ihre organisatorische und personelle Verwobenheit mit der NPD versuchte die BIA gar nicht erst zu kaschieren, diente doch von Beginn an die Landesgeschäftsstelle der Partei in der Günningfelder Straße 101a in Wattenscheid als Kontaktadresse.

Die politisch erfolgreichen Jahre der 1964 gegründeten NPD lagen damals schon mehr als ein Jahrzehnt zurück. Zwischen 1966 und 1968 war die Partei in sieben Landtage eingezogen, bei der Bundestagswahl 1969 scheiterte sie jedoch knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. In den folgenden Jahren konnte sie ihre Wahlerfolge nicht wiederholen, außerdem verloren die „Nationaldemokraten“ mit dem Entstehen militanter neonazistischer Szenen und dem Entstehen „neurechter“ Konzepte seit dem Beginn der 1970er Jahre an Einfluss im sich ausdifferenzierenden Spektrum der extremen Rechten. Gleichwohl erwies sich die NPD aufgrund ihrer gefestigten organisatorischen Strukturen selbst in NRW, wo sie während der 1960er Jahre nicht in den Landtag eingezogen war, durchaus als mobilisierungsfähig. Beispielsweise anlässlich des regelmäßig im Juni von der Partei begangenen „Deutschlandtreffens“, das 1981 mit rund 500 Teilnehmer*innen auf dem Dortmunder Nordmarkt stattfand. War die Rhetorik der NPD und ihrer Vorfeldorganisationen zunächst von Law-and-Order-Parolen, aggressivem Antikommunismus und einer mehr oder minder offen artikulierten NS-Apologetik geprägt, rückten seit dem Ende der 1970er Jahre unverhohlen rassistische Parolen gegen Arbeitsmigrant*innen und Geflüchtete zunehmend ins Zentrum ihrer Agitation. Einen grundlegenden programmatischen Richtungswechsel bedeutete diese Ausrichtung aber nicht, bildete der völkische Nationalismus doch von Beginn an den Wesenskern der NPD.

Politik der Apartheid mit zivilgesellschaftlichem Anstrich

Mit der Selbstbezeichnung „Bürgerinitiative“ versuchten die Parteiakti­vist*innen um Prehl auf äußerst plumpe Weise, ihre rassistische Agenda als „überparteiliches“, unmittelbar aus einem halluzinierten „Volkswillen“ abgeleitetes Projekt zu stilisieren. Dementsprechend wurden auflagenstarke, mit dem Slogan „Deutschland den Deutschen“ versehene Flugblätter mit der darin enthaltenen Behauptung verbreitet, die „Mehrheit der Deutschen“ wünsche sich „die Rückkehr der Ausländer in ihre Heimat“. Es gelte eine „Einschmelzung der Ausländer in das deutsche Volk“ zu verhindern. Die Traktate endeten mit dem Appell an alle „verantwortungsbewussten Deutschen“, sich „ungeachtet ihrer sonstigen politischen Einstellung“ der „Bürgerinitiative“ anzuschließen. Die BIA beschränkte sich jedoch nicht darauf, Flugblätter zu verbreiten. Bereits im Jahr 1980 versuchte sie, ein Volksbegehren über ein Gesetz „Rückkehrförderung ausländischer Arbeitnehmer und deren Familien“ auf den Weg zu bringen.

Die Landesregierung lehnte die Zulassung dieses Volksbegehrens jedoch aus formalen Gründen ab. Eine Entscheidung, die im Juni 1981 der nordrhein-westfälische Verfassungsgerichtshof bestätigte. Als rechtlich unzulässig wurde auch ein weiterer im März 1982 von der BIA eingereichter Antrag für ein Volksbegehren bewertet, der darauf abzielte, in NRW grundsätzlich separierte Schulklassen für „deutsche“ und „ausländische“ Schüler*innen einzurichten, um auf diese Weise gleichsam ein Apartheidssystem im Bildungsbereich zu schaffen. Der Aussichtslosigkeit, sich mit ihren rassistischen Vorstößen tatsächlich politisch durchsetzen zu können, waren sich die Protagonist*innen bewusst. Ihnen ging es in erster Linie darum, mit provokativen Aktionen einen zunehmend auch jenseits der extremen Rechten geführten „Überfremdungsdiskurs“ weiter zu befeuern und zuzuspitzen. In dieser Hinsicht war die Strategie der NPD und ihrer „Bürgerinitiative“ durchaus erfolgreich.

