„Bündnis Sahra Wagenknecht“

Personalisierung des Politischen

Die deutsche Parteienlandschaft erfährt Zuwachs: Mit dem „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) tritt eine neue Partei auf, die — medial äußerst präsent — laut vorläufiger Umfragen Aussicht auf längerfristige Etablierung hat. Geht diese „Linken“-Abspaltung zu Lasten der „Linkspartei“? Oder schwächt das BSW die AfD? Und was heißt ihre Gründung für antifaschistische Politik?

Was zuerst auffällt, ist die medial erfolgreiche Selbstinszenierung der Person Sahra Wagenknecht. Zwar gab es Ähnliches schon in der Vergangenheit, aber längerfristig nicht besonders erfolgreich. So holte in Hamburg der ehemalige Amtsrichter Ronald Barnabas Schill — genannt „Richter Gnadenlos“ — zwar kurzfristig Zustimmung mit rechtspopulistischen Parolen, scheiterte aber an der bundesweiten Ausweitung und endete in einem Sumpf aus Koks und „Dschungelcamp“. Auch das Team Todenhöfer — Die Gerechtigkeitspartei spielte erfolglos mit Personalisierung auf der rechtspopulistischen Klaviatur. Doch diese Egomanen hatten nicht die Chuzpe, allein ihren Namen zur Partei zu machen, so wie nun beim BSW.

Auch wenn eine Namensänderung für die Zeit nach der Bundestagswahl angekündigt wurde, bleibt die Partei auf die Person fixiert: Wagenknecht führt lediglich fort, womit sie schon in der Vergangenheit äußerst erfolgreich war: die mediale Inszenierung der Marke Wagenknecht. Schon drei Biografien zeugen von ihrem öffentlichen Verkaufswert. Von Lothar Bisky soll der ironisch gemeinte Spruch über sie stammen: „Und bald humpelt sie noch“. Das mag zwar nutzbringend sein, trifft aber inhaltlich keinesfalls zu. Luxemburg war internationalistisch eingestellt, Wagenknecht hofiert dagegen den Nationalismus. Personalisierung ist ein Kennzeichen des Populismus und angesagt in den Zeiten von Politiker*innen wie Donald Trump. Populist*innen gibt es auch im linken Spektrum, aber linker Populismus ist nicht mit Rechtspopulismus gleichzusetzen. Dies zu tun, ist Wasser auf die Mühlen einer bürgerlichen Extremismuslehre, die rechts und links gleichzusetzen bestrebt ist. Wer etwa die Politik des französischen Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon mit seiner Partei Unbeugsames Frankreich und die der extrem rechten Marine Le Pen vom Rassemblement National lediglich als gleichsam populistisch beschreibt, diskreditiert linke Politikansätze und leistet einer Sakralisierung der „Politik der Mitte“ Vorschub.

Linkspopulismus?

Für BILD gilt Wagenknecht als „Beton-Kommunistin“. Diese bestreitet das mit dem populären, aber nichtssagenden Spruch, die früheren Gegensätze seien obsolet. In der Tat findet sich im Parteiprogramm des BSW kein linker Politikbegriff mehr.

Linkssein steht für Wagenknecht ähnlich wie die Inanspruchnahme von Luxemburg lediglich als bloßes Etikett zur Besetzung einer politischen Leerstelle. Das angebliche Linkssein wird herangezogen als verquere Chiffre für eine Verknüpfung des Sozialen mit dem Nationalen. Früher machte Wagenknecht keinen Hehl aus ihrer Sympathie für Mélenchon. Ist das BSW also doch mit linkspopulistischen Parteien wie dem spanischen Podemos und dem „Unbeugsamen Frankreich“ vergleichbar? Wohl kaum.

