Angriff auf bürgerliche Freiheitsrechte
Parteien der äußersten Rechten an der Macht
In vielem waren sich die Staats- und Regierungschefs der sieben großen westlichen Industriestaaten einig, als sie sich Mitte Juni zum G7-Gipfel im süditalienischen Nobelressort Borgo Egnazia trafen. So beschlossen sie, einen 50-Milliarden-Dollar-Kredit für die Ukraine zu finanzieren – und zwar aus Zinserträgen russischen Staatsvermögens, das in Europa eingefroren ist. Zudem attackierten sie China, etwa wegen seiner Industriepolitik, die – so sahen sie es – schädliche Überkapazitäten schaffe. Eine lange Liste gemeinsamer Positionsbestimmungen, Appelle und Forderungen kam hinzu. In einem aber konnten die G7 keinen Konsens finden: in der Frage, ob die Abschlusserklärung ihres Gipfeltreffens – wie diejenige des G7-Gipfels ein Jahr zuvor in Hiroshima – ein Bekenntnis zum Recht auf Schwangerschaftsabbruch beinhalten sollte. Sechs der G7-Staaten befürworteten das, einer lehnte es kategorisch ab und setzte sich damit durch: Italien unter seiner Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von der extrem rechten Partei Fratelli d’Italia (Brüder Italiens).
Ultrarechte „Lebensschützer“
Das Recht auf Schwangerschaftsabbruch ist ein Recht, das immer wieder attackiert wird, wo sehr weit rechts stehende oder gar extrem rechte Parteien an die Regierung kommen. Das war etwa in Polen unter der Regierung der Kaczyński-Partei PiS (Prawo i Sprawiedliwość, Recht und Gerechtigkeit) der Fall. Dort legte das Verfassungsgericht im Jahr 2020 fest, dass eine Schwangerschaft ausschließlich nach einer Vergewaltigung oder bei Gefahr für das Leben der Mutter abgebrochen werden darf. Nicht in allen Ländern ist das durchsetzbar. In Frankreich, wo 86 Prozent der Bevölkerung die Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen befürworten, gehört deren Verbot zwar theoretisch zur Programmatik des Rassemblement National (RN). Dessen Frontfrau Marine Le Pen stimmte allerdings im März 2024 unter dem Druck der öffentlichen Meinung gar der Aufnahme des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch in die Verfassung zu. Das ist freilich die Ausnahme.
Wege, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch zu attackieren, gibt es viele. In Italien etwa gelang es Meloni, sogenannten Lebensschützern direkten Zugang zu den, vor einem Schwangerschaftsabbruch verpflichtenden, Beratungsgesprächen zu gewähren. Auch Ungarn hat sich unter Ministerpräsident Viktor Orbán von der ultrarechten Partei Fidesz striktere Regeln verpassen lassen müssen; Schwangere sind seitdem verpflichtet, vor einem Schwangerschaftsabbruch zwei Beratungsgespräche über sich ergehen zu lassen und zudem den Herzschlag des Fötus anzuhören. Das soll sie zur Austragung der Schwangerschaft veranlassen. Das Ziel, Schwangerschaftsabbrüche möglichst umfassend zu verhindern, ist dabei keineswegs auf Rechtsaußenparteien in Europa beschränkt. Energisch angestrebt wird es beispielsweise auch vom rechten Flügel der US-Republikaner.
Gegen LGBT-Rechte
Rechtsaußenregierungen attackieren regelmäßig auch die Rechte von LGBT. In Ungarn etwa ist seit 2019 in der Verfassung festgelegt, dass die Ehe nur zwischen Mann und Frau möglich sein soll. Seit 2021 ist die Darstellung nicht-heterosexueller Lebensformen gegenüber Kindern verboten. Seit 2023 können Menschen, die „die Rolle von Ehe und Familie“ – klar: in ihrer zwangsheterosexuellen Form – in Frage stellen, anonym bei staatlichen Stellen denunziert werden. In Polen gab es unter der PiS-Regierung mehr als hundert Gemeinden, die sich zu „LGBT-freien Zonen“ ernannt hatten – dies in einer Zeit, in der das Parlament ein Gesetz zum Verbot von „LGBT-Indoktrinierung“ an Schulen verabschiedete. Auch in Italien werden die Räder zurückgedreht, seit dort Meloni mit ihren Fratelli d’Italia, der Lega von Matteo Salvini sowie der konservativen Forza Italia regiert. Meloni geht gegen die Gleichstellung nicht-heterosexueller Paare vor; zu Jahresbeginn ließ sie etwa Geburtsurkunden von Kindern in nicht-heterosexuellen Familien anfechten: Es sollen, fordert sie, nur noch leibliche Elternteile anerkannt werden.