Vom Wort zur Tat —rassistische Gewalt

Auch in anderen Bundesländern formierten sich Anfang der 1980er Jahre ähnliche Initiativen. Im April 1982 gründeten ehemalige Mitglieder der NPD die Hamburger Liste für Ausländerstopp (HLA), die bis zum Beginn der 1990er Jahre wiederholt bei den Wahlen zur Hamburger Bürgerschaft antrat, jedoch nie über Ergebnisse von 0,7 Prozent hinauskam. Im Juni 1982 entstand im Umfeld der hessischen NPD die Hessenliste für Ausländerstopp, die mit ihrem Vorbild in NRW eng zusammenarbeitete, sich jedoch nicht an Wahlen beteiligte. Auf lokaler Ebene erfolgreich war die im November 1981 gegründete Kieler Liste für Ausländerbegrenzung, die bei den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein im März 1982 3,8 Prozent der Stimmen erzielen konnte. Auch im Umfeld anderer Organisationen der extremen Rechten, wie etwa der Deutschen Volksunion (DVU), konstituierten sich Gruppierungen wie die Initiative für Ausländer-Begrenzung, die mit offenem Rassismus zu punkten versuchten. Flankiert wurden diese organisatorischen Entwicklungen von einer Welle rassistischer Gewalt. Im Jahr 1980 verübten die rechtsterroristischen Deutschen Aktionsgruppen mehrere Brandanschläge auf Geflüchtetenunterkünfte. Im August kamen dabei in Hamburg die Vietnamesen Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân ums Leben (vgl. LOTTA #79, S. 60). Im Juni 1982 erschoss in der Nürnberger Innenstadt ein einschlägig bekannter Neonazi die US-Amerikaner William Schenk und Rufus Surles sowie den aus Ägypten stammenden Mohamed Ehap aus rassistischen Motiven.

Auch in NRW kam es Anfang der 1980er Jahre zu einer Reihe rassistischer Anschläge. Im November 1982 berichtete die taz über nahezu tägliche verbale und körperliche Angriffe, mit denen sich bei Opel beschäftigte türkische Arbeiter*innen auf dem Heimweg von ihrer Schicht konfrontiert sahen. Ebenfalls im November wurde ein Brandanschlag auf das Büro des Türkischen Arbeitervereins in Gelsenkirchen verübt — die 30 Bewohner*innen des Hauses blieben glücklicherweise unverletzt. Schon in den Monaten zuvor hatten Unbekannte Häuser in Gelsenkirchen, in denen vorwiegend Migrant*innen lebten, mit rassistischen Parolen beschmiert. Bereits im Frühjahr 1982 war ein türkisches Geschäft in der Dortmunder Innenstadt durch einen Sprengstoffanschlag verwüstet worden. Bei einem rassistischen Brandanschlag auf ein Wohnhaus in Duisburg-Wannheimerort im August 1984 starben Ferdane Satır, Çiğdem Satır, Ümit Satır, Songül Satır, Zeliha Turhan, Rasim Turhan und Tarık Turhan (vgl. LOTTA #87, S. 58).

Das „Ausländerproblem lösen“ — der Rassismus der „Mitte“

Der Umgang der etablierten Politik in NRW mit der rassistischen Welle zu Beginn der 1980er Jahre fiel ambivalent aus. Einerseits war sie durch eine deutliche rhetorische Distanzierung von extrem rechten Gruppen, Parteien und Aktivitäten gekennzeichnet, andererseits fanden deren rassistische Positionen durchaus Eingang in die hegemonialen politischen Diskurse. Bereits im November 1973 hatte die Bundesregierung einen sogenannten „Anwerbestopp“ für Arbeitsmigrant*innen verhängt. Ab diesem Zeitpunkt, konstatiert der Historiker Jochen Oltmer, „hat man angefangen, Migration eindeutig als Belastung zu sehen“. Dies galt besonders für die seit Herbst 1982 amtierende schwarz-gelbe Bundesregierung unter Helmut Kohl (CDU), die eine Verschärfung des Asylrechts und ein grundsätzlich restriktives Migrationsregime forcierte.