Linkskonservatismus

Der 2014 verstorbene argentinische Politiktheoretiker Ernesto Laclau und die belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe hatten sich den von ihnen geforderten Linkspopulismus wohl anders vorgestellt als das, was das BSW darstellt. Wagenknecht favorisiert einen „Linkskonservatismus“. Im Unterschied zu den beiden Linkspopulismus-Befürworter*innen hält Wagenknecht nichts mehr von der links-rechts-Kategorisierung. Anstelle einer politischen Verortung führt sie die soziale Marktwirtschaft als angeblich früher existentes leuchtendes Vorbild auf. Sie hat sich schon in ihrem Buch-Bestseller „Die Selbstgerechten“ von 2021 als Anhängerin Ludwig Erhards und des Ordoliberalismus bekannt. Ein früherer Kanzler aus der CDU als Vorbild? Es ist wohl eher das Propaganda-Schlagwort der Sozialen Marktwirtschaft, die Erhard in den 1940er Jahren mit entworfen hatte und die angeblich zu Deutschlands Wiederaufbau in den 1950ern führte, das ins Bild passt.

Programm und Erklärungen des BSW sind voll von verklärenden Bezugnahmen auf eine gute alte Zeit und von der nationalen Nachkriegs-Erzählung vom hart erarbeiteten Wohlstand. Als „Rheinischer Kapitalismus“ wurde diese angebliche Blütezeit bezeichnet. Das ist dem BSW offenbar genehmer als das Unwort Sozialismus. „Das ordoliberale Konzept einer Marktwirtschaft ohne Konzerne beschreibt den Weg einer möglichen Lösung“, so Wagenknecht in ihrem Buch „Die Selbstgerechten“. Nun gab es auch unter Erhard Konzerne in Deutschland — aber wichtiger als die Wahrheit scheint beim BSW der verklärende Blick zurück in Verbindung mit dem Mythos der hart arbeitenden Deutschen zu sein. Das ist keine linke, sondern eine konservative Weltanschauung. Wagenknecht verkündet: „Ich habe in meinem Buch den Begriff linkskonservativ sehr bewusst gesetzt (…) Das ist ja scheinbar ein Widerspruch, weil man in politischen Diskursen denkt, links ist auf keinen Fall konservativ und umgekehrt. Aber es gibt natürlich Bewahrenswertes.“

Rechtspopulismus?

Das „Bewahrenswerte“ beim BSW klingt verdächtig nach AfD-Jargon. Als „Retrotopie“ benannte der 2017 verstorbene Soziologe Zygmunt Baumann diese Basiserzählung des Rechtspopulismus: Das Beschwören einer früher existenten heilen Welt gegen die als chaotisch und von Verfall geprägte Gegenwart.

Für den Baseler Politikwissenschaftler Oliver Nachtwey ist Wagenknecht schlicht populistisch, da sie Ressentiments verkünde: „Wagenknecht ist eine Populistin im klassischen Sinne: Das Establishment ist korrupt und inkompetent, die Bevölkerung wird nicht repräsentiert. Anders als ihre Anhänger es glauben, handelt es sich aber mitnichten um einen Linkspopulismus, denn dieser setzt auf Partizipation als Antwort auf die Usurpation der Demokratie durch die Eliten. Wagenknechts Ansatz der Ressentimentbewirtschaftung gegen das linksliberale Establishment lässt sich mühelos auf neue politische Felder übertragen.“

Der Flensburger Professor für Partizipations- und Demokratieforschung Torben Lütjen hält Wagenknecht für eine Renegatin und äußerte in der FAZ gar den Vergleich mit dem Werdegang Benito Mussolinis: Es zeige sich, dass sich Wagenknecht „nun einreihen wird in eine lange Reihe politischer Überläufer von links nach rechts.“ Wagenknecht sei real eine Renegatin und Konvertitin: „Konvertiten wollen weiterhin aufs große Ganze gehen. Mussolini, vielleicht der bekannteste unter ihnen, bleibt ein Revolutionär, nur der Fluchtpunkt wandelt sich: Es ist nicht länger die Arbeiterklasse, sondern die Nation, die die Misere und das Elend der Gegenwart überwinden soll.“

Mit Erhardt gegen die AfD?