Gegen Flüchtlinge
Ausnahmslos beinhart gehen ultrarechte Regierungen gegen Geflüchtete vor. Polen und Ungarn etwa wehren sich seit Jahren mit Zähnen und Klauen gegen die Umverteilung von Geflüchteten in der EU. Beide schotten Teile ihrer Außengrenze – Polen die Grenze nach Belarus, Ungarn diejenige nach Serbien – mit meterhohen Stacheldrahtverschlägen ab, um jegliche unerwünschte Einreise zu verhindern. In Polen wurden Flüchtlinge laut einem Bericht von Amnesty International in drastisch überfüllten Flüchtlingslagern im Jahr 2021 mit dem Ruf begrüßt: „Willkommen in Guantánamo!“ Ungarn wiederum ließ Asylsuchende zunächst in sogenannten Transitzonen an der Außengrenze internieren und zwang sie später, ihre Asylanträge in seiner Botschaft in Serbiens Hauptstadt Belgrad zu stellen – ein wenig aussichtsreiches Unterfangen. Italien wiederum ist, seit 2018 erstmals die Lega in die Regierung eingebunden wurde, für seine brutale Repression nicht bloß gegen Geflüchtete, sondern auch gegen Seenotretter_innen berüchtigt, die Geflüchtete vor einem Tod auf dem Mittelmeer zu bewahren suchen.
Keine neue Politik
All das beschränkt sich nicht auf die üblichen Verdächtigen. In Dänemark trieb die Dansk Folkeparti von 2015 bis 2019 die Minderheitsregierung, die sie damals tolerierte, in Sachen Flüchtlingsabwehr rabiat vor sich her. In Schweden nutzen die Schwedendemokraten die Tatsache, dass die Regierung seit 2022 auf ihre Duldung angewiesen ist, um ebenfalls die staatliche Repression gegen Geflüchtete auf allen Ebenen zu verschärfen. In den Niederlanden wiederum erklärte Mitte Mai die neue Regierungskoalition, an der Geert Wilders mit seiner Partij voor de Vrijheid (PVV) führend beteiligt ist, sie werde rasch „konkrete Schritte“ einleiten – hin „zu den strengsten Asylregeln, die es je gab“.
Eines sollte man nicht übersehen: Meterhohe Stacheldrahtverschläge stehen schon seit vielen Jahren an den Grenzen der spanischen Exklaven Ceuta und Melilla. Die Transitzonen entlang der Grenze, die Ungarn etabliert hatte, ähneln in vielem den Grenzlagern, die zu errichten die jüngste EU-„Asylreform“ vorsieht. Als Meloni im Juli 2023 einen Flüchtlingsabwehrpakt mit Tunesien schloss, stand mit Ursula von der Leyen die EU-Kommissionspräsidentin an ihrer Seite, und Melonis Vorbild war der 2016 von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel eingefädelte EU-Flüchtlingsabwehrpakt mit der Türkei. Die Brutalisierung der Flüchtlingsabwehr ist längst Konsens in den Eliten der EU. Die äußerste Rechte prescht aber stets noch ein Stückchen weiter vor.
Faschistengedenken
Krasse Verschiebungen bringen ultrarechte Regierungen immer wieder in der Geschichts- und Gedenkpolitik hervor. Wohl bekanntestes Beispiel ist auch in diesem Fall Ungarn. Dort werden seit Jahren Straßen und Plätze nach dem ehemaligen Staatschef und NS-Kollaborateur Miklós Horthy benannt; sogar Denkmäler für ihn werden aufgestellt, zuletzt eine Büste im Parlamentsgebäude in Budapest. Auf Lehrplänen ungarischer Schulen finden sich Werke faschistischer Schriftsteller wie Albert Wass und Józef Nyírő, die gleichfalls eifrig mit den Nazis kollaborierten. In drei Regionen Spaniens, in denen der konservative Partido Popular (PP) und die extrem rechte Vox gemeinsam regieren, sind Gesetze zum Gedenken an den Franco-Faschismus aufgehoben worden oder werden gerade annulliert. Die Folge: Die faschistischen Verbrechen werden verharmlost, die Opfer ignoriert. Anfang Mai machte ein Bericht dreier UN-Berichterstatter die Runde, die schwere Vorwürfe erhoben: Sie beklagten, die drei Regionalregierungen machten die „schweren Menschenrechtsverletzungen während Francos diktatorischem Regime unsichtbar“.