Die Feststellung galt aber auch für die in NRW seit Juni 1980 mit absoluter Mehrheit regierende SPD. Im Hinblick auf den „Kampf gegen Rechts“ versuchte die Partei sich zwar klar zu profilieren — so wurde etwa die mehrtägige Protestaktion vor der Landesgeschäftsstelle der NPD in Wattenscheid vom Bochumer Oberbürgermeister Heinz Eikelbeck und sogar von NRW-Innenminister Herbert Schnoor explizit begrüßt –, in ihren migrations- und integrationspolitischen Verlautbarungen und Politikentwürfen blieb sie jedoch indifferent. Zwar hatte der vormalige NRW-Ministerpräsident Heinz Kühn (SPD) als erster Ausländerbeauftragter der Bundesregierung im September 1979 ein Memorandum veröffentlicht, in dem die Bundesrepublik als faktisches Einwanderungsland beschrieben wurde und Vorschläge für die Ausweitung politischer Teilhabe, Arbeitsmarktintegration und Bildung für Migrant*innen formuliert wurden. Die Relevanz des „Kühn-Memorandums“ auf Bundes-, aber auch auf Landesebene blieb jedoch im Kontext der zunehmend restriktiv geführten Migrations- und Integrationsdiskurse äußerst beschränkt.

Im nordrhein-westfälischen Landtag verurteilten Regierung und Opposition zwar die von der BIA angestrebten rassistischen Volksbegehren, SPD und CDU reproduzierten jedoch in einem gemeinsamen Entschließungsantrag zur „Ausländerpolitik in Nordrhein-Westfalen“ im Februar 1982 teilweise eben jene rassistischen Projektionen, die auch die Verlautbarungen der extremen Rechten kennzeichneten. Notorisch sprachen die Abgeordneten aller Parteien von einem angeblichen „Ausländerproblem“, das es zu „lösen“ gelte. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Kurt Biedenkopf postulierte dementsprechend, das Parlament müsse „das Ausländerproblem“ mit seiner „ganzen Autorität an sich ziehen“.

Die Belagerung der NPD-Landesgeschäftsstelle

Ganz andere und daher umso wichtigere inhaltliche Akzente setzte hingegen das Bündnis, das im September 1982 zur mehrtägigen Belagerung der NPD-Geschäftsstelle aufgerufen hatte. Über Wochen hinweg hatten die Initiator*innen für die Aktion mobilisiert. In ihrem Aufruf wandten sie sich nicht nur gegen die NPD und die Bürgerinitiative Ausländerstopp, die sie konsequent als „Volksverhetzer“ deklarierten, sie thematisierten auch die zunehmende rassistische Gewalt in der Bundesrepublik. Gleichzeitig kritisierte das Bündnis auch die etablierte Politik, die mit Asylrechtsverschärfungen und restriktiven Aufenthaltsbestimmungen sowie der Kulturalisierung und Ethnisierung von sozialen Fragen auf das Erstarken der extremen Rechten reagiere.

Die Tage und Nächte, die zwischen dem 19. und 24. September durchgängig mindestens 100 Aktivist*innen vor der NPD-Geschäftsstelle verbrachten, wurden mit unterschiedlichen Informations- und Diskussionsveranstaltungen gefüllt. Den Auftakt bildete eine symbolische öffentliche „Anklage“, in deren Rahmen Zeug*innen extrem rechter Anschläge und Akti­vist*innen aus unterschiedlichen antifaschistischen und antirassistischen Initiativen über rechte Gewalt und deren Auswirkungen berichteten, dabei aber auch die vielfach schleppenden, häufig entpolitisierenden und auf „Einzeltäter“-Thesen fokussierten polizeilichen Ermittlungen kritisierten, wie etwa im Fall der Nürnberger Mordanschläge im Juni 1982. Am folgenden Tag widmete sich eine Veranstaltung, bei der unter anderem eine türkische Frauengruppe referierte, der schon damals in gleichsam frühen „Leitkultur“-Debatten virulenten Frage, ob die „deutsche Kultur“ durch das „Kopftuch“ tatsächlich gefährdet sei.

