Linda Janssen

Wie aus Tintrup Tim-trup wurde

Ein Blick auf den extrem rechten YouTuber Timm Kellner

Im Jahr 2023 kaufte Timm Kellner ein neues Clubhaus für seinen Motorradclub „Brothers Guard“ in Tintrup, einem kleinen Dorf im ostwestfälischen Kreis Lippe. Zu seinen Veranstaltungen kommen mehr Besucher­*in­nen als Menschen in Tintrup wohnen, seine Fans bedrohen Zivilgesellschaft und Ordnungskräfte.

Kellner, bekannt als „Tim K.“, ist Ex-Polizist, „YouTuber“, Social-Media-Aktivist und Motorradclubpräsident. Sein YouTube-Kanal hat 525.000 Abonnent*innen und macht ihn zu einem der reichweitenstärksten extrem rechten „YouTuber“, täglich erscheinen neue Videos. Auf Facebook folgen ihm knapp 300.000 Personen, bei Telegram knapp 170.000.

Kellners Videos sind auf witzig gemacht, schnell geschnitten und einfach zu verstehen. Er kommentiert gehässig aktuelles politisches Geschehen, blendet Ausschnitte aus Nachrichtensendungen und Schlagzeilen ein. Seine Inhalte zielen auf Emotionen ab und sind anschlussfähig für eine breite Masse von der extremen Rechten bis hin zur Mitte der Gesellschaft, weil sie weit verbreitete menschenfeindliche Ansichten mit Unterhaltung vereinen. Seit 2023 veröffentlicht er regelmäßig Videos beim verschwörungsideologischen und extrem rechten Internet-TV-Sender AUF1 aus Österreich sowie eine „Video-Kolumne“ auf der Website des Deutschland-Kuriers.

Hate Speech vom „Love Priest“

In seinen Videos präsentiert Kellner sich rosa gekleidet mit Herzchen-Brille, verabschiedet sich sarkastisch mit „Love, Peace and Harmony“ und nennt sich den „Love Priest“. Diese Inszenierung als Kunstfigur führte er vor der Pandemie ein und stellte sie in den letzten Jahren immer mehr in den Vordergrund. Das kommt nicht nur bei den Fans gut an, sondern bietet auch die Möglichkeit, seine menschenfeindlichen Äußerungen noch mehr als zuvor als Satire zu verharmlosen.

Inhaltlich bietet er das Gegenteil: Ein konstantes Motiv Kellners ist die Fantasie, Deutschland stünde kurz vor dem Untergang. Verantwortlich dafür macht er Politikeri*nnen, Migrant*innen, Frauen, LGBTQIA und politische Gegner*innen. Damit generiert Kellner Reichweite und Einnahmen. Regelmäßig bringt er neue Merchandise-Produkte heraus, die über seinen Online-Shop bestellbar sind, oder startet Spendenaufrufe, unter anderem 2022 für „alternative“ Behandlungsmethoden gegen seine Krebserkrankung. Diese besiegte er nach eigenen Angaben 2023 nach einer Chemotherapie. Oder für Anwaltskosten und Geldstrafen: Wegen Videos, in denen er bekannte Politikerinnen beleidigte, wurde er bereits mehrfach verurteilt, zuletzt im Oktober 2023 in Detmold. An seiner Seite war dabei nicht nur der Szene-Anwalt Hendrik Schnelle, sondern auch über 400 Fans, die Kellner zum Gericht und anschließend nach Tintrup mobilisiert hatte.

Der BGMC: Trouble in Tintrup

Den Brothers Guard MC (BGMC) gründete Kellner 2015 als Brothers MC. Die Mitglieder, ausschließlich Männer, tragen Leder-Kutten mit aufgenähten Club-Emblemen, es wird gemeinsam ausgefahren. Der BGMC bezeichnet sich als 1%-Motorradclub, als Outlaws in Abgrenzung zu friedlichen Hobbymotorradfahrer*innen. Bis zur Bekanntgabe des neuen Clubhauses im Mai 2023 hat der BGMC seit seiner Gründung eine ganze Reihe von Clubhäusern in der Region durchlaufen, die er — zum Teil aufgrund zunehmender öffentlicher Aufmerksamkeit und Polizeikontrollen — wieder aufgab. Obwohl vermutlich um die zehn weitere Männer zu Kellners Chapter gehören, steht „Tim K.“ stets im Vordergrund. Innerhalb der Motorradclub-Szene kommt seinem Club aber keine große Bedeutung zu, lose Kontakte bestehen eher zu kleineren unbekannten Clubs.

