Fantastische Reiche

Einleitung in den Schwerpunkt

Lange Zeit waren sie ein wenig beachteter Teil der extremen Rechten: „Reichsbürger“. Obskur und entrückt wirkten die Ausführungen ihrer Protagonist**innen, wonach das Deutsche Reich weiterhin existiere und deshalb die eigens gebildeten kommissarischen Reichsregierungen völkerrechtliche Legitimität beanspruchten. Ausgedachte Titel und Behörden, Fantasieausweise und Reichsnummernschilder verstärkten den Eindruck, man habe es hier weniger mit einem ernstzunehmenden politischen Spektrum als mit einer Ansammlung an Verschwörungsgläubigen mit hohem Selbstbewusstsein und einem Hang zum Narzissmus zu tun.*

Vor etwas mehr als zehn Jahren stieg die Zahl der „Reichsbürger“-Gruppen und Einzelkämpfer:innen merklich an. Sie sorgten nicht nur bei Lokalverwaltungen für Ärger. Besonders besorgniserregend waren sich mehrende Hinweise auf die weit verbreitete Bewaffnung von „Reichsbürgern“. 2015 etwa führte die Polizei im Kreis Höxter Razzien auf der Suche nach Schusswaffen durch, die „Reichsbürger“ erwerben wollten, um eine „Polizeitruppe des Freistaates Preußen“ aufzubauen.

Obwohl die Innenministerien mittlerweile die Linie verfolgen, dass legale Schusswaffen nicht in den Händen von „Reichsbürgern“ zu dulden sind, besteht das Problem der Bewaffnung weiter fort. Gefährlich werden Teile der „Reichsbürger“ aber nicht nur dann, wenn der in ihren Augen illegitime Staat in ihre „Reiche“ eindringt. Auch in Putsch- und Umsturzpläne sowie Anschlagsvorbereitungen sind „Reichsbürger“ involviert. 2020 wurde mit den Geeinten deutschen Völkern und Stämmen erstmals eine „Reichsbürger“-Gruppe verboten.

Das Spektrum hat sich verbreitert. Legitimität soll nicht mehr ausschließlich über pseudojuristisch anmutende Ableitungen zur Fortexistenz des Reiches erzeugt werden. Stärker esoterisch anmutende „Argumentationen“ sind ebenso zu finden wie die Behauptung, die BRD sei kein Staat, sondern lediglich eine GmbH. Im Kontext der Covid19-Pandemie haben solche Vorstellungen eine größere Anhänger*innenschaft gefunden und sich mit anderen Verschwörungserzählungen vermischt.

Bei aller Unterschiedlichkeit sind doch Gemeinsamkeiten festzustellen. All diese Gruppen und Akteure sprechen der Bundesrepublik Deutschland die Existenzberechtigung ab und erklären folglich deren Gesetze und Institutionen für nichtig. Ihr starker Hang zu Verschwörungserzählungen verbindet sich vielfach mit antisemitischen Erklärungsmustern. Ihren „Erkenntnissen“ folgt die Selbstermächtigung als „Souveräne“, die sich ihre eigenen Reiche abstecken und sich die Verkörperung staatlicher Macht anmaßen.

Den Schwerpunkt eröffnet Benjamin Winkler, indem er die Entwicklung des „Reichsbürger“-Milieus in Deutschland und ihr Verhältnis zur extremen Rechten nachzeichnet.

Ergänzend dazu befasst sich Torben Heine mit dem historischen Ursprung des „Reichsbürger“-Begriffs sowie der Klassifizierungs- und Benennungspraxis der Verfassungsschutzbehörden, die das Phänomen lange vernachlässigten.

Mia Hill, Zoey Heine und Rina Wrona legen ihre Recherche-Erkenntnisse über die Aktivitäten und Protagonist*innen des nordrhein-westfälischen Leucht-Turm-Teams dar, dessen Aufgabe es ist, weitere zahlende „Staatszugehörige“ für die esoterische Politsekte Königreich Deutschland zu werben.

Der Vaterländische Hilfsdienst ist eine auch in NRW, Hessen und Rheinland-Pfalz aktive „Reichsbürger“-Gruppe, welche das deutsche Kaiserreich unter Führung der Hohenzollern wiederherstellen möchte. Rina Wrona zeigt, wie diese Gruppe sich mit Bezug auf ein Gesetz von 1916 anmaßt, Verwaltungsaufgaben bis hin zur Aufstellung von Polizeihilfstruppen zu übernehmen.

Alexander Czepinski stellt mehrere, eher als Einzelkämpfer“ agierende „Reichsbürger“-Akteure aus Mittelhessen vor.

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