Einen weiteren inhaltlichen Schwerpunkt bildete die Auseinandersetzung mit alltäglichem, strukturellem und institutionellem Rassismus, der im Wesentlichen von Menschen mit eigenen Rassismuserfahrungen gefüllt wurde. „Kollegen berichteten, was sie tagtäglich in Betrieben und auf Behörden erleben, was es für sie bedeutet, eine Wohnung zu suchen und was mit ihren Kindern passiert. Es wurde klar, was für ein Zynismus es ist, bei solchen Bedingungen von mangelnder ‚Integrationswilligkeit‘ zu sprechen“, heißt es dazu in einer Dokumentation der Protestaktion. Eine weitere Veranstaltung widmete sich der Rolle der Gewerkschaften in der Auseinandersetzung mit Rassismus und „Rechtsextremismus“, durchaus ein brisantes Thema, da beispielsweise auch in gewerkschaftlichen Verlautbarungen zu dieser Zeit immer wieder von einem angeblichen „Asylantenproblem“ die Rede war. Einer Diskussionsrunde mit lokalen Politiker*innen (allerdings ohne Beteiligung der CDU) über rechtliche Handlungsmöglichkeiten gegen die NPD und andere extrem rechte Gruppierungen folgte schließlich am letzten Tag der Belagerung das gut besuchte Straßenfest.

Die in der NPD-Zentrale auf der Günningfelder Straße verschanzten NPD-Anhänger*innen traten während der Belagerung kaum in Erscheinung, versuchten jedoch wiederholt die vor dem Anwesen ausharrenden Antifaschist*innen zu fotografieren. Kurzfristig verklebte rassistische Plakate wurden von den Demonstrant­*innen schnell wieder entfernt, vereinzelt skandierte extrem rechte Parolen durch lautstarke Sprechchöre übertönt. Die Schließung der NPD-Landesgeschäftsstelle konnte das Bündnis freilich nicht durchsetzen. Erst im Jahr 2012 musste die Partei das Haus räumen und nach Essen umziehen, nachdem der Mietvertrag vom neuen Hauseigentümer gekündigt worden war.

Erfahrungen und Perspek­tiven sichtbar machen!

Dennoch war die Aktion in vielerlei Hinsicht bemerkenswert und — obgleich sie weitgehend in Vergessenheit geraten ist — auch aus heutiger Perspektive lehrreich. Der Blick auf die Belagerung der NPD-Geschäftsstelle macht auf zwei miteinander verknüpfte Aspekte aufmerksam. Zum einen wirft er ein Schlaglicht auf die frühen 1980er Jahre, in denen Rassismus zum Kristallisationspunkt der extrem Rechten avancierte, deren Propaganda in zum Teil mörderische Gewalt mündete. Gleichzeitig gewannen auch in der „Mitte der Gesellschaft“ ressentimentgeladene Debatten um Migration an Bedeutung, die wiederum die Resonanzräume der extremen Rechten erweiterten. Zum anderen spiegelten sich in der Protestaktion in Wattenscheid die sich wandelnden inhaltlichen, organisatorischen und strategischen Prämissen und Herausforderungen für antifaschistische Politik. Angesichts der unverkennbaren Ausprägungen eines gesamtgesellschaftlichen Rassismus‘ schien ein Antifaschismus ohne eine dezidiert antirassistische Ausrichtung kaum mehr denkbar. Daran knüpften sich freilich damals schon Fragen, etwa nach der Repräsentation und Wahrnehmbarkeit migrantischer Perspektiven und Forderungen, die für heutige Debatten um antifaschistische und rassismuskritische Positionierungen unverzichtbar sind.

In der Rückschau erscheinen vor allem die gegenseitigen Bezugnahmen von Zeug*innen extrem rechter Gewalt und unterschiedlichen antifaschistischen bzw. antirassistischen Initiativen sowie die zentrale Bedeutung, die migrantisch situiertem Wissen um alltäglichen und strukturellen Rassismus in der inhaltlichen Bestimmung des Protests zukam, hochaktuell und anregend. Perspektiven, die in den folgenden Jahren in antifaschistischen Auseinandersetzungen um extrem rechte Zentren häufig kaum miteinbezogen wurden — obgleich sie immer vorhanden waren.

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