Das BSW kann zum Totengräber der Linkspartei werden. Aktuell liegt Die Linke laut Umfragen irgendwo knapp unter der 5%-Hürde, da könnten einige Wechselwähler*innen den Ausschlag geben. Im Osten zeigen aktuelle Umfragen gar drastische Prognosen. Die Linke hat es jetzt andererseits selbst in der Hand, sich ein tragfähiges Profil zu geben. Die österreichische kommunistische Partei KPÖ PLUS zeigt gerade, wie mit klarem Profil und sozialen Themen Stimmen zu gewinnen sind. Das BSW hingegen stellt eher einen Rückgriff auf die Zeit des „Fordern und Förderns“ von Gerhard Schröder und seiner Agenda 2010 dar.

Diese Politik gegen Arbeitslose wird goutiert von dem ehemaligen Düsseldorfer Oberbürgermeister und BSW-Spitzenkandidaten zur Europawahl Thomas Geisel. Dessen Vorstellung von linker Ordnungspolitik besteht aus „unternehmerischer Freiheit durch Wettbewerb“, die wieder „individuelle Leistung honoriert“. Das ist keine linke Weltanschauung, sondern erscheint hinsichtlich des Parteikonzeptes eher als Kopie der in den 1990ern existenten Deutschen Mittelstandspartei (DMP), die im Jahr 2002 in die Schill-Partei überführt wurde.

National mittelschichtsorientiert ist auch das BSW hinsichtlich seines Klassenstandpunktes. Im Politikstil hingegen weckt das BSW die Erinnerung an den früheren argentinischen Peronismus. Juan Perón war ein Bewunderer Mussolinis, der sich als Volkstribun inszenierte und erfolgreich das Soziale mit dem Nationalen und der Marktwirtschaft verknüpfte. Die Peronisten sahen ihre Politik als dritten Weg zwischen Kommunismus und Kapitalismus. Kann das BSW also mit dem Peronismus verglichen werden? Jener wies unterschiedliche Facetten auf: Gemeinsam war den peronistischen Parteien das Nationale, Autoritäre und Populistische.

Partei für Rückwärtsgewandte

Das BSW stellt eine kurzfristige Wahlalternative für Unschlüssige mit potenziellen AfD-Wahlabsichten dar. Doch längerfristig ebnet die Partei der AfD inhaltlich wohl eher den Weg, indem sie deren Inhalte normalisiert: Warum sollten Wähler*innen mit Sympathien für die AfD nicht früher oder später direkt das Original wählen. Das BSW verkündet ähnliche Ressentiments und hält das Nationale hoch. Forderungen nach rigiderer Asylpolitik klingen sehr nach rassistischen Stammtischparolen nach dem Muster: „Ich habe nichts gegen Ausländer, aber…“. Sie bedienen die entsprechenden rassistischen Ressentiments in Kombination mit der rechten Erzählung des aufgrund von Migration ins soziale Abseits rutschenden arbeitenden Deutschen.

Das BSW möchte die Wähler*innen durch rückwärtsgewandte Zerrbilder und Narrative abholen, mit denen ansonsten die extreme Rechte punktet. Es beschwört den Mythos der guten alten Zeit der vermeintlich ehrlich „schaffenden“ Arbeit, die schon im Nationalsozialismus in antisemitischer Aufladung dem Wucher und Zins entgegengestellt wurde. Das BSW möchte diejenigen ansprechen, für die „echte“ Familien aus Mann, Frau und Kindern bestehen, und die, die sich nach einer real nie existenten Zeit sehnen, in der es dank des Segens der sozialen Marktwirtschaft angeblich gerecht zuging — ohne Großkapitalisten und EU-Kommissare, ohne Migration und Müßiggänger*innen, ohne die Grünen mit all ihrem Anhang, die die Harmonie der Volksgemeinschaft störten. Das BSW ist die Partei derer, die sagen: „Das muss man doch mal sagen dürfen, ohne gleich als Rechter beschimpft zu werden!“

Was da zum guten Teil aus dem Schoß der Linkspartei gekrochen ist, verheißt nichts Gutes.

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