Wer faschistische Verbrechen verharmlost, faschistische Politik beschweigt oder gar ehrt, schafft den geistigen Nährboden für eine erneute Schwächung oder Beseitigung bürgerlicher Freiheiten. Und in der Tat: Regelmäßig attackieren ultrarechte Regierungen etwa die Unabhängigkeit der Justiz. Einmal mehr wäre Ungarn zu nennen, zudem Polen, wenngleich das Land unter der Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk begonnen hat, mehrere scharf kritisierte Regelungen zur Sicherung politischen Einflusses auf die Gerichte rückgängig zu machen. Auch in Italien hat die Regierung unter Meloni, die häufig als die „rechteste seit Mussolini“ bezeichnet wird, eine Justizreform auf den Weg gebracht, die auf scharfe Kritik stößt. Für Disziplinarfälle soll in Zukunft ein vom Parlament gewähltes Gremium zuständig sein. Das öffne, warnen viele, politischer Einflussnahme Tür und Tor.
„Megaphon der Regierung“
Ähnliches gilt in Ländern, in denen ultrarechte Regierungen an der Macht sind, auch für die Medienfreiheit. In Ungarn etwa hat die Regierungspartei Fidesz maßgeblichen Einfluss auf die öffentlich-rechtlichen Medien. Private Medien wiederum sind oft im Besitz von Geschäftsleuten, die Orbán nahestehen. Sogar die Medienaufsichtsbehörde wird vom Fidesz kontrolliert, was regierungskritischen Zeitungen, Radiosendern und Onlinepublikationen das Leben empfindlich erschwert. Auf der Länderrangliste der Medienfreiheit von Reporter ohne Grenzen rutschte Ungarn denn auch von Platz 23 im Jahr 2010 – dem Jahr, seit dem Orbán und sein Fidesz ununterbrochen regieren – auf Platz 72 im vergangenen Jahr ab. Auch Italien ruft seit Melonis Amtsantritt in Sachen Medien immer wieder Proteste hervor. Schlagzeilen machte etwa, dass der Schriftsteller Antonio Scurati im öffentlich-rechtlichen Sender RAI eine zum Tag der Befreiung am 25. April geplante Rede nicht halten durfte. Der Grund: Er hatte vor, Kritik an Ministerpräsidentin Meloni zu üben. Beobachter warnen, der Vorgang sei kein Einzelfall; unter Meloni entwickle sich RAI zum „Megaphon der Regierung“.
Dies ist erst der Anfang
Bliebe festzuhalten: Die Ära, in der die äußerste Rechte in Europa Regierungsmehrheiten erobert, befindet sich erst am Anfang. Ultrarechte Regierungen sind international noch recht starkem Druck ausgesetzt, werden vergleichsweise penibel beobachtet – und sie gehen deshalb noch relativ vorsichtig vor. Einen kleinen Eindruck davon, was auf lange Sicht so alles kommen mag, konnte man Mitte Juni in Italien erhalten. Dort wurden Videos bekannt, auf denen Aktivist_innen einer Jugendorganisation den Römischen Gruß zeigten und lautstark „Sieg Heil“, „Duce“ und Ähnliches skandierten. Politiker_innen von Melonis Fratelli d’Italia reagierten mit einem Schulterzucken; Konsequenzen blieben aus. Und dies, obwohl – oder weil – es sich bei der Jugendorganisation um die Gioventù Nazionale gehandelt hatte, den Jugendverband der Fratelli d’Italia. Organisationen wie diesen gehört, sollten sich auch in weiteren EU-Staaten Regierungen der äußersten Rechten festsetzen, die Zukunft.