Seit der Eröffnung haben im Tintruper Clubhaus fast wöchentlich Treffen, Ausfahrten, „Offene Abende“ und Partys stattgefunden. An den größten Veranstaltungen beteiligten sich jeweils über 300 Besucher*innen. Zu „Offenen Abenden“ und Timm Kellners Geburtstagsfeier kamen 50 bis 150 Personen. Über den Winter fanden keine Veranstaltungen statt, Mitte März wurde eine baldige Saisoneröffnung angekündigt.

Timm Kellner will bleiben

Die Geschehnisse in Tintrup sorgten für Beschwerden seitens der Nachbarschaft und zogen die Aufmerksamkeit von Behörden und Verwaltung auf sich. Nachdem dem BGMC die Nutzung des Gebäudes als „Vereinsheim“ im vergangenen August untersagt worden war, betitelten sie es kurzerhand als „Männer-WG“ und schraubten die Logos des MC ab. An den Veranstaltungen änderte sich nichts. Da der Besitzerwechsel des Clubhauses noch nicht im Grundbuch eingetragen war, beschloss die Stadt Blomberg, zu der Tintrup gehört, von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen. Das Haus könne dann Sammelunterkunft oder Begegnungsstätte werden.

Ein gefundenes Fressen für Kellner, der sogleich in seinen Videos behauptete, die Stadt wolle in Tintrup ein „Flüchtlingsheim“ eröffnen, und flankiert von BGMC-Mitgliedern bei einer öffentlichen Ratssitzung Bürgermeister und Ratsmitglieder bedrohte. Im Nachgang berichteten diese auch von Drohungen durch Kellner-Fans. Letztendlich kaufte die Stadt das Haus nicht. Auch am Clubhaus selbst gab es Ärger, als bei einer Veranstaltung in der „Männer-WG“ im September 2023 Kellner-Fans ein Auto mit Mitarbeitenden des Ordnungsamts umstellten und diese bedrohten.

Die extreme Rechte und Tim K.

Zu Kellners Veranstaltungen in Tintrup kommen immer wieder bekannte Gesichter aus der extremen Rechten. So zum Beispiel Rolf-Arno Maertzke, Beisitzer des AfD-Stadtverbands Detmold, der zuletzt im Rahmen der Coronaproteste aufgefallen war, oder Andreas Hanusek aus Horn-Bad Meinberg, der Teil einer völkischen Familie aus dem HDJ-Umfeld ist. Die verschwörungsideologisch orientierte Freie Presse Sauerland postete Fotos von Kellners Veranstaltungen. Nicht verwunderlich mit Blick auf Kellners Inhalte und bisherige Aktivitäten, wie Gastauftritte auf Podien und in Videos des AfD-nahen Vereins Alternativer Kulturkongress Deutschland oder auf sein Interview mit Martin Sellner. Während der Pandemie war er Redner und Gast auf Corona-Demonstrationen, seine Veranstaltungen werden immer wieder von verschwörungsideologischen Gruppierungen wie Bielefeld steht auf und Grundrechte Paderborn beworben.

Kellner legt vor, seine Fans legen nach

Kellner bietet auf seinen Kanälen ein Potpourri menschenfeindlicher Ansichten wie Rassismus, Sexismus und LGBTQIA*-Feindlichkeit sowie Verschwörungserzählungen. Als Echokammern dienen die Kommentarspalten unter seinen Posts, wo Fans öffentlich und unmoderiert die Ermordung von Politikerinnen und politischen Gegnerinnen fordern, Rassismus offen zur Schau tragen, die Demokratie infrage stellen und Verschwörungserzählungen bis hin zu „Reichsbürger“-Ideologien zum Besten geben. Bedrohlich wird es auch für zivilgesellschaftlich Engagierte vor Ort.

Nach Bekanntwerden von Kellners Clubhaus in Tintrup gründete sich in Blomberg ein zivilgesellschaftliches Bündnis. An einem Nachbarhaus hängten Bewohner*innen eine Regenbogenfahne auf. Timm Kellner machte sich auf Social Media darüber lustig, Hass- und Drohkommentare seiner Fans gegen die Nachbar*innen, das Bündnis und andere zivilgesellschaftliche Gruppen, wie die Omas gegen Rechts, folgten.

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